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Gründung der DDR. Die Provisorische Volkskammer (bisher 2. Deutscher Volksrat) setzt die Verfassung in Kraft

von Hanns Jürgen Küsters
Die Konstituierung der DDR wurde in einem Kraftakt vollzogen. Erforderliche Abstimmungen mit den anderen Parteien, Regierungsbildung und die propagandistische Vorbereitungen der Öffentlichkeit richteten sich nach einem knapp kalkulierten Zeitplan. Der 12. Oktober 1949, ursprünglich als Gründungstag ins Auge gefasst, wurde kurzerhand auf den 7. Oktober vorverlegt. Der Gründungsakt selbst lief in Form eines technischen Gesetzgebungsverfahrens ab, ohne demokratische Legitimation durch die Bevölkerung.

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Verfassungsentwurf einer „Deutschen Demokratischen Republik“

In der Öffentlichkeit durfte die seit Herbst 1947 geplante Staatsgründung der DDR nicht als Akt der vertieften Spaltung Deutschlands erscheinen. Vielmehr war sie für die SED-Führung die unausweichliche Antwort auf die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und wurde als Beitrag zur Wiedererlangung der nationalen Einheit proklamiert. In Wirklichkeit aber wurde damit der letzte Schritt auf dem Weg zu einem sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat in der sowjetischen Besatzungszone getan, auf dessen Gründung die SED seit längerem systematisch hinarbeitete.

Nach Verkündung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 nahm eine Woche später am 29./30. Mai der in Ost-Berlin tagende Dritte Deutsche Volkskongress den Verfassungsentwurf einer „deutschen demokratischen Republik“ an.

 

„Nicht alles bis zum Ende aussprechen“

Bereits im August 1948 wären Gemeindewahlen in der SBZ fällig gewesen. Sie wurden jedoch um ein Jahr auf den Oktober 1949 verschoben. Den "Weg zum Sozialismus im Zickzack" gehen, lautete die politische Maxime. Man darf "noch nicht (den) Kampf mit offener Brust u(nd) Wiederhalt" führen, wie es einst die "Teutonen" taten, notierte der SED-Vorsitzende Wilhelm Pieck als Ergebnis von Besprechungen in Moskau Ende Dezember 1948. Zunächst wollte die SED ihre führende Rolle festigen und den Kampf gegen Westdeutschland mit Hilfe der KPD und Parolen für die Einheit Deutschlands verstärken. Verstärkt sollten die Parteien in der Nationalen Front zusammengeführt werden, die im Wesentlichen dazu diente, Widerständen gegen die Gründung und Etablierung der DDR entgegenzuwirken. "Die Nationale Front ist Klassenkampf", erklärte der starke Mann innerhalb der SED-Führung, der stellvertretende Vorsitzende Walter Ulbricht, bei internen Besprechungen kurz und bündig; ein Mittel, die ideologischen Ziele der SED in Deutschland durchzusetzen. Aber man müsse eben "nicht alles bis zu Ende aussprechen".

Mit Rückendeckung aus Moskau beabsichtigte die SED, die DDR ohne großes Aufhebens ins Leben zu rufen. Das katastrophale Wahlergebnis der KPD bei der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949, aber auch bei den Kommunal- und Landtagswahlen in Westdeutschland ließ befürchten, dass Wahlen in der SBZ nach dem in der Verfassung vorgesehenen Verhältniswahlrecht für die SED mit einem Fiasko enden würden. Offiziellen Anstoß zum Handeln gab der designierte Ministerpräsident Otto Grotewohl. Er schlug im August 1949 vor, die in Artikel 51 (2) des Verfassungsentwurfs verankerten allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlen nach dem Verhältniswahlrecht zu verschieben.

 

Mangelnde Legitimation durch Wahlen

Die SED-Führer rechneten damit, dass der Westen gegen die Staatsgründung polemisieren würde, weil die neue Regierung nicht durch Wahlen legitimiert war. Folglich musste die SED der Bevölkerung mit plausiblen Argumenten klarmachen, warum die Wahlen erneut verschoben werden sollten. Dabei war sie auf die möglichst komplikationslose Mitwirkung der CDU und LDP in den Landesparlamenten angewiesen. Deren Stimmen waren notwendig, damit auf dem Wege der Verfassungsänderung die Verschiebung der Landtags- und Kommunalwahlen um ein weiteres Jahr beschlossen werden konnte.

 

Zwischen Widerspruch und Anpassung

CDU und LDP vertraten zunächst den Standpunkt, dass die Wahlperioden der Landtage am 20. Oktober 1949 ablaufen würden. Für ein Zusammenspiel mit der SED waren sie nur zu gewinnen, wenn das Verhältniswahlrecht nicht zur Disposition stand. Ein schwieriges Unterfangen, zumal die Verständigung auf den Parteienproporz bei der Regierungsbildung nur mühsam gelungen war. Einfacher schien es, die Staatsgründung von der Entscheidung über das Wahlverfahren zu trennen. Ziemlich unkompliziert war alles, wenn sich der Deutsche Volksrat in Provisorische Volkskammer umbenennen würde. So hätten die Beschlüsse anscheinend nur vorläufigen Charakter, und jeder konnte aufrichtigen Herzens behaupten, dass endgültige Entscheidungen später fallen würden.

Mit diesem Argument wurden Anfang Oktober Kritiker an der Parteibasis mundtot ge¬macht. Außerdem klang es überzeugender, wenn man sagen konnte, mit der Errichtung provisorischer Staatsorgane würde nicht die Teilung Deutschlands vollzogen. Aufgrund dieses Schachzugs hoffte die SED, unliebsamen Auseinandersetzungen um Wahlen vor der Staatsgründung aus dem Wege zu gehen, und versuchte, Zeit zu gewinnen, bis Wahlen ohne größere Risiken mittels Einheitsliste durchgeführt werden konnten.

In dieser entscheidenden Phase traten vor allem Pieck und Grotewohl in Erscheinung, während Ulbricht im Hintergrund alle Verhandlungsstränge und Initiativen in den Händen behielt und mit der sowjetischen Besatzungsmacht alle Einzelheiten absprach. Nachdem am 28. September das Politbüro die Ergebnisse der Moskaureise diskutiert hatte, nahmen Pieck und Grotewohl Verhandlungen mit den einzelnen Parteien und Massenorganisationen auf. Für deren Zustimmung zur Verfassungsänderung konnten die beiden SED-Führer allerdings wenig bieten.

 

CDU und LDP lavierten ständig zwischen Anpassung und Widerspruch. Einerseits empfanden nicht wenige Parteimitglieder die Gründung der Bundesrepublik als verschärfte Trennung zwischen Ostzone und Westzonen, für die hauptsächlich die Vereinigten Staaten verantwortlich gemacht wurden. Vorwürfe an die Adresse westdeutscher Politiker, sie biederten sich dem Westen an und betrieben gegenüber den Besatzungsmächten Erfüllungspolitik, durchzogen offizielle Stellungnahmen. Andererseits genoss die auf Geheiß Moskaus geschaffene Nationale Front bei den bürgerlichen Parteien kein ausreichendes Ansehen, um wirklich Motor der Wiedervereinigung zu werden. Wer in diesen Tagen öffentlich Bedenken äußerte, bekam von SED-Funktionären entgegen gehalten, keiner dürfe sich in historischer Stunde der Blockpolitik verweigern, denn er beschwöre ansonsten nationales Unheil herauf und stelle sich politisch ins Abseits.

 

Nationale Front

Worum es bei der von der SED vorgeschlagenen Schaffung der Nationalen Front eigentlich ging, unterstrichen Pieck und Grotewohl in der Sitzung des Parteivorstandes der SED am 4. Oktober 1949. Sie wollten eine Kampfgemeinschaft aus KPD, SPD und Gewerkschaften aufbauen und die Geschlossenheit der Arbeiterklasse in Deutschland herstellen. Kooperationsbereit gab sich die SED dabei aber nur insoweit, als dies nicht den Verzicht auf sozialistische Grundpositionen impliziert. Während CDU und LDP noch darauf rechneten, dass die nächsten Wahlen nach dem Verhältniswahlrecht durchgeführt würden, sprach Pieck intern bereits davon, es werde wie bei den Wahlen zum Dritten Deutschen Volksrat im März 1949 wieder nach Einheitslisten gewählt werden. Zugleich kündigte er Parteisäuberungen vor den nächsten Volkskammerwahlen an.

In Besprechungen mit den Vertretern der CDU rückte Grotewohl die gesamtdeutsche Sicht in den Vordergrund. Die Regierungsbildung stellte er als Provisorium hin, das die Phase der Unklarheiten in der gesamtdeutschen Entwicklung überbrücke. Seine Worte vermittelten den Eindruck, als sei die sowjetische Erklärung der Souveränität Deutschlands lediglich eine Frage weniger Stunden oder Tage. Der CDU versprach er letztlich nur, als Regierungschef wolle er eine Verständigung unter den Parteien über die Haltung zur Oder-Neiße-Linie suchen. Daraus folgerte die CDU fälschlicherweise, er werde nicht den Standpunkt der SED durchsetzen, die für die Anerkennung der Grenze eintrat. In seiner Regierungserklärung war von alledem nichts mehr zu hören. Im Gegenteil, vor der Volkskammer bekräftigt Grotewohl die Anerkennung der Oder-Neiße als deutsch-polnische „Friedengrenze“, was die CDU-Volkskammerfraktion in helle Empörung versetzte.

 

Machterringung und Alleinherrschaft der SED

Befürworter der Staatsgründung wie der CDU-Vorsitzende Otto Nuschke und der Generalsekretär Georg Dertinger, die auf Regierungsposten wechseln wollten, verteidigten ihr Verhalten. Beide hatten beträchtliche Mühen, ihre akkomodierende Haltung zu rechtfertigen. Dertinger hoffte, dass die Tore zum Westen offenbleiben würden, und setzte auf die Kraft der Verfassung. Nuschke argumentierte hingegen mit dem Einfluss, den die CDU durch die Beteiligung an der Regierung bekäme. Selbstverständlich habe man mit der Zustimmung zu der von den Kommunisten durchgesetzten Verschiebung der Wahlen "entsprechendes Kaufgeld" geben müssen. Das sei "aber nur von temporärer Bedeutung". Und zudem habe mit der provisorischen Volkskammer die "DWK-Diktatur" aufgehört zu bestehen. Doch das glaubte ihm angesichts des rigorosen Vorgehens der SED kaum ein CDU-Funktionär. "Die Männer sind die gleichen geblieben!", wurde Nuschke entgegengehalten.

Dass es der SED von vornherein um Machterringung und Alleinherrschaft in der DDR ging, daran ließ Ulbricht in der Parteivorstandssitzung am 4. Oktober keinen Zweifel. Auf eine Bemerkung, "als Marxisten müssen wir wissen: Wenn wir eine Regierung gründen, geben wir sie niemals wieder auf, weder durch Wahlen noch andere Methoden", antwortet er lapidar: "Das haben einige noch nicht verstanden!"

 

Ausgeklügelter Plan der Staatsgründung

 

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Die Verfassung der DDR von 1949
 

Am 7. Oktober lief die Staatsgründung der DDR nach einem ausgeklügelten Schema ab. Morgens traf sich die Arbeitsgemeinschaft der CDU im Deutschen Volksrat. Über die Mittagszeit trat der Volksrat zu seiner letzten Sitzung zusammen, löste sich auf und konstituierte sich binnen zwei Stunden, in denen noch Besprechungen stattfanden, als Provisorische Volkskammer. Diese verabschiedete gleich in erster, zweiter und dritter Lesung alle zur Inkraftsetzung der Verfassung, zur Bildung der Regierung und der Länderkammer erforderlichen Gesetze.

Von einem Parlament des deutschen Volkes, das die Volkskammer verkörpern sollte, wurde dabei nicht mehr gesprochen, auch nicht von den 100 vorgesehenen Mitgliedern aus Westdeutschland, die ursprünglich dem Volksrat angehören sollten. Am 2. Oktober hatte das Politbüro der SED lediglich beschlossen, dass der Volkskammer keine Abgeordneten des Deutschen Bundestages angehören sollten. Statt der vorgesehenen 400 Mitglieder zählte die Provisorische Volkskammer schließlich nur 330 Mitglieder.

Am Abend des 7. Oktober 1949 feierte die FDJ die Staatsgründung mit einem pompösen Fackelzug, der Zeitgenossen auf das unliebsamste an die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten erinnerte.

 

Abschluss des ersten innerdeutschen Handelsabkommens

Adenauer hat schon Mitte September öffentlich klargestellt, eine Anerkennung des in der Sowjetzone errichteten kommunistischen Regimes komme für ihn nicht in Frage. Mithin lehnte er jegliche Bestrebungen ab, die DDR auch nur de facto als Staat zu respektieren, was zudem den Status seiner Regierung geschmälert hätte. Unter Hinweis auf die Bundestagswahl verlangte er freie Wahlen in der sowjetischen Besatzungszone und beharrte auf der Zugehörigkeit der Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie zu Deutschland. Desgleichen war für ihn nach dem Bekenntnis der CDU der DDR zur Staatsgründung auch die Spaltung der Christlich-Demokratischen Partei Deutschlands perfekt.

Die Krux bundesdeutscher Wiedervereinigungspolitik lag darin, dass die Bundesregierung auf der einen Seite jeden Direktkontakt mit der DDR-Regierung vermied, der als De-facto-Anerkennung der "Ostzonenrepublik" gedeutet werden konnte; auf der anderen Seite aber am Tag nach der Staatsgründung der DDR mit ihr das Abkommen über den Interzonenhandel abschloss, das der westdeutschen Industrie Exportmöglichkeiten eröffnete und die Lage der Menschen im anderen Teil Deutschlands verbesserte.

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