Versicherung nicht nur für Reiche, Schöne und Gesunde
Einzeltitel
Sie sind, seitdem Sie 2005 in den Bundestag gewählt wurden, privat versichert. Glück gehabt?
Spahn: Nein, auch als Privatversicherter lebt
man nicht in einem Land, in dem nur
Milch und Honig fließen. Zweifelsohne
kommt man beim Arzt schneller
dran, aber die Privatversicherungen
haben zum Teil große Probleme: Ihnen
rennen im Moment die Kosten weg.
Deshalb sollten wir jetzt versuchen,
die Kostensteigerung bei den privaten
Versicherern, wie wir es bei den
gesetzlichen Kassen auch tun, in den
Griff zu bekommen. Außerdem kann
man schlecht erklären, warum nur
Beamte, Selbstständige und gut
Verdienende sich privat versichern
dürfen. Der einzige Grund, den es
gibt, ist: Es war immer schon so. Ich
finde, das ist immer die schlechteste
Begründung.
Soll also die Dualität von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen erhalten bleiben?
Wenn sie erhalten bleibt, muss sie
mindestens verändert werden. Ich will
keine Neiddebatte führen wie diejenigen,
die von Bürgerversicherung
reden, wie SPD, Linke, Grüne das
tun. Nach dem Motto: Da ist eine
Gruppe, die hat sich der Solidargemeinschaft
entzogen, und man
stärkt das gesetzliche System, indem
man das private abschafft. Das
ist zu kurz gedacht.
Und die Solidargemeinschaft ist Ihnen egal?
Nein, eine Privatversicherung ist ja
auch eine Solidargemeinschaft in sich,
weil bei jeder Versicherung diejenigen,
die zahlen, für jene einstehen, welche
die Leistung brauchen. Es ist nicht so,
dass in einer Privatversicherung nur
die Reichen, Schönen und Gesunden
sind. Von den acht Millionen privat
Versicherten in Deutschland sind
Beamte und Pensionäre mit rund vier
Millionen die größte Gruppe. Der
Polizist vor dem Reichstag, das ist
kein Millionär. Viele Mini-Selbstständige
wie Kioskbesitzer, Taxifahrer
und Dönerbudenbesitzer zählen auch
nicht zu den Reichen.
Also: Was wollen Sie?
Wir müssen die Probleme des privaten
Systems lösen. Dann kann
man Schritt für Schritt sicherlich
dahin kommen, dass es die bisherige
Grenze, dass nur Beamte, Selbstständige,
Gutverdienende sich privat
versichern können, nicht mehr gibt.
Am Ende könnte irgendwann einmal
ein einheitlicher Versicherungsmarkt
stehen. Ich habe persönlich Interesse
daran, dass wir die gute Versorgung
in Deutschland erhalten, vor allem
auch wenn ich siebzig bin. 2050 wird
jeder dritte Deutsche über sechzig
sein. Die spannende Frage ist: Haben
wir dann noch ein System, das funktioniert?
Was bringt es, wenn sich alle privat versichern können?
Die Aufhebung der Grenze wäre
nicht die Lösung aller Probleme, aber
dieser Schritt führte ohne Zweifel zu
einer höheren Akzeptanz. Was ich
auf keinen Fall will, ist eine Einheits-
AOK für alle. Eine Bürgerversicherung
wäre aber genau das.
Warum nicht?
Der riesige Verwaltungsapparat verhindert
Innovationen eher, als dass er
sie befördert. Das kann niemand ernsthaft
anstreben. Ganz banales Beispiel:
Wenn es nur eine Krankenversicherung
gäbe in Deutschland, warum soll die
den Telefonhörer abnehmen, wenn Sie
anrufen? Das heißt: Im Wettbewerb
zwischen gesetzlichen und privaten
Krankenversicherungen gibt es natürlich
Anreize, sich um die Versicherten zu
kümmern.
Dann hätten wir auf der einen Seite
gesetzliche Krankenversicherungen,
die Beiträge auf das Einkommen
erheben, auf der anderen private
Krankenversicherungen, deren Prämien
sich am Krankheitsrisiko orientieren.
Wie kann ein sinnvoller Wettbewerb entstehen, wenn viele Kunden ihre Entscheidung von der Beitragshöhe abhängig machen und nicht von den unterschiedlichen Leistungen, die gesetzliche und private bieten?
Das ist eine der wichtigen Fragen, die
man jetzt angehen muss. Was ich ja
sage und anstoße, ist, – und das ist
neu für die Union, dass wir diese
Fragen offen diskutieren müssen.
Faktisch wären mit Ihrem Vorschlag
die privaten Krankenversicherungen
in ihrer jetzigen Form abgeschafft.
Damit wenden Sie sich gegen den
Koalitionsvertrag.
Erstens ist das kein Thema mehr
für diese Legislaturperiode, sondern
eine Debatte, die Zeit braucht. Zweitens
geht es jetzt doch nicht ums
Abschaffen. Die meisten privaten
Krankenversicherer sind Vereine auf
Gegenseitigkeit, die von ihrem Anliegen
durchaus mit gesetzlichen
vergleichbar sind.
Die Debeka hat angekündigt, für
Neugeschäfte maximal 30 Prozent
Risikozuschlag zu verlangen. Das heißt,
dass sogar Schwerstkranke, die sich
bisher nicht privat versichern konnten,
zu einem bezahlbaren Preis reinkommen.
Man wird sich also irgendwann
fragen, was die gesetzlichen und
privaten Krankenversicherungen überhaupt
noch trennt.
Angela Merkel soll in einer internen
Runde gesagt haben, dass sie gerne
die private Krankenversicherung in die
gesetzliche überführen würde.
Ich weiß nicht, was die Kanzlerin in einer
internen Runde gesagt hat oder nicht.
Haben Sie ihre Rückendeckung?
Mein Eindruck ist, dass breite Teile der
Union bereit sind, über dieses Thema
zu reden, weil sie die Probleme erkennen,
die es gibt. Auch die Kanzlerin.
Wird es 2020 noch ein duales System geben?
Es wird sicherlich kein System wie
heute mehr geben. Entweder haben
die linken Parteien, die später oder
früher wieder eine Wahl gewinnen
werden – ich hoffe eher später –, eine
Einheits-AOK für alle eingeführt,
oder wir ein vernünftiges Wettbewerbssystem.
In den Medien werden sie als
zukünftiger Gesundheitsminister
gehandelt. Schmeichelt Ihnen das?
Obwohl ich jung bin, habe ich nach
zehn Jahren im Bundestag schon so
viel politische Erfahrung, dass solche
Artikel und Mutmaßungen mich nicht
weiter beeindrucken. Ich mache einfach
meine Arbeit, ich mache sie wahnsinnig
gerne, und den Rest warten
wir einfach ab.
Das Interview ist Teil des neuen JONA-Magazins GORDO - Gesellschaft, Gesundheit, Geld.