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Neue Partizipationsstudie entzaubert Online-Beteiligung

Selbst partizipationsinteressierte Internetnutzer bleiben mehrheitlich passiv

Die im Juni 2014 veröffentliche „Partizipationsstudie 2014“ des Berliner „Institut für Internet und Gesellschaft“ belegt in überraschender Deutlichkeit die Grenzen politischer Online-Beteiligung. Die Studie zeigt, dass selbst gut informierte und an der Internet-Partizipation sehr interessierte Internetnutzer eine bemerkenswerte Distanz an den Tag legen, wenn es um die eigene Beteiligung geht.

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Dies wird besonders deutlich, weil sich die Studie auf Personen beschränkte, die „Online-Angebote im Kontext politischer Themen (z.B. Online-Petitionen, Online-Konsultationen oder kommunale Bürgerhaushalte) oder wirtschaftliche Angebote (z.B. Ideenwettbewerbe, Design-Plattformen oder Crowdfunding) kennen oder aktiv nutzen.“ Aus dieser Personengruppe wurden 4.465 Personen angeschrieben, von denen sich 504 an einer Online-Befragung beteiligten. Schon diese niedrige Rücklaufquote an sich besonders aktiver Netznutzer ist auffällig. Sie verhindert, dass die Befragungsergebnisse im sozialwissenschaftlichen Sinn „repräsentativ“ sind. Dennoch bietet die Studie interessante Aufschlüsse.

Den Befragten musste mindestens ein politisches oder wirtschaftliches Online-Partizipationsangebot bekannt sein. Als Formen politischer Partizipation wurden dabei zugrunde gelegt:

  • Abstimmung über eine bestimmte politische Frage bzw. einen Sachverhalt im Internet
  • Unterzeichnen einer E-Petition des Bundestages oder einer anderen Online-Petition
  • Beitritt zu einer oder mehreren politischen Gruppen in sozialen Netzwerken
  • Verfassen von eigenen Beiträgen und Kommentaren in Internetforen oder Blogs
  • Beteiligung an kommunalen Bürgerhaushalte
  • Eigenständiges Verfassen und Einstellen einer Online-Petition
  • Thematisch und zeitlich begrenzte Bürgeranhörung/-befragung im Internet
  • Kontaktieren eines Politikers über das Internet
Obwohl die Kenntnis dieser Online-Partizipationsangebot gegeben und die Formen politischer Online-Partizipation sehr breit definiert worden waren, hatte nur die Hälfte der Befragten ein solches Angebot schon einmal selbst genutzt. Besonders fällt auf, dass sogar von denjenigen, denen eine dieser Partizipationsformen spezifisch bekannt ist, sich daran nur zwischen vier Prozent (Online-Petition erstellen) und höchsten 34 Prozent (Politische Sachverhalte abstimmen) beteiligen.

Dies widerlegt die oft zu hörende Behauptung, Online-Partizipation werde deswegen nur von einer Minderheit genutzt, weil sie zu wenig bekannt sei. Sogar bei starkem bis sehr starkem Interesse an einem bestimmen Online-Partizipationsangebot liegt die tatsächliche Teilnahmequote der entsprechenden Gruppe dramatisch niedrig: beim Erstellen von Online-Petitionen bei nur drei Prozent, bei Online-Bürgerhaushalten nur bei 11 Prozent, beim Beitritt zu politischen Netzwerken bei zehn Prozent und bei der Kontaktaufnahme mit Politikern bei 20 Prozent.

Die Autoren der Studie erklären den drastischen Widerspruch zwischen Interesse und Beteiligung an Online-Partizipation einsilbig mit der „Komplexität der Aufgabe.“ Aber selbst bei sehr niedrigschwelligen Angeboten wie dem Abstimmen im Internet oder dem Mitzeichnen von Online-Petitionen sind höchstens drei Viertel der an diesen Partizipationsformen stark bzw. sehr stark Interessierten mobilisierbar.

Zu Recht weisen die Autoren der Studie schon im Blick auf partizipationsinteressierte Internetnutzer ausdrücklich auf die Möglichkeit hin, „dass eine für die Allgemeinheit wenig repräsentative Gruppe eine Partizipationsform nutzt.“Dies gilt natürlich in noch viel stärkerem Maß, wenn man als Bezugspunkt der Teilnahmequote alle Internetnutzer oder gar die Wahlbevölkerung zugrunde legt, von der übrigens ca. 25 Prozent das Internet gar nicht nutzt.

Empirische Analysen bisheriger Online-Partizipationsplattformen belegen diesen Befund

  • Trotz niedrigster Zugangschwellen durch einfache E-Mail-Registrierung haben sich z. B. an den sog. Online-Bürgerhaushalten incl. von Mehrfach-Anmeldungen und Ortsfremden meistens weniger als ein Prozent und nie mehr als fünf Prozent der dazu Berechtigten beteiligt.
  • Bei der mit großem Medienbeteiligung 2012 vom Landkreis Friesland gestarteten Beteiligungsplattform “LiquidFriesland“ haben sich in mehr als 19 Monaten von über 80.000 Berechtigten nur 552 Bürger überhaupt registriert. Sogar die „erfolgreichsten“ Abstimmungen haben nicht mehr als 50 Teilnehmer (in einem Fall waren es 104) erreicht.
  • Beim Adhocracy-Angebot der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages haben sich 2011 - 2013 bundesweit (!) lediglich 12.579 Mitglieder registriert, obwohl auch hier zur Anmeldung lediglich eine E-Mail-Adresse genügte. Es wurden auf diesem Weg aus der ganzen Republik nur 494 Vorschläge eingereicht und lediglich 2.356 Kommentare dazu abgegeben.
  • Selbst bei der Piratenpartei, die sich über den Umgang mit dem Internet definiert und die kontinuierliche Meinungsbildung und Entscheidungsfindung im Netz als eine ihrer zentralen Forderungen propagiert, stößt die parteiinterne Online-Abstimmungsplattform „Liquid Feedback“ nur auf sehr begrenztes Interesse. Dort sind von 7.988 stimmberechtigten Parteimitgliedern nur 922 aktiv, d. h. haben sich innerhalb der letzten sechs Monaten wenigstens einmal eingeloggt. (Stand jeweils 30. Juni 2014).
Diesen ernüchternden Beteiligungszahlen stehen in diametralem Gegensatz zum Selbstverständnis von Online-Plattformen, das die Autoren der Partizipationsstudie treffend beschreiben: „Online-Partizipationsprojekte aus dem politischen Feld treten häufig mit dem Anspruch an, den Prozess politischer Willensbildung demokratisch zu legitimieren und so eine möglichst große und repräsentative Menge von Beteiligten zu erreichen.“ Sie ziehen eine nüchterne Bilanz: “Der euphorischen Hoffnung, das Internet würde zu mehr Demokratie und breiterer Beteiligung führen, stehen empirische Erkenntnisse entgegen, wonach sich bei Partizipationsangeboten online ähnliche Nutzergruppen beteiligen wie in klassischen Partizipationsformaten.“

Die „Partizipationsstudie 2014“ zeigt einmal mehr, dass die Faszination über die technischen Möglichkeiten des Internets nicht von der Frage nach den Chancen und Gefahren für die Demokratie entbindet. Zur Technikfaszination muss Medienkompetenz kommen und zur Medienkompetenz gehört zwingend die Demokratiekompetenz. Wer die Chancen des Internets für Bürgerbeteiligung sinnvoll nutzen will, muss neben den Möglichkeiten auch die Grenzen des Netzes kennen. Nur eine sachliche und nüchterne Betrachtung verhindert Irrwege im Cyberspace.

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Dr. Stephan Eisel

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Projektleiter

stephan.eisel@kas.de +49 2241 246-2285

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Sankt Augustin Deutschland