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"Nur wenige Ägypter teilen Erdogans Haltung"

Interview mit dem Leiter der Abteilung Politikdialog und Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Michael A. Lange, über die Rolle der Türkei für die sich im Umbruch befindenden Länder Nordafrikas.

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Seit dem Beginn des Arabischen Frühlings scheint es so, als schaue ganz Nordafrika in Richtung Türkei und nehme sich ihr politisches System zum Leitbild.

Michael A. Lange: Da muss man vorsichtig sein. Die Türkei hat eine ganz andere Verfassungslage als die nordafrikanischen Staaten. Der Verfassungsrahmen ist nicht gleich. Die Türkei ist ein säkularer, laizistischer Staat. Der Führer der tunesischen islamischen Partei Ennahda (Erneuerung), Rachid Ghannouchi verweist zwar in vielen Interviews auf die Türkei, meint dabei aber wohl eher die Wahlerfolge der türkischen AKP als moderater, islamischer Partei als den existierenden türkischen Verfassungsrahmen an sich.

In Ägypten wurde der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit großer Sympathie empfangen, als er Kairo nach dem Rückzug Husni Mubaraks besuchte und sich sehr frühzeitig und eindeutig auf die Seite der Revolutionäre stellte und sich für den Rückzug der Diktatoren ausgesprochen hatte.

Das stimmt. Aber als er auf die strikte Trennung von Staat und Religion als wichtiges Prinzip der türkischen Ordnung verwies, erntete er Kritik und Ablehnung. Nur wenige Ägypter konnten sich mit dieser Haltung Erdogans identifizieren. Aus den vorläufigen Ergebnissen der ersten Wahlrunde in Ägypten kann man diese Haltung ablesen, schließlich haben die islamischen Fundamentalisten in Gestalt der Salafisten mit bisher 33 von 168 zu vergebenden Sitzen mehr als 20 Prozent der ägyptischen Wähler hinter sich versammelt. Da kann man nur hoffen, dass die moderaten Muslimbrüder in Ägypten keine Koalition mit diesen Kräften eingehen und möglicherweise eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament realisieren.

Allerdings strebt auch die Partei der Muslimbrüder nicht eine türkische Verfassung an. Sie wollen den Status quo, also die Scharia als Hauptquelle der ägyptischen Gesetzgebung, bewahren. Die Salafisten wollen sogar die Scharia als singuläre Rechtsgrundlage einführen. Beide sehen Ägypten als eine islamische Republik.

Wobei Kritiker auch davon sprechen, dass es in der Türkei eine schleichende Islamisierung gibt.

Das stimmt - als Anzeichen dafür gilt der Rückzug des Nationalen Sicherheitsrats, der einen erheblichen politischen Einflussverlust des türkischen Militärs darstellt. Heute verfügt das türkische Militär als Hüter des säkularen Systems über weit weniger Einflussmöglichkeiten als noch vor einigen Jahren. In Ägypten will das Militär - übrigens genau jene Kontrollfunktion als Hüter der Demokratie - in die neue Verfassung aufnehmen, die das türkische Militär gerade verloren hat.

Wollen die Länder Nordafrikas tatsächlich eine Neuauflage der Türkei werden oder versucht man damit lediglich, dem Westen zu signalisieren, dass gute Absichten gehegt werden - eine Art Demokatie-PR?

Ich glaube schon, dass in dem dauernden Verweis auf die Türkei ein Stück PR steckt. Man wirbt für ein Modell, das Islam und Demokratie in Einklang bringt und hofft, damit mehr Unterstützung aus dem Westen für ihre momentan fragilen Ordnungen zu mobilisieren. Herr Ghannouchi hat lange genug in Europa gelebt, um einschätzen zu können, worauf sich die Besorgnisse der Europäer richten und wie man denen entgegentritt. Allerdings hat er es vorgezogen, kein eigenes politisches Amt anzustreben und damit politische Verantwortung zu übernehmen. Dies sollte man bei all dem, was er verlauten lässt, berücksichtigen.

Und Erdogan nutzte die Diktatorendämmerung für seine eigene PR-Show?

Das kann man so sagen. Er nutzt jetzt die Phase der Neuorientierung in diesen Ländern, um sich bzw. sein Land vielleicht sogar das "Modell Türkei" als Brücke in die Modernisierung anzubieten. Sein persönliches Renommee aber auch das seines Landes - mit einer schwierigen Geschichte vis-à-vis der arabischen Welt - würde bzw. wurde gestärkt. Die Türkei hatte sich in den letzten Jahren ohnehin verstärkt um die arabischen Länder als Wirtschaftspartner - etwa um Syrien - bemüht. Nun, wo islamisch beeinflusste Regierungen die politische Macht in diesen Ländern übernehmen, wachsen die Chancen der türkischen Wettbewerber, sich gegen westliche, nicht-islamische Konkurrenten durchzusetzen.

Es ist zu erwarten dass man in die befreiten nordafrikanischen Ländern - vor allem bei der Vergabe von Staatsaufträgen - lieber einen Kontrakt mit einem Partner abschließt, der einem auch und vor allem religiös näher steht. Erdogan propagiert auf diese Weise: "Geht unseren Weg und seid so erfolgreich wie wir. Das macht euch - wie uns - unabhängiger vom Westen." Er macht sich so nicht nur zu der neuen politischen Führungsfigur des moderaten Islams, er versucht, sich als Mittler zwischen den Kulturen bzw. zwischen Europa und der arabischen Welt noch einflussreicher zu machen.

Er suggeriert damit: Ich brauche Europa nicht, ich habe die arabische Welt gewonnen - und bietet damit dem Westen und vor allem der EU die Stirn. Er bietet sich als Brücke nach Nordafrika zu einem Zeitpunkt an, wo für viele in Europa die politische Distanz zu den neuen Demokratien in Nordafrika größer zu werden droht. Mit dem neuen Einfluss der Salafisten in Ägypten und womöglich auch in Libyen erscheint absehbar, dass sich der Blick der Mehrzahl der politischen Akteure in Nordafrika immer mehr von Westminster nach Ankara, wenn nicht sogar nach Riad, verschiebt.

Mit freundlicher Genehmigung von heute.de.

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Paul Linnarz

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Leiter des Auslandsbüros in Washington, D.C.

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