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Verabschiedung des neuen CDU-Grundsatzprogramms „Freiheit und Sicherheit”

von Christine Bach
Das am 3.-4. Dezember 2007 auf dem 21. Bundesparteitag verabschiedete Programm „Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für Deutschland“ ist das 3. Grundsatzprogramm der CDU. Mit ihm gibt sich die Partei einen ideellen Kompass für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

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1998–2005: Die CDU im Umbruch

Mit der Bundestagswahl am 27. September 1998 endete die Zeit der Kanzlerschaft Helmut Kohls. Unter Wolfgang Schäuble, der am 7. November 1998 zum neuen CDU-Bundesvorsitzenden gewählt wurde, setzte ein Prozess der programmatischen Erneuerung ein. Als Orientierungsrahmen hierfür dienten die  Erfurter Leitsätze, die der CDU-Bundesparteitag vom 25.–27. April 1999 beschloss. Die Erfurter Leitsätze sollten den Aufbruch der Partei markieren und einen Referenzrahmen für neue Aufgabenstellungen geben. Als neues Grundsatzprogramm, das das 1994 verabschiedete erste gesamtdeutsche Programm der Partei ersetzen sollte, waren sie ausdrücklich nicht gedacht.

Mit dem Parteispendenskandal im November 1999 fand der programmatische Aufbruch der CDU jedoch ein jähes Ende. Nach Schäubles Verzicht auf den Parteivorsitz wurde Angela Merkel im April 2000 zur neuen CDU-Bundesvorsitzenden gewählt. Erstmals stand nun eine Frau und eine Politikerin mit einer ostdeutschen Biografie an der Spitze der Partei.

Auch unter Angela Merkel rang die CDU, die seit 1998 im Bund die Oppositionsrolle einnahm, um neue politische Antworten. Die politischen Konzepte, die die Partei nun erarbeitete, waren zunächst durch eine starke Betonung marktliberaler Positionen gekennzeichnet. Dies zeigte sich besonders in den Beschlüssen des 17. Bundesparteitags der CDU vom 1.–2. Dezember 2003 in Leipzig, auf dem die Delegierten eine radikale Vereinfachung des Steuersystems und die Einführung eines einkommensunabhängigen Prämiensystems zur Finanzierung der Krankenversicherung beschlossen.

Ein Jahr später, beim 18. Bundesparteitag der CDU vom 6.–7. Dezember 2004 in Düsseldorf, kündigte Angela Merkel die Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms an. Sie begründete dies jedoch nicht mit der Notwendigkeit einer sozial- und wirtschaftspolitischen Anpassung der CDU-Programmatik. Merkel stand vielmehr unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September 2001 und den sich daraus ergebenden Veränderungen der globalen Sicherheitslage.

„Wir haben 1994 ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet. Die SPD hat das übrigens bis heute noch nicht geschafft. Inzwischen hat sich aber die internationale Lage dramatisch verändert, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Dafür steht kein Datum so wie der 11. September 2001. Deshalb müssen und werden wir uns im nächsten Jahr mit der Außen- und Sicherheitspolitik als einem Schwerpunkt beschäftigen. Wir werden bis zum nächsten Parteitag entscheiden, inwieweit wir unser Grundsatzprogramm von 1994 im Lichte dieser neuen Erkenntnisse überarbeiten müssen.“

Nach der Auflösung des 15. Deutschen Bundestags im Juli 2005 und der Anordnung von Neuwahlen hatte sich die Situation jedoch geändert. Im Wahlkampf propagierten die Unionsparteien die in den Jahren zuvor verabschiedeten Konzepte zur Reform der Sozialsysteme. Für die Zeit nach der Wahl strebten sie einen klaren Politikwechsel im Bund und eine Koalition mit der FDP an. Das Ergebnis der Wahlen vom 18. September 2005 bot hierfür jedoch keine Mehrheit, obwohl CDU und CSU gemeinsam immerhin einen Stimmenanteil von 35,2 Prozent erreichten und damit die stärkste Fraktion im neuen Bundestag bildeten. Union und FDP besaßen zusammen jedoch nicht die erforderliche absolute Stimmenmehrheit. Schließlich einigten sich CDU/CSU und SPD auf die Bildung einer Großen Koalition unter Führung der CDU. Am 22. November 2005 wurde Angela Merkel zum ersten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt.

Da sich in dem Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten die zuvor entwickelten sozial- und wirtschaftspolitischen Reformideen nicht verwirklichen ließen und weil die CDU aus dem Wahlergebnis folgerte, dass diese bei den Wählern nicht den erhofften Widerhall gefunden hatten, setzen Diskussionen um den „Markenkern“ der CDU ein. Kritiker der Parteivorsitzenden bemängelten, dass die Partei in den Jahren zuvor ihr konservatives Profil vernachlässigt und sich in der Sozial- und Wirtschaftspolitik zu weit von der Idee der Sozialen Marktwirtschaft entfernt habe. Vor diesem Hintergrund fiel endgültig der Beschluss, dass sich die Partei ein neues Grundsatzprogramm geben sollte. Angela Merkel begründete dies vor dem Bundesausschuss der CDU am 14. November 2005 wie folgt:

„Für mich hängt die Wahlanalyse, die wir am 5. Dezember vornehmen wollen, unmittelbar mit der Schlussfolgerung aus den Fragen zusammen: Was wollen wir in den nächsten Jahren tun? Was ist unsere Identität? Was bewegt uns? Was sind unsere Werte? Wie wollen wir sie durchsetzen? Was ist sozial gerecht in einer Welt des Wandels? Was heißt generationengerecht? Dieser Diskussion werden und wollen wir uns stellen. Sie wird uns die Kraft und die Möglichkeit geben, in einer sehr pragmatisch ausgerichteten Großen Koalition unsere eigene Identität zu kräftigen.“

 

Die Arbeit der Grundsatzprogramm-Kommission

Am 25. April 2006 konstituierte sich unter dem Vorsitz des CDU-Generalsekretärs Ronald Pofalla eine vom Präsidium und den CDU-Bundesvorstand eingesetzte Grundsatzprogramm-Kommission in Potsdam. Als Vertreter Pofallas wurden Bundesbildungsministerin Annette Schavan, Dieter Althaus, der Ministerpräsident des Freistaats Thüringen und der saarländische Ministerpräsident Peter Müller ernannt. Insgesamt umfasste die 69-köpfige Kommission Vertreter aller Parteigliederungen- und Vereinigungen. Darüber hinaus wurden auch Personen aufgrund besonderer Fachkenntnisse berufen, so etwa die sächsische Ausländerbeauftragte Friederike de Haas oder die Präsidentin des Statistischen Landesamts Baden-Württembergs Gisela Meister-Scheufelen.

Ebenfalls am 25. April 2006 fand eine Regionalkonferenz mit Funktions- und Mandatsträgern sowie Mitgliedern der CDU statt, die noch einmal herausarbeiten sollte, welche Inhalte die Parteibasis für besonders wichtig erachtete.

Die CDU-Bundesgeschäftsstelle war für die Geschäftsführung der Arbeitsgruppen, die Projektsteuerung im Ganzen sowie die Pflege und die Evaluation der virtuellen Arbeitsplattform zuständig und förderte somit den Austausch zwischen Partei- und Kommissionsmitgliedern. Eine besondere Neuerung des Programmfindungsprozesses war die konsequente Nutzung moderner Kommunikationsmöglichkeiten, vor allem des Internets.

Für die inhaltliche Arbeit wurden 18 thematische Arbeitsgruppen gegründet. In 12 Plenarsitzungen und vier Klausurtagungen wurden dann die Inhalte des Programms diskutiert und festgeschrieben. Zudem fanden in den kommenden zwölf Monaten zwei Grundsatzkongresse und fünf Regionalkonferenzen mit Mitgliedern der Kreis- und Ortsverbände statt.

Das Arbeitsergebnis stellte Ronald Pofalla am 8. Mai 2007 in Berlin der Öffentlichkeit vor. Am 22. Juni 2007 schließlich überstellt die Grundsatzprogrammkommission den Entwurf an den CDU-Bundesvorstand. Dieser verabschiedete ihn einstimmig als Leitantrag für den Bundesparteitag im Dezember.

 

Das Ergebnis

Auf dem 21. Bundesparteitag der CDU vom 3.–4. Dezember 2007 in Hannover stimmten 998 von 1001 Stimmberechtigten für die Annahme des dritten Grundsatzprogramms der CDU. Für die kommenden Jahre sollte es die Basis der CDU-Wahlprogramme bilden.

In einer Bilanz des Programmfindungsprozesses betonte Ronald Pofalla, dass sich das Ergebnis durch eine „Balance aus Bewahren und Erneuern“ auszeichne. Zur Begründung des Programmnamens führte er aus, dass angesichts der politischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ein „neues Denken“ nötig sei:

„Neues Denken heißt für uns: Freiheit und Sicherheit gehören zusammen. Nach unserem Verständnis ist Freiheit ohne Sicherheit nicht denkbar, aber Sicherheit ohne Freiheit auch nicht. Wir haben bei den Beratungen zum Grundsatzprogramm Wert daraufgelegt, dass die Architektur der CDU aus Freiheit und Sicherheit besteht. Beides gehört untrennbar zusammen.“

In der Summe umfasst das Programm 121 Seiten, die sich in acht Kapitel gliedern: „Wir christliche Demokraten“, „Herausforderungen unserer Zeit – Gestaltungsanspruch der CDU“, „Starke Familien – Menschliche Gesellschaft“, Bildungs- und Kulturnation Deutschland – Antworten auf die Wissensgesellschaft“, „Erneuerung der Sozialien Marktwirtschaft in der globalisierten Welt“, „Die Schöpfung und das Leben bewahren – Für eine lebenswerte Umwelt“, „Aktive Bürger, starker Staat, weltoffenes Land“, „Deutschlands Verantwortung und Interessen wahrnehmen“.

Grundlegend für alle Aussagen, die das Programm „Freiheit und Sicherheit“ enthält, ist das klare Bekenntnis zum christlichen Menschenbild und davon ausgehend zu den Werten Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit. Dass die Politik der CDU auf dem christlichen Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott basiert, ist eine Kernaussage der CDU-Programmatik seit den Anfängen der Parteigeschichte und war als Verpflichtung bereits in den Grundsatzprogrammen von 1978 und 1994 formuliert worden.

Im Gegensatz zur SPD, die sich als „linke Volkspartei“ definiert, bezeichnet sich die CDU als „Volkspartei der Mitte“.

Das Kapitel „Herausforderungen unserer Zeit“ widmet sich den Themenfeldern Umweltschutz, Globalisierung, Wissensgesellschaft und Demografischer Wandel. Obwohl die CDU Bedrohungen des Zusammenlebens durch die veränderte internationale Sicherheitslage, die zunehmende Alterung oder den Klimawandel hervorhebt („Die Schöpfung wurde uns nach christlichem Verständnis zur Gestaltung und Bewahrung anvertraut. Heute müssen wir feststellen: Die Schöpfung ist bedroht“; „Der globale Klimawandel gefährdet unsere Lebensgrundlagen und die Entwicklungschancen der nachfolgenden Generationen“), betonte sie mit Blick auf die Zukunft doch die Gestaltungsmöglichkeiten und den Gestaltungsanspruch christlich-demokratischer Politik. Das Fundament hierfür bildet der sich aus dem christlichen Menschenbild ergebende Glaube an die Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen und damit auch ein Bekenntnis zum wissenschaftlich-technischen Fortschritt: „Die großen Herausforderungen einer sich rasch ändernden Welt anzunehmen und zu bewältigen, erfordert nicht nur Leistungswillen, Ausdauer und Disziplin, sondern vor allem Neugier und Kreativität. Nur mit neuen und mutigen Ideen – mit wissenschaftlichen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen – werden wir das Land bleiben können, in dem wir gut und gerne leben.“ Der Slogan „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ des CDU-Bundestagswahlkampfes 2017 bezog sich auf diese Passage des Grundsatzprogramms.

Als Wirtschaftsmodell für eine zunehmend globalisierte Welt hält die CDU an der sozialen Marktwirtschaft fest. Das Programm formuliert hierzu das Ziel, die „Standards der sozialen Wirtschaft“ international zu verankern. Globalisierung müsse „zum Ziel haben, dass alle Menschen von mehr Freiheit und Wohlstand profitieren“ könnten. Im Sinne des christlich-demokratischen Gedankens sei die soziale Marktwirtschaft dabei nicht nur als Wirtschaftsmodell zu verstehen, sondern als Gesellschaftsmodell, denn „sie sorgt für Rahmenbedingungen, in denen sich die schöpferischen Kräfte der Einzelnen gemeinsam entfalten können.“ Damit sei die soziale Marktwirtschaft die wirtschaftlich-soziale Ordnung der freiheitlichen Demokratie.

Der Zusammenhang von Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, der hier erscheint, ist auch in weiteren Aussagen des Grundsatzprogramms enthalten. Bezeichnend hierfür ist etwa das Leitbild der „Bürgergesellschaft“, die „als Grundlage für Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft“ bezeichnet wird. Die Idee der „Bürgergesellschaft“ wiederum verweist auf ein weiteres konstantes Element des Selbstverständnisses der CDU, das Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip. Unter Hinweis auf die zunehmend heterogenen Lebensläufe der Menschen heißt es hierzu: „Die CDU ist nicht die Partei, die reflexartig vom Staat die Lösung aller gesellschaftlichen Probleme erwartet. Sie ist deshalb besser als andere dazu in der Lage, Antworten auf die sozialen Herausforderungen zu finden. Das Prinzip der Subsidiarität ist heute aktueller denn je. Die CDU will die kleinen Einheiten stärken, aus denen beides erwächst: Entfaltung und Zusammenhalt, Eigenverantwortung und Solidarität.“ Im 1978 verabschiedeten „Ludwigshafener Programm“ der CDU war ganz ähnlich formuliert worden: „Die Verwirklichung der Freiheit bedarf der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung nach dem Prinzip der Subsidiarität. Deshalb muss der Staat auf die Übernahme von Aufgaben verzichten, die der Einzelne oder jeweils kleinere Gemeinschaften erfüllen können. Was der Bürger allein, in der Familie und im freiwilligen Zusammenwirken mit anderen ebenso gut leisten kann, soll ihm vorbehalten bleiben.“

Im Fokus der öffentlichen Berichterstattung zum CDU-Grundsatzprogramm standen vor allem die Aussagen, die sich mit den Fragen der nationalen Identität der Deutschen und dem Umgang mit Zuwanderern beschäftigen. Als dezidiert konservativ bewerten die Medien das Bekenntnis zu einer deutschen „Leitkultur“:

"Unsere politische Kultur ist geprägt von den Gemeinsamkeiten der europäischen und den Besonderheiten der deutschen Geschichte. Dazu gehören vor allem die föderale und die konfessionelle Tradition, das besondere Verhältnis zwischen Staat und Kirche und die Verantwortung, die den Deutschen aus den Erfahrungen zweier totalitärer Regime auch für die Zukunft erwächst.“

Diese kulturellen Werte und historischen Erfahrungen bildeten die Grundlage für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die deutsche Leitkultur. Erstmals überhaupt enthielt die 2007 verabschiedete Programmschrift ein Bekenntnis zum „Integrationsland Deutschland“. In der Bilanz wurden die in dem Programm enthaltenen Aussagen zur Gesellschafts- und Integrationspolitik von Medien und Wissenschaft als Anzeichen einer „Liberalisierung“ der Partei unter Angela Merkel gewertet.

Weitere zentrale Abschnitte des Grundsatzprogramms „Freiheit und Sicherheit“ widmen sich den Themen Außen-, Sicherheits- und Energiepolitik. Wenig überraschend ist, dass sich die CDU im Sinne Konrad Adenauers und Helmut Kohls als „deutsche Europapartei“ bezeichnet und sich für eine Fortsetzung der europäischen Integration ausspricht. Als Bestandteil eines nationalen Sicherheitskonzepts enthält das Grundsatzprogramm die Forderung nach der Möglichkeit, bei besonderen Gefährdungslagen die Bundeswehr innerhalb Deutschlands einzusetzen. Bei wechselnden Regierungskonstellationen im Bund ist es bislang nicht möglich gewesen, diese Forderung umzusetzen, denn sie war stets am Einspruch der jeweiligen Koalitionspartner gescheitert. Mittlerweile veraltet ist das in dem Grundsatzprogramm enthaltene Bekenntnis der CDU zur Wehrpflicht (Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht durch das Bundeskabinett am 15. Dezember 2010), ebenso, nach dem Beschluss des Bundeskabinetts zum Atomausstieg vom 6. Juni 2011, die energiepolitischen Passagen, in denen sich die Partei für eine Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke ausspricht.

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