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Veranstaltungsberichte

„Das Samariter-Gleichnis ist eindeutig“

von Josephine Landertinger Forero
In der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) haben sich Dr. Rupert Neudeck, Dr. Franz Alt und Huy-Hung Nguyen zu einer Podiumsdiskussion über 30 Jahre Menschenrettung durch das Hilfskomitee Cap Anamur getroffen.

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Nach dem Ende des Vietnamkrieges kommt es 1975 zur Vereinigung von Nord- und Südvietnam unter kommunistischer Herrschaft. Wachsende Streitigkeiten mit der Volksrepublik China sowie der Einmarsch vietnamesischer Kräfte in Kambodscha führen ab 1979 zu riesigen Flüchtlingsströmen, insbesondere auf dem Seeweg. Die meisten Flüchtlinge glauben auf dem Wasser sicherer zu sein als auf dem Landweg nach Thailand. Doch Stürme, Piraten oder der Hungertod waren meist schneller.

Huy-Hung Nguyen ist zu dieser Zeit zwölf Jahre alt. Seine Eltern bezahlen ein Vermögen, damit ihr Sohn einen Platz auf einem der überfüllten Boote bekommt. Nguyen ist das älteste Kind und die Hoffnung der Familie. Er soll ein besseres Leben führen, weit weg von den Kommunisten.

 

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Heute arbeitet Nguyen als Anwendungsentwickler bei Robert-Bosch in Stuttgart. In der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) saß er neben Dr. Rupert Neudeck, der Tausenden von Vietnamesen das Leben rettete. Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von „Cap Anamur – Deutsche Notärzte e.V.“ veranstaltete die KAS eine Podiumsdiskussion mit dem Gründer dieser Organisation, Dr. Rupert Neudeck, dem Journalisten Dr. Franz Alt und dem ehemaligen Bootsflüchtling Huy-Hung Nguyen.

„Es war damals ein Massenexodus“, sagte Neudeck. Der schwäbische Vietnamese Nguyen, wie er sich selbst nannte, berichtete: „Das Leben in Vietnam war damals unerträglich. Es waren nicht nur die ganzen Kriege. Wir durften keine Musik hören, wir durften nicht öffentlich in die Kirche gehen und in der Schule zeigten sie uns Zeichentrickfilme, in denen die Amerikaner die „Bösen“ waren.“

 

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Huy-Hung Nguyen, Dipl. Informatiker, wurde durch Cap Anamur im Jahre 1982 gerettet.

Ende der 1970er Jahre war das Problem der vietnamesischen Flüchtlinge weltweit bekannt. Während die französischen Journalisten bereits im Fernsehen darüber informierten und Politiker wie Bernard Kouchner sich engagierten, passierte in Deutschland noch nichts. „Die Franzosen berichteten ein halbes Jahr vor uns über die Bootsflüchtlinge. Das war kein Ruhmesblatt für den deutschen Journalismus, denn wir haben geschlafen“, erklärte Franz Alt, der 20 Jahre lang das Politmagazin „Report“ im Südwestfunk moderierte.

Doch dann kam das Schlüsselereignis im Jahr 1979. Der Innenminister von Malaysia hatte angekündigt, dass sein Land keine Flüchtlingsboote mehr aufnehmen werde. „Da wusste ich, ich muss etwas unternehmen“, erzählte Rupert Neudeck, „aber ich wusste auch, dass ich jemand brauchte, der in der Öffentlichkeit steht.“

 

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Dr. Franz Alt moderierte die „Report“-Sendung vom 24. Juli 1979 zum Thema Bootsflüchtlinge.

So entstand der Kontakt zwischen Neudeck, der seit 1977 als Redakteur beim Deutschlandfunk arbeitete, und Alt. Die „Report“-Sendung vom 24. Juli 1979 widmete sich ausschließlich der Problematik der Bootsflüchtlinge. Zudem blendete Alt die Kontonummer für das Projekt „Ein Schiff für Vietnam“ ein, ohne vorher die Genehmigung des Intendanten eingeholt zu haben. In der Zeit gab es nur zwei Fernsehsender. „Ich hatte damals 15 Millionen Zuschauer! Die Schlagkraft dieser Aktion war enorm“, erinnerte der Moderator Alt.

 

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Dr. Rupert Neudeck bei Dr. Franz Alt in der „Report“-Sendung vom 24. Juli 1979.

Drei Tage später standen 1,3 Millionen Mark an Spenden für das Schiff zur Verfügung. So gründete Neudeck zusammen mit seiner Frau Christel Neudeck und Freunden, wie dem Schriftsteller Heinrich Böll, das Hilfskomitee „Ein Schiff für Vietnam“. Sie charterten einen Frachter namens „Cap Anamur“. „Ich dachte, diesen Namen werden sich die Deutschen nie merken“, scherzte Neudeck.

Die Antwort auf die Frage, was seine Motivation gewesen sei, gerade Bootsflüchtlinge in Vietnam zu retten, beantwortete Neudeck mit einer persönlichen Geschichte: „Ich war als Kind im Zweiten Weltkrieg schon oft auf Kohledampfern gewesen. Am 30. Januar 1945 ist dann die Gustloff torpediert worden. Das habe ich nie vergessen können, denn ich hätte auch auf diesem Schiff sein sollen.“ Neudecks Familie kam zu spät und verpasste den Dampfer. Doch die Katastrophe ließ ihn nicht mehr los und so habe er daran denken müssen, als er von den Bootsflüchtlingen aus Vietnam gehört hatte.

 

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Dr. Rupert Neudeck erzählte von seinen persönlichen Erlebnissen, die ihn zur Gründnung von „Cap Anamur“ geführt haben.

Die „Cap Anamur“ und ihre Folge-Schiffe konnten 10.375 sogenannte „boat people“ aus dem Meer retten. Mit der Bundesrepublik schloss das Hilfskomitee einen Kompromiss: Die Flüchtlinge, die direkt von der Cap Anamur aufgenommen wurden, erhielten Asyl. Als im Juli 1982 die deutsche Regierung einen Aufnahmestopp beschloss, mussten die Helfer vorübergehend ihre Arbeit einstellen. Doch der Druck der Öffentlichkeit war zu groß.

„Die Bürger wollten diese Aktion“, erzählte Neudeck enthusiastisch und sagte weiter: „Man darf sich bei humanitären Aktionen nicht auf Regierungen verlassen, denn diese liegen oft nicht in ihrem Interesse. Man muss die Gesellschaft für sich gewinnen.“ Schon bald begann Cap Anamur auch an Land zu arbeiten und startete Projekte unter anderem in Äthiopien, Angola und Uganda.

Dass 18 Millionen Menschen, vor allem aus Afrika, heutzutage nach Europa aufbrechen, sei ein Zeichen, dass „wir entwicklungspolitisch gescheitert sind“, so Neudeck. „Europa ist eine Attraktion! In Mauretanien nennen sie unseren Kontinent Schengen!“ Es müssten in Afrika mehr Leuchttürme der Ausbildung geschaffen werden, forderte Neudeck, so dass jungen Leuten eine Perspektive geboten werden könne und sie nicht das Bedürfnis haben zu fliehen. „Aber wenn sie es dennoch tun, müssen wir sie retten, wenn sie in Gefahr sind“, ergänzte Alt.

 

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Der Journalist Franz Alt blendete in der „Report“-Sendung vom 24. Juli 1979 die Konto-Nummer des Projekts „Ein Schiff für Vietnam" ein, ohne die Erlaubnis seiner Vorgesetzten zu haben.

Die Verpflichtung, andere Menschen zu retten, sei kein „Helfersyndrom“. „Warum ist man dann gleich krank?“, fragte Neudeck und fügte hinzu: „Ich tue das aus christlicher Menschenliebe.“ Es sei eher eine Krankheit der Moderne, immer mit einem Zuständigen sprechen zu müssen, bevor man etwas unternehme. In einer freien Gesellschaft hätten wir den Luxus, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können. „Das Samariter-Gleichnis ist eindeutig“, meinte Neudeck und verwies auf diesen biblischen Appell zur tätigen Menschenliebe.

Dass diese Menschenliebe wenig Zuspruch in den Medien findet, machen aktuelle Schlagzeilen eindeutig. „Wir brauchen Michael-Jackson-Berichterstattung für die Armen dieser Welt“, wünschte sich Alt in einem abschließenden Interview. Bei einer so zerstreuten Medienlandschaft wie heutzutage, sei eine Aktion wie 1979 äußerst schwierig.

Dennoch glauben Alt und Neudeck gleichermaßen an die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung. „Ich habe mich immer auf meine Mitbürger verlassen können“, sagte Neudeck.

 

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Im Anschluss an die Podiumsdiskussion signierte Dr. Rupert Neudeck einige Bücher, die er verfasst hat, wie beispielsweise „Abenteuer Menschlichkeit“.

 

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