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Vertraute Fremde – Muslime in Bulgarien (Teil IV)

Belastete Beziehungen

Für eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia in Auftrag gegebene journalistische Recherche haben der Photograph Christian Muhrbeck und Frank Stier Anfang April 2015 von Muslimen besiedelte Provinzen bereist. 'Wie leben Muslime in Bulgarien und wie praktizieren sie ihren Glauben?' lautete ihr Erkenntnisinteresse. Außer mit Muslimen - Muftis, Imamen und Gläubigen – haben Muhrbeck und Stier auch mit Journalisten und Wissenschaftlern gesprochen, die einen Expertenblick auf das Thema haben.

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„Türken sterbt!“ hat jemand auf das Ortsschild für den Bezirk Kardschali geschrieben und die gleichermaßen menschenverachtende Losung „Tod den Türken!“ findet sich an die Wände des Eingang zur Regionalmuftei Blageovgrad in Gotse Deltschev geschmiert. Offensichtlich besteht in schroffem Kontrast zu der von vielen unserer Gesprächspartnern beschworenen friedlichen Koexistenz der ethnischen und religiösen Volksgruppen in Bulgarien ein nicht zu unterschätzendes Aggressionspotenzial vor allem seitens minderheitenfeindlicher Nationalisten. Ende März 2015 sah sich Großmufti Mustaf Hadschi zu der Forderung veranlasst, der Abgeordnete Valeri Simeonov solle wegen Hassrede im Parlament strafrechtlich verfolgt werden. „Warum hat nach Schließen der Wahllokale in Sarnitsa der Hodscha vom Minarett geheult? Und was hat er vom Minarett geheult? Vielleicht Glückwünsche in unverständlicher Sprache“, hatte Simeonov, Fraktionsvorsitzender der Patriotischen Front, vom Rednerpult der Bulgarischen Nationalversammlung herab die Kommunalwahlen in der Rhodopenstadt kommentiert und Wahlmanipulation durch die als Partei der bulgarischen Muslime geltenden „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) suggeriert.

Abgesehen von der nationalistischen, sich immer wieder in Übergriffen auf muslimische Einrichtungen manifestierenden Feindseligkeit und dem von vielen als ungerechtfertigt empfundenen Pasardschik-Prozess gibt es auch alltäglichere Probleme, die das Verhältnis zwischen muslimischer Minderheit und dem bulgarischen Staat belasten. Zu ihnen gehört der vor Gericht verhandelte Streit um die Rückgabe einst den Muslimen gehörender Immobilien wie der Moscheen in Karlovo, Stara Zagora und Kjustendil und die bisher nicht erteilte Genehmigung zum Bau eines islamischen Zentrums mit einem Höheren Lehrinstitut zur Ausbildung von Imamen in der Hauptstadt Sofia. Eine die Muslimische Gemeinde und die Orthodoxe Kirche einende Forderung an den bulgarischen Staat ist die nach obligatorischem Religionsunterricht in staatlichen Schulen. „In Gegenden, wo die Christen die Mehrheit stellen, sollte in den Schulen die christliche Religion gelehrt werden, in mehrheitlich von Muslime besiedelten Gegenden der Islam“, schlägt Kardschalis Mufti Beihan Mehmed vor und bedauert „fehlenden politischen Willen“.

Jeden Freitagmittag bietet die Banja Baschi-Moschee im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt Sofia das gleiche Bild. Weil die aus dem 16. Jahrhundert stammende, architektonisch bedeutende Moschee nicht groß genug ist, um alle Gläubigen zum Mittagsgebet aufzunehmen, müssen einige hundert Muslime ihr Gebet auf ausgerollten Kunststoffmatten auf dem Trottoir des Boulevards Maria Louisa verrichten. „Sofia braucht eine zweite Moschee“, fordert Imam Ayhan Mustafa. Von Mal zu Mal kämen mehr Gläubige zum Freitagsgebet; seien es vor fünf, sechs Jahren noch fünf- bis sechshundert gewesen, wären es inzwischen doppelt so viele. „Der wachsende Zuspruch ist ein Zeichen zunehmender Religiosität unter den bulgarischen Muslimen. Insgesamt besucht aber nur ein kleiner Teil von ihnen regelmäßig die Moschee“, sagt Mustafa. Die Zahl in Sofia lebender Muslime schätzt er auf 90 000, sie ist durch Zuzug arabischer Kriegsflüchtlinge in den vergangenen Jahren leicht gestiegen.

Wären die meisten Probleme der bulgarischen Muslime mit gutem Willen pragmatisch zu lösen, so wiegen die historischen Hypotheken schwerer, die das Verhältnis zwischen muslimischer Minderheit und christlich-orthodoxer Mehrheitsgesellschaft belasten. Zu ihnen gehört bspw. die ideologische Auseinandersetzung um die Identität der Pomaken; ob sie nun islamisierte Bulgaren sind oder eine eigene Ethnie muslimischen Glaubens? Ebenso strittig ist die historische Einschätzung der fast fünfhundert Jahre währenden Periode der Osmanischen Fremdherrschaft, ob der gebräuchliche Terminus „Türken-Joch“ ihre Realität angemessen beschreibt? Stark präsent im Bewusstsein der bulgarischen Muslime sind die zahlreichen vom bulgarischen Staat gegen sie vorgenommenen Assimilierungsversuche im Verlaufe des 20. Jahrhunderts. Allein der sogenannte Wiedergeburtsprozess mit der zwangsweisen Ersetzung arabischer durch bulgarische Namen hat noch unmittelbar vor dem Sturz des kommunistischen Regimes 1989 zum Massenexodus hunderttausender Muslime vor allem in Richtung Türkei geführt. „Bis heute hat es keine rechtliche Aufarbeitung des Wiedergeburtsprozesses gegeben und kein Versuch der Wiedergutmachung“, kritisiert Anthony Georgieff das Verdrängen dieses tragischen Teils der bulgarischen Geschichte.

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22. Juni 2015
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