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Neue Regierung in den Niederlanden

von Dr. Peter R. Weilemann †, Dr. Olaf Wientzek
Am 14. Oktober wurde über vier Monate nach den Wahlen die neue niederländische Regierung durch Königin Beatrix von den Niederlanden vereidigt. Die Minderheitskoalition unter Premierminister Mark Rutte aus den Rechtsliberalen der VVD und Christdemokraten des CDA ist auf die Duldung der populistischen PVV von Geert Wilders angewiesen und verfügt mit der Unterstützung seiner Fraktion über 76 der 150 Sitze in der Zweiten Kammer.

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Die äußerst knappe Mehrheit könnte aber von den zwei Abgeordneten der streng protestantischen Kleinpartei SGP verstärkt werden. Der Weg zur Regierungsbildung war insbesondere bei den christlichen Demokraten sehr umstritten. Auf einem Sonderparteitag am Samstag, 2. Oktober 2010 stimmten jedoch zwei Drittel der rund 5000 anwesenden CDA-Mitgliedern für die Koalition. Gemeinsamer Kitt der neuen Regierung ist das Ziel einer umfassenden Sanierung der öffentlichen Finanzen mit einem ausgeglichenen Haushalt 2015, einer strafferen Asyl- und Migrationspolitik sowie einem Mehr an innerer Sicherheit.

Grundlage für die Zusammenarbeit sind zwei Dokumente: zum einen die Regierungsvereinbarung mit dem Titel „Freiheit und Verantwortung“ zwischen CDA und VVD sowie eine Duldungsvereinbarung beider Parteien mit der PVV von Geert Wilders. Während erstere auf 46 Seiten die Agenda für die kommende Legislaturperiode darlegt, bezieht sich die Duldungsvereinbarung ausschließlich auf Bestimmungen zu den Themen Einwanderung, Sicherheit, Altersversorgung und Finanzen. Zudem verpflichtet sich die PVV, kein Misstrauensvotum gegen die Regierung zu stützen.

1. Schwerpunkte der Regierungsarbeit

Haushaltskonsolidierung

Das Regierungsprogramm steht vor allem im Zeichen umfassender Einsparungen in den meisten Politikbereichen in Höhe von etwa 18 Milliarden Euro. Die größten Einschnitte sollen bei der Öffentlichen Verwaltung erfolgen: So werden die Gehälter im Öffentlichen Dienst bis 2011 eingefroren. Darüber hinaus sollen durch Umstrukturierungen in den Ministerien, in den lokalen und regionalen Verwaltungen rund 6 Milliarden Euro eingespart werden. Auch die Zahl der Beamten soll sowohl auf nationaler wie lokaler Ebene verringert werden. Zudem soll die Anzahl der Abgeordneten in der Zweiten Kammer von 150 auf 100 sowie der Mitglieder des Senates von 75 auf 50 reduziert und somit auf die Größe von vor 1956 zurückgebracht werden. Ersparnisse von mehreren Milliarden soll auch eine umfassende Reform des Gesundheitssystems bringen, die unter anderem Kürzungen am Versorgungspaket sowie eine Anhebung des Eigenanteils um 40 Euro ab 2011 vorsieht. Auch die Eigenbeteiligungen bei der langfristigen Pflege sollen steigen. Investiert wird hingegen in die Altenpflege mit der Schaffung von 12000 neuen Stellen. Im Bereich der sozialen Sicherung wird die Sozialhilfe bis 2020 schrittweise verkürzt und die Leistungen für junge, eingeschränkt berufsfähige Bürger reduziert. Die Laufzeit der Arbeitslosenunterstützung (WW) wird nicht reduziert. Auch das Renteneintrittsalter wird zunächst nur auf 66 Jahre angehoben. Unangetastet bleibt auch die Absetzbarkeit der Hypothekenzahlungen, eine Kernforderung der CDA und der VVD. 200 Millionen Euro sollen im Kulturbereich eingespart werden, auch der Öffentlich-rechtliche Rundfunk wird von den Kürzungen betroffen sein. Der Bildungsbereich bleibt dagegen von den Sparmaßnahmen in der Summe verschont; gleichzeitig soll insbesondere bei der Höheren Bildung die Qualität erhöht werden; dies soll durch die Erhebung von Studiengebühren für Master-Studiengänge und Sanktionen für Langzeitstudenten geschehen. Die Sparmaßnahmen treffen auch Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik: So soll die Entwicklungshilfe um eine Milliarde von 0,8 auf 0,7% des Haushalts zurückgefahren werden. Zudem soll das Entwicklungsbudget auch zur Finanzierung von Friedensmissionen in Entwicklungsländern genutzt werden können. Auch bei den Streitkräften sollen 400 Millionen eingespart werden. Ferner wird es bei den jährlichen Beitragszahlungen der Niederlande zum EU-Haushalt zu kräftigen Einschnitten kommen. Angekündigt ist eine Reduzierung um eine Milliarde Euro jährlich von 2014 an.

Neuorientierung der Asyl-, Einwanderungs- und Integrationspolitik

Kernpunkte sind hier Beschleunigung der Asylverfahren und Bekämpfung illegaler Migration. Der illegale Aufenthalt in den Niederlanden wird zum Straftatbestand. Für das Aufspüren von illegalen Einwanderern sollen zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Zuwanderung, insbesondere die Aufnahme so genannter „chancenarmer“ Einwanderer soll erschwert werden. Einwanderer müssen Grundqualifikationen vorweisen. Bei Nichtbestehen des Einbürgerungsexamens wird die Aufenthaltserlaubnis entzogen. Verschärft wird auch der Kampf gegen Straftäter: So kann noch fünf Jahre nach der Einbürgerung die niederländische Staatsangehörigkeit wieder aberkannt werden, wenn auf das Vergehen mindestens 12 Jahre Haft angesetzt sind. Darüber hinaus sollen die Bedingungen für den Familiennachzug verschärft werden. Bemerkenswert sind auch der Plan eines Burkaverbots sowie ein Kopftuchverbot für weibliche Polizisten, Staatsanwälte und Richter. Ergänzend will sich die Regierung für die Verschärfung mehrerer EU-Richtlinien zur Einwanderungspolitik einsetzen, insbesondere bei Fragen des Familiennachzugs.

Innere Sicherheit

Eine härtere Gangart soll auch im Bereich innere Sicherheit eingeschlagen werden: So sollen Mindeststrafen eingeführt sowie die Videoüberwachung verstärkt werden. Die Strafen bei Gewaltanwendung gegen die Staatgewalt sollen ebenfalls verschärft werden. Hausbesetzungen werden strafbar. Intensiviert wird auch der Kampf gegen Drogen- und Menschenhandel. Die Strafen gegen Gewalt- und Sexualstraftäter sollen erhöht, die Verjährungsfristen verlängert werden. Auf der anderen Seite soll die Polizei effektiver gemacht werden: Zum einen sollen 3000 neue Polizistenstellen geschaffen werden, davon 500 Tierpolizisten. Neu ist auch die Zusammenlegung der Polizei unter die Aufsicht nur noch eines Ministers für Sicherheit. Bislang stand diese unter der Aufsicht sowohl des Justiz- wie des Innenministeriums.

In der Europapolitik will die neue Regierung für die strenge Beachtung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes eintreten sowie sich für eine stärkere Deregulierung einsetzen. In Fragen der Erweiterung wird eine strikte Anwendung der Kopenhagener Kriterien sowie eine stärkere Beachtung der Absorptionskapazität der EU gefordert.

2. Mitglieder des neuen Kabinetts

Die sogenannte Rutte-Verhagen-Regierung setzt sich aus 12 Ministern und 8 Staatssekretären zusammen, paritätisch aufgeteilt zwischen beiden Koalitionspartnern. Angesichts der Machtverhältnisse im Parlament, - die VVD verfügt über 50% mehr Mandate in der Zweiten Kammer als der CDA - ist dies ein bemerkenswertes Entgegenkommen an den Juniorpartner.

Bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Minister des neuen Kabinetts handelt es sich um sehr erfahrene Politiker. Bei den Staatssekretären sind dagegen einige unbekannte Gesichter zu verzeichnen. Insgesamt hatten von den zwanzig Regierungsmitgliedern nur acht einen Sitz in der Tweede Kamer.

Mit Mark Rutte ist nun zum ersten Mal seit 1918 ein Liberaler Regierungschef. Von Beginn an hatte Rutte deutlich gemacht, dass er eine Zusammenarbeit mit CDA und PVV klar einer Koalition unter Einschluss der in der Tweede Kamer fast gleich starken Sozialdemokraten der PvdA vorziehen würde. Mit der PvdA sah er die Umsetzung seines wichtigsten Ziels, einer umfassenden Haushaltssanierung, als unmöglich an. Früher dem linken Flügel der VVD zugeordnet, hat Rutte in den vergangenen Jahren im Bereich der Einwanderung und der inneren Sicherheit eine härtere Linie vertreten. Nach mehreren Jahren innerparteilicher Turbulenzen hat er nun die Partei wieder auf eine Linie bringen können; gegen die Zusammenarbeit mit der PVV regte sich in seiner Partei kaum Widerstand. Die Ministerposten besetzte Rutte auf Seiten der VVD insbesondere mit seinen Vertrauten.

Maxime Verhagen, der bisherige Fraktionsvorsitzende des CDA und neben Rutte die treibende Kraft für die neue Koalition, wird das Ministerium für Wirtschaft, Landwirtschaft und Innovation übernehmen und stellvertretender Ministerpräsident. Er war Außenminister der Regierung Balkenende und davor vier Jahre lang Fraktionsvorsitzender des CDA im Abgeordnetenhaus. Sein enger Vertrauter, der seit den Wahlen amtierende Parteivorsitzende Henk Bleker wird ihn als Staatssekretär begleiten. Das wichtige Finanzressort wird Jan Kees de Jager übernehmen, ein starker Befürworter der aktuellen Koalition. In der Regierung Balkenende war er Finanzstaatssekretär gewesen. Nach dem Austritt der Sozialdemokraten aus der Koalition hatte er im Februar das Amt des Finanzministers übernommen. und half entscheidend dabei, die jetzt anstehenden Sparmaßnahmen vorzubereiten. Die frühere Parteivorsitzende des CDA - Marja van Bijsterveldt-Vliegenthart - übernimmt das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft. Im selben Ressort war sie bereits seit 2007 Staatssekretärin gewesen und hatte sich seitdem für eine stärkere Qualitätskontrolle im Bildungssystem eingesetzt. Der bisherige Minister für Arbeitsmarkt und Soziales, Piet Hein Donner, wird in der kommenden Regierung das Portfolio „Inneres“ erhalten. 2002 hatte er Anteil an der Regierungsbildung von VVD, CDA und der Partei von Pim Fortuyn. Das Ministerium für Asyl und Einwanderung fällt an den langjährigen CDA-Bürgermeister von Maastricht Gerd Leers, der als Krisenmanager gilt und einen Ruf als Mann für schwierige Dossiers hat.

Verteidigungsminister wird Hans Hillen, der als Befürworter eines stärkeren internationalen Engagements der Niederlande im Rahmen von NATO-Missionen gilt. Die Durchsetzung der harten Sicherheitsagenda, einem Kernbereich des Wahlprogramms, wird dem bisherigen VVD-Parteivorsitzenden Ivo Opstelten obliegen, der das neu zusammengesetzte Ministerium für Justiz und Sicherheit führen wird. Für die umfassenden Reformen im Gesundheitswesen wird die Vize-Fraktionsvorsitzende und enge Vertraute von Rutte, Edith Schippers, zuständig sein. Das Außenministerium wird von Uriel Rosenthal (VVD) übernommen, der kaum außenpolitische Erfahrung aufzuweisen hat und als europaskeptisch eingestuft wird.

Eine „Investitur“ der neuen Regierung im engeren Sinne findet nicht statt. Am 26. Oktober wird Rutte aber in Anwesenheit des gesamten Kabinetts vor der Zweiten Kammer eine formelle Regierungserklärung abgeben, bei der sich endgültig erweisen wird, ob die Regierung über die notwendige Mehrheit verfügt.

Eine genaue Zusammensetzung des Kabinetts finden Sie im pdf anbei.

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1. Oktober 2010
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