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Fragen und Antworten der Literatur

von Prof. Dr. Michael Braun

KAS-Buchempfehlungen im Advent 2013

Fast jeder zweite Deutsche, die älteren mehr als die jüngeren, möchte laut buchreport.de zu Weihnachten Bücher verschenken. Fragt sich nur, welche. Hier einige Tipps aus dem Literaturkontor:

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Für historisch Interessierte: Der in Cambridge lehrende und als exzellenter Biograph Preußens hervorgetretene Historiker Christopher Clark verfolgt die Entstehung des Ersten Weltkrieges aus dem Zerfall der europäischen Nationen. Sein Ansatz steht dabei quer zu der nach Ursache und Schuld suchenden Geschichtsschreibung. Nicht warum der Krieg ausbrach, interessiert Clark, sondern wie es eigentlich dazu kam, dass die Entscheidungsträger in Politik, Militär und Diplomatie in einen Krieg zogen, den sie schon bald zu kontrollieren nicht mehr verstanden. Auf faszinierende Weise entflicht Clarks Buch den zum Krieg führenden Komplex von „Imperialismus, Nationalismus, Rüstung, Bündnissen, Hochfinanz, Vorstellungen der nationalen Ehre, Mechanismen der Mobilisierung“, beschreibt er, wie Europa in den Krieg zog. „wachsam, aber blind, von Albträumen geplagt, aber unfähig, die Realität der Gräuel zu erkennen, die sie in Kürze in die Welt setzen sollten“: als "Schlafwandler". Wer wissen will, was es mit den "Willy-Nicky-Telegrammen" auf sich hat, die im Sommer 1914 zwischen Kaiser und Zar wechselten, oder wen die öffentliche Wahrnehmung des Attentats von Sarajevo am 28.6.1914 interessiert, der wird mit diesem Buch bestens bedient. Überaus lehrreiche Geschichtserzählung.

Für Roman-Leser: Hanns-Josef Ortheil ist einer der produktivsten und vielseitigsten Erzähler der Gegenwartsliteratur. Sein jüngster Roman „Das Kind, das nicht fragte“ führt in eine sizilianische Bergstadt, die berühmt ist für ihre Dolci. Dort will ein rheinländischer Ethnologe die Lebensgewohnheiten der Einheimischen erkunden. Doch er verstrickt sich in die eigene Familiengeschichte und muntere Liebesverwirrungen. Am Ende hat er gelernt, die richtigen Fragen zu stellen, gerade auch an sich selbst. Diese Selbstfindung inszeniert der in Köln geborene Hanns-Josef Ortheil vor einer kulinarisch garnierten Sommerkulisse, die den Winter vertreiben kann. Ein wundervoller Roman über die Geburt des Erzählens aus dem Geist der Ethnologie, eine Selbstentdeckungsfahrt mit tröstlichem Ende. Hanns-Josef Ortheil liest am 16.1.2014 in der KAS-Lesungsreihe an der Universität Bonn.

Für Lyrik-Liebhaber: In den 1980er Jahren eroberte Ulla Hahn mit ihren Gedichten die deutschen Feuilletons im Sturm. Sie setzten auf Leidenschaft und Gefühl, erlaubten sich auch bittere Wahrheiten und vergaßen bei allem Seelentrost nicht die raffinierte poetische Provokation. Der umfangreiche Band "Gesammelte Gedichte" vereint nun die Lyrik aus drei Jahrzehnten, von dem Debüt "Herz über Kopf" (1981) bis zu den jüngsten, wie sie sagt 'ernsthaft spielfreudigen' Haikus. Ein Gedicht sei "wie eine Partitur", schreibt die 1946 im Sauerland geborene Autorin im Vorwort: "Musik macht daraus erst der Musikant". Will heißen: der Leser: Denn "Lesen ist Musik spielen und hören zur selben Zeit". Ulla Hahns Gedichte sind Einladungen, unsere Augen und Ohren für die Sinne und den Sinn der Sprache zu öffnen. Ein lyrisches Füllhorn.

Und eine Biographie: Der größte deutsche Dichter war für das 19. Jahrhundert Schiller, für das 20. Jahrhundert aber Goethe. Dass wird wohl so bleiben. Dafür legt die trotz über 700 Seiten handliche und elegant geschriebene Goethe-Biographie von Rüdiger Safranski den Grundstein. Der Biograph erfindet keinen neuen Goethe und taucht auch nicht in philologische Tiefen ab. Aber er rekonstruiert aus den Quellen ein im wahren Sinne kunstvolles Leben, das der Weimarer Dichter (so ein Brief aus dem Jahr 1780) als „Pyramide (s)eines Daseins (…) so hoch als möglich in die Luft zu spitzen“ gedachte. Von der genialisch erlebten Jugend in Frankfurt über das Studium in Leipzig und Straßburg, das Rechtsreferendariat in Wetzlar, die Übersiedlung nach Weimar, die italienischen Jahre und die Schweizer Reisen bis zu den letzten Lebensjahrzehnten in Weimar – wo der „Geheime Rat“ Goethe auch Minister für Militärwesen, Berg- und Wegebau, Direktor der Zeichenakademie und Herzensfreund des Herzogs war: Immer hat es Goethe verstanden, sein Leben in rastloser Tätigkeit und mit einem erstaunlichen geistigen Immunsystem gegen die Nötigungen der Zeit zu gestalten. „Kunstwerk als Leben“, so lautet daher die treffliche Formel Safranskis für dieses Beispiel gelungener Individualität. Künstlerische Größe muss nicht tragisch sein. Auch wenn sie Schwächen hat und sich Fehler leistet. „Begabte Leute treffen ins Schwarze, auch wenn sie nicht zielen“, resümiert der Biograph. Ein sehr lesenswertes Goethe-Buch.

... wenn wenig Zeit zum Lesen bleibt: Michael Köhlmeiers Novelle "Idylle mit ertrinkendem Hund", das Buch der Stadt Köln 2013, erzählt von einem Schriftsteller, der im Schneewinter 2006 in seinem österreichischen Domizil von seinem skurrilen Lektor heimgesucht wird. Aus der Künstlernovelle entwickelt sich zügig die abenteuerliche Geschichte vom Rettungsversuch eines ins Eis eingebrochenen Hundes, eine Geschichte, hinter der sich die Erfahrung des Todes der Tochter von Michael Köhlmeier verbirgt. Glück und Trauer, Erinnerung und Mythos bilden den Rahmen dieser hintergründigen und in vieler Hinsicht tragikomischen ›Idylle‹, die man in einem Zuge lesen kann.

  • Christopher Clark: Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Aus dem Englischen von Norbert Juraschiz. München: DVA, 2013.
  • Ulla Hahn: Gesammelte Gedichte. Mit einem Vorwort von Ulla Hahn und einem Nachwort von Dorothea von Törne. München: DVA, 2013.
  • Michael Köhlmeier: Idylle mit ertrinkendem Hund. Novelle. München: dtv, 2013.
  • Hanns-Josef Ortheil: Das Kind, das nicht fragte. Roman. München: Luchterhand, 2013.
  • Rüdiger Safranski: Goethe. Kunstwerk des Lebens. München: Hanser, 2013.

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Frankfurter Buchmesse 2012 | Foto: Peter Hirth/Frankfurter Buchmesse Peter Hirth/Frankfurter Buchmesse

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Berlin Deutschland