Erfolgreiche Integration in die Duale Ausbildung
Einzeltitel
Paradoxe Lage am Arbeitsmarkt
Bundesweit blieben 2013 laut Bundesagentur für Arbeit rund 33.500 Ausbildungsstellen
unbesetzt, gleichzeitig mündeten 2013 mit 257.600 nur 2.100
junge Menschen weniger als 2012 in Maßnahmen des Übergangsbereiches
ein, der Bundesbildungsbericht 2014 spricht deshalb
von einer Stagnation im Abbau des Übergangsbereiches. Zugleich
wuchs 2013 die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber aus
früheren Berichtsjahren um 1,3% auf 165.779. Die Auflösung abgeschlossener
Ausbildungsverträge ist auf rund ein Viertel angestiegen.
Betriebe sehen den drohenden Fachkräftemangel als
eines „der größten Geschäftsrisiken“ (Dt. Industrie- und Handelskammertag
2014), gleichzeitig verfügen derzeit 13,55% (1,33 Mio.)
der 20- bis 29-Jährigen nicht über einen Berufsabschluss.
Migranten und junge Eltern haben es besonders schwer
In dieser Gruppe befinden sich sehr viele junge Eltern und damit
auch Kinder (und später auch Institutionen der Betreuung und
Bildung), die die Konsequenzen der Berufslosigkeit ihrer Mutter/
ihres Vaters von Geburt an im Rucksack des Lebens tragen
müssen. Laut Mikrozensus sind dies aktuell fast 47% aller Mütter
zwischen 16 und 24 Jahren und 31% der Väter dieser Altersgruppe,
die weder einen Berufsabschluss haben noch an Schule oder Weiterbildung teilnehmen (BIBB
Pressemitteilung 22/2013). Eine weitere große Gruppe junger Menschen, die es schwer hat,
Zugang zur Ausbildung zu finden, sind laut Berufsbildungsbericht 2014 Jugendliche, die in traditionellen
Milieus mit Migrantenhintergrund aufwachsen.
Ziel der Berufsbildung
Ziel von Berufsbildungs- und Familienpolitik muss sein, dass möglichst viele junge Menschen
einen Ausbildungsabschluss erwerben. So wird der Fachkräftebedarf gedeckt was auch positive
Auswirkungen auf die Lebensqualität hat: Zum guten Leben gehört wesentlich, dass die Dinge die
uns im Alltag umgeben, eine gute Qualität haben – und dies wird auf Dauer nicht ohne Fachkräfte möglich sein. Für die jungen Menschen in unserer Gesellschaft ist eine erfolgreich absolvierte Ausbildung der beste Weg für gesellschaftliche Teilhabe, kein abstraktes Konstrukt, sondern jede
Kommune und Nachbarschaft lebt durch Menschen, die teilhaben können und diese gelungene
Teilhabe auch an ihre Umgebung zurück spiegeln. Gute Gründe also, bei der nicht kleinen Gruppe
junger Menschen anzusetzen, die derzeit von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen ist.
Königsweg der schulischen Höherqualifizierung für Schulmüde?
Es ist an der Zeit, das „Mantra“ der schulischen Höherqualifizierung zur Verbesserung von Ausbildungschancen
zu hinterfragen. Laut DJI (Info „Übergänge im Jungendalter“ Mai 2013) ist eine
schulische Weiterqualifizierung der beste Weg zu einem Ausbildungsplatz. Gegen diese prinzipiell
einleuchtende Argumentation gibt es bei der Zielgruppe von jungen Menschen mit Risikofaktoren
Einwände: Die primär schulisch ausgerichteten Übergangsmaßnahmen bieten als Lernform, in der
oft jahrelang massive Scheiternserfahrungen gesammelt wurden, keine gute Voraussetzung für
eine Höherqualifikation, die durch „noch mehr Schule“ einen Einstieg in die Ausbildungswelt
erreichen. Auch eine in der Fachdiskussion weitgehend unbeachtet gebliebene Meldung des
Statistischen Bundesamtes (Pressemitteilung Nr.99, 13.3.2013) nährt Zweifel an dem sich quasi
automatisch einstellenden Ausbildungserfolg durch vorangehende schulische Höherqualifizierung.
Bei den im Jahre 2011 absolvierten Abschlussprüfungen der Dualen Ausbildung lag die Erfolgsquote
bei den Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss mit 78,5 Prozent gar nicht einmal so weit
unter der Erfolgsquote der Azubis mit Hochschul- bzw. Fachhochschulreife (97,1%). Auch verfügen
von den 2,2 Mio. der 20- bis 34-Jährigen ohne Berufsabschluss immerhin 1,8 Mio. über einen
Schulabschluss. Unter ihnen gibt es fast so viele Studienabbrecher (16%) wie Schulabbrecher (18
Prozent) (DGB-Expertise 2012).
Neuer Ansatz: Vorfahrt für Betrieblichkeit in einem abgestuften Unterstützungssystem
Ein Umdenken hat auf der Ebene des Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs
(„Neuer Ausbildungspakt“) stattgefunden. Er sieht in der Vermittlung „benachteiligter Jugendlicher
in betriebliche Ausbildung Priorität“ (ebd. S.4) und entspricht damit den Reformvorschlägen der
KAS (Der erfolgreiche Weg zum Berufsabschluss 2011), die als erstes in die Konzeptionen des
DGB (Expertise „Generation abgehängt“ 2012) und der überarbeiteten Version der ursprünglichen
Reformvorschläge (Übergänge mit System 2011) der Bertelsmann-Stiftung Eingang gefunden
haben (Übergänge mit System- Fünf Forderungen 2012).
Interventionsstufe 1
Bereits seit einigen Jahren werden staatlicherseits Hilfen für Risiko-Jugendliche bereitgestellt, die
auf die Integration in die berufliche Ausbildung abzielen (ausbildungsbegleitende Hilfen; EQ-Plus;
Bildungsketten; Berufseinstiegsbegleitung). Diese Maßnahmen sind eine erste Interventionsstufe,
die jedoch, so zeigt die Praxiserfahrung, in einigen Fällen nicht ausreichend eine Ausbildung zu
stützen vermögen.
Interventionsstufe 2
Für die jungen Menschen, die ein Plus an Unterstützung benötigen, existiert mit dem Konzept der
Assistierten Ausbildung, das in Baden Württemberg entwickelt, erprobt und bereits landesweit an
20 Standorten erfolgreich arbeitet, ein ausgereiftes Instrument, das auch über die Landesgrenzen
hinaus eingesetzt werden kann (KAS: Assistierte Ausbildung, 2014). Die Assistierte Ausbildung ist
von der Konzeption her bewusst auf Anschlussfähigkeit zu den bestehenden Maßnahmen, wie z.B.
Bildungsketten, angelegt. Sie ermöglicht eine reguläre betriebliche Ausbildung auf dem allgemeinen
Ausbildungsmarkt, die mit umfassenden Vorbereitungs- und Unterstützungsangeboten seitens
der Jugendberufshilfe flankiert wird. So wird das höchstmögliche Maß an beruflicher und gesellschaftliche
Teilhabe für eine Personengruppe erreicht, die häufig schon nach jahrelangen vergeblichen
Versuchen jegliche Ausbildungsbemühung aufgegeben hatte und durch ihre persönliche
Lebenssituation eine betriebliche Ausbildung für unerreichbar hielt.
Vorteile echter Betrieblichkeit:
Die Vorteile dieser neuen, im und durch den Betrieb bewerkstelligten Form der beruflichen Integration
liegen auf der Hand: Die tägliche Arbeit im Betrieb leistet vor allem Motivation für den jungen
Menschen, die Ausbildung positiv zu gestalten, durch unmittelbar erzielte Erkenntnis von der Wichtigkeit von. Weitere Motivation kann entstehen durch ein gutes Verhältnis zu den ausbildenden
Personen im Betrieb und durch die gleichberechtigte Stellung des (assistierten) Azubis in der
Berufsschule und bei der Entlohnung. Denn assistierte Azubis schließen einen regulären Vertrag
mit dem Betrieb ab und erhalten eine reguläre Ausbildungsvergütung.
Kleine Betriebe zur Ausbildung ermutigen
Die auf die individuellen Bedürfnislagen einer Hochrisikogruppe von jungen Menschen eingehende
Assistierte Ausbildung beginnt mit ihrer Dienstleistung maximal sechs Monate vor Ausbildungsbeginn
und endet, sofern notwendig, erst mit der erfolgreich abgelegten Abschlussprüfung. Die
Dienstleistung richtet sich auch an die ausbildenden Betriebe, denen sie die nicht unberechtigte
Sorge nimmt, den multiplen Problemlagen junger Menschen aus eigener Kraft nicht gewachsen zu
sein. Während große Betriebe oftmals eigens geschulte Ausbilder für diese Zielgruppe einstellen
können, sind insbesondere kleine Betriebe dazu nicht in der Lage. Werden sie allerdings durch
einen Ausbildungsassistenten unterstützt, wirkt dies als Ausbildungs-Ermutigung: So wurden in
Baden-Württemberg sogar in den Jahren der Wirtschaftskrise 30 bis 50% der Assistierten Ausbildungsplätze
zusätzlich von den Betrieben eingerichtet (KAS, Aufstieg durch (Aus)Bildung, S.246).
Hochrisikogruppen werden tatsächlich erreicht
Die fünfzehnjährige Erfahrung mit diesem Konzept zeigt, dass Hochrisikogruppen tatsächlich
erreicht werden. Beispielsweise schlossen im Jahr 2011 450 chancenarme junge Menschen in
über 80 Ausbildungsberufen erfolgreich ihre reguläre Ausbildung mit Hilfe der Assistenz ab:
- Von den Teilnehmer/innen an dem Vorbereitungsangebot der Assistierten Ausbildung begannen 70% eine Assistierte Ausbildung, 5% konnten nach der Einführungsphase bereits ihre Ausbildung ohne Assistenz weiter fortführen.
- Mehr als jeder vierte Azubi war eine junge Mutter
- Fast jede sechste Ausbildung fand in Teilzeit statt und ermöglichte jungen Eltern die Vereinbarkeit von Berufsausbildung und Familie
- Über die Hälfte der Azubis hatte einen Migrationshintergrund
- Rund ein Viertel absolvierte die Ausbildung in einem genderuntypischen Beruf
- Die Ausbildungsabbruchsquote lag bei 12%
- Der Anteil erfolgreicher Abschlussprüfungen lag leicht über dem Kammerdurchschnitt
junger Menschen mit Migrationshintergrund und/oder mit Kindern in die Arbeitswelt und in die
Gesellschaft. Der Assistierten Ausbildung kommt somit eine noch unbeachtete, aber hohe Bedeutung
im Rahmen der bisher weitgehend ungelösten Probleme im Bereich Integration von Menschen
mit Migrationshintergrund und der Prävention von problematischen Entwicklungen junger
Familien zu.
Interventionsstufe 3
Nach wie vor gibt es jedoch junge Menschen, die für ihre Berufsausbildung zumindest in einer
Übergangszeit keinen Zugang zu einem betrieblichen Ausbildungsangebot finden. Bis auf wenige
Ausnahmen brauchen wir für diese jungen Menschen professionelle Ausbildungs- und Qualifizierungsunternehmen,
die eine intensive Betreuung gewährleisten, die aber auch am ersten Arbeitsmarkt
in Kooperation mit den dort agierenden Unternehmen tätig sind (Stefan Sell, in: KAS, Der
erfolgreiche Weg zum Berufsabschluss, 2011, ebd. S.60). Ausbildungs- und Qualifizierungsunternehmen
bieten eine Mischung aus Arbeitsalltag und Sozialtherapie. Sie akquirieren für die Wirtschaft
echte Aufträge, erfüllen diese und verfügen über eigenes, fachlich qualifiziertes Ausbildungspersonal,
das von Sozialarbeitern oder Psychologen ergänzt wird. Die Ausbildungs- und
Qualifizierungsunternehmen erhalten einen finanziellen Anreiz, ihre Lehrlinge so schnell wie
möglich in eine reguläre betriebliche Ausbildung zu vermitteln. Bereits vorhandene Ausbildungs- und
Qualifizierungsunternehmen arbeiten sehr erfolgreich (vgl.ebd. s.61f.).
Stabile Arbeitsbedingungen für die sozialpädagogische Kerndienstleistung
Nicht nur die Intensivierung und flächendeckende Gewährleistung einer kontinuierlichen Begleitung
und Betreuung der jungen Menschen mit den größten Integrationsproblemen, sondern auch
die Stabilisierung und Aufwertung der Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte, die das leisten, ist eine ebenso unabdingbare wie oft ignorierte Bedingung für den Erfolg der skizzierten Ansätze. Die mit den jetzigen Arbeitsbedingungen notwendigerweise verbundene hohe Fluktuation des Personals,
die einmal aufgebaute Beziehungen zu den jungen Menschen sowie geknüpfte Netzwerke
mit Projektende abrupt abreißen lässt, ist gerade für die Jugendlichen mit prekären und „zerrissenen“
Biografien eine weitere Erfahrung von Instabilität.
Die wichtige Kerndienstleistung einer Anleitung und Begleitung junger Menschen im Verhaltensbereich
und beim Erwerb grundlegender Schlüsselqualifikationen sollte verlässlich und als Regelleistung
ausgestaltet werden. Damit könnte auch der Projektmüdigkeit von Betrieben begegnet
werden, die des ständigen Wechsels von Ansprechpartnern und Projektbezeichnungen müde sind
und sich lieber ganz aus der Ausbildung zurückziehen (Berufsbildungsbericht 2014).
Der Artikel erschien zunächst in dem Newsletter "Jugendsozialarbeit Nord", Nr. 151, November 2014