Die Selbstüberschätzung politischer Internet-Utopien
Einzeltitel
Utopien von einer grundlegenden Veränderung der
Demokratie durch das Internet sind in der politischen
Netz-Community sehr populär. Weil es örtliche und
räumliche Grenzen aufhebe und so viele Menschen
erreiche, biete das Netz den Einstieg in eine plebiszitär-
basisdemokratische Gesellschaft und läute das
Ende der repräsentativ-parlamentarischen Demokratie
ein. In diesem Sinne wurde und wird das Internet
immer wieder zum Demokratiemedium stilisiert.
Dreifache digitale Spaltung
Dabei wird übersehen, dass das Internet als Kommunikationsraum
im Alltag der Menschen noch lange nicht mit der Bedeutung von Radio und Fernsehen zu
vergleichen ist. Als reine Konsummedien erreichen sie
in den industrialisierten Ländern fast 100 Prozent der
Bevölkerung. Das Internet ist ein Aktivitätsmedium
und kommt wohl auch deshalb trotz aller Wachstumsraten
weder in Europa noch in den USA über eine Abdeckung von höchstens 70 bis 80 Prozent der
Bevölkerung hinaus.
Selbst in einem reichen Industrieland wie Deutschland
ist eine dreifache digitale Spaltung Gesellschaft
zu beobachten: Erstens ist ein Drittel der deutschsprachigen
Bevölkerung über 14 Jahre mangels Zugang
generell vom Internet ausgeschlossen. Zweitens nutzt
ein Drittel derer, die einen Internetzugang haben, die
bestehende Zugangsmöglichkeit nur selten. Insgesamt
kann nur etwa die Hälfte der deutschsprachigen
Bevölkerung über 14 Jahre als regelmässige Internetnutzer
gelten. Drittens beschränken sich zwei Drittel
der regelmässigen Nutzer auf wenige, vor allem passiv-
konsumierende Nutzungsarten und nehmen die
vielfältigen interaktiven Möglichkeiten des Mediums
praktisch nicht in Anspruch.
Allenfalls ein Fünftel der in Deutschland lebenden
deutschsprachigen Menschen über 14 Jahre ist also
internetaffin in dem Sinne, dass sie das Internet nicht
nur als Abrufmedium, sondern als Kommunikationsplattform
nutzen. Es wäre ein grosser Fehler davon
auszugehen, dass nur existiert, was digital existiert. Demokratie würde sich selbst ad absurdum führen,
wenn sie sich auf das Internet fokussiert und Netzbürgern
mehr Bedeutung zumisst als denen, die das Medium
nicht nutzen können oder wollen.
Das gilt umso mehr als der Cyberspace selbst für seine
Bewohner viel mehr Markt- und Spielplatz als Politikforum
ist. Der Anteil politischer Webseiten liegt im
deutschsprachigen Netz unter einem Prozent und in
den USA nur unwesentlich höher. Die Zugriffsraten
auf das politische Angebot sind zudem deutlich unterdurchschnittlich.
Das Internet ist nicht zu politischen Zwecken erfunden, erprobt und entwickelt
worden und wird auch nur von einer kleinen Minderheit
dazu genutzt.
Die freiheitliche Demokratie zählt zwar auf das Engagement
der Bürger für ihre Gesellschaft, räumt ihnen
aber ausdrücklich auch das Recht ein, unpolitisch zu
sein. Dass die Menschen davon gerne Gebrauch machen,
spiegelt sich auch im Internet: Bei YouTube
haben allein 17 Comedians und 47 Musiker mehr Aufrufe
als der amerikanische Präsident als weltweit
mächtigster Politiker. Drei Einzelpersonen haben die
Milliardengrenze bei der Abfrage ihrer Videos überwunden:
Es sind die Popstars Lady Gaga, Justin Bieber
und Shakira. Politiker sind Lichtjahre davon entfernt.
Das gilt auch für institutionelle Angebote: Einsamer
Spitzenreiter bei YouTube-Nutzung ist der Bildungskanal
"Expertvillage", dessen Videos seit der Gründung
des Kanals 2006 bis Ende März 2011 über
1,8 Milliarden mal angesehen wurden. Die meisten
Abonnenten, nämlich über 850’000, hat der Kanal
"Household Hacker" mit Tipps rund um den Haushalt.
Das Weisse Haus kommt nur auf 133’000 Abonnenten.
Die Nutzerzahlen für verschiedene Webseiten bestätigen
die Politikferne des Internets. Selbst bei den Internet-Blogs, wo man am ehesten eine politische Oase
im Cyberspace vermuten würde, findet sich Politik nur
als exotische Nischenexistenz. Ein Verzeichnis von
über 11’000 deutschsprachigen Blogs listet insgesamt 1’369 Blogs zu Internetthemen, 1’343 Privat-
Blogs, 1’129 Computerblogs und nur 369 Politikblogs
gegenüber 539 Reiseblogs auf. Am meisten besucht
werden ein Schnäppchen-, ein Spiele- und ein Hobby-
Blog. Erst auf Rang 20 folgt der populärste Politik-
Blog.
Geschwindigkeitsrausch, digitale Vereinfachung und Hysteriefalle
Als Markt- und Spielplatz orientiert sich das Internet
zwar nicht am politisch Sinnvollen, aber die typischen
Charakteristika der Netzkultur setzten die Politik unter
neuen Druck. So ist Schnelligkeit im Cyberspace
das höchste Gut. Baut sich eine Seite zu langsam auf,
klicken wir weiter. Gibt eine Suchmaschine die Antwort
auf unsere Fragen zu langsam, wechseln wir den
Anbieter. Im Internet ist der schnelle Klick die gültige
Währung, Politik erscheint demgegenüber träge und
langsam. Schnelligkeit ist aber kein Ausweis von Demokratiesteigerung,
ihr wohnt die grosse Gefahr der Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit inne. Im Gegenteil
dazu zeichnen sich stabile Demokratien dadurch aus,
dass sie Entscheidungen ihre Reifezeit geben.
Den Geschwindigkeitsdruck im Internet begünstigt
auch eine Atmosphäre sich schnell wandelnder Stimmungen
und Emotionen. Noch gibt es im Internet
auch reflektierende Kommunikationsformen. So hat
die ursprüngliche Textorientierung des Internets eine
durchaus heilsam rationalisierende Wirkung. Zugleich
hebt der Trend von der textgebundenen zur bildorientierten
Nachricht diese Rationalitätsebene der
Netzwelt zunehmend auf.
Die Verstärkung des emotionalen Spontaneindrucks
durch die Bildorientierung des Internets steht nicht
nur im Widerspruch zum Rationalitätsanspruch von
Politik in der freiheitlichen Demokratie. Diese Entwicklung
ist in gewisser Weise auch komplementär zur Tendenz zur Vereinfachung, die dem Internet
schon durch die digitale Struktur innewohnt und
einen weiteren Gegensatz zwischen der virtuellen
Netzwelt und der demokratischen Politikwelt konstituiert:
Digitales Denken privilegiert die einfache
Wahl zwischen A und B. Politisches Denken dagegen
ist komplex.
Insgesamt ist das Internet auch ein nervöses Skandalisierungsmedium.
Nirgends entstehen so viele Gerüchte und nirgends werden sie so schnell verbreitet wie
im Internet. Dies ist auch einem oberflächlichen Spieltrieb
geschuldet, der in der Weitergabe einer im Netz
gefundenen Nachricht einen von deren Inhalt oder
Seriosität unabhängigen Selbstzweck sieht. Wer zur
Verbreitung beiträgt, sieht sich im Internet selten verantwortlich
für den Inhalt des Weitergegebenen. Was aber viele verbreiten, wird schnell von allen geglaubt.
Die "Weisheit der Massen" und Politisierung als Gruppenzwang
Diejenigen, die im Internet den neuen Ort demokratischer
Willensbildung sehen, sind nicht nur von der
Schnelligkeit des Netzes fasziniert, die die schnelle
Meinungsverdichtung zu einem Meinungsbild ermöglicht.
Sie führen auch ins Feld, dass im Internet
wegen seiner grossen Reichweite viele Menschen
einbezogen werden könnten und die Klugheit einer
Entscheidung mit der Zahl der an ihr Beteiligten steige.
Während der Fokus der freiheitlichen Demokratie auf
dem Einzelnen, seinen Rechten, Pflichten und Beteiligungschancen
ruht, ist im Internet ganz in der Tradition
der "volonté générale" von Jean-Jacques Rousseau
die grosse Zahl entscheidender Bezugspunkt.
Dort ist von der "Wisdom of Crowds" die Rede, die
James Surowiecki 2004 in seinem gleichnamigen
Buch mit dem Untertitel erläuterte: "Why the Many
Are Smarter Than the Few and How Collective Wisdom
Shapes Business, Economies, Societies and Nations". Dieses Konzept proklamiert die in der Netzcommunity
sehr populäre Theorie, dass auch einer
zufällig zusammengekommenen Gruppe von Menschen
hohe Entscheidungsbefugnis für alle zukommt.
Kleine Zufallsgruppen sind sogar charakteristisches
Merkmal der Entscheidungsbildung im Internet. Dies
gilt umso mehr, als das Internet als Aktivitätsmedium
nicht nur die Menschen ohne Netzzugang oder Netzzugangswillen
komplett ausblendet, sondern auch unter der Minderheit der politisch Interessierten noch
die Kleingruppe der politischen Aktivisten privilegiert.
Die Herrschaft der Stärkeren und Lautesten dominiert
als digitales Faustrecht die ungeregelten digitalen
Netzwelten.
Dem plebiszitären Reiz des Internets, möglichst häufig
möglichst viele möglichst schnell entscheiden zu
lassen, liegt auch die Fehlannahme vom politisierten
Bürger als Regelfall zu Grunde. Aber das Grundverständnis
einer freiheitlichen Gesellschaft ist nicht vereinbar
mit einem indirekten Zwang zum politischen
Aktivismus. Es schützt damit auch die Schwächeren:
weniger politisch Interessierte, weniger Lautstarke
und weniger gut Organisierte. Vertreter zu wählen,
die sich in eine Materie einarbeiten und dadurch besser
als anderer Bescheid wissen, ist das gute Recht
jedes Bürgers, ebenso wie er das Recht hat, durch eigenes
Engagement die Entscheidungsfindung unmittelbar
zu beeinflussen.
Minderheiten-Spielplatz im Cyberspace
Wer das Recht auf Repräsentation durch Fokussierung
auf die plebiszitären Versuchungen des Internets
leugnet, lässt eine neue weitere doppelte
digitale Spaltung zu: Er schliesst aus dem Entscheidungsprozess
nicht nur die aus, die gar nicht im Netz
sind, sondern diskriminiert zugleich jene, die dort ihr
Recht auf Freiheit von Politik in Anspruch nehmen.
Die oft propagierte plebiszitäre Cyberdemokratie
nimmt ihnen die Chance der Delegation.
Interessanterweise hat im Juni 2011 eine repräsentative
Umfrage der Bertelsmann-Stiftung bestätigt, dass 94 Prozent (!) der Bundesbürger in Wahlen die
beste Form der politischen Beteiligung sehen. 39 Prozent
der Bundesbürger gaben sogar ausdrücklich an,
sich über Wahlen hinaus nicht am politischen Prozess
beteiligen zu wollen. Abstimmungen im Internet wurden
von 54 Prozent der Befragten ausdrücklich abgelehnt.
Während 64 Prozent schon einmal an einer Bürgerversammlung
teilgenommen haben oder sich das vorstellen können und immerhin 54 Prozent auch Leserbriefe
zu schreiben für möglich halten, stehen nur
39 Prozent elektronischen Petitionen und nur 32 Prozent
Internet-Blogs prinzipiell positiv gegenüber. Die
Bertelsmann-Stiftung fasst zutreffend zusammen:
"Möglicherweise in der öffentlichen Diskussion bislang überschätzt werden dagegen die neuen Formen
der Meinungsbildung und Bürgerbeteiligung über das Internet. Offensichtlich sind diese Formen der Beteiligungsmöglichkeit nur für eine qualifizierte Minderheit begehrt."
Dennoch werden im Internet inzwischen von einer
Vielzahl von Anbietern Fragen zu allen möglichen
Themen zur Abstimmung gestellt. Nicht selten wird
explizit oder implizit der Anspruch verbunden, aus
den Ergebnissen könne man die Meinung des Volkes
ablesen oder zumindest seine Stimmungen erkennen.
Wiewohl in keiner Weise repräsentativ und höchst
manipulationsanfällig, wirkt diese Suggestion –
besonders in der Verstärkung durch konventionelle
Medien – durch die Magie der Zahl.
Abstimmungsresistente Internet-Community
Schon in der Netzcommunity selbst sind bisherige
Versuche von Internetabstimmungen aber kläglich
gescheitert. Prominentestes Beispiel dafür ist wohl
die Abstimmung, zu der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg
alle Facebook-Mitglieder vom 16. bis 23.
April 2009 aufgerufen hatte. Es ging um die Neufassung
der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die
zuvor im Internet heftige Debatten ausgelöst und zu
massiver Kritik vieler Nutzer an Zuckerberg geführt
hatte. Als Reaktion darauf bot Zuckerberg die Abstimmung
an und erklärte, dass bei einer Beteiligung von
30 Prozent der "aktiven registrierten Facebook-Mitglieder" die Ergebnisse bindend sein sollten.
Aber die Bilanz dieses ersten Nutzervotums fiel äusserst
ernüchternd aus. Trotz erheblicher Werbemassnahmen
hatten nur 0,3 Prozent (665.654 von damals
200 Millionen) der Facebook-Mitglieder teilgenommen.
Es hatte sich gezeigt, dass die engagierte Internetdebatte
einer kleinen Nutzergruppe keineswegs
eine nennenswerte Breitenresonanz auslösen konnte.
Auch in der als Internetpartei gegründeten Piratenpartei
führen Online-Abstimmungen nicht zu einer
Mobilisierung. An der Abstimmungsplattform "Liquid
Feedback" beteiligt sich nur harter Kern von ca. fünf
Prozent der Parteimitglieder. Das von den Piraten propagierte
Konzept einer "flüssigen Demokratie" ("Liquid
Democracy") als tägliches politisches Plebiszit
privilegiert nicht nur politische Aktvisten, sondern
auch darunter diejenigen, die in ihrem beruflichen
und privaten Leben dafür die notwendige Zeit aufbringen
können. Im Internet geben diese "Zeitreichen" den Ton an. Sie sind aber zugleich nur eine verschwindend
kleine Gruppe.
Angesichts dieser ernüchternden Erfahrungen selbst
internetaffiner Gruppierungen mit der sehr geringen
Beteiligung an Internet-Abstimmungsplattformen ist
der Enthusiasmus mancher staatlicher Stellen umso
verwunderlicher. Insbesondere auf kommunaler Ebene
sind solche Verfahren seit einiger Zeit weitgehend
unhinterfragte Mode. So haben bisher etwa 100 deutschen
Städte und Gemeinden das Verfahren des internetbasierten
‹Bürgerhaushaltes› durchgeführt.
Manipulationsanfälliger Online-Bügerhaushalt
Dabei werden den Bürgern von der Verwaltung bzw.
dem Rat ausgesuchte und von ihnen selbst eingebrachte
Kürzungsvorschläge für den städtischen
Haushalt zur Bewertung und Abstimmung vorgelegt.
Auch die Teilnahme an solchen Verfahren ist vernichtend
gering. Extremstes Beispiel ist wohl Hamburg,
wo sich 2009 nur 552 Bürger als Teilnehmer registriert
hatten. Das ist ein gar nicht mehr zu messender verschwindender
Anteil der über 1,2 Millionen Hamburger
Wahlberechtigten. Aber auch in kleineren Städten
ergibt sich kein grundsätzlich anderes Bild.
Nur wenige Menschen beteiligen sich an solchen
Online-Haushalten, obwohl zur Registrierung eine
E-Mail-Adresse genügt. Weder wird überprüft, ob es
sich dabei um einen Bürger der betroffenen Kommune
handelt, noch wird sichergestellt, dass sich nicht
die gleiche Person mit mehreren verschiedenen
E-Mail-Adressen beteiligt. Über 90 Prozent der Teilnehmer
benutzen bei diesen Verfahren nämlich nicht
ihre tatsächlichen Namen, sondern nehmen mit Pseudonymen
teil. Aus den bisherigen Erfahrungen kann
man schliessen, dass bis zu einem Drittel der eingetragenen
Registrierungen aus Mehrfachabstimmungen
bzw. von Ortsfremden stammen.
Aber selbst wenn man dieses Problem ignoriert und
hinter jeder registrierten E-Mail-Adresse einen ortsansasässigen
Bürger vermutet, liegt die Beteiligung
bei höchstens drei Prozent der Wah lberechtigten
( 2009 in Köln 1,2 Prozent , 2010 in Solingen 2,8 Prozent,
in Essen 0,8 Prozent, in Gütersloh 2,1 Prozent
und 2011 in Bonn ca. 3 Prozent). Berücksichtigt man,
dass das Internet-Abstimmungsverfahren vier Wochen
lang rund um die Uhr, ortsunabhängig und
ohne Alterskontrolle angeboten wurde, während die
Stimmabgabe bei einer Wahl wesentlich stärkeren
örtlichen und zeitlichen Einschränkungen unterliegt,
fällt der deutliche Beteiligungsunterschied noch dramatischer
aus.
Als Internetverfahren blieben ‹Bürgerhaushalte› in
allen kommunen Foren für eine kleine hochaktive
Minderheit, die sowohl über einen Internetzugang verfügte als auch über die Zeit, sich mehrere Stunden
durch die ausserordentlich komplexen Internet-Plattformen
zu kämpfen.
Überschätzte Wahlbeteilungspotentiale
Von auf Einzelfragen bezogenen plebiszitär motivierten
Internet-Abstimmungen zu unterscheiden ist
die Idee der Durchführung von Wahlen im Internet.
Dieser Vorstellung liegt in der Regel nicht die Absicht
zugrunde, die repräsentative Demokratie durch eine
plebiszitäre zu ersetzen. Es geht vielmehr darum, mit
dem Internet mehr Bürger zur Teilnahme an Wahlen
anzusprechen, als dies auf klassischem Weg möglich
ist, oder zumindest die Teilnahme an Wahlen zu erleichtern.
In diesem Sinn ist das Thema Internetwahlen
seit langem ein Dauerthema in der Debatte.
An dieser Stelle soll nicht auf die Frage eingegangen
werden, ob es möglich ist – ähnlich wie beim Online-
Banking – die notwendigen technischen Anforderungen
zur Gewährleistung von allgemeinen, unmittelbaren,
freien, gleichen und geheimen Wahlen im
Internet zu schaffen und die Gefahr der Wahlmanipulation
auszuschliessen. Selbst bei der Lösung dieses
Problems bleibt die Frage, ob sich hier die Möglichkeit
zur Erhöhung der Wahlbeteiligung eröffnet.
Dabei wird übrigens fälschlicherweise unterstellt, es
gebe einen anhaltenden Trend zurückgehender
Wahlbeteiligungen. Tatsächlich sind aber Schwankungen
in der Wahlbeteiligung zu beobachten. Das
zeigen beispielsweise die deutschen Landtagswahlen
seit der Bundestagswahl 2009: Zuwächsen der Wahlbeteiligung
in Baden-Württemberg (+12,8), Sachsen-
Anhalt (+6,8), Rheinland-Pfalz (+3,6) und Berlin (+2,2)
stehen Rückgänge in Bremen (-3), Hamburg (-5,2)
und vor allem in Mecklenburg-Vorpommern (-7,4)
gegenüber.
Auf ein gewisses Potential für Internetwahlen deutet
aber der gleichzeitige Anstieg der Zahl von Briefwählern
hin. In Deutschland hat sich der Anteil der Briefwahl
an Bundestagswahlen seit ihrer Einführung
1957 von 4,9 Prozent auf 21,4 Prozent 2009 erhöht.
Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2008 dieser Entwicklung
Rechnung getragen und die bis dahin zumindest
formal notwendige Begründung der Inanspruchnahme
der Briefwahl im Bundeswahlgesetz
abgeschafft. Dadurch wurde der mit den Schwierigkeiten
bei der Überwachung des Wahlgeheimnisses
begründete Ausnahmecharakter der Briefwahl weiter
relativiert.
Dabei ist die Bezeichnung "Briefwähler" inzwischen
irreführend, die Hälfte dieser Wähler nutzt die Möglichkeit
der vorgezogenen Urnenwahl, das heisst der
persönlichen Stimmabgabe nach Versendung der
Wahlbenachrichtigung in die jeweiligen Rathäuser.
Tatsächlich geht also die Beteiligung an der ortsgebundenen
Urnenwahl vor allem zurück, weil die zeitliche
Fixierung auf einen bestimmten Wahltag durch
eine vorgezogene Urnenwahl aufgehoben wird. Auf
die damit verbundenen Probleme der Folgen unterschiedlicher
Zeitpunkte der Stimmabgabe in einer
schnelllebigen Medienwelt soll hier nicht eingegangen
werden.
Ernüchternde Feldversuche
Die bisherigen Erfahrungen mit dem Instrument von
Online-Wahlen zeigen eine sehr ernüchternde Bilanz
im Blick auf das Potential zur Erhöhung von Wahlbeteiligungen.
Zu einem grossen Feldversuch kam es im
Oktober 2000 bei den weltweiten Internetwahlen für
Leitungsfunktionen bei der "Internet Corporation for
Assigned Names and Numbers" (ICANN), die unter
anderem über die Struktur des Internets und Regeln
für die Domainvergabe entscheidet. Wahlberechtigt
waren alle Internetnutzer über 16 Jahre mit einer eigenen
E-Mail-Adresse und Postanschrift, die sich vom
25. Februar bis 31. Juli 2000 zur Wahl registrieren liessen.
Zur Ausübung des Wahlrechts wurde ihnen eine
Personal Identification Number (PIN) zugesandt.
Erschwert durch die völlige Überlastung des Systems
gingen weltweit lediglich 153’593 Registrierungsanträge
ein, von denen dann aber nur 34’035 Wahlberechtigte
ihre Stimme abgaben. Wegen vieler technischer
Probleme und der geringen Beteiligung
wurde dieses Wahlexperiment nicht wiederholt. Dass
ausgerechnet die Internetexperten der Netzcommunity
Online-Wahlen bei der Selbstverwaltung des Internets
bis heute nicht gelten lassen wollen, ist ein
deutlicher Hinweis auf die überwiegenden Schwächen
dieser Wahlform.
Aber auch in anderen Bereichen wurde mit Internet-
Wahlen experimentiert. Als erste weltweit bindende
Online-Wahl gilt die Wahl des Studentenparlaments
in Osnabrück am 2./3. Februar 2000. Die Stimmabgabe
im Netz war der Stimmabgabe an der Urne und
per Briefwahl gleichgestellt. Von den ca. 10.000 wahlberechtigten
Studenten registrierten sich 409 für die
Möglichkeit der Stimmabgabe über das Internet, 313
nahmen das Wahlrecht über dieses Medium dann
auch wahr. Allerdings sagten nur 14 Prozent dieser Internetwähler,
sie hätten an der Wahl nur wegen der
Möglichkeit der Internetwahl teilgenommen.
Studentenparlamentswahlen waren in der Folge häufiger
ein Experimentierfeld für Internetwahlen, weil
dort ein besonders internetaffines Klientel vermutet
wird. Allerdings sind auch hier die Erfahrungen der
Beteiligung ernüchternd. So brachte auch die Online-
Abstimmung bei der Studentenparlamentswahl an
der schwedischen Universität Umeå 2002 keine höhere
Wahlbeteiligung. Nur zwei Prozent der Wähler
machten von dieser Möglichkeit der Stimmabgabe
im Internet überhaupt Gebrauch. Bei den Wahlen zur
"Österreichischen Hochschülerschaft" nahmen 2009
bei einer Gesamtbeteiligung von nur 25,8 Prozent nur
261 Studenten (ein Prozent aller Wahlberechtigten)
die Möglichkeit des E-Votings ohne persönliche Anwesenheit
am Studienort wahr.
Wahlzurückhaltung internetaffiner Gruppen
In anderen gesellschaftlichen Bereichen zeitigten Experimente
mit Internetwahlen ähnliche Ergebnisse:
Als grösserer Versuch zur Durchführung von Internetwahlen
kann die Entscheidung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG) im Jahr 2007 gelten, bei
immerhin rund 100.000 Wahlberechtigten die Wahl
der Fachkollegien ausschliesslich (!) im Internet vorzunehmen.
Es wurden 36.313 Stimmen abgegeben,
das heisst, selbst unter den besonders internetaffinen
Wissenschaftlern hatte sich nur etwa ein Drittel der
Wahlberechtigten bei dieser Internetwahl beteiligt.
Dies war eine geringfügig niedrigere Beteiligung als
bei der vorhergehenden letzten konventionellen
Wahl im Jahr 2003, bei der etwa 39.000 Stimmen abgegeben
worden waren. Die Umstellung auf eine Internetwahl
hatte also nicht zu einer Erhöhung der
Beteiligung geführt. Ende 2011 ist der nächste Internet-
Wahlgang bei der DFG vorgesehen.
Ganz ähnlich fallen die Erfahrungen der Gesellschaft
für Informatik e. V. aus, die ihren ca. 24.000 Mitgliedern
seit 2004 Vorstands- und Präsidiumswahlen per Internet
oder per Briefwahl anbietet. Zwar sind inzwischen
fast alle Briefwähler auf das Online-Verfahren umgestiegen,
aber eine spürbare und nachhaltige Erhöhung
der Wahlbeteiligung konnte auch bei dieser
besonders internetaffinen Gruppe nicht erreicht werden.
Sie lag bei der Wahl 2010 mit 17,5 Prozent nur
unwesentlich über der Beteiligung bei den letzten
konventionellen Briefwahlen 2002 (16,9 Prozent). Lediglich
im Jahr der Einführung der Internetwahl 2004
gab es mit 24,1 Prozent einen nennenswerten, aber
nur einmaligen Ausschlag bei der Wahlbeteiligung.
Bei staatlichen Wahlen liegen Erfahrungen mit dem
Internet in Deutschland nicht vor. Das gilt auch für die
meisten anderen demokratischen Länder. So wurden
zwar in Grossbritannien nach der historisch niedrigsten
Wahlbeteiligung bei der Unterhauswahl 2001
ca. 26 Mio. Euro in ein E-Voting-Programm investiert.
Der erste Einsatz in dreissig Städten (darunter Liverpool
und Sheffield) bei den Kommunalwahlen 2002
war freilich ernüchternd, denn nur in drei Gemeinden
stieg die Wahlbeteiligung leicht an.
Schweizer Erfahrungen
Umfangreichere Erfahrungen mit dem hier als "Vote
électronique" bezeichneten E-Voting liegen aus der
Schweiz vor. Darunter wird bei den Eidgenossen die
Stimmabgabe über das Internet, SMS und weitere
elektronische Datenkommunikationswege verstanden.
Auch in der Schweiz fand der erste Test unter Studenten
statt, und zwar bei den Studierendenratswahlen
2004 – und seitdem jährlich - an der Universität
Zürich: Von den 24.000 wahlberechtigten
Studenten beteiligten sich lediglich 2.188 Personen
(9,1 Prozent) an den Wahlen. Die Wahlbeteiligung lag
auf diesem niedrigen Niveau aber immerhin doppelt
so hoch als bei früheren Studierendenratswahlen, bei
denen noch keine elektronische Wahl möglich gewesen
war. 1.610 Personen (73,6 Prozent) benutzten das
Internet als Wahlmedium 429 Personen (19,6 Prozent)
der Wählenden entschieden sich für die Wahl mit SMS
und nur 149 Wähler (6,8 Prozent) gaben ihre Voten an
der Urne ab. Bei der folgenden Schweizer Studierendenratswahl
im Dezember 2005 sank die Wahlbeteiligung
allerdings auf wieder 7,7 Prozent und blieb bei
den jährlichen Wahlen bisher auf diesem Niveau.
Insgesamt ist in der Schweiz die "elektronische Stimmabgabe" bei allgemeinen Wahlen und Abstimmungen
seit 2003 im "Bundesgesetz über die Politischen
Rechte" verankert. Am 19. Januar 2003 erfolgte
der erste Probelauf in der Genfer Gemeinde Anières:
von den 1.161 Stimmberechtigten mit elektronischer
Abstimmungsmöglichkeit nutzten 323 die Möglichkeit
der Stimmabgabe. Bis zum Juni 2007 fanden
dann insgesamt 48 Abstimmungen mit der Möglichkeit
elektronischer Stimmabgabe insbesondere für
Auslandschweizer statt. Dabei nutzten nur 12 Prozent
der dazu Berechtigten – das ist weniger als ein Prozent
der Wahlberechtigten – diese Möglichkeit der
Stimmabgabe per Internet. Dies blieb deutlich hinter
der allgemeinen Wahlbeteiligung bei diesen Abstimmungen,
die bei ca. 30 Prozent lag, zurück.
Auch der Bericht des Bundesrates über die Pilotprojekte
zum "Vote électronique" vom 21. Mai 2006 kam
im Blick auf die Möglichkeiten zur Erhöhung der
Wahlbeteiligung durch das Angebot von Internetwahlen
zu einem skeptischen Urteil: "Die Frage nach
einer allfälligen Erhöhung der Stimmbeteiligung lässt
sich indes auch nach der wissenschaftlichen Begleitung
zahlreicher Pilotversuche unter wissenschaftlichen
Gesichtspunkten nicht schlüssig beurteilen."
Schweizer Perspektiven
Da aber bei keiner Abstimmung Pannen oder Probleme
auftraten, beschloss das Schweizer Parlament
zum 1. Januar 2008 weitere Gesetzes- und Verordnungsänderungen
für die elektronische Abstimmung.
Im "Bundesgesetz über die Politischen Rechte" heißt
es jetzt: "Der Bundesrat kann im Einvernehmen mit
interessierten Kantonen und Gemeinden örtlich, zeitlich
und sachlich begrenzte Versuche zur elektronischen
Stimmabgabe zulassen. Er kann Kantone, die
Versuche zur elektronischen Stimmabgabe über längere
Zeit erfolgreich und pannenfrei durchgeführt
haben, auf Gesuch hin ermächtigen, diese Versuche
für eine von ihm festgelegte Dauer weiterzuführen. Er
kann die Ermächtigung mit Auflagen oder Bedingungen
versehen oder die elektronische Stimmabgabe
in Abwägung der gesamten Umstände jederzeit
örtlich, sachlich oder zeitlich ausschliessen. Die Kontrolle
der Stimmberechtigung, das Stimmgeheimnis
und die Erfassung aller Stimmen müssen gewährleistet
und Missbräuche ausgeschlossen bleiben."
Im Einzelnen wurde für die "erweiterte Versuchsphase" festgelegt, die Versuche für die elektronische Stimmabgabe auszuweiten, vor allem, um Auslandschweizer
einzubeziehen. Dabei dürfen 2007 bis 2011
maximal zehn Prozent der Abstimmenden elektronisch
abstimmen, wobei die Harmonisierung der
Stimmregister in den Kantonen eingefordert wird. Die
Schweizer Bundeskanzlei begründet diese bisher nirgends
auch nur annähernd erreichte Grenze damit,
dass dann im Fall einer Panne beim E-Voting der Urnengang
nicht wiederholt werden müsse.
Bei den kantonalen Wahlen am 28. November 2010
hatten in zwölf Kantonen 28.900 Wähler ihre Stimme
auf elektronischem Weg abgegeben, etwa ein halbes
Prozent der Wahlberechtigten. Jüngst hat der Schweizer
Bundesrat als ersten Versuch für Wahlen auf Bundesebene
die Gesuche der Kantone Basel-Stadt, St.
Gallen, Graubünden und Aargau zur Durchführung
eines Vote électronique-Versuchs bei den Nationalratswahlen
vom 23. Oktober 2011 bewilligt. Dies erlaubt
es, den rund 22.000 Auslandschweizer Stimmberechtigten
der vier Kantone, ihre Stimme im Herbst
elektronisch abzugeben.
Andererseits hat sich der Kanton Zürich – seit 2004
ein E-Voting-Testgebiet der ersten Stunde – entscheiden,
das Verfahren bis 2015 auszusetzen. Die Neue
Zürcher Zeitung berichtete am 5. Dezember 2010, der
Chef des kantonalen statistischen Amtes des Kantons
Zürich habe als Wahlleiter erklärt: "E-Voting hat die
Erwartungen nicht erfüllt." Weder sei die Wahlbeteiligung
insgesamt gestiegen, noch hätten mehr junge
Wähler an den Abstimmungen teilgenommen. Ausserdem
lägen die Kosten mit 50 Franken für eine im
Inland abgegebene elektronische Stimme und 150
Franken für das E-Voting eines Auslandschweizers unverhältnismässig
hoch. Es sei eine Überprüfungspause
notwendig.
Ernüchterung in Estland und Skepsis in den USA
Besonders häufig wird in der Debatte um Internetwahlen
auf Estland verwiesen. Dort wurde die elektronische
Abstimmung am 16. Oktober 2005 bei den
Kommunalwahlen zugelassen und von 0,9 Prozent
der Wahlberechtigten genutzt. Seitdem wurde das
sogenannte E-Voting in Estland bei den Parlamentswahlen
im März 2007 von 3,4 Prozent der Wahlberechtigten
und bei den Europawahlen im Juni 2009
von 6,5 Prozent der Wahlberechtigten genutzt. Zuletzt
gaben bei den Kommunalwahlen im Oktober
2009 über 100.000 Wähler und damit 9,5 Prozent der
Wahlberechtigten ihre Stimme per Internet ab, und
zwar interessanterweise über alle Altersgruppen hinweg.
Eine Erhöhung der Wahlbeteiligung konnte dadurch
freilich nicht erreicht werden, vielmehr ersetzte
die Internet-Stimmabgabe häufig nur die bisherige
Briefwahl.
Im Mutterland des Internets, den USA, unterscheiden
sich die Erfahrungen bei Internetwahlen davon nicht
wesentlich: Dort wurde das Internet 1999 erstmals
eingesetzt, als Florida und das US-amerikanische Verteidigungsministerium
elektronische Wahlen durchführten, bei denen Angehörige der Streitkräfte über
verschlüsselte Verbindungen mit Hilfe digitaler Signaturen
ihre Stimmzettel abgeben konnten. Später wurde
bei Präsidentschaftswahlen Übersee-Amerikanern
und Angehörigen der Streitkräfte mit ihren Familien
die Abstimmung über das Internet ermöglicht. Dieses
Projekt wurde allerdings wegen Sicherheitsbedenken
wieder eingestellt.
Auf der politischen Ebene ließen die Demokraten in
Arizona bei den Vorwahlen zu den amerikanischen
Präsidentschaftswahlen am 11. März 2000 die Möglichkeit
der Internetwahl zu. Zwar sank die Wahlbeteiligung
insgesamt, weil zu diesem Zeitpunkt das Kandidatenrennen
schon für Al Gore gelaufen war. Von
den 821.000 registrierten Wählern der demokratischen
Partei nahmen nur 86.907 an diesen Vorwahlen
teil, davon 39.942 über das Internet. Der Anteil der
Stimmabgaben per Internet (41 Prozent) lag damit
vor der Briefwahl (38 Prozent), der persönlichen Wahl
per Papierwahlschein (16 Prozent) und der persönlichen
Wahl per Wahlautomat (fünf Prozent). Möglich
war die Abstimmung mit einer PIN (Personal Identification
Number) auf einer Wahl-Webseite.
Ansonsten hat es in den USA keine nennenswerten
weiteren Versuche mit Internetwahlen gegeben. Allerdings
lassen inzwischen alle fünfzig US-Bundesstaaten
die Wählerregistrierung im Internet zu. Diese
Erleichterung des Erlangens der Wahlberechtigung
führt nach neuen empirischen Studien zu einer um
etwa zehn Prozent erhöhten Wahlregistrierung, allerdings
ohne sichtbare Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung.
Verstärkung statt Mobilisierung
Alle Erfahrungen zeigen also, dass Internet-Wahlen
nicht zu höheren Wahlbeteiligungen führen: Es gibt
jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass Wähler, die ansonsten
den Gang ins Wahllokal scheuen, damit
mobilisiert werden könnten. Insgesamt basiert die
Hoffnung auf eine stärkere Mobilisierung durch Internetwahlen
auf einer Fehleinschätzung der Motiven
von Nichtwählern. Diese reichen vom politischen
Desinteresse bis zur bewussten Protesthaltung und
liegen alle ausserhalb des Internets.
Im März 2011 kam auch ein Workshop beim Europäischen
Parlament zu einem ähnlichen Ergebnis: "Although
there seems to be a necessity to offer more
possibilities to Europeans to exchange their views
and participate in political processes via the Internet,
e-voting as such will most probably not result in an
increase of voter participation. In fact, the reasons for
voting abstinence are manifold and there seems to be
no technological quick-fix to the problem."
Die sogenannte "Mobilisierungsthese", nach der es
durch das Internet in nennenswertem Umfang gelingen
könnte, bisher uninteressierte Menschen für Politik
zu interessieren, ist inzwischen vielfach widerlegt.
Politisches Interesse lässt sich auch im Cyberspace
nicht einfacher generieren als in der Offline-Welt.
Aber das Netz bietet – entsprechend der sogenannten
"Verstärkungsthese" – den politisch Interessierten
und Aktiven ein zusätzliches Forum. Sie nutzen
die Vorteile des Internets zur Informationsbeschaffung
und Interaktion untereinander.
Das Internet ist also keine neue "Politikwelt" für bisher
Uninteressierte, sondern vielmehr eine zusätzliche
Bühne für die Akteure in der vorhandenen politischen
Offline-Arena. Es wäre für die freiheitliche
Demokratie gefährlich, mit dem Internet als politischem
Minderheiten-Spielplatz Heilserwartungen
zu verbinden, wie dies die Piratenpartei in Deutschland
tut, wenn sie fordert: "Im Netz entscheiden sich
die Geschicke der materiellen Welt."
Der Beitrag erschien im Original in bei "swissfuture - Magazin für Zukunftsmonitoring".