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Länderberichte

Parlamentswahlen in Senegal

von Dr. Ute Gierczynski-Bocandé

Regierungskonstellation bei geringer Wahlbeteiligung bestätigt

Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Senegal haben niemanden überrascht: Erwartungsgemäß erlangte die Regierungskoalition des Präsidenten Macky Sall eine komfortable Mehrheit und besetzt 119 von 150 Sitzen in der Nationalversammlung. Drei weitere muslimische Parteichefs sind ebenfalls im Parlament vertreten. Der Frauenanteil ist mit 65 Sitzen auf 43 % gestiegen, die Geschlechtergleichheit ist trotz Gesetz noch nicht erreicht. Wie hoch ist jedoch die demokratische Legitimation eines Parlaments, das mit einer Wahlbeteiligung von nur 36,77 % gewählt wurde?

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Im Gegensatz zu den konflikt- und emotionsgeladenen Präsidentschaftswahlen im Februar und März dieses Jahres verliefen sowohl der Wahlkampf als auch die Parlamentswahlen selbst beinahe leidenschaftslos. Die meisten der 5 Millionen Wähler blieben zuhause, die 7000 Wahlbeobachter hatten die Muße, beinahe jeden der rund 1,5 Millionen Wähler persönlich kennen zu lernen. Diese fast als Desinteresse zu bezeichnende Haltung geht vermutlich auf zwei Faktoren zurück: Die Präsidentschaftswahlen werden in der nach französischem Muster aufgebauten Präsidialrepublik Senegal als ausschlaggebend betrachtet, während die Bedeutung der Parlamentswahlen vielen Wählern nicht in dem Maße bewusst ist. Die Exekutive ist sichtbarer und spürbarer für die Bürger, die Bedeutung der gesetzgebenden Kammer für die Demokratie wird oft unterschätzt.

Ein weiterer Faktor war sicher die Vielzahl der Listen: 24 zumeist unbekannte Koalitionen und Parteien stellten sich zur Wahl, was viele, vor allem analphabetische, Wähler vor ein Dilemma stellte. In jedem Wahlbüro lagen 24 Stapel Wahlscheine, auf denen neben dem Foto des jeweiligen Parteichefs und dem Emblem auch lange Kandidatenlisten zu sehen waren. Der Einheitswahlschein ist in Senegal noch nicht eingeführt. Nur gut informierte und engagierte Wähler fanden sich schnell durch die Papierberge und konnten ihren Wahlschein in den Umschlag stecken.

Leidenschaftslos wurden auch die Wahlergebnisse aufgenommen, denn die Erfahrung des Magnetismus der Macht hat sich auch dieses Mal wieder bestätigt. Insbesondere auf dem Land wurde fast durchgehend die Regierungskoalition bestätigt, nur zwei Abgeordnete der nunmehr Oppositionspartei PDS wurden über die Kreis-Listen gewählt. Die anderen Oppositionsparteien kamen über die nationale Liste ins Parlament. Der „Magnetismus der Macht“ ergibt sich vermutlich daraus, dass besonders Politiker in ländlichen Regionen sich mehr Erfolg im Rahmen der Partei versprechen, die an der Regierung sitzt – eine Erfahrung, die sich schon häufig bestätigt hat.

Mit mehr als 65 % der Abgeordneten kann sich Macky Sall in jedem Fall auf eine komfortable Mehrheit stützen. Die liberale PDS des im März abgewählten Abdoulaye Wade hatte jahrelang mit ihren Alliierten über mehr als 90 % der Parlamentssitze verfügt, das Parlament wurde als „Applaudierkammer“ bezeichnet. Dazu wird es in der neuen Legislaturperiode vermutlich nicht kommen. Im Zweifelsfall kann Sall auf die Zweidrittelmehrheit zählen - sicher ist es nicht.

Mehrheit für die Regierungskoalition, die heterogene Tendenzen vereint

Wenn sich auch die offizielle Opposition aus kleinen Parteien zusammensetzt, die im politischen Leben bislang keine Rolle gespielt haben, hat das Wort ihrer Verantwortlichen doch Gewicht. Entscheidender ist allerdings die Tatsache, dass die Regierungskoalition ihre Opposition selber in sich birgt. Manche Beobachter sprechen gar von einer „widernatürlichen Allianz“: so setzt sich die Regierungskoalition „Benno Bokk Yaakaar“ (Für eine gemeinsame Hoffnung vereint) aus Parteien ganz unterschiedlicher Provenienz zusammen: Liberale, Sozialdemokraten, Sozialisten und ehemalige Kommunisten bilden die heterogene Parlamentsmehrheit. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Debatten lebendiger und kontroverser werden. Wie sich diese Pluralität der Meinungen und ideologischen Ausrichtungen innerhalb der Mehrheitskoalition der Nationalversammlung auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Die Regierungskoalition ist aus der Revolte des 23. Juni 2011 hervorgegangen, als alle Oppositionsparteien und die Zivilgesellschaft gemeinsam gegen ein antidemokratisches Gesetz demonstrierten und ihr Anliegen durchsetzten. Die Bewegung des 23. Juni hatte alle ihre Kraft darauf gerichtet, dem Regime Wades mit demokratischen Mitteln ein Ende zu setzen. Das ist ihr gelungen. Aber reicht dies, um eine effiziente Parlamentsarbeit zu gewährleisten? Die Zukunft wird es zeigen. Einiges wird sich gewiss ändern in der neuen Nationalversammlung.

Frauen im Parlament: vom Gesetz zur Realität

Der Frauenanteil hat sich in der neuen Legislaturperiode von nicht einmal 20 % auf 43 % mehr als verdoppelt – dies ist das Ergebnis eines noch im letzten Jahr verabschiedeten Gesetztes zur absoluten Geschlechtergleichheit in gewählten Instanzen. 50 Prozent hätten es sein sollen oder sein können, wären da nicht organisatorische Probleme aufgetreten.

In der Tat haben alle Parteien das Gesetz befolgt und auf ihre Listen abwechselnd Männer und Frauen gesetzt. Allerdings hatte nur eine Frau einen Spitzenplatz inne, alle anderen Listen begannen mit einem Mann. Hinzu kommt die Tatsache, dass das Parlament sich aus Abgeordneten der nationalen Listen und der Kreis-Listen zusammensetzt. Schließlich kamen 65 Frauen ins Parlament. Viele Beobachter gehen davon aus, dass sich durch diese Konstellation einiges ändern wird, von den weiblichen Abgeordneten wird erwartet, dass sie pragmatischer und kreativer mit ihrem Amt umgehen und sich mehr für die Belange der Menschen in den Regionen einsetzen. Die Realität wird es zeigen.

Religion und Politik: Der Imam als Bürger, Marabouts als Bürgerrechtler

Das einzige wirklich überraschende Ergebnis der Parlamentswahlen ist der Einzug von vier muslimischen Verantwortungsträgern in die Nationalversammlung. Ist dies ein Zeichen für eine Fusion von Religion und Politik, oder nehmen sie einfach nur ihre bürgerlichen Rechte und Pflichten wahr, um sich effizienter für die Interessen der Nation einzusetzen? Vor allem zu Zeiten der Amtsvorgänger Macky Salls, während der Regierungsperioden von Senghor, Diouf und besonders Wade, haben Marabouts (religiöse Verantwortungsträger der muslimischen Bruderschaften) immer wieder Wahlempfehlungen abgegeben. Diesen wurde immer weniger Folge geleistet. Die Bürger ließen und lassen sich von Marabouts nicht mehr sagen, wen sie zu wählen haben. Nun aber sind die Marabouts selber in die politische Arena hinabgestiegen, und plötzlich ist ihre Meinung wieder relevant.

Allerdings wäre es verfehlt, ihnen in jedem Fall religiöse Ambitionen zu unterstellen. Mbaye Niang beispielsweise ist ein hoher Beamter und ein Imam, der schon in der vergangenen Legislaturperiode in der Nationalversammlung saß, als gewählter Vertreter und nicht als Religionsvertreter. Er betont, dass die Religion ihm als Wertereservoir und Handlungsrichtlinie wichtig sei, er aber den Islam nicht als politisches Argument in Streitfällen verwende. Er sei und bleibe Bürger und übe seine Tätigkeit als Imam (Prediger) nur in seiner Freizeit aus.

Auch die anderen religiösen Persönlichkeiten bestehen auf ihrer Eigenschaft als Bürger und gewählte Vertreter. Jedoch kommen bei zwei Parteien Zweifel auf: der umtriebige Mourdidenmarabout Modou Kara zieht mit seiner Frau Sokhna Dieng, der Listen-Zweiten der „Partei für die Wahrheit und die Demokratie“, ins Parlament ein. Er hatte sich in der Vergangenheit immer wieder zu Präsidentschaftskandidaten geäußert, sich vor allem für Wade ausgesprochen und sich quasi als „Königsmacher“ empfunden. Auch der Sohn des derzeit wegen Beihilfe zum Mord bezichtigten und inhaftierten Marabouts Bethio Thioune errang einen Sitz im Parlament. Dies wirft die Frage auf, inwieweit die vermutlich auf der Basis religiöser Anhängerschaft gewählten Marabouts ihre Rolle im Parlament rein staatsbürgerlich begründen und ausüben werden.

Keinerlei religiösen Motive hingegen werden dem Marabout Serigne Mansour Djamil Sy unterstellt. Dieser weitgereiste Vertreter der Tidijanen Bruderschaft, die in Senegal den gemäßigten Islam vertritt, war ein treibender Motor der Bürgerrechtsbewegung des 23. Juni und hatte sich seit seiner Rückkehr aus New York und Djeddah, wo er für die islamische Entwicklungsbank gearbeitet hat, für die Abwahl Wades eingesetzt. Jamil Sy scharte ein Häuflein Politiker um sich, die für ihre Seriosität und ihre ehrliche Überzeugung bekannt sind und die in den konventionellen Parteien nicht auf vordere Listenplätze vordringen konnten.

Die Listen-Zweite ist Elene Tine, die jahrelang als kompetente und engagierte Parteisprecherin für die sozialdemokratische Partei AFP (Alliance des forces du progrès) gearbeitet hat und in der Koalition mit Macky Sall weder auf Regierungs- noch auf Parlamentslisten-Ebene berücksichtigt wurde. Als praktizierende Katholikin zieht sie mit dem Marabout Jamil Sy und zwei weiteren Mitgliedern der Bürgerbewegung ins Parlament ein. Sy gilt als Symbol für den religiösen Verantwortungsträger, der durch staatsbürgerliches Engagement kompromisslos für die Demokratie und die Republik eintritt. Damit ist er wahrscheinlich demokratischer als manch andere Politiker, die sich ihrer religiösen Herkunft bedienen, um Wählerstimmen zu fangen.

Große Hoffnungen und Erwartungsdruck an das Parlament

Wenn auch die Wahlbeteiligung gering war und das Interesse der Senegalesen für das neue Parlament sich in Grenzen hält, so stehen die neuen Abgeordneten doch enormen Herausforderungen gegenüber. Sowohl die Regierungskoalition BBY als auch die Oppositionsparteien und –bündnisse müssen ihre legislativen Möglichkeiten ausschöpfen, um der Regierung in ihren zahlreichen Reformvorhaben den Rücken zu stützen und sie effizient zu kontrollieren. Die Wähler erwarten auch eine größere Bürgernähe von den Abgeordneten, sie fordern von ihnen ein eindeutiges und nachhaltiges Engagement für ihre Wahlkreise.

Interessant werden die nächsten Jahre sicher auch für die Entwicklung der Parteienlandschaft. Die liberale PDS des Ex-Präsidenten Abdoulaye Wade hat sich mehrmals gespalten: Der ehemalige Premierminister unter Wade, Idrissa Seck hatte nach seinem politischen Absturz die Rewmi-Partei gegründet, sein Nachfolger im Amt, Macky Sall, die APR (Alliance pour la république). Nach der Abwahl Wades spaltete sich von seiner PDS-Partei die Bewegung „Bokk guiss guiss“ (Gemeinsame Sichtweise, gemeinsame Richtung) unter der Führung des Senatspräsidenten Pape Diop ab. Während jedoch Rewmi dem Regierungsbündnis angehört, zog Pape Diop mit drei Abgeordneten allein ins Parlament ein – wobei sich die Frage stellt, wie er den Senatsvorsitz und die Funktion des Abgeordneten vereinbaren will.

Ernste Fragen stellen sich jedoch auch die Mitglieder der sozialistischen Partei PS und der Abspaltungspartei AFP: Werden sie in den Jahren der Regierungskoalition ihr Profil erhalten und weiterentwickeln können? Mit 17 Abgeordneten der PS und 18 der AFP stellen die Sozialisten trotz allem ein Gewicht gegenüber den 71 Liberalen (61 APR, 10 Rewmi) dar. Der Listen-Erste der Koalition um Macky Sall ist übrigens Moustapha Niasse, Parteichef der sozialdemokratischen AFP, in dem viele schon den künftigen Parlamentspräsidenten sehen.

Die Parteienlandschaft geht, wie auch das Parlament, einer bewegten Zukunft entgegen. Allen gemein ist der Wille, Senegal auf den Weg einer nachhaltigen Entwicklung zu führen. Die Herausforderungen sind enorm bei einer Arbeitslosenrate von mehr als 50 %, einem beunruhigend maroden Bildungssystem, einer teilweise ineffizienten Verwaltung. Zudem ist Senegal der ruhende Pol in einer konfliktgeladenen Region. Das Lande könnte politisch wieder Impulse geben und ein Zugpferd der Demokratie in Westafrika werden.

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