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Der Weg zum Grundgesetz 1949

von Wolfgang Tischner
Der Parlamentarische Rat erarbeitete in der Zeit vom 1. September 1948 bis zur Unterzeichnung am 8. Mai 1949 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Am 23. Mai 1949 trat es in Kraft.

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Die Ausgangslage

Die Ausgangslage für eine deutsche Staatsgründung nach der moralischen, wirtschaftlichen und humanitären Katastrophe 1945 war bestimmt von der Not der Nachkriegszeit. Deutschland, verkleinert um die Ostgebiete, war in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Während in den drei westlichen Zonen die USA, Frankreich und Großbritannien in immer stärkerem Maße den Deutschen politische Rechte zurückgaben, bereitete die SED in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) den Weg in eine stalinistische Diktatur vor.

Waren die Abspaltung der SBZ und die Währungsreform schon wesentliche Weichenstellungen, so ist doch die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik nach zwei verlorenen Kriegen und immer im Kontrast zur kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland nicht denkbar ohne die Rolle Konrad Adenauers. Der ehemalige Oberbürgermeister von Köln hatte mit knapper Not die Verfolgung durch die Gestapo überlebt, und wurde nach der Kapitulation wieder in sein altes Amt eingesetzt. Trotz seiner erneuten Absetzung durch die britische Besatzungsmacht, gelang ihm schnell der erneute Aufstieg in politische Ämter.

Als im September 1948 der Parlamentarische Rat zusammentrat, um eine deutsche Verfassung zu beraten, wählten die Mitglieder Adenauer zum Präsidenten. Die SPD, die sich darauf konzentriert hatte, Carlo Schmid zum Vorsitzenden des Hauptausschusses wählen zu lassen, sah sich getäuscht: Nicht Schmid, sondern Adenauer wurde von der deutschen Öffentlichkeit als der wichtigste deutsche Politiker wahrgenommen.

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Die Arbeit im Parlamentarischen Rat

Während der Beratungen – der Parlamentarische Rat trat am 1. September 1948 erstmals zusammen und verabschiedete am 8. Mai 1949 das Grundgesetz – versuchte die Sowjetunion, durch die Berliner Blockade (24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949) die westlichen Alliierten aus Berlin heraus zu drängen und die ehemalige Reichshauptstadt in ihren Machtbereich einzugliedern. Diese unverhüllte Bedrohung stärkte den antitotalitären Grundkonsens im Parlamentarischen Rat und verbesserte gleichzeitig die Beziehungen zwischen den Deutschen und den westlichen Besatzungsmächten. Die Berliner Luftbrücke wurde zum Symbol der erfolgreichen gemeinsamen Abwehr des Kommunismus.

Trotzdem war die Formulierung des Grundgesetzes zwischen den einzelnen Fraktionen im Parlamentarischen Rat, besonders aber zwischen den Deutschen und den drei westlichen Militärgouverneuren, umstritten. Zwar bemühten sich beide Seiten, den Eindruck eines „Diktats der Alliierten“ in der Öffentlichkeit zu vermeiden, dies gelang jedoch nicht immer. Die Westmächte versuchten über zahlreiche Verbindungsoffiziere und mit geheimdienstlichen Methoden, sich über jede Entwicklung auf deutscher Seite zu informieren. Als die drei Militärgouverneure den ihnen zugeleiteten Entwurf des Grundgesetzes am 2. März 1949 ablehnten und der vom Parlamentarischen Rat erstellte Kompromissvorschlag ebenfalls nicht ihre Billigung fand, löste dies eine Krise aus. Strittig war vor allem die Finanzverfassung.

Da aber gleichzeitig an der Formulierung des Besatzungsstatuts gearbeitet und die Pariser Außenministerkonferenz mit der Sowjetunion vorbereitet wurde, wirkte sich der Zeitdruck zugunsten der Deutschen aus. Am 25. April einigten sich die Militärgouverneure mit einer Delegation des Parlamentarischen Rats in Frankfurt. Am 8. Mai 1949, dem vierten Jahrestag der Kapitulation, verabschiedete der Parlamentarische Rat das Grundgesetz mit 53 gegen zwölf Stimmen. Vier Tage später wurde es von den drei westlichen Alliierten bestätigt und danach sukzessive von den Landtagen der westdeutschen Länder (bis auf Bayern) ratifiziert. In seiner letzten Sitzung stellte der Parlamentarische Rat am 23. Mai 1949 die Annahme des Grundgesetzes fest, das in einem feierlichen Akt ausgefertigt wurde. Um 0.00 Uhr des folgenden Tages trat es in Kraft.


Das „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“

Der Parlamentarische Rat hatte mit dem Grundgesetz ein ausgewogenes Fundament für eine pluralistische Gesellschaft erarbeitet. Um seine Vorläufigkeit zu betonen, erhielt das Gesetz bewusst nicht den Namen "Verfassung". Damit betonten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates seine Vorläufigkeit, denn schließlich waren die Deutschen im sowjetischen Machtbereich von freier Selbstbestimmung ausgeschlossen. Gleichzeitig stand hinter seinen Formulierungen ein durch die gemeinsame Erfahrung der NS-Diktatur gefestigter Wertekonsens. Die reflektierte Berufung auf einen metaphysischen Ursprung der Rechtsordnung, so wie ihn die Präambel und der Grundrechtsteil betonten, war für den Parlamentarischen Rat, und zwar ausdrücklich auch für seine liberalen und sozialdemokratischen Mitglieder, der beste Schutz vor Wiederholung einer formal legalen Diktatur, wie es das Dritte Reich in seinen Anfängen mit der Reichstagsbrandverordnung und dem Ermächtigungsgesetz gewesen war: In Zukunft sollte jeder potentielle Diktator durch die Unaufhebbarkeit der Grundrechtsartikel (Artikel 1 und 20) von vorneherein gezwungen sein, den Schandfleck des Rechtsbruchs auf sich zu nehmen.

Andere Bereiche dagegen, wie etwa die Wirtschaftsordnung, regelte das Grundgesetz nur in groben Zügen. Dies lag an den unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Vorstellungen der demokratischen Parteien. Die Tatsache allerdings, dass sich zu diesem Zeitpunkt schon die 1948 durchgeführte Währungsreform und mit ihr die Aufhebung der meisten Bewirtschaftungsvorschriften als voller Erfolg erwiesen hatten, ließ in der jetzt bundesdeutschen Innenpolitik immer weniger Gegenmodelle zur „Sozialen Marktwirtschaft“ attraktiv erscheinen – auch wenn, was heute fast vergessen ist, die Arbeitslosigkeit im Westen bis Anfang der 1950er Jahre relativ hoch blieb. Das Konzept der „Sozialen Marktwirtschaft“ war noch während der NS-Diktatur von der sogenannten Freiburger Schule, einem oppositionellen Kreis Freiburger Hochschullehrer um Adolf Lampe und Franz Böhm, entwickelt worden. Deren ordoliberale Vorstellungen sahen Privateigentum und eine weitgehende Freiheit des Marktes bei strenger Kontrolle aller kartellähnlichen Zusammenschlüsse vor. Dies erwies sich, zusammen mit einer Erweiterung durch die Einbeziehung von Mitbestimmungsrechten, als konsensfähiges Leitbild für die bundesdeutsche Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Zum populärsten Vertreter der „Sozialen Marktwirtschaft“ avancierte in der Bundesrepublik Ludwig Erhard, der Urheber des Begriffes war allerdings der Nationalökonom Alfred Müller-Armack.

Innerhalb der Union hatte sich 1949 schon mit den „Düsseldorfer Leitsätzen“ (15. Juli 1949) eine marktwirtschaftliche Orientierung durchgesetzt. Mit den „Düsseldorfer Leitsätzen“ wurden die zuvor artikulierten, weniger wirtschaftsliberalen Vorstellungen des „Ahlener Programms“ fortentwickelt und teilweise revidiert. Nach dieser programmatischen Weichenstellung war es nur folgerichtig, dass es zu einer „kleinen Koalition“ mit den Liberalen kam, nachdem die Wahlen zum Deutschen Bundestag am 14. August 1949 für die Union erfolgreich verlaufen waren. Sie ging daraus mit 31% der Stimmen knapp als stärkste politische Kraft hervor. Adenauer selbst wurde zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt, die FDP stellte mit Theodor Heuss den ersten Bundespräsidenten.

 

Die Weiterentwicklung des Grundgesetzes

​​​​In der Praxis haben sich die Bestimmungen des Grundgesetzes während der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik bewährt. Damit bildete das Grundgesetz die wichtigste Voraussetzung für die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. In den Jahren nach seiner Verabschiedung wurde es in wichtigen Teilen ergänzt, innenpolitisch war dies jedoch stets umstritten. Zuerst kam, noch unter Adenauer, die Wehrverfassung hinzu, Ende der 1960er Jahre unter der ersten Großen Koalition dann die Notstandsgesetze.

Die Grundstruktur blieb freilich gleich. Alle Krisen wie die Wirtschaftskrise der siebziger Jahre oder die Herausforderung durch den Terrorismus der RAF konnten im Rahmen des Grundgesetzes gelöst werden. Eine besondere Bewährungsprobe bildete der Weg zur deutschen Einheit nach der friedlichen Revolution in der DDR 1989/90. Es zeigte sich, dass die Verfassungsordnung der Bundesrepublik ihre Leistungsfähigkeit so überzeugend unter Beweis gestellt hatte, dass der Bundestag und die jetzt demokratisch gewählte Volkskammer auf die Einberufung einer neuen verfassunggebenden Versammlung verzichteten und stattdessen die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitrat.

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