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Kalkulierter Krawall

Reaktion auf Mohammed-Video

Die gewaltsamen Proteste gegen das Mohammed-Video waren weder spontan noch tatsächlich durch Hass auf die USA motiviert. Eine Brigade von Krawall-Kids hat sich vor den Karren der ägyptischen Innenpolitik spannen lassen.

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Seit wenigen Tagen ist auf dem Kairoer Tahrir-Platz wieder alles wie früher. Autos stauen sich um das zentrale Rondell, die Straßenhändler sind wieder da und die Fast-Food-Läden und Cafés an der Ostseite des Platzes warten auf Kundschaft. Während Straßenkehrer die Überbleibsel der Randale der vergangenen Woche wegfegen, fragen sich viele Menschen am Nil, was da eigentlich passiert war. Der aus den USA stammende Schmähfilm über den Propheten hat bei sehr vielen Ägyptern Ärger und Wut ausgelöst, aber demonstrieren waren die wenigsten. Beobachter sprechen von einigen Tausend Menschen, die nach Bekanntwerden des Films in Kairo auf die Straße gingen.

In einer Stadt, der über 20 Millionen Einwohner nachgesagt werden, fällt das kaum ins Gewicht. Tatsächlich waren es auch weniger „normale Ägypter“, die ihrem Ärger durch Demonstrationen und Straßenschlachten vor der US-Botschaft Luft machten als vielmehr zwei klar unterscheidbare Gruppen: zum einen bärtige bzw. vollverschleierte Salafisten, die lautstark aber weitgehend gewaltlos gegen die USA demonstrierten und zum anderen straßenkampferprobte Ultras der lokalen Fußballclubs, die sich Gefechte mit der Polizei lieferten. Wie passt das zusammen?

Anlass und Datum waren klar kalkuliert

Ausgegangen waren die Proteste gegen den Mohammed-Film von salafistischen Gruppen, die sich seit der Präsidentenwahl des Muslimbruders Mohammed Mursi in der Opposition sehen. Bewaffnet mit den schwarzen Fahnen des radikalen Islam und angestachelt von Fernsehpredigern und islamistischen Internetaktivisten hatten sich am 11. September etwa eintausend Anhänger radikalislamischer Gruppen auf dem Tahrir-Platz versammelt, um gegen die USA und Präsident Obama zu demonstrieren. Anlass und Datum waren klar kalkuliert. Das Entsetzen vieler Ägypter über den Mohammed-Film bot die ideale Gelegenheit, um am Jahrestag der Anschläge des 11. September Flagge zu zeigen und gleichzeitig die regierenden Muslimbrüder vorzuführen. In gleichem Maße, wie sich Salafisten, Dschihadisten und Al-Qaida-Anhänger als Verteidiger des Glaubens aufspielten, suchten sie die regierenden Muslimbrüder als zögerliche Kompromissler vorzuführen.

Letztere, so die unterschwellige Botschaft, paktierten mit den USA und seien nicht in der Lage, den Propheten gegen Angriffe zu verteidigen. Statt Realpolitik zu betreiben, so die offene Forderung, solle Präsident Mursi die amerikanische Botschafterin ausweisen, einen geplanten Washington-Besuch absagen und dafür sorgen, dass sein Sohn die amerikanische Staatsbürgerschaft ablege. Die Propaganda wirkte. Mursi brauchte lange, bis er sich zu einer Stellungnahme durchrang. Die Muslimbruderschaft lavierte in ihren Blogs und Erklärungen zwischen staatstragendem Pragmatismus (auf Englisch) und empörtem Aktivismus (auf Arabisch), um dann wenige Stunden vor Beginn der angekündigten Großdemonstration am vergangenen Freitag doch einen Rückzieher zu machen. Ein Punktsieg für die Salafisten.

Was sich gleichzeitig vor der US-Botschaft unweit des Tahrir-Platzes abspielte, hatte mit diesem Machtpoker wenig zu tun. Seit Januar 2011 hat in Ägypten eigentlich immer irgendwer gegen irgendetwas demonstriert. Meistens waren die straßenschlachterprobten Anhänger der beiden großen Kairoer Fußballklubs dabei. So auch diesmal. Bei den knapp 500 randalierenden Steinewerfern vor der US-Botschaft handelte es sich zum Großteil um die gleichen testosterongeladenen 15- bis 25-Jährigen, die sich auch schon im vergangenen November wilde Gefechte mit Polizei und Sicherheitskräften vor dem Innenministerium geliefert hatten.

Lust auf Krawall

Für viele Beobachter war es deshalb auch weniger der Hass auf die USA als die Lust auf Randale, die sich bei den jüngsten Ausschreitungen Bahn brach. In den vielen Talkshows des Landes lästert man jetzt über jene jugendlichen „Glaubenskämpfer“, die oft beim Steinewerfen, aber nur selten beim Beten gesehen werden. Nicht wenige Ägypter schämen sich für die „Krawallkids“ aus den trostlosen Kairoer Armenvierteln, die unter dem Deckmantel der Revolution, oder eben jetzt des Kampfes für den Glauben auf der Suche nach Bedeutung, Ablenkung und Unterhaltung sind.

Die jüngsten Ausschreitungen in Kairo sagen also mehr über die innenpolitischen Zustände im nachrevolutionären Ägypten aus als über die ägyptisch-amerikanischen Beziehungen oder über die religiösen Befindlichkeiten der Ägypter:

 

 

 

  • Erstens war die Zahl der Demonstranten zu gering, um wirklich den Eindruck einer Massenbewegung zu rechtfertigen.
  • Zweitens können die Demonstrationen deshalb nicht als Ausdruck eines spontan auflodernden Volkszornes gesehen werden. Sie sind vielmehr der geplante und orchestrierte Bestandteil des innenpolitischen Machtkampfes innerhalb des islamistischen Spektrums.
  • Drittens scheint es mittlerweile zumindest in Kairo ein permanentes und gewaltbereites Protestpotenzial zu geben, das im wesentlichen von Gruppen aus dem Hooligan-Milieu getragen wird und das sich in völlig unterschiedlichen Kontexten entladen kann. Die Empörung vieler Ägypter über das Propheten-Video ist ernst und echt. Aber hinter den Ausschreitungen von vergangener Woche standen zumindest in Kairo eine gehörige Portion innenpolitisches Kalkül und die Lust an den Krawallen.

 

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19. September 2012
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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Berlin Deutschland