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Fluchtursachen bekämpfen

von Dr. Patrick Keller

Eine außen- und sicherheitspolitische Aufgabe

Ebenso vielfältig wie die Motive der Flüchtlinge, die derzeit nach Europa strömen, sind die Aufgaben, die diese Massenmigration stellt. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, bedarf es einer gemeinsamen Grenz- und Aufnahmepolitik der EU, einer fairen Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Union und nicht zuletzt einer klugen Integrationspolitik – die schon bei einer angemessen ausgestatteten und befähigten Verwaltung beginnt. Neben diesen reaktiven Maßnahmen, dem Management der Migrationsbewegung, braucht es aber auch aktive Maßnahmen, welche die Ursachen der Flüchtlingswelle angehen.

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Wirtschaftliche Not, Perspektivlosigkeit, Krieg und Verfolgung – das sind die häufigsten Gründe, warum Menschen ihre Heimat in Afrika und im Nahen Osten verlassen und sich auf den gefährlichen Weg nach Europa machen. Vieles davon wird sich nicht durch deutsche und europäische Politik ändern lassen, schon gar nicht kurzfristig. Aber es ist auch klar, dass Europa Wege finden muss, zu einer Verbesserung der Lage in den Ursprungsländern beizutragen, wenn es sich nicht gewaltsam abschotten oder in die gesellschaftspolitische Überforderung geraten will. Ernstzunehmende Stimmen in Großbritannien und Mittelosteuropa machen schon jetzt deutlich, dass ohne eine entschlossene Bekämpfung der Fluchtursachen auch der politische Zusammenhalt der EU-Staaten gefährdet ist – von der hochgeschätzten Freizügigkeit ganz zu schweigen.

Die Bundesregierung widmet sich der Bekämpfung der Fluchtursachen bereits, vor allem durch wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit, die zur Stabilisierung kritischer Regionen und ihrer Entwicklung zu prosperierenden Rechtsstaaten beiträgt. Das ist die richtige Priorität, und auch den politischen Stiftungen mit ihren zivilgesellschaftlichen Projekten kommt dabei eine wichtige Rolle zu.

Darüber hinaus hat die Flüchtlingsproblematik jedoch auch eine genuin sicherheitspolitische Dimension, und zwar sowohl im Management als auch in der Ursachenbekämpfung. Zum Management gehören die Grenzsicherung, insbesondere im Mittelmeer, oder die technisch-logistische Unterstützung durch die Bundeswehr bei der Versorgung der Flüchtlinge. Dazu gehört auch die polizeiliche Bekämpfung der Schlepperbanden und des Netzwerks organisierter Kriminalität, das im Schatten der Flüchtlingsbewegungen blüht und von ihnen profitiert.

Heikel wird es bei der sicherheitspolitischen Dimension der Ursachenbekämpfung. So ist unstrittig, dass der syrische Bürgerkrieg verantwortlich ist für Hunderttausende der Flüchtlinge, die nun nach Europa kommen. Es ist auch unstrittig, dass Europa (ebenso wie die Regierung Obama) wenig getan hat, um diesem Bürgerkrieg ein frühes Ende zu setzen. Manche Beobachter argumentieren, dass ein frühes militärisches Eingreifen, zumindest in Form einer Flugverbotszone, zum Sturz des Diktators Assad und einer Stärkung der demokratisch orientierten Aufstandsbewegung geführt hätte – und damit sogar die Ausweitung des "Islamischen Staates" (IS) zu seiner heutigen Macht hätte verhindern können. Andere nennen dies naiv und verweisen auf die Lage in Libyen und Irak, wo westliche Militärinterventionen nicht die erhoffte Stabilität brachten.

Ohne diese Debatte entscheiden zu wollen: Deutschland wird intensiv über Lektionen aus Syrien und anderen (Nicht-)Interventionen nachdenken müssen. Denn im Einzelfall kann militärisches Eingreifen geboten sein, um größeres Leid und entsprechende Flüchtlingsbewegungen zu verhindern. Das zeigen die gegenwärtigen Luftschläge gegen den IS, und es ist auch eine Lehre der Balkankriege der 1990er Jahre. Diesen Einzelfall zu erkennen und dann rechtzeitig zu handeln, erfordert eine vertiefte Beschäftigung mit den Krisen unserer Nachbarschaft und mit den militärischen Fähigkeiten, über die Deutschland mit seinen Bündnispartnern verfügt bzw. verfügen sollte.

Aus dem Interventions-Dilemma ergibt sich auch die politische Aufgabe, das Spektrum sicherheitspolitischer Handlungsoptionen in der Fluchtursachenbekämpfung zu erweitern. Es darf nicht nur die Wahl bestehen zwischen einer Invasion mit Bodentruppen der Bundeswehr auf der einen Seite und Nichtstun auf der anderen. Die Zwischenstufen müssen ausgelotet und ebenso fachkundig wie öffentlich erörtert werden.

Die Bundesregierung ist dazu mit ihrer "Ertüchtigungs-Initiative" schon einen wichtigen Schritt gegangen. Bei dieser Initiative geht es darum, Partnerstaaten in Krisenregionen zu stärken, auch durch militärische Zusammenarbeit wie Waffenlieferungen und Ausbildung. Dadurch sollen Garanten von Stabilität gefestigt werden, um beispielsweise terroristische Gruppierungen abschrecken bzw. abwehren zu können. Deutschland hat diese "Enable and Enhance Initiative" (E2I) auf europäischer Ebene eingeführt und Geld für die Ertüchtigung bereitgestellt.

Diese Orientierung auf Europa ist richtig, weil auch die "Ertüchtigung" uns nicht aus der Verantwortung entlassen wird, im Ernstfall auch eigene Truppen entsenden zu können. Die europäischen Battle Groups als Krisenreaktionskräfte wären dazu ein denkbares Instrument. Wenn also dieser Tage in Brüssel und in den Hauptstädten Europas an einer neuen Europäischen Sicherheitsstrategie gefeilt wird, die das Dokument von 2003 ersetzen soll, wird es darin auch um Mittel zur Bekämpfung der Fluchtursachen gehen müssen.

Stand: 15.09.2015

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Herausgeber

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Berlin Deutschland