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Papst Benedikt XVI. und die Ökumene aus evangelischer Sicht

von Dr. Oliver Schuegraf
Am 23. September 2011 besucht erstmals ein Papst eine Lutherstätte – das Augustinerkloster in Erfurt. Während seines Pontifikats hat Papst Benedikt XVI. „unmissverständliche Bekenntnisse zur Ökumene“ abgelegt, so Dr. Oliver Schuegraf, Oberkirchenrat für Ökumenische Grundsatzfragen und Catholica der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Der vom Papst selbst gesteckte Rahmen, „alles in seiner Macht Stehende“ zu tun, ist bislang noch nicht ausgeschöpft. Dies weckt Hoffnung auf weitere Schritte während seines Pontifikats und lässt gespannt nach Erfurt blicken...

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Im Februar dieses Jahres gelangte ein Brief Papst Benedikt XVI. an die Öffentlichkeit, der für einige Überraschung sorgte. Der Papst äußerte sich gegenüber dem Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland zu der geplanten ökumenischen Begegnung mit Vertretern der EKD während seiner anstehenden Deutschlandreise: „Den zuständigen Instanzen habe ich inzwischen mitgeteilt, dass in dem Land, in dem die Reformation ihren Ursprung nahm, ein stärkerer ökumenischer Akzent notwendig ist. Ich werde alles tun, damit die Begegnung mit den evangelischen Christen gebührenden Raum erhält“.

Der Papst möchte der Ökumene gebührenden Raum geben. Diesen Eindruck konnte auch die Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) nach einer Privataudienz mit dem Papst im Januar dieses Jahres von Rom mit nach Hause nehmen: „Der ökumenische Dialog kann heute von der Wirklichkeit und dem Leben aus dem Glauben in unseren Kirchen nicht mehr abgetrennt werden, ohne ihnen selbst Schaden zuzufügen“, hielt der Papst fest und bekräftigte die Überzeugung seines Vorgängers, Johannes Pauls II., dass die Verpflichtung der katholischen Kirche zur Ökumene, „keine bloße Kommunikationsstrategie in einer sich wandelnden Welt (ist), sondern eine Grundverpflichtung der Kirche von ihrer Sendung her.“ In diesen Äußerungen und ähnlichen wird deutlich: der Papst bekennt sich zur Ökumene.

Weniger bekannt dürfte sein, dass das Zustandekommen der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund (LWB) im Jahre 1999 maßgeblich auch dem damaligen Chef der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, zu verdanken war. Das Ziel der angestrebten Unterzeichnung eigentlich schon vor Augen, sorgte die „Antwort der Katholischen Kirche“ auf die Gemeinsame Erklärung für erhebliche Irritationen. Der Text offenbarte eine erstaunliche Nichtvertrautheit mit dem ökumenischen Dialog und formulierte überraschend einige Vorbehalte gegen das in der Gemeinsamen Erklärung entfaltete Verständnis des Rechtfertigungsgeschehens. Mit einer Unterzeichnung hätten so beide Seiten den Text auf sehr unterschiedliche Weise und damit nur mit Einschränkungen bestätigt, ein Verfahren auf das sich die Lutheraner nicht einlassen konnten. Dank eines direkten Treffens Kardinal Ratzingers mit Vertretern des LWB im Hause seines Bruders in Regensburg konnten die noch offen Problemen angegangen, der ins Stocken geratene Prozess wieder auf den Weg gebracht und die Ziellinie erreicht werden: Am 31. Oktober 1999 wurde erstmals in der Geschichte eine theologische Erklärung zwischen der römisch-katholischen Kirche und den lutherischen Kirchen feierlich verabschiedet und damit auch verbindlich rezipiert, nicht zuletzt dank des starken Engagements des heutigen Papstes.

Offene Fragen

Der Erfolg des ökumenischen Dialogs der letzten 50 Jahre hat dazu geführt, dass wir nun bei den harten und kontroversen Kernfragen angekommen sind: Kirchen-, Amts- und Sakramentsverständnis. So lässt das Tempo der Fortschritte nach, bei einigen hingegen nimmt die Frustration an der Ökumene zu. In dem gemeinsamen Ringen um diese zentralen Fragen ist Joseph Ratzinger auch als Papst Benedikt XVI. seiner konservativen Grundhaltung treu geblieben. Darin bleibt er ein berechenbares ökumenisches Gegenüber, auch wenn evangelische Christinnen und Christen manche dieser theologischen Überzeugungen und die daraus resultierenden ökumenischen Konsequenzen so nicht teilen können. Einige Beispiele seien genannt:

Insgesamt scheint es im Moment wieder offen, wohin die römisch-katholische Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils unter Papst Benedikt XVI. gehen wird. Sind die so wichtigen ökumenischen Neuaufbrüche und konstruktiven Fortschreibungen der Tradition, die das Konzil errungen hat, durch eine Interpretation der Konzilstexte gefährdet, die diese Texte in strenger und ungebrochener Kontinuität mit älteren Lehraussagen liest? Evangelische Christen fragen sich, was im beiderseitigen Dialog vielleicht alles möglich wäre, wenn der Papst eine ähnliche Großzügigkeit und „Nachsicht bis zum Äußersten“ an den Tag legen würde, wie in seinem Versuch, die Gemeinschaft mit den Piusbrüdern wiederherzustellen.

Im Jahre 2000 wurde den reformatorischen Kirchen bescheinigt, dass sie nach römisch-katholischer Lehre nicht „Kirchen im eigentlichen Sinne“ seien. Wäre es mittlerweile nicht möglich gewesen, eine Korrektur an der für evangelische Ohren anstößigen Formulierung vorzunehmen? Die zweifellos bestehenden Differenzen im Kirchenverständnis ließen sich auch anders ausdrücken, wie Überlegungen von Kardinal Lehmann oder Kardinal Kasper gezeigt haben. Stattdessen hat die römische Glaubenskongregation unter Zustimmung von Papst Benedikt XVI. im Jahre 2007 das Urteil mit derselben schroffen Wortwahl nochmals wiederholt. Selbst Differenzen könnten verbindender dargestellt werden.

Auch die Regensburger Rede des Papstes führte 2006 nicht nur in der muslimischen Welt, sondern auch bei evangelischen Christinnen und Christen zu Irritationen. Die These des Papstes, dass Reformation und Aufklärung die Verbindung zwischen Vernunft und Glaube gelöst hätten, wurde als zu pauschal empfunden. Der Weg zur Neuzeit wird damit als Verfallsgeschichte gedeutet, wobei z.B. übersehen wird, dass gerade Kant sich der Herausforderung stellte, den Gottesgedanken auch vor der philosophischen Vernunft abzusichern.

Die unterschiedlichen Positionen zum gemeinsamen Abendmahl sind bekannt und aus der jeweiligen Perspektive auch theologisch begründet. So müssen evangelische Christinnen und Christen einerseits respektieren, dass die römisch-katholischen Lehrüberzeugungen im Kirchen- und Amtsverständnis im Moment eine generelle eucharistische Gastfreundschaft oder gar vollständige Abendmahlgemeinschaft nicht zulassen. Andererseits werden die evangelischen Kirchen gemäß ihrer theologischen Überzeugungen weiterhin alle getauften Christen zu ihren Mahlfeiern einladen. Es bedarf weiterer Anstrengungen im Amts- und Einheitsverständnis, um die beeindruckenden, bereits erreichten Annäherungen in den ehemals strittigen Eucharistiefragen auch für eine gemeinsame Mahlfeier fruchtbar machen zu können. Bis dahin bleibt es Hoffnung der evangelischen Kirchen, dass zumindest die Regelungen für den gemeinsamen Eucharistieempfang konfessionsverbindenener Ehepartner weiter ausgebaut werden können.

Gemeinsames Verständnis und neues Hören auf die Heilige Schrift

Die bereits erwähnte Begegnung des Papstes mit Vertretern der evangelischen Kirchen wird am 23. September im Erfurter Augustinerkloster stattfinden. Damit besucht erstmals ein Papst eine der Lutherstätten. Von 1505 bis 1511 wirkte Martin Luther im Augustinerkloster, das bis heute ein Ort der Bildung und des Gebetes ist. Das Kloster war Ort seiner Primizfeier. Hier erfuhr er seine spirituelle, intellektuelle und akademische Prägung, gefördert und beeindruckt von seinen Mönchsbrüdern. Insbesondere die zentrale gnadentheologische Einsicht, dass Gott das Leben und die Rettung des Sünders wolle und deshalb die Sünde verdamme, um die Person zu retten, ist Luther hier von seinem Beichtvater Johann von Staupitz nahegebracht worden. Auch sein Interesse an der Bibel wurde schon in Erfurt geweckt. Angeleitet von seinen dortigen Lehrern kam er zu der Erkenntnis, dass der Bibel ein Vorrang über jegliche kirchliche Tradition oder andere Wahrheitsinstanzen zukomme.

In mehreren Interviews hat der „Ökumene-Bischof“ der Deutschen Bischofskonferenz, Gerhard Ludwig Müller, die Überzeugung geäußert, dass der Papst als „Zeuge und Verkünder des Evangeliums“ nach Deutschland komme. Die Geschichte Erfurts bietet eine großartige Chance, dies deutlich zu machen. Von Erfurt könnte die gemeinsame evangelisch/römisch-katholische Botschaft ausgehen, dass wir heute die Heilige Schrift wieder als einigendes Band verstehen; von einem Zeichen der Trennung ist sie zu einem Zeichen der Gemeinsamkeit geworden. Zu Recht hat der Papst in seinem Apostolischen Schreiben „Verbum Domini“ Ende letzten Jahres betont, „dass das gemeinsame Hören und Meditieren der Schrift uns eine reale, wenn auch noch nicht volle Gemeinschaft leben lässt“. Gemeinsam sollen sich Christinnen und Christen unterschiedlicher Konfessionen von der Neuheit des Wortes Gottes überraschen lassen, fordert der Papst. Die gemeinsame Lektüre der Schrift ist in der Tat bereits heute möglich (im Stundengebet, in Andachten, Hauskreisen, regionalen Gesprächsrunden, der universitär-ökumenischen Ausbildung) – und zwar sofort und ganz unabhängig von den noch offenen Fragen, wie genau die angestrebte Gemeinschaft aussehen soll oder wann die gemeinsame Eucharistie möglich ist. Doch wir dürfen den Blick nicht nur auf uns selbst und unsere Kirchen richten. Vielmehr ist uns heute gemeinsam die Aufgabe gestellt, die Bibel als lebendiges und befreiendes Wort Gottes über den kirchlichen Raum hinaus in die Gesellschaft zu vermitteln.

Die Taufe als Band der Einheit für Fortschritte im Dialog nutzen

Nur 150 km von Erfurt entfernt befindet sich ein weiterer ökumenisch symbolträchtiger Ort: der Taufstein des Magdeburger Doms. Im Jahre 2007 wurde dort die Magdeburger Erklärung zur Taufe sowohl von der römisch-katholischen Kirche als auch von der Evangelischen Kirche in Deutschland unterzeichnet. Beide Kirchen erkennen in ihr gemeinsam mit neun weiteren jede nach dem Auftrag Jesu vollzogene Taufe gegenseitig als gültig an. Dies ist möglich aufgrund einer ökumenisch bedeutsamen Erkenntnis: „Als ein Zeichen der Einheit aller Christen verbindet die Taufe mit Jesus Christus, dem Fundament dieser Einheit. Trotz Unterschieden im Verständnis von Kirche besteht zwischen uns ein Grundeinverständnis über die Taufe.“

Die Gemeinschaft der Kirchen gründet im Heilshandeln Gottes in Jesus Christus. Jeder Christ ist Kraft seiner Taufe Kind Gottes und wird an seinem Reich teilhaben; zugleich wird er durch die Taufe vereint mit allen Getauften, wird Glied am Leib Christi und in Christus Teil des Volkes Gottes aller Zeiten und Orte. Die Taufe ist also nicht nur ein individuelles Geschehen, sondern sie gliedert die Getauften ein in eine umfassende Gemeinschaft, die nicht durch Raum und Zeit begrenzt ist. Die Einheit dieser Gemeinschaft hängt also nicht vom Willen der Glieder oder von der Qualität ihrer Beziehungen ab. Sie gründet im Handeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Der eine Leib Jesu Christi wird zum Ursprung des einen Leibes der Kirche. Daher kann die Taufe als das „grundlegende Band der Einheit“ bezeichnet werden.

Gerade auf diesem Hintergrund ist es umso schmerzlicher, dass wir als Kirchen nach wie vor getrennt sind, obwohl wir unsere Taufe gegenseitig anerkennen können. Begrüßenswert wäre es, wenn von der Begegnung in Erfurt neue Impulse ausgehen könnten, welche Bedeutung dieses grundlegende Band der Einheit für das Wachsen der Gemeinschaft unserer Kirchen hat. Mit der gegenseitigen Anerkennung unserer Taufen stehen wir in der Verpflichtung, die ekklesiologischen Konsequenzen dieser Feststellung stärker zu ergründen und alle Anstrengungen zu unternehmen, dass wir uns durch eine gemeinsam durchdachte Tauftheologie auch im Kirchenverständnis näher kommen und wir so neue Konzepte der Annäherung entwickeln können. Besonders die gottesdienstliche Realisierung (nicht-eucharistischer) kirchlicher Gemeinschaft könnte auch auf der Reise des Papstes Impulse in dieser Richtung geben.

Konkrete Schritte, die das Herz erfassen und das Gewissen aufrütteln

Bereits am 20. April 2005, einen Tag nach seiner Wahl zum Papst, hat Benedikt XVI. in seiner ersten Predigt ein unmissverständliches Bekenntnis zur Ökumene abgelegt. In der Nachfolge Petri habe er „als vorrangige Verpflichtung die Aufgabe, mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten.“ Dies sei sein Bestreben und dringende Pflicht, nicht zuletzt weil jeder „eines Tages Rechenschaft ablegen muss über das, was er getan, und das, was er nicht getan hat im Hinblick auf das große Gut der vollen und sichtbaren Einheit aller seiner Jünger.“ Er sei bereit, „alles in seiner Macht Stehende zu tun“, um die Ökumene zu fördern und jede Initiative zu pflegen, die angemessen erscheinen mag, um die Kontakte und das Einvernehmen mit den Vertretern der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu fördern. Dass er diesen selbst gesteckten Rahmen – „alles in seiner Macht Stehende“ – bislang bei weitem nicht ausgeschöpft hat, weckt Hoffnung auf weitere Schritte noch während seines Pontifikats. Die Erfurter Begegnung kann als eine Umsetzung dieser Verpflichtung verstanden werden. Doch noch ein weiterer Satz in der Predigt Benedikt XVI. verdient Beachtung: „Es bedarf konkreter Gesten, die das Herz erfassen und die Gewissen aufrütteln, indem sie jeden zu der inneren Umkehr bewegen, die die Voraussetzung für jedes Fortschreiten auf dem Weg der Ökumene ist.“

Theologisch ist in den letzten Jahrzehnten Vieles aufgearbeitet worden. Vermeintlich kirchentrennende Gegensätze konnten in einen differenzierten Konsens überführt werden. Dies belegen die zahlreichen Dokumente evangelisch-lutherisch/römisch-katholischer Kommissionen auf internationaler aber auch nationaler Ebene eindrucksvoll. Doch meist stehen die offizielle Rezeption und verbindliche Umsetzung dieser Erkenntnisse noch aus. Neben der theologischen Annäherung bedarf es eben auch gemeinsamer konkreter Gesten, besser sogar noch: konkreter Schritte hin zur engeren Gemeinschaft zwischen den beiden Kirchen. Schritte, die das Herz erfassen und die Gewissen aufrütteln. Diese Aufforderung Papst Benedikt XVI. sollten sich beide Kirchen zu Herzen nehmen.

Dr. Oliver Schuegraf ist seit 2008 Oberkirchenrat für Ökumenische Grundsatzfragen und Catholica der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Er studierte Theologie in Erlangen, Jerusalem (Theologisches Studienjahr an der Dormitio) und Bonn; später promovierte er in Neuendettelsau. Er ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Nach dem Vikariat arbeitete er als lutherischer Studierendenseelsorger an der Universität Coventry (England) und war Koordinator der weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft an der anglikanischen Kathedrale von Coventry, dann Gemeindepfarrer in Feuchtwangen.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Berlin Deutschland