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Einzeltitel

Keine Einschüchterung durch Klassizität

von Prof. Dr. Michael Braun

Zum Tod der Lyrikerin Elisabeth Borchers

„Ich lebe hier von Himmel, Wolke, Berg und See / vom See, der alles spiegelt / selbst den Abgrund, tief dort unten lichterlos“, so beginnt ein kleiner Zyklus von Cadenabbia-Gedichten, die Elisabeth Borchers in der Villa La Collina geschrieben hat. Dort wirkte sie mehrfach an der Autorenwerkstatt der Konrad-Adenauer-Stiftung mit, zuletzt 2002, im Jahr zuvor hatte sie in Sankt Augustin gelesen. 2003 wurde sie mit einer Hommage in der Berliner Akademie der Stiftung geehrt. Die 1926 am Niederrhein geborene, im Elsaß aufgewachsene Dichterin ist am 25. September 2013 in Frankfurt am Main gestorben.

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Elisabeth Borchers hat „Gedichte unaufhörlich in den Tag hinein“ gelesen, übersetzt und geschrieben. Die längste Zeit ihres Lebens hat sie, seit 1960 beim Luchterhand Verlag in Neuwied, seit 1971 beim Suhrkamp Verlag, mit Autoren korrespondiert, Manuskripte begutachtet und lektoriert, Bücher herausgegeben und übersetzt. Wer fragt, woher sie die Zeit nahm, daneben selbst Gedichte zu schreiben wie das 1960 in der F.A.Z. abgedruckte, damals für viel Wirbel sorgende surrealistische Wiegenlied „eia wasser regnet schlaf“, der schaue sich ihren letzten Band an, nach dessen Erscheinen sie sich aus dem Literaturbetrieb zurückgezogen hat. „Zeit. Zeit“ (2006) heißt dieser Band, der mit der ihr eigenen leisen, noblen Entschiedenheit gegen die immer mehr beschleunigte Moderne die im Gedicht erfahrene und erfahrbar gemachte Zeit setzt. Elisabeth Borchers ist eine beharrliche Dichterin der Zeit. Ihre Gedichte geben vergänglichen Momenten Dauer und haben doch, indem sie die Zeit nur augenblickslang anhalten, am Vergehen der Dinge teil.

1961 erschien ihr erster Gedichtband, weitere folgten in zeitgerechten Abständen. Der Freund und Kollege Arnold Stadler hat ihre Gedichte gesammelt und in dem wunderbaren Band „Alles redet, schweigt und ruft“ (2001) kommentiert. 2003 sind ihre Frankfurter Poetik-Vorlesungen erschienen: „Lichtwelten. Abgedunkelte Räume“. Auch so ein sprechender Titel, der in die elsässische Kindheitslandschaft und vor allem in die Sprachwelten der Mitdichtenden führt, zu Nelly Sachs, Christine Lavant und anderen.

Cadenabbia verdanken wir einige der schönsten Gedichte von Elisabeth Borchers. Für die Anthologie „Cadenabbia als literarischer Ort“ (2006) protokollierte sie die „Ereignisse eines ereignislosen Tages auf La Collina“. Eine andere Villa am Comer See mochte sie nicht so richtig – und widmete ihr das Gedicht „Nein“. Unvergessen, als sie am 13. September 2001, kurz nach dem Attentat auf die New Yorker Twin Towers, auf dem Mailänder Flughafen unerschrocken die besorgten Passagiere zu beschwichtigen verstand, die von der Autorenwerkstatt der Stiftung nach Hause fliegen mussten. Elisabeth Borchers hat uns ein reiches Werk hinterlassen, lichtvolle, sprachpointierte Gedichte, die sich nicht durch Klassizität einschüchtern lassen und die „nicht Kenntnisse“ voraussetzen, „sondern Erfahrungen“. Zum Beispiel: „Lernen, Zeit zu haben“.

Ausgewählte Werke:

Elisabeth Borchers: Alles redet, schweigt und ruft. Gedichte. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Arnold Stadler. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2001.

Elisabeth Borchers: Lichtwelten. Abgedunkelte Räume. Frankfurter Poetikvorlesungen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003.

Elisabeth Borchers: Zeit. Zeit. Gedichte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2006.

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27. Januar 2003
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Elisabeth Borchers | Foto: Odehnal/kas Medienarchiv Odehnal/kas Medienarchiv

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Berlin Deutschland