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Khmer Rouge Tribunal

Der Vergangenheit etwas näher

Ende März hat das Hauptverfahren gegen den Verantwortlichen des Foltergefängnisses S-21 in Phnom Penh, Kaing Guek Eav, alias Duch begonnen. Es ist der bisher wichtigste Moment für das Tribunal, auf das Kambodschas Bevölkerung 30 Jahre warten musste. Nach der ersten formellen Anhörung des ehemaligen Leiters erhofft man sich jetzt Erklärungen zu der grausamen Tötungsmaschine der Khmer Rouge.

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Es werden wieder nahezu 500 Menschen dabei sein, wenn Kaing Guek Eav, alias Duch, erneut vor das Tribunal tritt. Am 30. März begannen die Verhandlungen, in denen zum ersten Mal Zeugen vernommen werden und die Opfer Gehör finden. Mit jedem der angesetzten 40 Verhandlungstage werden Staatsanwaltschaft und Verteidigung der Wahrheit und den Verbrechen hoffentlich ein Stück näher kommen.

Der Chef des Foltergefängnisses gilt als der geständigste und gesündeste aller im Moment inhaftierten Angeklagten. Duch wird zur Last gelegt, zwischen 1976 und 1979 das Sicherheitsgefängnis 21, heute Toul Sleng Museum, nicht nur geleitet und damit für den Tod von weit über 16000 Menschen verantwortlich zu sein, sondern auch selbst gefoltert zu haben. Akribisch wurden die (eigenen) Grausamkeiten der Khmer Rouge Kader dokumentiert. Insgesamt schätzt man es auf 500.000 Seiten Dokumentationsmaterial. Im Fall S-21 liegt das meiste Material vor. Ein Grund, warum der Fall Duch den Auftakt des Khmer Rouge Tribunals bildet.

Das Untersuchungsverfahren gegen den früheren Stellvertreter von Pol Pot, Nuon Chea, den Staatspräsidenten des Demokratischen Kampuchea, Khieu Samphan, den ehemaligen Außenminister Ieng Sary sowie dessen Ehefrau, die ehemalige Sozialministerin Ieng Thirith, wird in diesem Jahr hoffentlich in seine entscheidende Phase gehen. Der Gesundheitszustand mindestens Ieng Sarys gilt mittlerweile als sehr kritisch. In der Bevölkerung rufen die Beschwerden der Inhaftierten über die „unmenschlichen“ Haftbedingungen angesichts der Verbrechen der Khmer Rouge an ihrem Volk stets Empörung und Abscheu hervor. So, wie das demonstrierte Unwissen um die Gräueltaten der Khmer Rouge. Im Unterschied zu Duch geben sie vor, gar nicht beteiligt gewesen zu sein.

Die brutale Khmer Rouge-Ära brachte Kambodscha Wunden, die bis heute nicht verheilten. 30 Jahre nach dem unvorstellbar grausamen Bürgerkrieg, der als einer der schlimmsten Genozide der Weltgeschichte gilt, sind die sinnlosen Tode der 2 Millionen Menschen nicht vergessen. Die Narben bedeuten für das Land Armut, tiefe soziale Teilung und eine fragile Demokratie.

Eine Gesellschaft sucht den Umgang mit ihrer Vergangenheit

10 Jahre brauchten die Regierung Kambodschas und die Vereinten Nationen für das Abkommen, welches das gemeinsame Tribunal ermöglicht. Am so entstandenen hybriden Gerichtshof, anders als im Fall des internationalen Strafgerichtshof für Jugoslawien (ICTY), gilt kambodschanisches Recht, wie auch die Richter mehrheitlich kambodschanisch sind. Ganz ausdrücklich betrifft der Prozess nur die oberste Führungsriege. Eine Ausweitung auf mehrere Angeklagte ist derzeitig sehr umstritten und gilt als fast ausgeschlossen. Befürchtungen um die nationale Sicherheit werden von der Regierung geäußert, was nicht wundert, wenn man bedenkt, dass einige der heutigen Regierungsmitglieder auf eine Khmer Rouge-Vergangenheit zurückblicken. Die zeitliche Einschränkung des Tribunals ist der Rolle der internationalen Gemeinschaft geschuldet, denn brisant bleibt bis heute das damalige Verhalten der UN selbst, der USA, China und Vietnam.

Aber das ist nicht das, was die Kambodschaner wirklich umtreibt. Eine Gesellschaft, in der Großteile der Bevölkerung in bitterer Armut leben, möchte die Schreckenszeiten der Bürgerkriege gerne vergessen.

Zum ersten Mal ist im vergangenen Jahr eine Generation zu den Wahlurnen gegangen, für die das „Demokratische Kampuchea“ nicht mehr viel bedeutet, die nicht mehr geleitet sind von dem Sicherheitsgedanken und dem intensiven Wunsch nach Frieden. In den Schulbüchern sucht man vergeblich nach der für uns so selbstverständlichen Geschichtsaufarbeitung. Eltern erzählen über die Schrecknisse nicht, Kinder und Enkel fragen nicht. Und trotzdem findet man in Kambodscha ein enormes subjektives Opferempfinden. Trotz der nachweislichen großen Wissenslücken bezeichnen sich die Nachgeborenen als Opfer des vergangenen Regimes. Immerhin erklärt das den wachsenden Wunsch, die Wahrheit herauszufinden und die eigene Vergangenheit kennen zu lernen.

Eine Studie die von der Universität Berkeley, USA, kürzlich durchgeführt wurde, beschreibt die Hassgefühle, die ein Großteil der Bevölkerung gegenüber den Khmer Rouge hegt. Nur wenige sagen, sie hätten den Tätern verziehen. Die Studie widerlegt eindeutig, dass der von der Regierung gepriesene Zustand der Nationalen Versöhnung, wenn überhaupt, erst am Anfang steht. Für viele ist eine Bestrafung der Täter die mindeste Voraussetzung für eine Versöhnung. Damit, und das ist das wichtigste Ergebnis der Studie, begrüßt eine Mehrzahl der Kambodschaner das Khmer Rouge Tribunal.

Doch trotz aller Maßnahmen, das Tribunal bekannter zu machen und der Bevölkerung näher zu bringen, bleibt es vorerst ein unbekanntes Gebilde. Das trifft besonders hart die Zivilparteien, die – als Novum eines solchen Tribunals – erreicht haben, dass überlebende Opfer als Nebenkläger auftreten dürfen. Nach Informationen der Victim Unit des Tribunals sind bisher lediglich 2.500 Anzeigen und Anträge eingegangen.

Verhindert wird die Öffentlichkeit des Tribunals vor allem von der Regierung selbst. Bis heute steht ein volles und belastbares Bekenntnis zum Tribunal aus. Da die entscheidende Mehrheit aller Medien von der Regierung und regierenden Volkspartei CCP kontrolliert wird, findet Information bisher höchstens selektiv statt. Es bedarf eines funktionierenden Zusammenspiels zwischen dem ECCC (den Extraordinary Chambers in the Court of Cambodia), den Zivilgesellschaften und damit auch den internationalen Gebern, dem Tribunal die Aufmerksamkeit zu sichern, die es braucht, damit Kambodschas Bevölkerung konsequent hinter den Geschehnissen stehen kann. Dafür aber bedarf es zuallererst eines in jeder Hinsicht unabhängigen Gerichtshofes. Das ist eine Aufgabe, die nur die kambodschanische Regierung selbst leisten kann und muss.

Wie unabhängig ist das Tribunal?

Seit der Monate währenden Uneinigkeit über die internen Regeln, spätestens aber mit den willkürlichen Neubesetzungen von kambodschanischen Richtern, gilt das Tribunal als beeinflussbar. Die Beziehungen zwischen dem Tribunal und der kambodschanischen Regierung sind der sonstigen Gerichtspraxis in Kambodscha, nämlich der fehlenden Unabhängigkeit zwischen Judikative und Exekutive, inzwischen sehr ähnlich. Einen traurigen Höhepunkt fand diese Vermutung mit den Korruptionsvorwürfen am ECCC. Die bisher nicht vollständig bewiesenen Vorwürfe um so genannte Gehaltsabschlagszahlungen an Vorgesetzte haben die ohnehin klaffende Spalte zwischen der UN und der kambodschanischen Seite – dazwischen die internationalen Geber – weiter aufgerissen. Viel wurde getan den Vorwürfen zu entgegnen. Eine Studie über die Gehälter des einheimischen Personals zeigte dessen Angemessenheit. Eine weitere Studie zu transparenten Verwaltungsabläufen und Einstellungsverfahren bewies, dass allen möglichen Maßnahmen Korruption einzudämmen, Folge geleistet wurde. Trotzdem leidet der Gerichtshof immer mehr unter sich erhärtende Verdächtigungen auf Korruption, genauso wie unter der schwachen Führungsrolle der UN. Spätestens in den Hauptverhandlungen könnten sich diese ungeklärten Verhältnisse rächen.

Schuld und Sühne

Einige Sympathisanten der Angeklagten machen sich die politische Abhängigkeit des Tribunals und Unwissenheit der Bevölkerung zunutze. Gerade wie ein Schlag ins Gesicht aller Opfer muss es erscheinen, wenn ehemalige Kader – jene, die betroffen wären, würde die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen ausdehnen – fordern, dass die Schädel in den Massengräbern sortiert werden sollten nach denen von den Vietnamesen, den Amerikanern oder von anderen Khmer Getöteten. Sie sind überzeugt, dass es dem Tribunal nicht gelingen wird, die fünf führenden noch lebenden Köpfe der todbringenden Khmer Rouge zu verurteilen, ihnen Mord und Folter nachzuweisen.

In der Tat halten diejenigen Khmer Rouge Kader, die 1998 nach den letzten Kämpfen nicht in die politische Gesellschaft zurückgekehrt sind, Enklaven in Kambodschas Norden. Vergebung wurde ihnen versprochen und offensichtlich auch gegeben. Sie leben dort in Nachbarschaft mit denen, die durch sie Familienmitglieder verloren haben. Mit dem Tod von Pol Pot 1998 scheint die Vergangenheit für all die Mörder nicht mehr zu existieren. An Ta Mok, bekannt als der Schlächter von Along Veng, dem letzten Rückzugsort der Roten Khmer, erinnert ein Mausoleum. Seine Nachbarschaft erinnert sich lebhafter: für sie ist er der nette Mann von nebenan, der Straßen finanzierte, eine Schule und ein Krankenhaus.

Im berüchtigten Along Veng geht es den Schulkindern genauso wie ihren Kameraden im ganzen Land. Nichts in ihrem Schulunterricht erinnert an die hässliche Vergangenheit. Nur die Geschichten sind anders, denn man hat sich an die Ehemaligen gewöhnt. Der Norden ist gut für illegalen Grenzhandel, für das Glücksspiel. Sonderlich arm muss man nicht sein. Und über Geld wird vieles vergessen. Along Veng ist vielleicht das deutlichste Beispiel für eine zerrissene Gesellschaft, die ihren Platz in der Vergangenheit in sucht und dabei die Zukunft findet.

Das Khmer Rouge-Tribunal ist die voraussichtlich letzte Gelegenheit, Kambodschas Unrechtskapitel aufzuschlagen und zu sühnen. Große Hoffnungen sind an das Tribunal geknüpft: wegweisende Standards für das kambodschanische Rechtssystem, Wiedergutmachung, Verurteilungen, Vergangenheitsbewältigung und endlich Gerechtigkeit. Am Montag, wenn die Kambodscha auf Duch schaut, wird man erneut hören, was die Khmer Rouge-Ära für Kambodscha bedeutet hat. Und man wird besser wissen, wie weit der Weg aus der Vergangenheit hin zur Gerechtigkeit wirklich sein wird.

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Kontakt

Jason Chumtong

Jason Chumtong

Leiter des Auslandsbüros Kambodscha

jason.chumtong@kas.de +855 87 880 898

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