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Nahe am Abgrund

Im Jemen droht nach der „Arabellion“ ein Bürgerkrieg – Al-Kaida nutzt chaotische Lage aus.

Ein arabischer Staatnach dem anderen schüttelt seineautokratischen Regenten ab. Wasdanach kommt ist ungewiss. ImJemen ist der Machtkampf zwischenaufgebrachten Bürgern undder autoritären Regierung nochvoll im Gange.

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Der Arabische Frühling hat die

gesamte Region von Marokko bis

Oman erfasst. Eine selbstbewusste

Jugend begehrt auf und stellt die

paternalistischen Systeme der arabischen

Länder in Frage. Und sie

zeigt im Westen, dass keineswegs

nur die Wahl zwischen Despoten

und Islamisten besteht.

Auch die arabische Halbinsel

bildet da keine Ausnahme. Ihr

Armenhaus ist der Jemen, strategisch

wichtig am Zugang zum

Roten Meer gegenüber dem zerfallenden

Somalia gelegen und mit

knapp 24 Millionen Einwohnern

das zweitgrößte Land der Region,

nach Saudi-Arabien. Erst 1990 aus

der Vereinigung des traditionell

geprägten Nord- und des sozialistischen

Südjemens hervorgegangen,

ist der Jemen bis heute von mehreren

großen Bruchlinien durchzogen.

Im Grenzgebiet zu Saudi-

Arabien sorgen die Rebellen vom

Stamm der Houthi für Unruhe.

Im Süden haben sich viele nicht

der Vereinigung mit dem Norden

abfinden können und betreiben eine

erneute Sezession.

Das gesamte Land ist im Allgemeinen

stark von Stammesstrukturen

geprägt, auf die der langjährige

Präsident Ali Abdallah Saleh

zur Sicherung seiner Herrschaft

gesetzt hatte. Sie überlagern teilweise

die staatlichen Institutionen.

Manche dieser Stämme gewähren

den Terrorzellen von Al-Kaida

Unterschlupf.

Anfang Juni musste mit Saleh ein

weiterer arabischer Despot – nach

Ben Ali in Tunesien und Mubarak

in Ägypten – faktisch das Feld räumen.

Auslöser waren auch hier die

Massenproteste meist junger Menschen.

Auch im Jemen hat sich in

den Städten eine große junge Generation

entwickelt, die mit modernen

Kommunikationsmitteln vertraut

ist und nach Westen schaut.

Sie verfügt trotz besserer Ausbildung

weder über politische Mitspracherechte

noch wirtschaftliche Aufstiegschancen.

Ihr neu gewonnener

Mut ist der gemeinsame Nenner des

Arabischen Frühlings. Kaum war

er auch im Jemen erblüht, gelang

es den altbekannten Kräften hier

jedoch, auf den Zug aufzuspringen.

Nach einer Attacke von Salehs

Sicherheitskräften auf Demonstranten

in Sanaa am 18. März, die

zu 45 Toten führte, sagten sich viele

Stammesführer vom Präsidenten

los. Der Wichtigste von ihnen war

Sadik Al-Ahmar, der Stammesführer

der einflussreichen Hashid –

dem Stamm, dem Präsident Saleh

selbst angehört. Er brachte seine

Krieger in die Hauptstadt Sanaa

und seither herrschen dort bürgerkriegsähnliche

Zustände.

Diese gipfelten am 3. Juni in

einem mit schweren Waffen ausgetragenen

Gefecht, in dessen Verlauf

ein Anschlag auf die Moschee des

Präsidentenpalastes verübt wurde.

Saleh wurde schwer verletzt noch

in der gleichen Nacht nach Saudi-

Arabien zur Behandlung ausgeflogen.

Trotz anders lautender Beteuerungen

Salehs und seiner Getreuen

wird er wohl nicht in den Jemen

zurückkehren. Nicht zuletzt die

saudischen „Gastgeber“ haben

dies mehrfach klar gemacht. Seine

Rückkehr würde die nach wie vor

kritische Lage weiter anheizen und

Saudi-Arabien ist vor allen an Stabilität

beim armen Nachbarn interessiert,

obwohl es seit Jahrzehnten

teilweise rivalisierende Stämme

unterstützt.

Formal amtiert seit Juni in Sanaa

Vizepräsident Abed Rabbo Mansur,

in den Präsidentenpalast darf er

jedoch nicht. Dort hat sich Salehs

Sohn bereits auf dem Chefsessel

eingerichtet. Er kontrolliert die

Saleh-treuen Teile der Sicherheitskräfte

und setzt die Kämpfe mit

den Hashid und den abtrünnigen

Teilen der Armee fort. Die weiter

auf dem Platz vor der Universität

Demonstrierenden sitzen zwischen

den Stühlen und rufen zur Waffenruhe

auf. Der Golf-Kooperationsrat,

ein Zusammenschluss der

Golf-Staaten, bei dem der Jemen

nur assoziiertes Mitglied ist, müht

sich seit Monaten mit einer Vermittlungsinitiative

ab. Noch in Sanaa

hatte Saleh eine Einigung mehrfach

im letzten Moment platzen lassen.

Das Chaos macht sich Al-Kaida

zu Nutze, deren jemenitischer Ableger

gemeinsam mit dem saudischen

Zweig des Terrornetzes inzwischen

als „Al-Kaida auf der arabischen

Halbinsel“ firmiert. Sie hatte bereits

den Anschlag auf das US-Kriegsschiff

„USS Cole“ im September

2000 verübt.

Ein Selbstmordattentat im August

2009 kostete fast dem saudischen

stellvertretenden Innenminister

Prinz Mohammed bin Nayef das

Leben. Spätestens seit dem Tod von

Osama bin Laden dürfte sich der

Schwerpunkt von Al-Kaida nunmehr

im Jemen befinden. Deren Mitglieder

treten in der Stadt Sindjibar

im Süden des Landes offen militärisch

in Erscheinung und liefern sich

verlustreiche Kämpfe mit Regierungstruppen

um die Kontrolle der

Hafenstadt in der Nähe von Aden.

Präsident Saleh hat die Bedrohung

durch Al-Kaida oft instrumentalisiert,

um seine Herrschaft

zu rechtfertigen. Um das Terror-

Netzwerk zu schwächen braucht

man jedoch nicht Saleh zurück,

sondern stabile Verhältnisse und

wirtschaftliche Entwicklung. Sie ist

auch im Jemen Grundlage für eine

Alternative zu Despotie und militantem

Islamismus. Hier könnten

die reichen Nachbarstaaten am Golf

als erste helfen.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Berlin Deutschland