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Bürgermehrheit lehnt Online-Beteiligung ab

Neue Bertelsmann-Studie bestätigt „schlechte Bewertung“

Im zweiten Halbjahr 2013 befragte die Bertelsmann-Stiftung telefonisch 2.700 Bürger ab 18 Jahren aus 27 Städten und Gemeinden nach ihren bevorzugten kommunalen Beteiligungsformen. Dem wurde die Einschätzung von 680 Entscheidungsträgern aus diesen Kommunen gegenübergestellt. Die Ergebnisse wurden im September 2014 unter dem Titel „Vielfältige Demokratie“ veröffentlicht.

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Unter allen Beteiligungsformen schnitt sowohl bei den Bürgern als auch bei den Entscheidungsträgern „Online-Beteiligung“ am deutlich schlechtesten ab und wurde in beiden Gruppen mit klarer Mehrheit abgelehnt. Dabei war die Einschätzung der befragten Bürger noch ablehnender als die der politischen Entscheidungsträger.

Die gestellte Frage lautete „Im Folgenden nenne ich Ihnen verschiedene Formen der Bürgerbeteiligung. Bitte sagen Sie mir, wie Sie die jeweilige Form auf einer Skala von 1=sehr gut bis 5=sehr schlecht, bewerten?“

43 Prozent der befragten Bürger lehnten „Online-Beteiligung“ als sehr schlecht bzw. schlecht ab, nur 33 Prozent hielten sie für sehr gut oder gut. Zum Vergleich: Die Beteiligung an Gemeinderatswahlen hielten 82 Prozent für sehr gut bzw. gut und nur 5 Prozent lehnten sie ab. Die Mitarbeit in Parteien stieß auf 65 Prozent Zustimmung und 12 Prozent Ablehnung.

Bei den politischen Entscheidungsträgern (Ratsmitglieder, Dezernenten und Bürgermeister) stieß Online-Beteiligung bei 36 Prozent auf Ablehnung und bei 29 Prozent auf Zustimmung.

Diese eindeutige Ablehnung von „Online-Beteiligung“ ist umso bemerkenswerter als in fast einem Drittel der einbezogenen Kommunen (8 von 27) Online-Beteiligungsverfahren (meist als Online-Bürgerhaushalte) bereits durchgeführt worden waren.

Die Bertelsmann-Stiftung fasst die Ergebnisse so zusammen:

„Auffallend in der Rangliste demokratischer Beteiligungswege ist jedoch die ausgesprochen schlechte Bewertung neuer Formen der Onlinebeteiligung – diese haben von allen Beteiligungsformen die geringste Zustimmung erhalten. Nur die Onlinebeteiligung bewerten mehr Menschen eher negativ (43%) als positiv (33%). Auch wenn die jüngere Generation hier deutlich besser bewertet, haben die neuen Formen netzbasierter Beteiligung noch ein vergleichsweise schlechtes Ansehen und konnten sich noch nicht als ein anerkanntes Instrument demokratischer Beteiligung etablieren.“

Diese neuen Ergebnisse entsprechen übrigens den Erkenntnissen einer Bertelsmann-Studie aus dem Jahr 2011. Damals stehen nur 39 Prozent elektronischen Petitionen und nur 32 Prozent Internet-Blogs prinzipiell positiv gegenüber. 58 bzw. 67 Prozent der Befragten sagten, das komme für nicht in Frage. Fazit der Bertelsmann-Stiftung schon 2011: „Möglicherweise in der öffentlichen Diskussion bislang überschätzt werden dagegen die neuen Formen der Meinungsbildung und Bürgerbeteiligung über das Internet. Offensichtlich sind diese Formen der Beteiligungsmöglichkeit nur für eine qualifizierte Minderheit begehrt."

Die Meinungsumfragen der Bertelsmann-Stiftung bestätigen die allgemeine Erfahrung, dass Online-Verfahren bei den Bürgern auf kaum messbare Akzeptanz und Nutzung stoßen. Trotz niedrigster Zugangsschwellen durch einfache E-Mail-Registrierung haben sich z. B. an den sog. Online-Bürgerhaushalten meistens weniger als ein Prozent und nie mehr als fünf Prozent der dazu Berechtigten beteiligt. Beim Adhocracy-Angebot der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages haben sich zwischen Januar 2011 bis zum Abschluss im Januar 2013 bundesweit (!) lediglich 12.579 Mitglieder registriert, obwohl auch hier zur Anmeldung lediglich eine E-Mail-Adresse genügte.

Auch das in den Medien zunächst gefeierte Experiment LiquidFriesland ist mangels Beteiligung gescheitert (s. Beitrag vom 22. Mai 2014). Von ca. 80.000 stimmberechtigten Bürgern im Landkreis Friesland haben sich lediglich 552 Bürger überhaupt registriert. Nur 367 Bürger haben sich bei Liquid Friesland im ersten Jahr nach der Eröffnung des Portals am 11. November 2012 wenigstens einmal an einem dort diskutierten Thema beteiligt oder einer Abstimmung teilgenommen. Seit Anfang 2014 ist auf der Plattform praktisch keine Aktivität mehr festzustellen. Über lediglich zehn Vorschläge wurde mit einer Beteiligung von durchgängig weniger als 30 Bürgern abgestimmt.

Selbst bei den Piraten, die sich über den Umgang mit dem Internet definieren und die kontinuierliche Meinungsbildung und Entscheidungsfindung im Netz als eine ihrer zentralen Forderungen propagieren, stößt die parteiinterne Abstimmungsplattform „Liquid Feedback“ nur auf sehr begrenztes Interesse (s. Beitrag vom 21. September 2012). Von den 28.498 Mitgliedern der Piratenpartei sind (weil beitragszahlend) 7.853 stimmberechtigt, aber nur 909 bei LiquidFeedback aktiv, d. h. haben sich innerhalb der letzten sechs Monaten wenigstens einmal eingeloggt. (Stand jeweils 22.Mai 2014).

Es darf im übrigens auch nicht übersehen werden, dass etwa 20 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung über 14 Jahre das Internet überhaupt nicht nutzen. Von den Bürgern mit Internetzugang sind wiederum ca ein Viertel nicht regelmäßig im Netz. Die bei weitem dominierenden Onlineanwendungen sind E-Mail-Verkehr und Suchmaschinen. Nur eine verschwindende Minderheit nutzt aktive Beteiligungsangebote. Diese Zahlen wurden soeben wieder von der ARD/ZDF-Online-Studie 2014 bestätigt.

Nur wer diese Fakten aus der Online-Welt ignoriert, kann bestreiten, dass es sich bei der „Bürgerbeteiligung im Internet“ um ein potemkinsches Dorf handelt, in dem privilegierte kleine Internet-Eliten auf Kosten der großen Mehrheit der Bürger agieren. Deshalb fehlt Abstimmungsergebnissen aus solchen von Online-Beteiligungsverfahren die demokratische Legitimität.

Wer die Chancen des Internets für Bürgerbeteiligung sinnvoll nutzen will, muss freilich diese Grenzen des Netzes ebenso kennen wie seine Möglichkeiten. Nur eine sachliche und nüchterne Betrachtung verhindert Irrwege im Cyberspace. Die Faszination über die technischen Möglichkeiten des Internets entbindet nicht von der Frage nach den Chancen und Gefahren für die Demokratie. Zur Technikfaszination muss Medienkompetenz kommen und in einer freiheitlichen Gesellschaft zur Medienkompetenz zwingend auch die Demokratiekompetenz.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Sankt Augustin Deutschland