Asset-Herausgeber

Einzeltitel

Im Zeichen des "C"

von Dr. Hans-Gert Pöttering

Kann die Union den Buchstaben in ihrem Namen noch guten Gewissens verwenden? Ja, denn sie beweist es ständig

Zwei Dinge sind zurzeit in gewisser Weise "in Mode": den Volksparteien das baldige Ableben vorauszusagen und das "C" in der CDU zum Gegenstand heftiger Debatten zu machen - verbunden mit der Frage, ob die Union noch das Recht besitze, diesen Buchstaben für sich zu beanspruchen. Diese beiden "Erscheinungen" haben zumindest gemeinsam, dass zwar die Debatte über sie nicht jeder Grundlage entbehrt, sie aber dringend der differenzierenden Klar- und Richtigstellung bedürfen.

Asset-Herausgeber

Die Frage nach dem "C" in der CDU ist fast so alt wie die Union selbst. Ihre große historische Gründungsleistung bestand darin, dass es ihr erstens gelungen ist, konfessionelle Unterschiede in der Politik zu überwinden, die in der Weimarer Republik für die Erstarrung des Parteiensystems mitverantwortlich waren. Mit diesem neuen Weg jenseits einer "Fortsetzung" der Zentrumspartei oder der bloßen Interessenvertretung für Protestanten hat die CDU einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration geleistet und eine entscheidende Grundlage für ihren Erfolg gelegt. Zweitens hat sie nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs programmatisch als einzige und erste Partei das christliche Menschenbild mit der daraus abgeleiteten unantastbaren Würde des einzelnen Menschen so deutlich zum Mittelpunkt ihres politischen Konzeptes und nachweisbar auch ihres politischen Handelns gemacht.

Die Gründermütter und -väter der Union wussten, dass sich aus dem Glauben allein kein politisches Programm ableiten lässt, dass dieser Glaube wohl aber eine ethische Grundlage für eine verantwortungsvolle Politik legen kann, die den Menschen und die Unverletzlichkeit der Person in den Mittelpunkt stellt. Viel hat sich in Gesellschaft und Politik seit dieser Zeit verändert.

Trägt diese Idee der Parteigründer heute noch? Können wir das "C" im Namen der Union guten Gewissens und glaubwürdig auch heute noch verwenden, oder behalten wir es nur aus Traditionsbewusstsein und aus kommunikativen Gründen sozusagen als "immerwährendes Markenzeichen" ohne tieferen Anspruch bei? Hat der Dominikaner Wolfgang Ockenfels recht, der kurz vor der Bundestagswahl in seinem "hohen C" der Union nicht ohne Polemik vorgeworfen hat, sie kapituliere vor dem Zeitgeist und entferne sich immer weiter von den Kirchen? Wäre es vielleicht ehrlicher, der Empfehlung eines hohen katholischen Repräsentanten zu folgen und auf das "C" im Parteinamen ganz zu verzichten? Ist die teilweise Entfremdung, die wir gegenwärtig zwischen Katholiken und der CDU wahrnehmen, wirklich so deutlich spürbar, oder verlieren wir auf beiden Seiten zunehmend den Blick für das, was wir in den vergangenen Jahren ganz zweifelsohne gemeinsam - im engen Dialog zwischen Kirchen und Politik - zum Wohle der Menschen in Deutschland und in ganz Europa geleistet haben? Ich bin der Überzeugung, dass diese gemeinsame Bilanz besser ist als unsere Wahrnehmung von ihr und dass die besondere Beziehung zwischen den Konfessionen und der Union keinesfalls ihre Wirkung verloren hat.

Wer nur ein paar Beispiele ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit nennt, wird nicht verleugnen können, dass es ein Erfolg von Kirchen und christlicher Demokratie in ganz Europa ist, dass sich die Europäische Union mit dem Vertrag von Lissabon verpflichtet, die national geregelte Beziehung von Staat und Kirche zu achten und einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den Kirchen zu führen. Es ist ein Zeichen für ein enges Miteinander, dass die Kirchen die Unionsparteien bei der Ablehnung des Straßburger Richterspruches zu den Schulkreuzen klar auf ihrer Seite haben. Es war Bundeskanzlerin Angela Merkel, die wie kaum ein anderer deutscher Politiker begrüßt hat, dass sich das Bundesverfassungsgericht gegen die Berliner Regelungen und für den Schutz des Sonntags ausgesprochen hat. Die Kirchen haben verschiedentlich gewürdigt, wie sehr die Unionsparteien die Verfolgung von Christen in der Welt verurteilt haben. Die Sorge um die Christen im Irak und um die Flüchtlinge ist nur ein Beispiel dafür. Auch die Diskussion um die Spätabtreibungen ist ein Beispiel für gemeinsame Überzeugungen: Die Bedenken der beiden christlichen Konfessionen sind in starkem Maße aufgenommen worden.

Es ist bemerkenswert, dass die CDU am vergangenen Donnerstag zur Klausur ihres Bundesvorstandes die jeweils führenden Vertreter der Bischöfe der beiden Konfessionen, Erzbischof Robert Zollitsch und Bischöfin Margot Käßmann, eingeladen hat. So etwas hat es bislang bei keiner Klausur einer deutschen Partei gegeben. Aufkommende Sprachlosigkeiten zwischen Kirchenvertretern und CDU-Politikern, gegenseitige Enttäuschungen müssen ernst genommen werden und Anlass dafür sein, den Dialog wieder zu intensivieren. Die offene und fruchtbare Diskussion mit den Kirchen während der Klausur zeigt deutlich, dass die gemeinsame Gesprächsbasis keinesfalls verlorengegangen ist. Die Politiker der CDU/CSU legen großen Wert auf das Urteil der Kirchen, und zwar nicht nur in ethischen Fragen, sondern in allen Lebens- und Politikbereichen.

Die Union tut gut daran, diesen Dialog mit den Kirchen zu führen. Denn so wichtig der Dialog mit den Christen in den Kirchen und den Christen in den eigenen Reihen für die Union in der Vergangenheit war, so elementar ist er auch für die Zukunft. Die Realität der bedauerlicherweise fortschreitenden Säkularisierung gebietet es für eine Volkspartei, die in der Bevölkerung breit verankert sein will, auch denen gegenüber offen zu sein, die keine Nähe zum Glauben besitzen. Die CDU hat in ihrem Grundsatzprogramm dafür kluge Formulierungen gefunden. Würde sie aber ihre christlichen Werte in Frage stellen, dann verlöre sie nicht nur ihre Wurzeln, sondern sie würde auch ihre eigenen Traditionen verleugnen und verlieren. Grundlage für alles politische Handeln muss das christliche Menschenbild sein.

Die CDU muss sich immer wieder kritische Fragen gefallen lassen, ob sie diesem Anspruch gerecht wird, aber sie sollte auch selbstbewusst darauf verweisen, dass sie das "C" im Namen - auch als "Stachel im eigenen Fleisch" - immer wieder zum Anlass nimmt, unbequeme Diskussionen zu führen und sich ihrer selbst zu vergewissern. Im Kern geht es um die Gestaltung von Politik aus christlicher Verantwortung.

Zu einem ehrlichen Dialog gehört freilich auch, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass zwischen den Kirchen und der CDU zwar in vielen Grundpositionen große Übereinstimmung besteht, aber der Auftrag ein unterschiedlicher ist: Die großen und rasanten Veränderungen, die neuen "Unübersichtlichkeiten" machen erforderlich, dass sich die Kirchen als Mahner immer wieder zu Wort melden. Viele Umfragen deuten darauf hin, dass auch konfessionslose Menschen großen Wert darauf legen, dass die Kirchen mutig dann ihre Stimme erheben, wenn sie Ungerechtigkeiten fürchten und den Schutz des Lebens in Gefahr sehen. Sosehr man den Äußerungen der Bischöfin Margot Käßmann zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr mit guten Argumenten widersprechen mag, darf dies den Respekt vor ihrer Position und ihr Recht, ja ihre Pflicht, sich zu schwierigen gesellschaftlichen Fragen zu äußern, nicht schmälern. Aber es ist wichtig, dass die Kirchen nicht den Eindruck erwecken, sie hätten mit ihren Positionen zu politischen Herausforderungen die allein gültige, zudem noch theologisch begründete Antwort. Im Gegenzug darf jenen, die andere Schlüsse zum Beispiel aus der gegenwärtigen Situation am Hindukusch ziehen, nicht abgesprochen werden, dass auch sie aus ihrer christlichen Verantwortung heraus politisch handeln.

Wichtig bleibt auch, dass wir einander bei aller Offenheit wechselseitig solidarisch begegnen, auch dann, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Aus meiner ganz persönlichen Erfahrung als früherer Präsident des Europäischen Parlaments möchte ich ein wichtiges Beispiel nennen für die Grundsolidarität christdemokratischer Politiker mit den christlichen Kirchen, in diesem Fall der katholischen Kirche und ihrem höchsten Repräsentanten Papst Benedikt XVI.

Als im Mai 2009 Teile des Europäischen Parlaments eine Resolution verabschieden wollten, die die Äußerungen des Papstes während seiner Afrikareise zur Bekämpfung von Aids in deutlicher Weise verurteilen ("strongly condemns") und ihnen beinahe den Rang einer Menschenrechtsverletzung zumessen sollte, haben es christliche Demokraten - vor allem dank des maßgeblichen Einsatzes des überzeugten Protestanten und damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten), Hartmut Nassauer - geschafft, dieses politische Manöver zu verhindern. Die Tatsache, dass wir im Hinblick auf die Äußerungen des Papstes Differenzierungen für wünschenswert hielten, hat uns nicht davon abgehalten, unsere Grundsolidarität zu ihm und unseren Respekt vor seinem Amt deutlich zum Ausdruck zu bringen.

Wenn wir immer wieder neu den Mut haben, Verständnis für die unterschiedlichen Aufgaben, die den Kirchen und der Politik gestellt werden, zu haben, Solidarität zu üben und das gemeinsame Wertefundament zu betonen, dann bleibt das "C" als Verpflichtung nicht nur aktuell und seine Existenz im Parteinamen berechtigt, sondern dringend notwendig.

Der Beitrag erschien im Original in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 17. Januar 2010

Asset-Herausgeber

comment-portlet

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Bestellinformationen

Herausgeber

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

erscheinungsort

Frankfurt Deutschland