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Konstituierende Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

von Ulrike Hospes

Konrad Adenauer wird zum 1. Vorsitzenden gewählt.

Die politische Richtungsentscheidung der Sitzung lag in der faktischen Akzeptanz Adenauers als Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers und in der Absage an eine große Koalition von CDU und SPD.

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"Meine Freunde! Unser Seniorchef ist Herr Gronowski. Herr Gronowski hat mich gebeten, die Sitzung zu eröffnen. Vielleicht sind Sie auch damit einverstanden, daß ich solange die Versammlung leite, bis wir zur Konstituierung der Fraktion übergegangen sind und einen Vorstand gewählt haben.“

 

Mit diesen Sätzen ergriff Konrad Adenauer, am 1. September 1949 morgens um 10 Uhr in der konstituierenden Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion das Wort. Schauplatz des Geschehens war der große Sitzungssaal des Bonner Bürgervereins, Ecke Poppelsdorfer Allee/Prinz-Albert-Straße. Das Ende der Sitzung wurde gegen 18.30 Uhr im Protokoll festgehalten.

Die personelle Hauptentscheidung des Tages war die Wahl des Fraktionsvorstandes: Zum Vorsitzenden wurde Konrad Adenauer, als seine Stellvertreter wurden Jakob Kaiser, Fritz Schäffer und Friedrich Holzapfel gewählt. Als zwei Wochen später Adenauer erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde, folgte am 30. September Heinrich von Brentano im Amt des Vorsitzenden. Neue Stellvertreter wurden Friedrich Holzapfel (CDU) und Franz Josef Strauß (CSU).

Die politische Richtungsentscheidung der Sitzung lag in der faktischen Akzeptanz Adenauers als Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers und in der Absage an eine große Koalition von CDU und SPD. Der Fraktionsvorstand wurde beauftragt, mit der FDP zu verhandeln. Nur mit diesem Koalitionspartner, so die Überzeugung Adenauers, war Ludwig Erhards Konzept der Sozialen Marktwirtschaft umzusetzen.

 

Fraktionsgemeinschaft

139 Mandate hatten CDU (115) und CSU (24) bei der ersten Bundestagswahl am 14. August errungen. Hinzu kamen zwei Vertreter aus Berlin. Die SPD kam auf 131 Sitze (und fünf Berliner Abgeordnete). Nur die Verbindung in einer Fraktion ließ die Union am stärksten politischen Konkurrenten vorbeiziehen. Diese Gemeinschaft war bereits erprobt worden; die CDU/CSU-Bundestagsfraktion baute auf verschiedenen Vorläufern auf: Die bis zur bundesweiten Konstituierung der CDU auf dem Goslarer Parteitag im Oktober 1950 voneinander unabhängigen Zonen- oder Landesverbände in den drei westlichen Besatzungszonen hatten sich bereits in der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU (1946-1950), im bizonalen Frankfurter Wirtschaftsrat (1947-1949) unter dem Vorsitz von Friedrich Holzapfel sowie im Parlamentarischen Rat (1948/49) unter Anton Pfeiffer, dem Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, zusammengeschlossen. Den Wahlkampf zum ersten Deutschen Bundestag organisierte die Union ebenfalls in Teilen als politische Gemeinschaft. Die Landesvorsitzenden fanden sich zu Besprechungen zusammen, Aloys Zimmer übernahm die zentrale Leitung des Wahlkampfes.

 

CSU-Landesgruppe

Innerhalb dieser Länderbündnisse nahm die CSU eine besondere Stellung ein. Sie rührte in der heftigen Konkurrenz durch die Bayernpartei, die mit ihrem extrem föderalistischen Programm in den Augen der CSU die Profilierung einer eigenständigen Kraft notwendig machte, um in Bonn die bayerischen Interessen zu vertreten. Fritz Schäffer ergriff in der konstituierenden Sitzung direkt nach Konrad Adenauer das Wort und schlug seitens der bayerischen Abgeordneten unter Beifall eine Fraktionsgemeinschaft vor, bat jedoch gleichzeitig darum, intern eine bayerische Landesgruppe zu bilden. Die CSU-Landesgruppe hatte sich bereits unmittelbar vor der ersten Sitzung der Gesamtfraktion gegründet. Zum Obmann wurde Fritz Schäffer, zum Stellvertreter Franz Josef Strauß, damals Generalsekretär der CSU, gewählt. Die Landesgruppe entwickelte eine rege selbständige Aktivität, so gingen beispielsweise 90 der 188 von Mitgliedern der Fraktion eingereichten Gruppenanträge auf ihr Konto. Mit der Zeit schuf sie sich eine eigene Verwaltung.

 

Zusammenhalt und Interessenausgleich

Die regionale Struktur barg die Gefahr vorprogrammierter Interessenkonflikte. Noch in seinen einleitenden Worten auf der ersten Fraktionssitzung machte Konrad Adenauer klar, dass er großen Wert auf Gemeinsamkeit und Zusammenhalt, auf „einen einheitlichen Körper“ legte, eine Aufsplitterung in landsmannschaftliche Herkünfte lehnte er ab. Unruhe wurde von so mancher Seite laut; die Wahrung des konfessionellen und landsmannschaftlichen Gleichgewichts bei der Bildung eines Fraktionsvorstandes nahm einen breiten Raum in der Diskussion ein.

Drei Besatzungszonen und elf Länder, Kräftezentren und Politikstile mussten harmonisiert aufeinander abgestimmt werden. Die unterschiedlich gelagerten Interessen der Abgeordneten spiegelten den Querschnitt der Gesellschaft. In acht Arbeitskreisen und weiteren kleinen Gremien artikulierten sich lokale, regionale und wirtschaftliche Interessengruppen, dort wurden vermittelnde Vorschläge ausgearbeitet.

 

Sozialstruktur

Das Durchschnittsalter der Fraktion lag bei 51,78 Jahren, knapp zwei Jahre über dem Altersschnitt des Bundestages insgesamt. 18 Abgeordnete waren unter 40 Jahren alt, 33 über 60. Konrad Adenauer war mit 73 Jahren das älteste Mitglied der Fraktion. Insgesamt waren 54 Abgeordnete vor 1895 geboren, hatten somit ihre Sozialisation im Kaiserreich erfahren. Etwa ein Drittel der Abgeordneten war evangelisch, zwei Drittel katholisch. 12 Frauen gehörten der ersten Fraktion an.

In der Berufsstruktur nahmen der öffentliche Dienst, Landwirte, Angestellte in politisch-gesellschaftlichen Organisationen und Freiberufler wie Rechtsanwälte, Notare, Journalisten einen gewichtigen Part ein. Es folgten Angestellte in der Wirtschaft und Selbständige. Arbeiter und Hausfrauen waren in der Fraktion unterrepräsentiert.

Hauptsächlich zwei, teilweise miteinander verschränkte Wege führten zu einem Abgeordnetenmandat: über die Partei oder über das politische Amt. 67 Fraktionsmitglieder hatten nach eigenen Angaben ein Amt in der Parteiorganisation, meist auf Orts- oder Kreisebene. 15 dieser Funktionsträger waren auch überregional an den sich gründenden Unterorganisationen wie Ausschüssen und Arbeitskreisen der Union beteiligt. Das Gros der Fraktion stammte aus der Kommunalpolitik: 75 Abgeordnete waren Stadträte, Bürgermeister, Land- oder Kreisräte. 39 Personen kamen aus Funktionen in der Landespolitik. Konkrete parlamentarische Erfahrung ergab sich sowohl aus Landes- als auch aus nationalen Volksvertretungen: Aus der Fraktion hatten zehn Abgeordnete im Reichstag der Weimarer Republik gesessen, mehrheitlich für das Zentrum bzw. die Bayerische Volkspartei. Aber auch ehemalige Abgeordnete des protestantisch geprägten Christlich-Sozialen Volksdienstes, der rechtskonservativen Deutschnationalen Volkspartei und der liberalen Deutschen Demokratischen Partei gehörten der Fraktion an. Die gesamte parteipolitische Bandbreite, die der Integrationskraft der Union zu Grunde lag, fand also Berücksichtigung. Erfahrungen aus dem Frankfurter Wirtschaftsrat brachten 22, aus dem Parlamentarischen Rat neun Abgeordnete mit. 47 Parlamentarier stammten aus Landesparlamenten. Insgesamt verfügten 43 Prozent der Fraktionsmitglieder über parlamentarische Erfahrungen, die für den Aufbau und die Organisation der Fraktion und des Bundestages genutzt wurden.

 

Regierungsfraktion

Die Fraktion musste sich von Beginn an in der Regierungsverantwortung bewähren. Oppositionelle Verheißungen entsprachen nicht dem besonderen Verantwortungsbewusstsein. Die Chancen der politischen Realisierung erforderten sachliche Umsetzbarkeit und gesellschaftliche Vertretbarkeit.

Personell war die erste Fraktion eng an die Bundesregierung gebunden: Bundeskanzler/Bundesaußenminister, die Minister für Inneres, Finanzen, Wirtschaft, Arbeit, Post sowie Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, ferner für gesamtdeutsche Fragen und für die Vertriebenen. Enge Kontakte zum Kabinett und Kanzler sorgten für grundsätzliches Einvernehmen über zu regelnde Sachverhalte; Meinungsdifferenzen wurden im Vorfeld von Anträgen aus dem Weg geräumt. Im Endeffekt war es ein gegenseitiges Geben und Nehmen: die Loyalität der Fraktion beruhte auf der umfassenden Information und der Berücksichtigung gesetzgeberischer und personeller Wünsche durch die Bundesregierung. Die dennoch dominierende Stellung Adenauers spiegelte sich u. a. in dessen umfangreichen politischen, kaum Widerspruch erregenden Lageberichten. Bereits in der ersten Sitzung hatte Adenauer gewarnt: „Ganz leicht wird es Ihnen mit mir nicht sein.“ Dennoch empfand der Kanzler selbst den Gang in die Fraktion als „Fegefeuer“. Die Zusammenarbeit mit der erst im Herbst 1950 gegründeten Bundespartei CDU funktionierte, gestützt auf die starke Personalunion, weitgehend widerstandslos.

 

Thematische Schwerpunkte

Die Gewichtung sozialer und wirtschaftsliberaler Aspekte beim Aufbau der neuen Ordnung, beim Mitbestimmungs- und Betriebsverfassungsgesetz, bei der Eingliederung der Heimatvertriebenen bestimmten die Diskussion. Das Wiedergutmachungsabkommen, der Europarat und die Saarfrage sowie die generelle Politik gegenüber den Besatzungsmächten waren außenpolitische Wegmarken, deren Entwicklungen und Umsetzungen allerdings beim Kanzleramt lagen. Außenpolitische Initiative ergriff die Fraktion beim Austausch mit Politikern anderer Länder und durch das Engagement in internationalen Parlamentarier-Vereinigungen. In der Deutschlandpolitik waren der Fraktion weitgehend die Hände gebunden. Adenauer brachte die Fraktion auf Westkurs und rang ihr die Bereitschaft für eine zurückhaltende Wiedervereinigungspolitik ab. Themen der Innenpolitik waren beispielsweise die Schaffung eines Südweststaates, die Einrichtung einer Bundespolizei, das Rechtsverhältnis der Beamten und das Wahlrecht.

 

Stabilisator des politischen Systems der Bundesrepublik

Wie die Gründung der beiden Volksparteien CDU und CSU die Basis für die Stabilität des Parteiensystems in der Bundesrepublik legte, so trug die Bundestagsfraktion ihren gewichtigen Part dazu bei, das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik in der Gesellschaft zu verankern. Die politischen Fronten verliefen nicht mehr zwischen Exekutive und Legislative, sondern zwischen der Bundesregierung, gestützt auf die sie tragenden Mehrheitsfraktionen, und der Opposition. Geschlossenheit trotz innerer Auseinandersetzungen, die Balance von Kontrolle und Zusammenspiel im Verhältnis zur Regierung bildeten den Handlungsrahmen. Nicht hoch genug wertgeschätzt werden kann die Überwindung der konfessionellen Gegensätze, das Zusammenführen der wirtschaftlichen und regionalen Gruppen und Interessensgegensätze, die in der Weimarer Republik noch unversöhnlich gegeneinander standen.

Externes Online-Angebot: Historische Sitzungsprotokolle der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

 

Literaturhinweise:

  • Auftakt zur Ära Adenauer. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1949. Bearb. von Udo Wengst. Düsseldorf 1985. (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945; 3)
  • Bösch, Frank: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945-1969. Stuttgart 2001.
  • CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag (Hg.): Stenografische Niederschrift über die erste Bundestagsfraktionssitzung der CDU/CSU am 1.9.1949 (Bürgerverein) 10.00 Uhr. o.J.
  • Deuerlein, Ernst: CDU/CSU 1945-1957. Beiträge zur Zeitgeschichte. Köln 1957.
  • Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1949-1953. Bearb. von Helge Heidemeyer. Düsseldorf 1998. (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945; 11/I)
  • Schwarz, Hans-Peter (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009.

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