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Länderberichte

Bolivien: „Es steht 1:1“

von Peter-Alberto Behrens
84,4% billigen Autonomiestatut in Santa Cruz / Gewaltsame Auseinandersetzungen in MAS-Hochburgen / Morales zitiert Präfekten zum Dialog über „wahre Autonomie“

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So scheinen viele Bolivianer die aktuelle politische Lage zu sehen: „1 zu 1“. Ähnlich umstritten und ähnlich „legal“ wie das von der Regierung Morales und der MAS im vergangenen Jahr durchgepeitschte Verfassungsprojekt wurde seit einigen Monaten das Autonomiestatut von Santa Cruz aus der Taufe gehoben. Allerdings mit dem Vorteil, das dem Statut in einer Volksbefragung am letzten Sonntag, 84% der Bevölkerung Santa Cruz´ zustimmten – ein nicht zu unterschätzender Vorteil im stattfindenden Wettkampf um „Legitimität“ in Bolivien.

Legitimität sticht Legalität

Offensichtlich haben sich die „cruceños“ auf die gleiche Logik der Regierung Morales eingelassen. Wenn es um die „wahre Legitimität“ der Forderungen des Volkes geht, sind Gesetze störendes Beiwerk. Tatsächlich ist dieses Autonomiestatut von einer Versammlung erarbeitet worden, die für sich in Anspruch nehmen kann einigermaßen repräsentativ zu sein. In ihr waren Unternehmer und Großgrundbesitzer ebenso vertreten, wie indigene Organisationen und soziale Bewegungen. Der demokratische Schönheitsfehler liegt allerdings darin, daß diese Versammlung kein Volksmandat innehatte. Und selbst wenn der Inhalt des Statuts insgesamt keineswegs als antidemokratisch oder sogar „separatistisch“ gelten kann, haftet ihm der Makel des Unrechtmäßigen an. Denn nach Artikel 4 der noch gültigen Verfassung sind Volksinitiativen durchaus erlaubt, allerdings müssen sie als Gesetzesinitiative das Parlament passieren. Am 26. Februar sollte das Parlament über genau diese vorliegende Initiative verhandeln. Die an jenem Tag fast allein tagende MAS-Fraktion nahm diesen Punkt kurzerhand von der Tagesordnung – derweil kümmerten sich draußen vor dem Parlament „soziale und indigene Organisationen“ teils gewaltsam darum, daß keine Oppositionsmitglieder in das Hohe Haus gelangten, um dies zu verhindern. Insofern ist nachvollziehbar, daß viele Bolivianer dem Beispiel ihrer Regierung und der MAS folgen, wenn es um die Akzeptanz rechtsstaatlicher Regeln geht. Oder um im sportlichen Vergleich des Titels zu bleiben: Die eine Seite, Morales und die MAS hat bislang die Regeln festgelegt, entledigte sich aber vorher sicherheitshalber vom Schiedsrichter (=Verfassungsgericht). Wundern dürfte es daher niemanden, daß die bislang unterlegene Seite wenig Sinn darin sieht, weiterhin nach den Regeln zu spielen.

Zentralregierung im eigenen Spielfeld unter Druck

Genutzt hat dies den Cruceños. Den Versammlungsmitgliedern, die dieses Statut ausarbeiteten ist selbst klar, daß nicht gleich am Tag nach der Volksbefragung die Autonomie der Region „ausbricht“. Sie setzten aber ein deutliches Zeichen, daß man die Zentralregierung auf dem eigenen Spielfeld schlagen kann. Das Beispiel macht Schule: schon kündigen weitere 5 der insgesamt 9 Regionen Boliviens an, Santa Cruz in der Erarbeitung jeweiliger Autonomiestatuten folgen zu wollen. Die politische Legitimität dieser Ansprüche steht in den meisten Fällen außer Frage: In einer Mitte 2006 gehalteten Volksbefragung sprachen sich die Regionen Santa Cruz, Tarija, Pando und Beni eindeutig für mehr Eigenständigkeit gegenüber der Zentralregierung aus. Die ständige Berufung Präsident Morales´ auf das politische Primat der legitimen Ansprüche „des Volkes“ gegenüber dem (Rechts-)Staat richtet sich nun gegen ihn selbst.

„Conmigo o sinmigo“ („Mit mir oder ohnemir“)

Dabei war es für ihn völlig unnötig, sich in diese verzwickte politische Lage hineinzumanövrieren. Das Streben nach mehr Eigenständigkeit ist ein sehr altes Anliegen Santa Cruz´ und war bislang in keinem politischen Verhältnis zur MAS zu sehen. Tatsächlich haben sogar sehr viele Anhänger der MAS in Santa Cruz auch für das Autonomiestatut gestimmt. Selbst in La Paz, der MAS-Hochburg Boliviens sympathisieren laut Umfragen, rund 30% der Bevölkerung mit einer stärkeren regionalen Dezentralisierung, die schlicht mit „Autonomie“ umschrieben wird . Morales hat offenbar die politsche Bedeutung dieser Bestrebungen in Santa Cruz weit unterschätzt, als er sich ihnen vor ca. einem Jahr frontal entgegenstemmte („oligarchisch, separatistisch“). Übrigens eine Haltung, die nicht nur auf Morales beschränkt ist - auch einer seiner Vorgänger, nämlich Carlos Mesa missverstand offenbar die politische Relevanz der Autonomieforderungen und tat sie leichtfertig als elitär ab. Kürzlich brachte es der ehemalige Mentor und Weggefährte Morales´, Filemón Escobar auf den Punkt: Morales versuche ein seit Jahrzehnte vorhandenes politisches Massenphänomen auszubremsen und schneide sich damit ins eigene Fleisch. Hätte er sich nämlich von vorneherein zu einem Vorreiter der Autonomien gemacht, hätte dieses Referendum nicht von seinen Gegnern als eine Volksbefragung zu seinem politischen Projekt umgedeutet werden können, wie dies ja teilweise geschieht.

Morales schien offenbar nicht über seinen Schatten springen zu können. Den in vielen Fällen sehr autoritär-hierarchisch strukturierten Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in Bolivien liegt das Konzept der horizontalen Machtverteilung fern. Dies erschwert sicherlich eine sachliche Auseinandersetzung um dieses Thema innerhalb der Regierung. Selbst die im MAS-Verfassungsprojekt sehr widersprüchliche territoriale Machtarchitektur privilegiert vor allem den Zentralstaat. Dies gilt auch in Bezug auf die „indigenen Autonomien“, welche La Paz direkt zugeordnet werden sollen, ohne Einbettung in deren direkter regionalen Umgebung.

Morales´ Haltung zu dieser Volksbefragung kann jedoch auch anders interpretiert werden: Wie in einem KAS-Länderbericht zum Ende letzten Jahres angerissen, scheint sich Morales auf einer „Flucht nach vorne“ zu befinden . Die wenig bemerkten politischen Aktionen der letzten Tage deuten in eine solche Richtung. Am 1. Mai erließ Morales 8 Dekrete. Sie legen eine Fortsetzung der „Verstaatlichung“ von Schlüsselindustrien fest. Im Gegensatz zu 2006 sind diese Aktionen aber gefährlicher. Sie stellen keine Vertragsrevision des Staates mit Unternehmen dar, sondern sind Zwangsmassnahmen zur Enteignung z.B. der Telekommunikationsgesellschaft ENTEL (italienisches Kapital) oder auch des im Erdgasgeschäft und mit deutschem Kapital tätigen Untenehmen CHLB. Morales schreckt offenbar immer seltener davor zurück, auch bislang existierende Sympathien vor allem in Europa zu enttäuschen. Dies ist vor allem dann wenig zielführend, wenn zugleich die eigene politische Position unter Druck gerät: Die Inflation ist auf ca. 15% hochgeschossen; die vertraglich mit Argentinien und Brasilien festgelegten Liefervolumina an Erdgas können aufgrund fehlender Investitionen nicht mehr bedient weden; die Risse innerhalb der Regierung treten immer offener zutage; die regionalen Allierten Kuba und Venezuela sind zunehmend mit sich selbst beschäftigt; selbst Putschgerüchte machen die Runde.

Wird politische Gewalt „salonfähig“?

Der Eindruck drängt sich auf, daß „politisch legitime“ Forderungen es zunehmend auch rechtfertigen, Gewalt anzuwenden. Im Vorfeld zum Referendum am vergangenen Sonntag kokettierten Politiker aus allen Lagern mit mehr oder minder ernst gemeinten Aussagen in diese Richtung. Wurde beispielsweise im Januar 2007 die Regierung Morales von den gewaltsamen Unruhen in Cochabamba aufgeschreckt (2 Tote), nahm sie demgegenüber vor ca. zwei Wochen keinen Blatt vor dem Mund, um ihre Anhänger „zum Widerstand“ gegen das Referendum aufzurufen. Nur auf deutlichem Druck der EU und anderer internationaler Organisationen nahm sie diesen Aufruf zurück und plädierte stattdessen zur „aktiven Enthaltung“. Diesem Aufruf folgten aber nicht überall die Anhänger Morales. In den Ortschaften San Julián und Yapacaní verhinderten Stoßtrupps gewalttätig den Wahlgang, verbrannten Wahlurnen und schlugen sich mit Befürwortern des Autonomiestatuts. Besorgniserregend ist dabei, mit welcher Brutalität teilweise die Trupps beider Seiten vorgingen. Der Saldo bislang: ca. 30 Verletzte (ein Schwerstverletzter) und 50 Verhaftete. Was dabei besonders hervorsticht, ist das bei solchen Unruhen immer öfter Journalisten zu Schaden kommen. Auch in diesem Fall wurde ein Journalist der Zeitung „La Razón“ Opfer von Übergriffen. Die Staatsanwaltschaft verfolgt solche Übergriffe kaum. So drängt sich der eingangs zitierte Eindruck der Rechtfertigung von Gewalt geradezu auf.

1:0 gegen Bolivien?

Aus politischer Sicht ist das Referendum eine klare Niederlage für Präsident Morales. Es verdeutlicht, das außer der MAS und ihm es auch andere Kräfte im Land gibt, die politische Forderungen mit massiver Unterstützung durchzusetzen vermögen. Daß diese Forderungen mittlerweile mit einer Opposition gegen sein politisches Projekt gleichgesetzt werden, ist niemandem anderes als ihm selbst zuzuschreiben. Die Forderung nach Autonomie hatte in Santa Cruz vor ihm keine eindeutige politische Farbe.

Morales ließ es sich nicht nehmen, die massive Unterstützung zum Autonomiestatut mit einem Pfründesystem zu erklären, mit welchem sich die Oligarchie die Stimmen erkauft habe. Somit verunglimpfte Morales selbst diejenigen als Stimmvieh, die mit ihm sympathisieren, sich aber dennoch für eine größere Eigenständigkeit von Santa Cruz aussprechen. Im schlimmsten Fall spielt er damit der noch winzigen Gruppe separatistischer Extremisten in Santa Cruz zu: Irgendwann bleibt den jetzt noch moderaten Kräften in der Region wortwörtlich keine andere Wahl. Ein solches Szenario mündete möglicher-weise in die oft prophezeite Katastrophe eines Bürgerkriegs, von welchem man z.Z. gottlob noch enfternt ist.

So nachvollziehbar das politische Vorgehen Santa Cruz´ mit der Abhaltung des Referendums gewesen ist, so verheerend und zweischneidig ist es für die Anerkennung grundlegender demokratischer Werte und des Rechtsstaats. Es rechtfertigt implizit die Konfrontationsstrategie, die ja zuerst von der Zentralregierung angewandt wurde und entzieht einer auf rechtsstaatlichen Grundsätzen fußende politische Strategie die Grundlage. In der aktuellen politischen Konjunktur mag es hierzu möglicherweise kaum eine Alternative gegeben haben. Für die demokratische Institutionalität Boliviens ist dies ein deutlicher und gefährlicher Rückschritt.

Zu hoffen ist, daß das politische „1:1“ des letzten Wochenende, beiden Seiten die Ausweglosigkeit dieser Konfrontationsstrategie vor Augen führt. Die ersten Reaktionen der Regierung, welche weiterhin krampfhaft versucht, das Referendum zu disqualifizieren, sprechen aber nicht dafür.

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