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Einzeltitel

Der Erfolg im Kampf gegen den Terror

von Dr. Karl-Heinz Kamp

Sechs Thesen zu den sicherheitspolitischen Folgen des 11. September 2001

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Im Dezember 2000 legte der amerikanische National Intelligence Council (NIC), eine Abteilung des Nachrichtendienstes CIA, seine Einschätzung der Sicherheitslage im Jahr 2015 vor. Die Studie mit dem Titel "Global Trends 2015" eröffnete eine düstere Perspektive auf eine Welt, in der sich die klassischen Sicherheitsrisiken mit neuen Bedrohungen durch zerfallende staatliche Autoritäten oder Gewalt nichtstaatlicher Akteure verbinden. Gerade die Gefahr des Terrorismus wurde als eine der zentralen Sicherheitsgefährdungen der Zukunft gesehen, da religiös motivierte Fanatiker ihre Aktionen in erster Line gegen die USA, aber auch gegen Westeuropa und Japan, richten würden. Dabei würden Terrorangriffe in den USA künftig auf "Massenverluste" zielen und auch vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen nicht zurückschrecken.

In der Bundesrepublik wurden solche Darstellungen nicht ohne Skepsis zur Kenntnis genommen, zumal amerikanische Geheimdienste in ihren Einschätzungen in der Vergangenheit beileibe nicht immer richtig lagen. Mit dem 11. September 2001 sollten sich die Vorhersagen des NIC aber als grausame Realität entpuppen, welche die Prognosen des NIC noch dahingehend korrigierte, dass es der immer wieder zitierten biologischen, chemischen oder gar nuklearen Massenvernichtungswaffen überhaupt nicht bedurfte, um einen Massenmord zu begehen. Statt dessen stellte bereits die Kombination von Teppichmessern und einem Zivilflugzeug eine "Massenvernichtungswaffe" in der Hand islamistischer Extremisten dar, mit der mehr Amerikaner getötet wurden, als in allen Terroraktionen zuvor zusammengenommen.

Dabei war das grundlegend Neue und Schockierende an den Anschlägen in New York und Washington D.C. nicht allein die große Zahl von Todesopfern oder die erwiesene Verwundbarkeit amerikanischen Territoriums. Mindestens ebenso erschreckend war die Demonstration der Wirksamkeit asymmetrischer Kriegführung. Dabei gehören Warnungen vor den Gefahren des "Asymmetrical Warfare" seit Jahren zum Repertoire westlicher und insbesondere amerikanischer Verteidigungsminister und Militärplaner. Sie wurden in ihrer Tragweite von der Öffentlichkeit aber nur selten wahrgenommen. Dies änderte sich mit dem 11. September 2001 grundlegend. Die Bereitschaft einiger Fanatiker, das eigene Leben für den "Erfolg" einer Aktion zu opfern, erweist sich für terroristische Organisationen als der große "Gleichmacher" gegenüber dem gewaltigen Militärpotential der westlichen Industrienationen. Der Zusammenbruch des World Trade Centers belegte augenfällig, dass eine Terrororganisation mit vergleichsweise geringem personellen, finanziellen und organisatorischen Aufwand den Vereinigten Staaten einen gewaltigen Schlag versetzen konnte, ungeachtet des gewaltigen amerikanischen Streitkräftepotentials und der vorhandenen Mittel zur weltweiten Machtprojektion. Durch die Entschlossenheit einiger ihrer Mitglieder, den eigenen Tod in Kauf zu nehmen, brachte sich das Al-Qaida-Netzwerk von Osamar Bin Ladn zumindest für kurze Zeit auf "gleiche Augenhöhe" der größten Militärmacht der Erde.

Ein (womöglich geplanter) Nebeneffekt der Todesbereitschaft der Luftpiraten war, dass dadurch die gesamte Aktion in geradezu perfider Weise "mediengerecht" ablaufen konnte. Zwischen den beiden Einschlägen im World Trade Center blieb für die Medien vor Ort genügend Zeit, um das zweite Flugzeug life per Kamera auf seinem Todesflug begleiten zu können und diese Bilder über alle Sender der Welt auszustrahlen. Auch blieb der individuelle Tod in den zusammenstürzenden Gebäuden eher anonym. Es gab, anders als etwa bei einem Giftgasanschlag, keine Bilder des grausamen Todeskampfes unschuldiger Opfer. Nur so konnten die Ereignisse des 11. September in den folgen Wochen über internationale Medien immer wieder aufs Neue verbreitet und betrachtet werden.

Heute, zu Beginn des Jahres 2002, sind die Nachbeben der Angriffe von New York und Washington noch immer zu spüren. Insbesondere ist die Frage nach den politischen und militärischen Konsequenzen dieses "Jahrhundertereignisses" derzeit heftig umstritten. Für die Einen bedeutet der 11. September eine Zeitenwende hin zu einer Verschlechterung der internationalen Beziehungen. Dieser Ansicht nach würde etwa das stetig schwebende Damoklesschwert terroristischer Zerstörung die populären Szenarien des "Kampfes der Kulturen" beflügeln und die internationale Zusammenarbeit erheblich erschweren. Andere hingegen betonen die positiven Auswirkungen der weltweiten Kooperation im Anti-Terrorkampf, die sich etwa in einem völlig neuen Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Russland oder in einer ungeahnten Solidarität vermeintlicher "Rogue States" mit den westlichen Industrienationen niederschlägt.

Angesichts solcher Unwägbarkeiten kann jede Analyse der Anschläge gegen die USA und der Militäroperationen in Afghanistan nur eine Momentaufnahme sein, deren langfristige Gültigkeit sich erst noch erweisen muss. Dieser Vorläufigkeit entsprechend werden im Folgenden sechs pointierte Thesen zu den Konsequenzen des 11. September dargelegt, und zur Diskussion gestellt.

These 1

Mit den Militärschlägen in Afghanistan ist "dem Westen" ein Sieg im Kampf gegen den Terrorismus gelungen

Obgleich die amerikanisch geführten Militäroperationen in Afghanistan noch nicht beendet sind, kann schon jetzt von einem überwältigenden Erfolg gesprochen werden. Dabei lag die eigentliche Leistung weniger in der raschen Zerschlagung des Al-Qaida-Netzwerkes oder der Beendigung des Taliban-Regimes. Trotz der Gefahren des Einsatzes in Afghanistan konnte doch ein militärischer "Sieg" der hochgerüsteten Supermacht USA gegenüber einem der ärmsten Länder der Erde kaum verwundern. Weit bemerkenswerter war hingegen, dass es seit Beginn der amerikanisch-britischen Militärschläge am 7. Oktober 2001 nicht zu weiteren katastrophalen Anschlägen in den USA oder in anderen westlichen Industrienationen gekommen ist. Dies verwunderte nicht nur angesichts der Drohungen, die von Taliban- und Al-Qaida-Vertretern gegen die USA im Falle eines Eingreifens in Afghanistan ausgesprochen wurden. Es war umso erstaunlicher, als folgenschwere Anschläge gegen die zivile Luftfahrt nach dem Modell von New York und Washington trotz verschärfter Sicherheitsvorkehrungen weiterhin relativ leicht durchzuführen gewesen wären. Angesichts der Intensität des zivilen Luftverkehrs müssen Bemühungen zur Prävention von Anschlägen zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen. Wirklicher Schutz ist - außer durch eine (unrealistische) völlige Sperrung des Luftraumes - nicht zu erreichen.

Allerdings war dieses Ausbleiben der befürchteten Gewaltakte kaum ein Zufall. Unmittelbar nach dem 11. September hatten die Vereinigten Staaten ein überaus großes Militärpotential in und für Zentralasien zusammengezogen und damit ein eindeutiges Zeichen der Entschlossenheit gesetzt. Dieses wurde noch durch eine teilweise geradezu herausfordernde Rhetorik des amerikanischen Präsidenten unterstützt, die offenbar ganz bewusst auf Elemente der Vereinfachung und des "Schwarz-Weiß-Denkens" zurückgriff. Beides zusammen genommen hat - gewollt oder ungewollt - ein Signal der Abschreckung ausgesandt, das weit über Afghanistan und die angrenzende Region hinausging: Falls es zu einem weiteren größeren Gewaltakt gegen die USA gekommen wäre, hätte die amerikanische Führung (mit Billigung der Öffentlichkeit) vermutlich jegliche Zurückhaltung hinsichtlich massiver Gegenschläge aufgegeben. Dabei wäre ein Einsatz von Kernwaffen als das stärkste, aber auch gefährlichste Vergeltungsmittel überhaupt nicht notwendig gewesen, verfügen die Vereinigten Staaten doch auch im konventionellen Bereich über eine gewaltige Vernichtungskapazität. Demnach hätte ein Land, in dem die Drahtzieher eines derartigen neuen Terroraktes vermutet würden, mit seiner vollkommenen Zerstörung rechnen müssen.

Die Konsequenz dieser Abschreckungsbotschaft war zweierlei. Zum einen wurde offensichtlich, dass es sich kein Staat mehr leisten konnte, den terroristischen Kampf gegen die USA offen zu unterstützen oder aus derartigen Aktionen Profit zu ziehen. Zum anderen haben sich auch viele der allgemein als problematisch angesehenen Staaten (wie etwa der Sudan) bemerkenswert rasch auf die Seite der Anti-Terror-Koalition gestellt oder sich - wie im Fall des Irak - mit anti-amerikanischen Äußerungen erstaunlich zurückgehalten.

These 2

Terrorismus ist abschreckbar

Würde eine weltweit operierende Terrororganisation wie etwa Al Qaida eine bisherige Bilanz der Angriffe gegen die USA und der amerikanischen Reaktionen in Afghanistan aufstellen, so müssten - soweit man im "westlichen" Sinne rational argumentiert - zwei Schlussfolgerungen gezogen werden. Zum einen sind moderne Industriegesellschaften wie die Vereinigten Staaten in ihren zivilen Bereichen extrem verwundbar. Mit einer entsprechenden Skrupellosigkeit und Opferbereitschaft auf Seiten der Attentäter kann dem so verhassten "American Way of Life" vergleichsweise leicht ein erheblicher Schaden zugefügt werden. Andererseits würde eine religiös-fundamentalistische Organisation aber mit einem Anschlag gegen die USA die eigene Existenz riskieren, da die Reaktion der geballten amerikanischen Militärmacht unweigerlich folgen würde. Eine solche Reaktion wäre weder zeitlich noch geographisch begrenzt, wie sich aus den latenten amerikanischen Drohungen über eine Fortsetzung des Kampfes gegen den Terrorismus etwa gegen den Irak oder Sudan gezeigt hat.

Dieses grundsätzliche Dilemma terroristischer Operationsplanung wird durch die Dimension der Aktion gegen das World Trade Center in New York noch verstärkt. So müsste ein erneuter Anschlag gegen die Vereinigten Staaten ebenfalls "gewaltig" sein, da die Ereignisse vom 11. September übertroffen werden müssten, um ein entsprechendes Maß an internationaler Aufmerksamkeit zu erregen. Damit steigt aber wiederum die Gefahr der Selbstvernichtung.

Nun mag man anzweifeln, ob terroristische Organisationen wirklich derart "rationale" Bilanzierungen anstellen und ihre künftigen Aktionen an solchen Kosten-Nutzen-Analysen ausrichten. Die Wirksamkeit von Abschreckungsmaßnahmen gegenüber Attentätern, die den Verlust des eigenen Lebens als Teil der Operation einkalkulieren, ist in der Tat äußerst begrenzt. So wäre wohl ein als "lebende Bombe" ausgestatteter Hamas-Attentäter auf dem Weg zu seinem Einsatzort durch Drohungen der Vergeltung oder Bestrafung kaum von seinem Vorhaben abzubringen. Allerdings gilt eine derartige "Abschreckungsresistenz" nicht unbedingt für die Organisation, die hinter diesem Attentäter steht. Terrorismus wird zwar häufig als wahl- und sinnlos operierend eingeschätzt, er stellt aber in Wahrheit meist eine sehr bewusste und geplante Anwendung von Gewalt dar. Dabei steht der Erhalt der Organisation an zentraler Stelle, da nur so die "Idee", d. h. die politische, religiöse oder gesellschaftliche Zielsetzung verwirklicht werden kann. Folglich sind die Drahtzieher und Hintermänner von Terrorakten sehr wohl am Überleben der eigenen Organisation interessiert und werden damit auch (zumindest begrenzt) abschreckbar. Darüber hinaus hat das Beispiel Saddam Husseins im Golfkrieg gezeigt, dass auch scheinbar völlig skrupellose Potentaten sehr wohl an ihrem eigenen physischen Überleben interessiert sind und mit glaubhaften Drohungen gegen ihre Person von geplanten Handlungen abgebracht werden können. Die Vereinigten Staaten und Israel haben die Ankündigung Saddams, chemische Waffen gegen Israel einzusetzen, nicht nur mit einer (verklausulierten) Warnung vor einem Atomwaffeneinsatz beantwortet, sondern auch mit einer Drohung gegen das Leben des irakischen Diktators. Bekanntermaßen ist es nicht zu einem Chemiewaffeneinsatz gegen Israel gekommen.

In gewisser Weise haben die USA mit dem massiven Militärschlag in Afghanistan den Erfolg der asymmetrischen Aktion Bin Ladns wieder korrigiert und die Differenz in der "Augenhöhe" wiederhergestellt. Dies ist nicht zwingend ein Erfolgsrezept für künftige terroristische Bedrohungen, zeigt aber, dass man apokalyptischen Gefahren nicht völlig schutzlos ausgeliefert ist.

These 3

Die Drohung des Terrorismus mit Massenvernichtungswaffen hat sich relativiert

Mit den Anschlägen auf die Twin-Towers und auf das Pentagon schien dem Armageddon Tür und Tor geöffnet. Der Massenmord von New York zeigte, dass der lange Zeit gültige Lehrsatz des Terrorismusforschers Brian Jenkins "Terrorists want a lot of people watching, but not a lot of people dead" der Korrektur bedurfte. In der Vergangenheit waren Terroranschläge primär auf Veränderung von Zuständen über den Aufmerksamkeitswert der Aktion gerichtet und weniger auf große Opferzahlen, drohten doch Massentötungen die Legitimität und das Ansehen der Terrororganisation bei der Klientel, für die man zu kämpfen vorgab, zu beschädigen. Gerade mit dem Auftreten des radikal-islamistischen Terrorismus wird aber eine große Anzahl getöteter "Gegner" nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern zunehmend als "Bonus" betrachtet. Kombiniert man diesen Trend mit der Verletzlichkeit moderner Industrienationen, so würden Terrorakte von ungeahnten Ausmaßen denkbar. Dies schien umso plausibler, als nach dem 11. September die Option des Terrorismus mit Massenvernichtungsmitteln als geradezu logische Fortsetzung der Ereignisse gesehen wurde.

Angestachelt durch Aktionen von "Trittbrettfahrern" erlebten die USA und Europa in den letzten Monaten des Jahres 2001 eine Hysteriewelle hinsichtlich der Gefahr eines Einsatzes biologischer und chemischer Waffen. Eine teilweise völlig überspannte Medienberichterstattung über Anschläge mit bakteriologischen Substanzen förderte den Eindruck, als sei das Auslöschen ganzer Städte und Landstriche nur noch eine Frage der Zeit. Meldungen über Fortschritte in der Biotechnologie sowie die allgegenwärtige "dual use"-Problematik, der zufolge positive Entwicklungen im medizinischen, pharmazeutischen oder landwirtschaftlichen Sektor (Düngemittel) auch für militärische und damit zerstörerische Zwecke missbraucht werden können, verstärkten diese Katastrophenstimmung.

Wenig später hatte sich der "Anthrax-Wahn" weitgehend gelegt, da offensichtlich geworden war, dass der Option eines Terrorismus mit Massenvernichtungsmitteln erhebliche Hindernisse entgegenstehen. Ohne Zweifel sind giftige Substanzen relativ leicht herzustellen oder zu beschaffen. Allerdings sind Gifte, mit denen auch in kleinsten Dosen Massentötungen verübt werden können, nach wie vor extrem rar. Auch zeigen sich bei näherer Betrachtung praktische Probleme, die den professionell mit der Erforschung von biologischen und chemischen Waffen befassten Experten seit langem bekannt sind. Hierzu gehört insbesondere die Verteilung von tödlichen Substanzen über eine große Region oder über eine große Menschenmenge. So lässt sich etwa das Trinkwasser großer Städte we gen der strikten Kontrollen der Wasserbehörden oder wegen des großen Verdünnungsfaktors in Talsperren und Reservoirs nur schwer vergiften. Auch Sporen und Bakterienstämme sind weit schwerer über die Luft auszubringen, als es in populären Horrorszenarien dargestellt wird. Allein dadurch wird offensichtlich, dass der Weg von biologischen und chemischen Giften hin zu einer wirklichen Massenvernichtungswaffe überaus weit ist und nur schwer von Laien oder Gruppen in unterentwickelten Regionen gemeistert werden kann.

Die Geschehnisse in den USA belegen dies augenfällig. Ganze fünf Todesopfer hat es in den USA als Folge der Anthrax-Anschläge gegeben - sicherlich tragisch, ist aber von einer "Massenvernichtung" sehr weit entfernt. Auch die hektischen Pressemeldungen über Bin Ladns angeblichen Zugang zu Atomwaffen haben sich allesamt als Fehlmeldungen entpuppt. Ohne Zweifel strebt eine Vielzahl von nicht-staatlichen Gruppierungen nach dem Nuklearstatus und wäre gerne nuklearer "Akteur" in der Weltpolitik. Auch innerhalb des Al-Qaida-Netzwerks sind diesbezügliche Überlegungen und Planungen angestellt worden. Allerdings ist die Beschaffung oder der Bau von Atomwaffen ein solch komplexes Unterfangen, dass daran in der Vergangenheit sogar viele Staaten, trotz erheblicher Anstrengungen, gescheitert sind.

Terroristischer Massenmord mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen ist derzeit (noch) kein realistisches Szenario. Dies aber bedeutet keinesfalls "Entwarnung" gegenüber neuen Formen terroristischer Bedrohungen. Zum einen gehen auch hier die Entwicklungen weiter und es ist nicht auszuschließen, dass Organisationen wie die japanische Aum-Shinrikyo-Sekte, die 1995 mit einem Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn 12 Menschen tötete und 5000 verletzte, ihre Fähigkeiten im Umgang mit Massenvernichtungswaffen weiter ausbauen. Darüber hinaus sind Anschläge mit giftigen Substanzen in kleinerem Maßstab (wie etwa die Anthrax-Briefe in den USA) kaum zu verhindern und können erheblichen Schaden anrichten. Deshalb kommt diesem Aspekt terroristischer Bedrohungen gerade mit Blick auf Verbesserungen im Bereich der Katastrophenbekämpfung oder der medizinischen Reaktion große Bedeutung zu. Hysterie gegenüber der bevorstehenden terroristischen Apokalypse mit Massenvernichtungswaffen ist aber derzeit nicht angebracht.

These 4

Die populäre Behauptung, dass Krieg grundsätzlich keine Probleme löse, ist falsch

"Krieg löst keine Probleme" - dieser scheinbar eherne Lehrsatz war und ist nicht nur Credo erklärter Friedensaktivisten, sondern findet seinen Unterstützerkreis auch im gemäßigten politischen Spektrum in Deutschland. Entsprechend groß war die Schar derer, die nach dem 11. September vor dem Einsatz militärischer Macht warnte. Zwar hatte Präsident Bush in den Wochen nach den Anschlägen - fast schien es zum Bedauern mancher seiner Kritiker - das Zerrbild von "schießwütigen Cowboy" überhaupt nicht erfüllen wollen. Dies hinderte aber Kommentatoren nicht daran, allgemeine "Kriegslüsternheit" im Gefolge des 11. September zu diagnostizieren. Ein Waffengang in Afghanistan müsse aber zwangsläufig - wie nahezu jeder Militäreinsatz - in der Katastrophe enden.

Nichts von dem hat sich bisher bewahrheitet. Amerikanische und britische Truppen haben nicht das Schicksal der geschlagenen Sowjetarmee in Afghanistan erlitten. Der Sturz der pakistanischen Regierung ist ebenso ausgeblieben, wie der Aufstand der islamischen Massen oder die Radikalisierung der arabischen Welt. Stattdessen ist das "Problem" der zivilisationsnegierenden Taliban-Regierung in Afghanistan weitgehend gelöst und die Chance einer Befriedung des kriegsgeplagten Landes ist seit langem erstmals gegeben. Diese Chance zu nutzen ist die Aufgabe der Politik.

Afghanistan ist nicht der einzige Konfliktherd, der die Allgemeingültigkeit der These von der grundsätzlichen Nutzlosigkeit des Krieges widerlegt. So wurden mit dem Krieg der NATO im Kosovo die ethischen Säuberungen in der Region gestoppt und - zeitlich verzögert - das Problem "Milosevic" gelöst. Damit stellt sich die Situation auf dem Balkan heute eindeutig positiver dar, als sie vor dem militärischen Engagement der Atlantischen Allianz gewesen ist. Weitere Beispiele für problemlösende Militäreinsätze ließen sich benennen.

Dies erlaubt keinesfalls den Umkehrschluss, dass jede politische Herausforderung mit militärischer Gewalt gelöst werden könne. Krieg ist kein Ersatz für Politik und stellt immer einen Zivilisationsbruch dar. Unbestreitbar ist auch, dass der Gebrauch militärischer Gewalt neue Probleme, Ungerechtigkeiten und Konflikte schaffen kann. Allerdings gibt es Situationen, in denen "Gewaltfreiheit inhuman wird" und ein Krieg mehr Probleme löst, als er schafft.

These 5

Die USA werden grundlegende Veränderungen in der Rolle von Streitkräften vorantreiben, woraus sich erhebliche transatlantische Spannungen ergeben

Der Schock des 11. September wird für die amerikanische Sicherheits- und Verteidigungspolitik von grundlegender Bedeutung sein. Hier kann die Betroffenheit der amerikanischen Bevölkerung sowie die Entschlossenheit der Administration kaum überschätzt werden. Wenn sich auch anfängliche Befürchtungen eines neuen amerikanischen Isolationismus und Unilateralismus als unhaltbar erwiesen haben, so ist die Schwerpunktverlagerung der amerikanischen Sicherheitspolitik auf das primäre Ziel der Terrorismusbekämpfung unverkennbar. Dies mag von den europäischen Bündnispartnern als zu einseitig empfunden werden, gerade weil es die bekannte (und oft gescheiterte) Neigung von großen Militärmächten gibt, ihre Streitkräfteplanung an vorausgegangenen Konflikten und vergangenen Krisen zu orientieren. Dessen ungeachtet werden die USA die Abkehr von den militärischen Strukturen des Kalten Krieges endgültig vollziehen und in der Atlantischen Allianz Maßstäbe setzen, an denen kein Verbündeter vorbeikommen wird. Dabei werden die Veränderungen sich nicht allein im Bereich der Militärtechnologie vollziehen, sondern auch Faktoren wie Risikobereitschaft, politische und militärische Entschlossenheit oder Akzeptanz von Opfern beinhalten. So hat die amerikanische Führung die Öffentlichkeit seit dem 11. September auf die Gefahren der Terrorismusbekämpfung eingestimmt und damit die Abkehr von dem unbedingten Prinzip der "no casualties" früherer amerikanischer Militäroperationen eingeleitet.

Einen weiteren Veränderungsdruck haben die europäischen NATO-Partner mit ihrer Initiative zur Aktivierung des Artikel 5 des Washingtoner Vertrages am 12. September 2001 geradezu selbst heraufbeschworen. Mit der darauf aufbauenden Bestätigung des Bündnisfalls am 2. Oktober hat der Zweck der Landes- und Bündnisverteidigung, den die Mehrheit der Bündnispartner als Maßstab für die Ausrichtung ihrer Streitkräfte heranziehen, eine völlig neue Bedeutung bekommen. War schon in der Vergangenheit der Verteidigungsaspekt von den Landesgrenzen der meisten NATO-Länder immer weiter an die Peripherie des Bündnisses verlagert worden, so zeigt die Artikel-5-Entscheidung völlig neue geografische Dimensionen militärischen Handelns auf.

Es ist zweifelhaft, ob alle europäischen Bündnispartner diesen Wandel so bereitwillig nachvollziehen, zumal aufgrund der mangelnden direkten Betroffenheit die Bedrohung des Terrorismus zunehmend aus dem Blickfeld der ungeteilten Aufmerksamkeit von Politik und Öffentlichkeit gerät. Gerade im verteidigungspolitischen Bereich zeigt sich zunehmend, dass die hehren Bekenntnisse zu militärischen Verstärkungsmaßnahmen nicht von den erforderlichen Budgetentscheidungen unterfüttert werden. Damit klafft auch nach dem 11. September eine erhebliche Lücke zwischen den sicherheitspolitischen Ambitionen der Europäer und der Bereitschaft, die erforderlichen Mittel aufzubringen. Dabei geht es nicht allein um die Höhe der Verteidigungshaushalte, sondern um Streitkräftestrukturen, die effektive militärische Einsätze erlauben.

Hier staut sich ein transatlantischer Konfliktstoff an, der in seiner Brisanz weit über die amerikanisch-europäischen Streitfragen - von Raketenabwehr bis zur NATO-Erweiterung - hinausgehen wird.

These 6

Die Rahmenbedingungen für erforderliche sicherheitspolitische Veränderungen sind in Deutschland so gut wie lange nicht.

Die amerikanisch-britischen Militärschläge in Afghanistan wurden in Deutschland von der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Ähnlich hohe Zustimmung gibt es für eine Vielzahl weiterer nicht-militärischer Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, selbst wenn diese individuelle Freiheitsrechte einschränken sollten. Ein solch breiter Konsens in Parlament (dem sich nur die PDS wiedersetzte) und Öffentlichkeit war in Deutschland keinesfalls zwingend zu erwarten. Noch zur Zeit des Golfkrieges 1990/91 bestimmten Transparente mit der Aufschrift "Kein Blut für Öl" das Straßenbild und Anfang der achtziger Jahre löste eine so vergleichsweise harmlose Maßnahme wie die geplante Volkszählung hysterische Ängste vor einem vom Staat kontrollierten "gläsernen Bürger" aus.

Als Folge dieser breiten grundsätzlichen Zustimmung zu den verschiedenen Facetten des Kampfes gegen den Terrorismus bleiben die Überreste der Friedensbewegung nach wie vor marginalisiert. Militanter Protest ist nicht mehr vordringlich anti-militärisch orientiert, sondern äußert sich meist in einer amorphen Ablehnung der "Globalisierung" oder all dessen, was unter diesem Rubrum subsumiert wird. Der Umstand, dass Friedenskundgebungen heute nicht mehr nur von militärstrategischen Fragen, sondern immer mehr von Themen wie "Verelendung der Massen", "Sozialabbau" oder "Massenkündigung" dominiert werden, hängt sicher auch damit zusammen, dass die Informationspolitik der USA und Großbritanniens zu ihren Aktionen in Zentralasien äußerst restriktiv gewesen ist. Es drangen vergleichsweise wenige Informationen an die Öffentlichkeit, die in antimilitärische Kampagnen umgemünzt werden können. Damit fehlt es aber an genügend "protestwürdigen" Ereignissen und Konzeptionen, die einen entsprechenden Zulauf zu Demonstrationen und Widerstandsmaßnahmen sichern.

Mit der positiven Grundhaltung in breiten Bevölkerungsteilen und dem Fehlen einer lautstarken und politikwirksamen Protestbewegung sind die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen für dringend notwendige sicherheits- und verteidigungspolitische Reformen in Deutschland überaus günstig. Dies gilt nicht nur für die Möglichkeit einer Erhöhung des Verteidigungshaushaltes, sondern insbesondere für die erforderliche Veränderung der Streitkräftestrukturen. Es ist aber sehr fraglich, ob die Politik diesen Handlungs- und Entscheidungsspielraum ausreichend nutzen wird.

Fazit

Mit dem militärischen Sieg in Afghanistan und der weltweiten Austrocknung des Al-Qaida-Netzwerkes ist ein auch für Optimisten unerwartet großer und rascher Erfolg gegen den international operierenden Terrorismus gelungen. Auch ist die Wirksamkeit des Mittels der Abschreckung in der Terrorismusbekämpfung bestätigt worden, woraus sich eine gewisse Zuversicht hinsichtlich der künftigen Bewältigung apokalyptischer Terrorismusszenarien ergibt.

Allerdings ist damit nur eine bestimmte Ausformung des Terrorismus empfindlich getroffen worden. Regionale terroristische Aktivitäten, wie etwa Selbstmordattentate im israelisch-palästinensischen Kontext, wurden weiter unbeeindruckt von dem Krieg in Afghanistan ausgeführt. Auch das Problem der "lunatics", also der meist psychisch gestörten Einzeltäter (wie der als "UNA-Bomber bekannt gewordene Amerikaner Theodore Kaczynski) oder die Aktionen völlig in der Illegalität agierender extremistischer Kleingruppen bleiben vom Sieg über Al Qaida weitgehend unberührt. In solchen Fällen ist Terrorismusbekämpfung zu einem großen Teil auf die klassischen Maßnahmen der Aufklärung oder des Katastrophenschutzes im Schadensfall begrenzt. Nach wie vor gilt die Erfahrung, dass Terrorismus nicht generell zu beseitigen, sondern bestenfalls einzudämmen und in seinen Auswirkungen zu begrenzen ist.

Eine grundsätzliche Verschlechterung der Chancen im Kampf gegen den Terrorismus würde sich dann ergeben, wenn gewaltbereite Organisationen über weitreichende und zielgenaue Raketentechnologie verfügen würden. In diesem Fall besäßen Terroristen die Möglichkeit der Machtprojektion über weite Distanzen und könnten inakzeptable Schäden anrichten, ohne - wie in den Angriffen gegen die USA - auf die Selbstmordbereitschaft einzelner Attentäter zählen zu müssen. Ob und in welchem Maße eine Raketenabwehr oder die Möglichkeit der Aufklärung der Abschussstelle (und damit des Gastlandes der Terrorgruppe) in einem solchen Fall von Nutzen sein wird, ist derzeit noch nicht abzusehen.

In jedem Fall bleibt der Einsatz militärischer Macht eine der möglichen Optionen gegen terroristische Bedrohungen, die erhalten und gerade auf europäischer Seite verbessert werden muss. Dabei wird der Veränderungsdruck nicht allein durch die Terrorismusgefahr erzeugt, sondern ist über die gesamte Breite des sicherheitspolitischen Risikospektrums gegeben. Die Rahmenbedingungen für politische Gestaltung im sicherheitspolitischen Bereich sind gerade in Deutschland derzeit günstig. Es steht allerdings zu befürchten dass die deutsche Politik - wie fast überall in Europa - für die erforderlichen Veränderungen nicht die nötige politische Kraft aufbringt. In diesem Fall wäre nicht nur eine effektive Sicherheitsvorsorge gefährdet. Auch das transatlantische Verhältnis würde Spannungen ausgesetzt, die weit über das europäisch-amerikanische Krisenpotential der vergangenen Jahre hinausgehen.

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Dr. Michael A. Lange

Dr. Michael A

Kommissarischer Leiter des Rechtsstaatsprogramms Nahost/Nordafrika

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