Asset-Herausgeber

Was ist „Geschichtsrevisionismus“?

Asset-Herausgeber

„Revision“, lateinisch für „Überprüfung“ oder „Neufassung“, ist an sich nichts Problematisches. Geschichtsrevisionismus wäre demnach eine Überprüfung oder Neufassung dessen, was man über ein bestimmtes geschichtliches Ereignis bisher zu wissen glaubte und für wahr hielt. Natürlich gibt es solche „Revisionen“: Da veröffentlichen handelnde Politiker Memoiren, es tauchen Akten auf, die einen anderen Verlauf von Ereignissen belegen, als er bisher angenommen wurde; Ausgrabungen bringen neues Wissen aus längst vergangenen Epochen ans Tageslicht. In allen Fällen wird unsere Sicht auf Geschichte revidiert, also „verbessert“. Jedes zusätzliche gesicherte Wissen über vergangene Ereignisse ist demnach „Geschichtsrevisionismus“. Darum geht es aber rechtsextremistischer Geschichtspropaganda nicht.

Rechtsextremistische Geschichtspropaganda ist eher daran interessiert, gesichertes Wissen über frühere Ereignisse zu „revidieren“ und zwar so, dass es ihren politischen Zwecken entspricht. Dazu bedarf es nicht neuer Fakten, sondern vor allem neuer, meist unseriöser Interpretationen und Darstellungen: Geschichte wird umgeschrieben, im Sinne einer bestimmten politischen Sichtweise. Die etablierte, seriöse Geschichtswissenschaft zählt dabei aus der Sicht von Rechtsextremisten nichts: Ihr wird unterstellt, wie das NPD-Programm von 2010 bekundet, Meinungsfreiheit zu unterdrücken und eine sachgerechte Geschichtsdarstellung gerade zu unterdrücken. Das ist die typische Sichtweise von Extremisten: Ihre winzige Minderheit hat die Wahrheit erkannt und die große Mehrheit der - politisch ganz unterschiedlich denkenden - Wissenschaftler hat sich demnach auf eine einheitliche Verschwörung zur Unterdrückung des angeblich „richtigen“, nationalen, Geschichtsbildes geeinigt. „Zum Schutz der Ehre des deutschen Volkes sind das Ende der einseitigen Vergangenheitsbewältigung und die Freiheit von Forschung und Lehre notwendig“, umschreibt die NPD ihre Idee eines staatlich festgelegten „nationalen“ Geschichtsbildes in ihr gültiges Programm (1).

Entsprechende Bemühungen von Rechtsextremisten richten sich vor allem auf ihr heimliches Vorbildsystem, den Nationalsozialismus. Er muss von seiner verbrecherischen Qualität und von der Verantwortung für die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges mindestens optisch befreit werden (siehe auch Der Zweite Weltkrieg und der Rechtsextremismus). Das wird nicht gelingen, indem man die Verbrechen der NSDAP einfach leugnet, denn sie sind dafür zu offensichtlich. Man kann aber einzelne von ihnen bestreiten, sie anderen Akteuren in die Schuhe schieben, behaupten, dass sie in dem festgestellten Ausmaß nun doch nicht statt gefunden hätten, weshalb sie - gemessen an Verbrechen anderer Völker - eher „normal“ und damit ein wenig verständlich seien. Man kann zudem versuchen, vermeintlich gute Leistungen des Regimes (sehr populär sind dafür die Beseitigung der Arbeitslosigkeit nach 1933 und der Bau der Autobahnen) (2) in den Vordergrund zu rücken und so die Verbrechen des Regimes zu relativieren. Und man kann versuchen, bestimmte Institutionen in der NS-Diktatur von ihrer Mitwirkung an den Verbrechen rein zu waschen oder Vorbilder aus dem Nationalsozialismus wählen, die mit den schlimmsten Verbrechen nicht in direktem Zusammenhang stehen (siehe auch Falsche Vorbilder).

Die Bezeichnung „Revisionismus“ hat sich die harte, neonationalsozialistische Richtung des Rechtsextremismus vor ungefähr 40 Jahren zu eigen gemacht. Sie bezeichnet in dieser Szene die Behauptung, Darstellungen über die systematische Vernichtung der jüdischen Menschen in Europa durch die Nationalsozialisten seien als gezielte Geschichtsfälschung anzusehen . Die „Revisionisten“ arbeiten dabei mit angeblich wissenschaftlichen Gutachten, tendenziösen und oft selbst verstrickten Zeitzeugen, aber auch mit der Behauptung, die systematische Vernichtung von jüdischen Menschen und anderen aus der Sicht der Nationalsozialisten „lebensunwerten“ Bevölkerungsgruppen sei insgesamt die absichtsvolle Erfindung der Alliierten oder einer jüdischen Lobby gewesen. Sie habe mithin niemals stattgefunden. Da die Fakten über diese Verbrechen unwiderleglich sind, hat der Gesetzgeber beschlossen, die Leugnung der Shoa unter Strafe zu stellen. Rechtsextremisten haben sich deshalb Umwege erschlossen, auf denen ihre revisionistischen Botschaften - unausgesprochen - dennoch transportiert werden können (siehe auch Holocaust und Shoa aus der Sicht von Rechtsextremisten).

Rudolf van Hüllen

 

(1) NPD-Programm 2010, S. 14.

(2) Diese beiden bei Rechtsextremisten gängigen Beispiele für „Gutes im Nationalsozialismus“ verfangen nicht, denn sie missachten den geschichtlichen Zusammenhang und die Absichten, welche die NSDAP verfolgte: Die weitgehende Beseitigung der Arbeitslosigkeit beruhte auf (überwiegend unbezahlter) Zwangsarbeit im Reichsarbeitsdienst und war Bestandteil eines Aufrüstungsprogramms, das den Zweiten Weltkrieg vorbereitete. Auch die Autobahnen hatten die Nazis als strategische Aufmarschlinien zum Überfall auf Nachbarländer geplant. Dass man sie auch für friedliche Zwecke nutzen kann, steht dem nicht entgegen.

Lesetipps:

  • Armin Pfahl-Traughber, Die Apologeten der „Auschwitz-Lüge“ - Bedeutung und Entwicklung der Holocaust-Leugnung im Rechtsextremismus, in: Uwe Backes / Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus und Demokratie, Band 8, 1996, Baden-Baden 1996, S. 75-101.

 

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Kontakt

Felix Neumann

Felix Neumann

Extremismus- und Terrorismusbekämpfung

felix.neumann@kas.de +49 30 26996-3879