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„Charlie Hebdo“ aus afrikanischer Perspektive

Einige Wochen nach dem Anschlag auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo ist die Flut an immer neuen Schlagzeilen, Twitter-Posts und Blog-Einträgen, die weltweite Kampagne „Je suis Charlie“, sowie die vielen Diskussionen darüber, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen, verebbt. Was bleibt ist der analytische Blick auf die Vorfälle. Betrachtet man diese nicht aus der Sicht des Westens, sondern durch die afrikanische Perspektive, so muss man sich gleich zwei Konflikten widmen.

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Zum einen einer gefühlten Ungerechtigkeit in der Berichterstattung. Während die Welt auf Charlie blickte, blieben die Anschläge von Boko Haram im Norden Nigerias zunächst weitgehend unbeachtet. Zum anderen rückte das Thema der Pressefreiheit in Afrika in den Vordergrund, ausgelöst durch die Teilnahme von Staatsführern am Solidaritätsmarsch in Paris, in deren Ländern Zensur von Medien noch immer ein Instrument zur Machtverankerung darstellt

Der andere Terroranschlag

“I am Charlie, but I am Baga too.” Auf diese Weise versuchten Blogger und andere Portalnutzer, auf die Massaker in Nigeria aufmerksam zu machen. Vom 3.- 7. Januar erfuhr das Land die bisher blutigsten Anschläge unter der Boko Haram mit schätzungsweise 2000 Toten, sowie unzähligen Verletzten und Misshandelten. Offizielle Zahlen der Regierung beschränken sich jedoch auf gerade mal 150 Tote. Zwischen Trauer und Wut bewegen sich die Emotionen der Nigerianer über den Umgang mit den Massakern. Schon in Nigeria selbst wurde in den Medien mehr über Charlie Hebdo als über die Boko Haram berichtet. Hinzu kommt, dass der eigene Präsident Goodluck Jonathan Worte der Solidarität und Verurteilung für die Vorfälle in Paris fand, jedoch keine für die Anschläge in seinem eigenen Land. Während die ungeteilte Aufmerksamkeit der internationalen Presse auf die Ereignisse um Charlie Hebdo durchaus nachvollziehbar ist, da der Terroranschlag direkt das Herz der westlichen Welt– die Pressefreiheit – getroffen hat, so ist das die Reaktion des Präsidenten und der lokalen Presse keineswegs. Wegen der bevorstehenden Wahlen versucht Präsident Jonathan die Zustände im Land durch Schweigen und Ignoranz als „sicher“ und „stabil“ erscheinen zu lassen. Wichtig wäre jedoch genau das Gegenteil: Ein Bewusstsein für die Problematik und die Grausamkeit zu schaffen – und zwar weltweit.

Seit 2009 hat die Boko Haram mehr als 10.000 Menschen getötet und ist verantwortlich für die Entführung der 276 Schülerinnen im April 2014, die international die Kampagne „Bring back our girls“ auslöste. Jetzt sieht und hört man jedoch nur noch „Je suis Charlie“ – Anschläge in Nigeria sind für die Presse schon zu alltäglich geworden. Hinzu kommt, dass die Informationsbeschaffung und Berichterstattung in abgelegen Orten, wie Baga um ein vielfaches aufwändiger und schwieriger ist, als es das in einer Großstadt in Europa ist. Paris ist trotz der Anschläge kein Krisengebiet – Baga schon. Und das schränkt viele Nachrichtendienste stark ein. Es ist somit nicht verwunderlich, dass die Ereignisse um Charlie Hebdo bei den Nigerianern die Frustration des Vergessenwerdens weckten, wobei sich diese nicht nur gegen den Westen, sondern vor allem auch gegen die eigene Regierung richtete. „Ich war wütend in meinem Herzen. Aber meine Wut galt meiner Regierung, weil meine Regierung und meine Herrscher ihre eigenen Menschen schätzen müssen. Wenn man nicht zuerst seine eigenen Menschen schätzt, wie kann man das von anderen erwarten?“ fragt nigerianische Pastorin Ibanga im Interview mit GlobalVoices.

Pressefreiheit – ein gefährdetes Gut

Durch die Diskussionen im Zusammenhang mit Charlie Hebdo ist auch das Thema „Pressefreiheit in Afrika“ wieder an die Oberfläche gerückt. Obwohl Meinungs- und Pressefreiheit in den meisten Verfassungen Afrikas verankert sind, so sieht die Realität oft ganz anders aus. Viele Staatsführer schränken die Presse gezielt ein, um ihre Macht zu sichern. Der kenianische Blogger Daniel Ominde beschreibt die Situation folgendermaßen: “Die Regierung behauptet zwar, dass sie Meinungs- und Pressefreiheit, wie sie in unserer Verfassung in Artikel 33 verankert ist, unterstützt. Gleichzeitig hintergeht sie diese wichtige Freiheit und verabschiedet Gesetze, die die Bürger in ihrer Kommunikation einschränken. Die Gesetze (…) werden durch das Gericht so interpretiert, dass sie die Interessen der Regierung stützen. Sie werden gegen diejenigen verwendet, die gegen Korruption und den Überfluss in der Regierung kämpfen.“

Dementsprechend waren auch viele erbost über die Teilnahme von beispielsweise Malis Präsidenten Keita am Solidaritätsmarsch in Paris. Heuchelei wird ihm vorgeworfen – und wenn man sich Verfahren gegen Journalisten in seinem Land anschaut, mit Recht. So setzte die malische Regierung beispielsweise die Redakteurin des News-Portals „MaliActu“ stark unter Druck, einen kritischen Artikel über das malische Militär zurückzunehmen. Ansonsten würden sie das gesamte Portal zensieren, war die Drohung. Außerdem wurde eine französische Journalistin aus Gao ausgewiesen, nachdem sie bei „L’Express“ einen Artikel über Menschenrechtsverletzungen durch das Militär in Gao veröffentlicht hatte. Ihr blieb nicht einmal die Zeit, persönliche Besitztümer mitzunehmen. Ein weiteres Beispiel bietet die Verhaftung des Redakteurs der malischen Zeitung „Le Republicain“ im März 2013. Nach internationalen Protesten wurde er 27 Tage später wieder freigelassen. Vor allem nach dem Militärputsch im März 2012 und der Machtübernahme der Islamisten im Norden des Landes wurden unzählige Verbrechen an Journalisten begangen, sowie fünf Radiosender gewaltsam geschlossen. Fairerweise muss man jedoch darauf hinweisen, dass Keita zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Amt war.

Doch nicht nur in Mali, auch in vielen weiteren Staaten Afrikas wird das Recht auf Pressefreiheit in mehrerer Hinsicht verletzt. Dazu zählen unter anderem Eritrea, Äthiopien, Somalia und der Sudan, die in der Rangliste der Pressefreiheit 2014 von „Reporters without Borders“ alle in das letzte Viertel fallen. In Äthiopien sitzen beispielsweise momentan fast 20 Journalisten im Gefängnis und dutzende sind aus Angst vor Verfolgung aus dem Land geflohen. Eritrea wiederum zählt als das größte Medien-Gefängnis in Afrika, wo sich momentan 28 Journalisten in Haft befinden. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass die Tätigkeit von Journalisten in Afrika häufig mit Risiko und Angst verbunden ist und man vielerorts noch weit von echter Pressefreiheit entfernt ist. „Die Attacken auf Charlie Hebdo waren eine Erinnerung daran, in was für einem Umfeld wir als Journalisten und Blogger arbeiten. (…) Als Blogger haben wir Angst“, sagt Daniel Ominde. „Die dunklen Tage sind gekommen.“ Denn auch in Ländern wie Kenia oder Südafrika, in denen weitgehend „echte“ Pressefreiheit herrscht, wird diese geschickt durch Berufung auf Straftaten wie „Diffamierung“ unterwandert.

Doch gibt es neben den vielen Negativschlagzeilen glücklicherweise auch klare Tendenzen, die Meinungsfreiheit in Afrika stärker zu verankern: So hat beispielsweise das Pan-Afrikanische-Parlament im Mai 2013 die Midrand Declaration zur Pressefreiheit in Afrika verabschiedet. Durch jährliche Untersuchungen und Auswertung der Pressefreiheit in den einzelnen Ländern sowie der Vergabe von Auszeichnungen, sollen die Ideale der Meinungsfreiheit über den gesamten Kontinent gefestigt werden. Hinzu kommen kleine Siege, wie Ende 2014 im Konaté-Fall. Konaté, Redakteur der Wochenzeitung L’Ouragan in Burkina Faso, war 2012 wegen Diffamierungsvorwürfen zu 12 Monaten Haft und umgerechnet 6000€ Geldstrafe verurteilt worden. Da dieses Urteil jedoch absolut unverhältnismäßig ist, hat er es angefochten - und gewonnen. Der Afrikanische Gerichtshof für Menschen- und Völkerrechte hat durch diese Entscheidung ein klares Zeichen für die Pressefreiheit gesetzt.

Gemischte Gefühle in Afrika

Abschließend bleibt festzuhalten, dass zu der Frage, wie die Menschen in Afrika die Ereignisse um Charlie Hebdo bewerten, sehr gemischte Gefühle und unterschiedliche Positionen bestehen: Während die Terroranschläge klar verurteilt werden, steht man Gotteslästerung empfindlich gegenüber und sieht somit Charlie Hebdo auch sehr kritisch. Anfänglich überwog in den meisten Ländern Schock und Betroffenheit, sowie eine gezielte Distanzierung der muslimischen Verbände von den Ereignissen um Charlie Hebdo. Durch die Veröffentlichung der neuen Charlie Hebdo Ausgabe, auf deren Titelseite Mohammed abgebildet war, schlug diese Betroffenheit jedoch auch in Verärgerung um. Nachdem der senegalesische Staatschef Macky Sall anfangs die Anschläge scharf verurteilt hatte, ließ er trotzdem wenige Tage später verbieten, die Titelseite in der nationalen Presse abzudrucken. Auch in anderen zutiefst muslimisch geprägten Ländern haben sich die Menschen durch die Abbildung ihres Propheten erneut angegriffen gefühlt. In Somalia, Mauretanien, Mali, im Senegal und im Sudan kam es verbreitet zu friedlichen Protesten, während diese im Niger bis zu Anschlägen auf Kirchen, französische Bars und Hotels sowie das französische Kulturzentrum ausarteten. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben.

Im Süden Afrikas überwiegt hingegen nach wie vor die Bestürzung und Betroffenheit über den Anschlag in Paris, da hier auf Grund der christlich geprägten Religionen der Blasphemie-Konflikt nicht aufgekommen ist.

So hat „Charlie Hebdo“, aus afrikanischer Sicht betrachtet, eines ganz besonders verdeutlicht: Objektiv verurteilenswerte terroristische Anschläge führen je nach eigener Betroffenheit und kulturellem Hintergrund zu unterschiedlichen Auffassungen: Im Gegensatz zu der überwiegenden Betroffenheit im Westen, zeigte sich in Afrika auch viel Unmut, einerseits über die in Charlie Hebdo zur Schau gestellte Blasphemie, andererseits über das in den Hintergrund gerückte Massaker von Boko Haram. Einigkeit besteht jedoch ganz klar in einem Punkt: Religiöse Konflikte und terroristische Aktionen gehören auf beiden Kontinenten zu den größten Herausforderungen der Sicherheitspolitik.

Katharina Weber, Praktikantin des Medienprogrammes Subsahara Afrika

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