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Die Größe der Kultur

von Prof. Dr. Michael Braun

Nachruf auf Frank Schirrmacher

Von Marcel Reich Ranicki (1920-2013) hat er viel gelernt: den Mut und die Neugier des Vordenkers, die überlegene Freiheit des Urteils, das pointierte Schreiben mit dem Gesicht zum Publikum. Und doch, er hat die geistigen Zeichen der Zeit ganz anders gesetzt als sein Vorgänger, indem er das Feuilleton ins technisch-digitale Zeitalter lenkte, den Kulturbegriff erweiterte und damit das publizistische Leben weit über Deutschland hinaus maßgeblich prägte.

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Am 12. Juni 2014 ist Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, im Alter von 54 Jahren in Frankfurt verstorben.

Frank Schirrmacher stammt aus einer Wiesbadener Beamtenfamilie und trat 1985, nach dem Germanistikstudium, als Literaturredakteur in die FAZ ein. Fünf Jahre später, mittlerweile promoviert (über Kafka), beerbte er Marcel Reich-Ranicki als Literaturchef der Zeitung und machte als Kritiker von sich reden, der mit der literarischen Epochenrhetorik der alten Bundesrepublik Deutschland aufräumte, die „Gewissensfraktion“ der 68er verurteilte und ohne Nachsicht auch mit den Stasi-Verwicklungen mancher DDR-Autoren ins Gericht ging. Frank Schirrmacher zündete Debatten an, die stets weit über ihren Anlass hinausgingen und fundamentale Fragen zum Dialog zwischen Literatur, Politik und Gesellschaft neu stellten, im Falle Christa Wolfs etwa (1990) oder Martin Walsers (2002).

Drei Jahre lang wirkte er in der Jury des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung mit, von 1993 bis 1995. Zur Jurysitzung im Herbst 1993 kam er mit einer prall gefüllten Aktentasche. Bei dhttp://www.kas.de/wf/de/33.38069/er Kandidatenkür zog er ein umfangreiches Manuskript hervor: „Das Echolot“, Walter Kempowskis epochale Kollektivchronik über die letzten Kriegsjahre. Das Werk eroberte die Feuilletons, sicherte dem Autor, der lange als in die Literatur verirrter Archivar verkannt worden war, die öffentliche Anerkennung – und trug ihm, Kempowski, den Literaturpreis der Stiftung 1994 ein. Eine von Frank Schirrmachers Vordenkertaten.

1994 wurde Schirrmacher vom US-Magazin „Time“ unter die hundert bedeutendsten Persönlichkeiten der Welt aufgenommen. 1994 folgte er Joachim Fest ins Amt eines der Herausgeber der FAZ – und wandte sich, konsequent und reuelos, von der Literatur ab. Sein Thema wurde der radikale Wandel der geistig-gesellschaftlichen Welt im 21. Jahrhundert, für den er in seinem letzten Buch „Ego. Das Spiel des Lebens“ (2013) ein „Systemversagen der Informationsökonomie“ verantwortlich machte. Dass wir erst am Anfang sind zu verstehen, wie die Informationstechnologien unsere Gefühle, Wünsche und sozialen Kontakte bewerten, steuern und auf ein gefährliches Gleichmaß abkühlen – diesen zentralen Gedanken hat Schirrmacher scharfsinnig entfaltet. Das Buch wurde ein Bestseller, nicht zuletzt weil es ins Herz unserer Zeit zielt, ebenso wie Frank Schirrmachers Bücher über die unaufhaltsame Alterung der Gesellschaft („Das Methusalem-Komplott“), über die Bindungskraft familiärer Rituale („Minimum“) und über den drohenden Kontrollverlust durch die neuen Medien („Payback“). Frank Schirrmacher fiel dabei nie in die Pose des Kulturpessimisten, er wusste offenbar nur zu gut, worauf er seinen enormen Einfluss und seine charismatische Ausstrahlung stützen konnte: mit einem genuin literarischen Blick auf die Dinge, der Distanz ermöglichte und Umsicht.

Ein großer Kulturjournalist ist verstorben, seine Idee von der Größe der Kultur wird nachhallen.

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Prof. Dr. Michael Braun

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michael.braun@kas.de +49 30 26996-2544
Frank Schirrmacher, Foto: Ubiquit23/flickr.com Foto: Ubiquit23/flickr.com

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Herausgeber

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Berlin Deutschland