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„Nationalsozialistischer Untergrund“

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So nannten sich drei wegen Sprengstoffbesitzes seit 1998 bundesweit vergeblich gesuchte Rechtsextremisten aus Thüringen. Sie verübten zwischen 2000 und 2007 zehn Morde, mindestens zwei Sprengstoffanschläge und - zur Finanzierung - vierzehn Banküberfälle. Die Polizei brachte die kaltblütige Erschießung der wehr- und ahnungslosen Opfer von Angesicht zu Angesicht fälschlich mit organisierter Kriminalität in Verbindung. Der Verfassungsschutz wusste nichts von den Mordtaten. Er war den Flüchtigen über ihre Unterstützer in der NPD und in der Neonazi-Szene auf der Spur, aber anscheinend wusste niemand von den „Kameraden“, die mit Papieren, Ausweichquartieren und zahllosen anderen Dienstleistungen halfen, dass sich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe inzwischen in rassistische Serienmörder entwickelt hatten. Denn anders als beim Linksterrorismus der „Roten Armee Fraktion“, von der sie zahlreiche Techniken für das Leben im Untergrund übernahmen, verbreiteten sie keine Tatbekennungen.

So wurde „der“ NSU zur am längsten unentdeckt bleibenden Terrorgruppe in der Geschichte der Bundesrepublik - mit einer Opferbilanz, die innerhalb von sieben Jahren fast ein Drittel der Opfer des Linksterrorismus der 1970er bis 1990er Jahre erreichte.

Terrorismus ist auch eine Kommunikationsstrategie: Terroristen wollen eigene Anhänger mit ihren Taten beeindrucken, den Staat als hilflos erscheinen lassen und zu Überreaktionen veranlassen, die Bevölkerung in Furcht vor plötzlichen, überall möglichen Anschlägen halten und ihre Feinde und Opfer durch stete Bedrohung zur Aufgabe ihrer legitimen Rechte drängen. Nichts davon verwirklichte der NSU. Es gab keine Erklärungen - weder zu den Taten noch zu den Motiven - und somit auch keine Botschaften in die „Szene“. Allerdings hatten die Täter eine Art Tatbekennung in Gestalt eines makabren Videos vorbereitet, das vierzehn Kacheln enthielt, von denen der größere Teil bereits mit den Bildern der Mordopfer belegt war. Da „14“ unter Rechtsextremisten eine magische Zahl mit hohem Symbolwert ist (siehe auch Die „White Supremacy“-Nazis in Deutschland), kann man mit der nötigen Vorsicht vermuten, dass nach einem vierzehnten Mord eine Botschaft hätte erfolgen sollen.

Um eine Klärung dieser und zahlreicher anderer Fragen - auch die, warum die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik in diesem Falle derart lange erfolglos blieben - bemühten und bemühen sich parlamentarische Untersuchungsausschüsse (im Deutschen Bundestag und in den Landtagen von Thüringen, Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen), außerdem ein Strafverfahren gegen das NSU-Mitglied Beate Zschäpe und etliche Unterstützer vor dem Oberlandesgericht in München.

Die Vorgeschichte der Täter und ihrer politischen Freunde ist hingegen weitgehend untersucht. Alle drei waren selbstverständlich nicht als Terroristen geboren worden, sondern hatten ihre extremistischen Karrieren begonnen, nachdem sie als Jugendliche mit rechtsextremistischem Gedankengut in Kontakt gekommen waren. Mitte der 1990er Jahre waren sie in Neonazi-Strukturen in Jena fest eingebunden. Sie beließen es nicht beim „Abhängen“ in der Szene. Anonym begangene „Provokationen“ (wie das Aufhängen einer mit Judenstern versehenen Puppe an einer Autobahnbrücke oder die Platzierung von Sprengsatzattrappen) häuften sich. Als sie 1998 in die Illegalität abtauchten, hatte die Polizei in einer von ihnen genutzten Garage gerade 1,4 Kilogramm Sprengstoff sichergestellt. Die Schwelle von einer Zustimmung zu neonazistischen Hassideologien und der Bereitschaft, sie durch eine „Propaganda der Tat“ auch auszuleben, war offensichtlich überschritten.

Mit dem Selbstmord von zweien der Täter nach einem Bankraub in Eisenach (Thüringen) und der Selbststellung des dritten NSU-Mitglieds Beate Zschäpe ist der „NSU“ als Terrorgruppe seit November 2011 zunächst Geschichte. Ob sich der Rechtsterrorismus damit auch erledigt hat, ist eine ganz andere Frage. Und die Antwort darauf hängt nicht zuletzt davon ab, ob noch mehr „Karrieren“ vom Rechtsextremismus zum terroristischen Gewalttäter denkbar sind. Dazu muss man sich mit den Motiven der Täter beschäftigen: Bei den Opfern des NSU handelte es sich nicht um politische Gegner, sondern um Menschen, die wegen ihrer Abstammung ins Visier der Täter geraten waren, ohne dass sie sonst irgendeinen Anlass dazu geboten hätten. Diese terroristische Form des Rechtsextremismus bot sich damit als Rassismus in reinster Form dar. Und sie kennt eigene Strukturen und Begründungsmuster, die über Deutschland hinaus weisen (siehe auch Die 'White Supremacy'-Nazis in Deutschland).

Rudolf van Hüllen

 

Lesetipps:

  • Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses (NSU), BT-Drucksache 17/14600 vom 22.08.2013.
  • Thüringer Landtag, Bericht des Untersuchungsausschusses 5/1 (NSU), Drucksache 5/8080 vom 16.07.2014.
  • Stefan Aust und Dirk Laabs: Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU, München 2014.
  • Maik Baumgärtner / Marcus Böttcher, Das Zwickauer Terror-Trio. Ereignisse, Szene, Hintergründe, Berlin 2012.
  • Christian Fuchs /John Goetz, Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland, Reinbek 2012.
  • Armin Pfahl-Traughber, Die Nicht-Erkennung des NSU-Rechtsterrorismus, in Uwe Backes/Alexander Gallus/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie Bd. 27 (2015), Baden-Baden 2015, S. 73-93.
Das Thema ist Stoff von zahllosen Verschwörungstheorien. Insbesondere „antifaschistische“ Linksextremisten sahen sich nach Entdeckung des NSU in ihrer fest stehenden Meinung bestärkt, die Bundesrepublik unter Einschluss ihrer Sicherheitsbehörden verharmlose oder decke sogar rechtsextremen Terror.

 

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Felix Neumann

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