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Venezuela vor dem Zusammenbruch

von Henning Suhr

Ölpreisverfall trifft das Land hart

Venezuela trifft der Ölpreisverfall hart. Etwa 60 Prozent des Staatshaushalts werden durch die Ölrente bestritten, die im Haushaltsjahr 2015 um etwa die Hälfte einbrechen wird. Das Land verfügt weder über weitere nennenswerte Deviseneinnahmen noch über Devisenreserven und kann somit notwendige Importe nicht mehr finanzieren aus Mangel an Liquidität.

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Folge sind Versorgungsengpässe in nie dagewesenem Ausmaß, die das Land kollabieren lassen. Die Regierung unter Präsident Maduro gibt sich trotzig, doch scheinen die Tage unter seiner Führung gezählt zu sein. Venezuela stehen ungewisse Zeiten bevor. Ein Machtwechsel muss nicht zwangsläufig Besserung versprechen.

Trotz der Unsicherheit machen sich die Venezolaner bereits nachts auf dem Weg zu den staatlichen Supermärkten. Teilweise in Decken gehüllt, mit einem Kleinkind auf dem Arm oder mit einem Klappstuhl verharren sie bis um sieben Uhr morgens, wenn die Läden Einlass gewähren. In Windeseile füllen sich die Läden und es werden die rationierten Waren gekauft, die zur Verfügung stehen. Glücklich ist, wer ein halbes Hühnchen oder zwei Kilo Maismehl abbekommt. Für gewöhnlich gab es in der Vergangenheit zu Jahresbeginn Versorgungsengpässe, doch statt Besserung, verschlimmert sich die Lage in den ersten Wochen des neuen Jahres. Aus Regierungsreihen kommen aberwitzige, verschwörungstheoretische wie auch zynische Kommentare. Präsident Nicolás Maduro spricht von einen „Wirtschaftskrieg“ unter der Führung des US-amerikanischen Imperiums. Der Vize-Minister für Ernährungssicherheit Carlos Osorio befand, dass „wenn es in Venezuela keine Nahrungsmittel gäbe, es keine Warteschlangen geben würde.“ Weitere Vorschläge aus den Reihen der Regierung waren das Aufstellen von mobilen Toiletten bei den hunderten von Metern langen Schlangen, um das Warten zu erleichtern, oder mehr Kontrolle bei Einlass und Rationierung.

Ein Volk steht Schlange – Colectivos verbreiten Angst

Das Volk reagiert nervös und so müssen Miliz, Polizei und Nationalgarde ausrücken, um vor Supermärkten und anderen Läden, die für die Versorgung elementar sind, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Vielerorts kommt es zu Streitereien zwischen entnervten Menschen, die stundenlang bei Sonne und Regen in den Schlangen warten. Es gibt Festnahmen, doch werden vor allem jene, die die allgemeinen Umstände öffentlich kritisieren, aus dem Verkehr, d.h. der Schlange gezogen. Die sogenannten Colectivos, vom Staat bewaffnete und ideologisierte Gruppen von Motorradfahrern, die jenseits des Gesetzes stehen, schüchtern Wartende durch ihre Präsenz und Waffenschau ein. Zudem ist Zeitungsberichten zur Folge das Schlangestehen nicht ungefährlich, da gelegentlich die Wartenden von Dieben überfallen werden. Auch die Transporter von Nahrungsmitteln wurden in den ersten Wochen des neuen Jahres verstärkt Ziel von Überfällen. Während die Versorgungslage in den Städten noch besser ist, kommen im Hinterland immer weniger Waren an. Dabei sind es nicht nur Nahrungsmittel, sondern vor allem auch Medikamente, Ersatzteile und Hygieneartikel, die knapp und begehrt sind. Täglich berichten die wenig verbliebenen unabhängigen Zeitungen von dem Ausmaß der Unterversorgung, die die Familien an den Rand der Verzweiflung bringt.

Das sozialistische Modell hat versagt

Vordergründig ist es der Ölpreisverfall, der die aktuelle Krise verschärft. Doch der Oppositionsführer und Gouverneur von Miranda, Henrique Capriles Radonski und ebenso die Katholische Bischofskonferenz wie auch verschiedene Ökonomen machen das sozialistische Modell für den Kollaps verantwortlich. Das bisherige System konnte nur durch die exorbitant hohe Ölrente finanziert werden. Durch die Deviseneinnahmen wurden vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten, die in der Regel anspruchslos und bescheiden sind, mit Nahrungsmittelsubventionen bei Laune gehalten. Durch gezielte Medienkontrolle, Propaganda und Desinformation, aber auch durch Einschüchterung durch die Colectivos entstanden über die Jahre in den Armenvierteln der großen Städte und im Hinterland Parallelwelten, die die Regierung stark unter Kontrolle hat. Doch nun erreicht die Krise auch diese Hochburgen der chavistischen Regierung. Das Versagen des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ spüren nun auch die verbliebenen regierungstreuen Wähler. Für weitere Verwunderung haben die mehrmals wiederholten Äußerungen Maduros beigetragen, dass man Maßnahmen ankündigen (sic!) werde, wie man in Zukunft die wirtschaftliche Situation zu verbessern gedenkt. Bisher allerdings ist der Präsident jegliche Ankündigung schuldig geblieben. Eine der Maßnahmen sollte das Wechselkurssystem betreffen. Dies wurde als Ankündigung einer dringend erforderlichen Währungsabwertung interpretiert. Der offizielle Wechselkurs wurde auf 6,30 Bolivares pro US-Dollar festgelegt. Dieser entspricht jedoch längst nicht mehr den Gegebenheiten, so dass der Schwarzmarktkurs für einen US-Dollar ungefähr 30 Mal höher, bei rund 190 Bolivares liegt. Zur Entlastung gibt es noch die zwei weiteren Wechselkurse SICAD 1 und 2, die bei etwa 11 respektive 52 Bolivares pro US-Dollar notieren. Je nach Wechselkurs, der bei den Importen zugrunde gelegt werden, waren die Waren bisher erschwinglich, aber aber rar oder teuer, dafür aber verfügbar. Neuerdings sind jedoch selbst Waren, die zum teuren Schwarzmarktwechselkurs importiert wurden, nicht mehr erhältlich.

Maduro auf globaler Betteltour

Angesichts der ausufernden Krise und der katastrophalen Umfragewerte befindet sich Präsident Maduro nunmehr seit 10 Tagen auf Reisen, um bei den letzten „befreundeten“ Staaten der Erde an Kredite zu kommen oder Zahlungsaufschübe für Schuldrückzahlungen zu verhandeln. Seine Staatsbesuche führten ihn zunächst nach Moskau und Peking, im Anschluss folgten Saudi-Arabien, Katar, Iran und Algerien. In erster Linie unternahm er den wenig erfolgreichen Versuch, die OPEC-Staaten sowie Russland von der Notwendigkeit einer Reduzierung der Erdölfördermenge zu überzeugen oder Kredite zu erhalten. Medial wenig geschickt jubelte der Präsident nach der Visite in Katar, dass man Nahrungsmittel in den arabischen Staat exportieren werde, und berücksichtigte dabei nicht, dass die Nahrungsmittelkrise im eigenen Land Folge des Liquiditätsengpasses ist. In China versuchte Maduro weitere Kredite zu erhalten. Er konnte jedoch lediglich erreichen, dass China die Frist für Kredittilgungen in Form von Erdöllieferungen aufschob. Zudem sicherte China Investitionen in verschiedenen Bereichen in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar zu, löste aber nicht das Liquiditätsproblem der venezolanischen Regierung. Zunächst kündigte das Präsidialamt an, dass Maduro nach Mexiko weiterreisen werde, jedoch wurde kurzerhand ein zweiter Aufenthalt in Moskau angesetzt. Dieses Mal wird ihn Präsident Putin zwar empfangen können, doch ist es durchaus fraglich, ob Russland die Ölfördermenge reduzieren

oder gar Kredite an Venezuela vergeben wird.

Gerüchte über Putsch und Rücktritt

Die improvisierte Reise kann als Zeichen der Verzweiflung von Maduro gewertet werden. Des Weiteren kamen in den letzten Tagen die Gerüchte auf, dass er bei seiner Rückkehr nach Caracas vom eigenen Regierungslager zum Rücktritt aufgefordert werden könnte. Politische Beobachter werteten hierfür als Indiz, dass ihn seine Familie auf der gesamten Reise begleitet. Der zweite Termin in Russland kommt zudem Maduro gelegen, da für Donnerstag, den 15. Januar, die Jahresansprache von Maduro im Parlament anstand, die nun auf die Folgewoche verschoben wurde. Ob auf Initiative von Diosdado Cabello, dem mächtigen Parlamentspräsidenten, ein Militär und Widersacher von Maduro, ein regierungsinterner Wechsel eingeleitet wird, bleibt offen. Klar ist, dass der Unmut innerhalb der regierenden Partido Socialista Unido (PSUV) enorm ist. Seit Monaten ätzt die marxistische Plattform der PSUV, Marea Socialista, und fordert öffentlich einen Rücktritt von Maduro. Dieselbe Forderung stellen nun vermehrt einige namhafte Colectivos in Caracas. Die große unbekannte Variable in dem parteiinternen Machtspiel dürfte das Militär sein. Sicherlich dürfte es unzufriedene Generäle und Offiziere geben, doch sind ebenso viele Militärs eng mit der Regierung verbunden und machen nebenher lukrative legale wie illegale Geschäfte.

Die Opposition ringt um eine gemeinsame Linie

Henrique Capriles Radonski hat vor dem Hintergrund der katastrophalen Lage nach mehrwöchiger Zurückhaltung eine vielbeachtete Pressekonferenz gegeben, in der er nicht nur die Regierung scharf attackierte, sondern auch unmittelbare Forderungen aufstellte, darunter die Verbesserung der Versorgungslage, die Rücknahme aller Enteignungen, damit die Unternehmen wieder die Produktion aufnehmen können, sowie die Freilassung der politischen Gefangenen wie Leopoldo López. Gleichzeitig rief er die Opposition zur Geschlossenheit und die Venezolaner zum gewaltlosen Protest auf. Mit den Politikern María Corina Machado, Antonio Ledezma sowie der Partei Voluntad Popular, die im vergangenen Jahr mit dem Schlagwort „La Salida“ (Der Ausweg) zu Demonstrationen für einen Regierungswechsel aufriefen, habe oder werde er noch sprechen. Somit bemühte er sich sichtlich um die Einheit der Opposition, die angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen im kommenden Jahr wichtiger denn je sei. Capriles gab sich kämpferisch. Da Leopoldo Lopez aufgrund seiner Inhaftierung und Maria Corina Machado wegen eines laufenden Verfahrens politisch nur eingeschränkt agieren können, kommt Capriles eine wichtige Bedeutung zu. Derzeit ist nicht in Sicht, dass andere politische Kräfte das Land erneut gegen die Regierung mobilisieren könnten. Schlagkräftiger wäre es zweifelsohne, wenn die Parteien des gesamten Oppositionsbündnis „Mesa de Unidad Democrática“ (MUD) an einem Strang zögen.

Die nächsten Wochen werden zeigen, in welche Richtung das Land driftet. Ein regierungsinterner Wechsel scheint möglich. Ebenso halten es verschiedene politische Beobachter für möglich, dass Maduro auf die Krise mit verstärkter Gewalt und Repressionen reagiert. Hierfür ist es allerdings notwendig, dass Militär, Polizei und Colectivos, die selbst negativ von der Krise betroffen sind, mitziehen. Venezuela steuert einem ungewissen Jahr entgegen, das mit großer Wahrscheinlichkeit Veränderungen mit sich bringen wird. Diese müssen jedoch nicht unbedingt positiv sein.

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