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Erweiterung der EU perfekt

Entscheidung über Türkei vertagt

Beim EU-Gipfel von Kopenhagen hat der Europäische Rat am 13. Dezember 2002 fahrplanmäßig die Aufnahme zehn neuer EU-Mitglieder beschlossen. Damit wird die jahrzehntelange Teilung des europäischen Kontinents endgültig überwunden und eine Europäische Union mit nun 450 Millionen Einwohnern in 25 Mitgliedstaaten geschaffen.

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Die Beitrittsverhandlungen, die mit einer ersten Gruppe von Bewerbern im Jahr 1998 begonnen hatten, zogen sich – trotz anfänglicher rascher Fortschritte – zu-letzt sehr mühsam hin. Bis zum Kopenhagener Gipfel waren insbesondere die Themen Agrarpolitik sowie die Höhe der Finanzhilfe für die neuen Mitgliedstaaten offengeblieben. Erst nach zähen Verhandlungen – insbesondere mit der polnischen Regierung – gelang es, eine Einigung über die Höhe eines Pakets zur Finanzierung der Erweiterung zu erzielen.

Der zunächst 38 Mrd. Euro hohe und dann auf 40,4 Mrd. Euro erweiterte Finanzrahmen für die Erweiterung für den Zeitraum 2004 - 2006 wurde in Kopenhagen schließlich nochmals auf rund 40,8 Mrd. Euro aufgestockt.

In der Türkeifrage scheint es schließlich gelungen zu sein, den sprichwörtlichen komplizierten „Gordischen Knoten“ zu zerschlagen und die vielen darin verwickelten Interessenfäden zu entwirren bzw. zumindest die bloßen Enden offen zu legen.

Die Entscheidungen im Einzelnen

In Kopenhagen haben die Staats- und Regierungschefs die Voraussetzungen für die Erweiterung der EU um zehn neue Mitglieder zum 1. Mai 2004 geschaffen.

Neben Estland, Lettland, Litauen, der Slowakei, Slowenien, Malta und Zypern stimmten zuletzt auch Polen, Ungarn und Tschechien dem erwähnten Finanzpaket zu. Polen nahm von seinen Maximalfoderungen erst dann Abstand, als EU-Ratspräsident Rasmussen auf die Gefahr hinwies, „dass diejenigen, die jetzt nicht abschließen, erst 2007 beitreten können“.

Polen erhält nun für den Zeitraum bis 2006 von der EU u.a. rund 100 Mio. Euro extra zur Sicherung seiner Grenze und für eine um 500.000 Tonnen erhöhte Milchquote. Von den 8,6 Mrd. Euro, die ab dem Jahr 2007 für Strukturfonds zur Verfügung gestellt werden, wird Polen eine Milliarde Euro schon vorab zur Verfügung gestellt, doch muss es diese später wieder einsparen. Auch Tschechien und Malta erhalten einen Finanzausgleich, um zu vermeiden, dass diese Neumitglieder schon 2006 zu Nettozahlern werden.

In Sachen Zypern hat Griechenland in der EU seine langjährigen Forderungen durchgesetzt, ohne Kompromisse machen zu müssen. Danach kann die gesamte Mittelmeerinsel Mitglied der Europäischen Union werden, auch wenn mangels einer Einigung zwischen beiden Volksgruppen das EU-Recht nach einem Beitritt zunächst nur im griechischen Südteil Zyperns angewandt werden kann. Die parallel zum Kopenhagener EU-Gipfel durchgeführten Zypern-Verhandlungen der UNO wurden ergebnislos beendet, jedoch hofft man, dass eventuell bis Ende Februar 2003 noch eine umfassende Regelung der Zypernfrage gefunden werden kann.

Die Türkei erhielt, entgegen ihren hochgesteckten Erwartungen weder die Zusage zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen im Jahr 2003, noch wollte sie den ursprünglichen Schröder-Chirac-Vorschlag für ein festes Verhandlungsdatum im Jahr 2005 akzeptieren. Ausgesprochen kontraproduktiv war in diesem Zusammenhang nicht nur das allzu forsche Auftreten der türkischen Repräsentanten gegenüber der EU, sondern auch der gleichzeitige Druck aus den USA in Form von Briefen und Telefonaten.

Der Europäische Rat lehnte eine Sonderbehandlung der Türkei ab und forderte die türkische Regierung auf, zunächst die im Jahr 1993 in Kopenhagen definierten politischen Kriterien zu erfüllen, bevor über die Aufnahme von Verhandlungen entschieden werden könne. Nachdem der Bericht der EU-Kommission über die Fortschritte der Türkei im Herbst 2002 sehr ernüchternd ausgefallen war, forderte der EU-Gipfel in den Schluss-folgerungen die neue türkische Regierung auf, den „Reformprozess energisch voranzutreiben“. Auf der Grundlage eines erneuten Berichts will der Europäische Rat im Dezember 2004 entscheiden, ob die Türkei die politischen Kriterien erfüllt und dann gege-benenfalls die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei „ohne Verzug“ eröffnen.

Unterdessen stimmte der NATO-Rat in Brüssel nach jahrelanger Blockade der Türkei der EU-Bitte zu, beim Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe auf NATO-Einrichtungen zurückgreifen zu können. NATO-Generalsekretär Robertson erklärte, die Planungsstäbe der NATO stünden mit sofortiger Wirkung für EU-geführte Militäreinsätze zur Verfügung. Auf dieser Grundlage ist es möglich, dass die EU die bislang von der NATO kommandierte Friedenstruppe SFOR in Bosnien bzw. die Führung der „Amber Fox“-Mission in Mazedonien übernehmen kann.

Eine erste Bewertung der Ergebnisse – Offene Fragen und Probleme

  • Dass die Verhandlungen mit zehn Beitrittskandidaten fristgerecht abgeschlossen wurden, zeigt zunächst einmal, dass die Europäische Union rein organisatorisch durchaus in der Lage ist, hochkomplexe Prozeduren abzuwickeln. Zu Beginn der Verhandlungen und speziell in der Endphase der Santer-Kommission war das von manchem bezweifelt worden.

  • Einen wichtigen Beitrag, um das Projekt Erweiterung voranzutreiben und zu einem guten Abschluss zu bringen, hat dabei das direkt gewählte Europäische Parlament geleistet. Schon in den 1980er Jahren – lange vor dem Zerfall des Kommunismus – richteten die Europaparlamentarier immer wieder ihr Augenmerk auf die Rechte der unterdrückten Völker in Mittel- und Osteuropa (u.a. Habsburg-Bericht 1983); nach 1989/90 verlangte das Europaparlament mit Erfolg von den oft zögerlichen Regierungen in der EU die rasche Annäherung und Mitgliedschaft der Beitrittsbewerber. Im Europäischen Parlament wurde auch zuerst die Forderung artikuliert, dass die neuen Mitglieder bereits an der Europawahl 2004 gleichberechtigt teilnehmen sollten.

  • Ergebnis der harten Beitrittsverhandlungen, insbesondere mit Polen, ist eine nochmalige Erhöhung des Finanzpakets auf nun insgesamt rund 40,8 Mrd. Euro. Statt „Vision“ stand wieder einmal „Money“ im Vordergrund. Mehr als 40 Mrd. Euro Finanzhilfen sind sicher kein geringer Betrag, berücksichtigt man allerdings, dass dies insgesamt zehn Staaten für den Zeitraum von drei Jahren (2004-2006) zugute kommt, relativiert sich die Summe bereits wieder. Zudem ist alles letztlich ein geringer Preis im Vergleich zur Fortsetzung der Teilung des europäischen Kontinents oder gar zu den Krisen, Konflikten und Kriegen, wie sie das 20. Jahrhundert beherrscht haben.

  • Deutlich wird an diesem Finanzgefeilsche allerdings die Notwendigkeit, dass die EU dringend ihre Entscheidungsstrukturen reformieren muss. Standen schon frühere EU-Gipfel zu Finanzfragen (Brüssel 1988, Edinburg 1992, Berlin 1999) häufig vor der Konstellation „Erpressung oder Scheitern“, so wird sich dies bei einer EU mit 25 Mitgliedern noch zuspitzen. Wenn hier nicht Abhilfe geschaffen wird, droht die Europäische Union angesichts des mitgliedstaatlichen Vetorechts endgültig in die Immobilität zu treiben. Für die nächste Haushaltsrunde (Finanzielle Vorschau 2007-2013) drohen zweifellos harte Verteilungskämpfe.

  • Mit der Erweiterung auf 25 Mitgliedstaaten wird Europa bunter, vielfältiger, heterogener. Es wird Jahre dauern – dies zeigt die Erfahrung der bisherigen Erweiterungen –, bis das derzeit fein austarierte „EU-Mobile“ mit dann 25 Akteuren zu einem neu-en Gleichgewicht gefunden haben wird. So wie die Erweiterung um Großbritannien 1973 oder die Süderweiterung in den 1980er Jahren das Gesicht und das Gewicht der Gemeinschaft nach innen und außen verändert hat, wird auch die jetzt beschlossene Erweiterung der EU um zehn neue Staaten nicht nur den geographischen, sondern auch den politischen Schwerpunkt der EU erheblich verschieben.

  • Gedrückt hat sich der EU-Gipfel in Kopenhagen vor der Beantwortung der Frage, wo die Grenzen Europas sind. Rumänien und Bulgarien, mit denen seit Anfang des Jahres verhandelt wird, erhalten von der EU politische und finanzielle Unterstützung für das Ziel eines Beitritts im Jahr 2007. Um dies zu erreichen, sind auch künftig noch erhebliche Anstrengungen erforderlich. In ähnlicher Weise erhält auch die Türkei eine erheblich aufgestockte finanzielle Heranführungshilfe, die ab 2004 aus Mitteln der Haushaltslinie „Heranführungshilfe“ finanziert wird. Den Ländern des Westlichen Balkans versprachen die Staats- und Regierungschefs erneut Unterstützung „bei ihren Bemühungen um eine Annäherung an die EU“, zudem sollen die Beziehungen zu den (neuen) Nachbarn Russland, Ukraine, Moldawien, Belarus und den Ländern im südlichen Mittelmeerraum intensiviert werden. Die Kommission und der Generalsekretär des Rates/Hohe Vertreter werden dazu Vorschläge unterbreiten.

  • Die Europäische Union steht dabei vor der Gefahr, sich zu überdehnen. Wenn letztlich jeder, der will, aufgenommen werden kann, ähnelt die EU bald einer Mischung aus EFTA und Europarat. Ein politisch handlungsfähiger Akteur entsteht so jedoch nicht. Zudem droht die Akzeptanz der Bürger weiter zu sinken, wenn nicht die Frage der Identität Europas beantwortet wird. Ein bloßer Binnenmarkt schafft keine Einheit, dies kann nur eine politische Union mit gemeinsamen Werten.

  • Hierauf eine Antwort zu finden, ist eine zentrale Aufgabe für den Europäischen Konvent. Mit dem bisherigen inkrementalistischen Vorgehen der EU von Erweiterungen, die nur mit kleinen Vertragsreformen verbunden sind, ist es nicht mehr getan. Europa braucht eine neue Verfassung mit klaren Strukturen, einfacheren Verfahren, mehr Demokratie und Bürgernähe. Nachdem die Erweiterungsverhandlungen abgeschlossen sind, wird die EU-Reform nun die zentrale Aufgabe des kommenden Jahres 2003 werden. Dies gilt für die heutigen 15 Mitgliedstaaten wie für die Neumitglieder, die ja bereits im Konvent vertreten sind.

  • Wichtig für den Konvent ist es, einen überzeugenden Verfassungsentwurf möglichst aus einem Guss vorzulegen, der von den Staats- und Regierungschefs nicht mehr zerpflückt werden kann. Entscheidend ist hier zudem das zeitliche Momentum: Der Konvent soll, so halten es die Schlussfolgerungen von Kopenhagen fest, die Ergeb-nisse seiner Arbeiten rechtzeitig vor dem Juni 2003 vorlegen. An der sich anschließenden Regierungskonferenz, die unter italienischer Ratspräsidentschaft im Dezember 2003 abgeschlossen werden soll, werden die neuen Mitglieder uneingeschränkt teilnehmen. Der neue (Verfassungs-)Vertrag soll allerdings erst nach dem Beitritt im Mai 2004 unterzeichnet werden.

  • Die Europawahl 2004 könnte dann in der Tat nicht nur zur Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments dienen, sondern auch zur Annahme einer Verfassung der Europäischen Union, die – anders als alle früheren Verträge – von Parlamentariern und Regierungsvertretern ausgearbeitet worden ist.

  • Eine Teilnahme der zehn neuen Mitglieder an der Europawahl im Juni 2004 setzt nun die rasche Umsetzung der Kopenhagener Beschlüsse voraus. Für den 16. April 2003 ist die Unterzeichnung der Beitrittsabkommen zwischen der EU und den beitretenden Staaten in Athen geplant. Anschließend muß bis spätestens Frühjahr 2004 das Ratifikationsverfahren in allen 15 derzeitigen EU-Mitgliedstaaten zu dem Beitrittsvertrag abgeschlossen sein. Ebenso müssen die Beitrittsabkommen auch in den beitretenden Staaten ratifiziert werden, teilweise durch Volksabstimmungen.

  • Wenn die Europäische Union weiter ein erfolgreicher, handlungsfähiger Zusammenschluss der Europäer bleiben soll, setzt dies voraus, dass alle Beteiligten der Umsetzung der beschlossenen Erweiterung um zehn Staaten und der anstehenden Reform der EU oberste Priorität einräumen.

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Prof. Dr. Burkard Steppacher

Prof. Dr

Leiter Kooperation Altstipendiaten

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Sankt Augustin Deutschland