Asset-Herausgeber

Auslandsinformationen

Zwischen Vision und Wirklichkeit

von Denis Schrey, Michael Winzer, Thomas Yoshimura

Die Wahrnehmung der ASEAN Economic Community in Thailand, Kambodscha und Indonesien

Am 22. November 2015 haben die zehn Mitgliedstaaten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) die Gründung einer Wirtschaftsgemeinschaft beschlossen. Der damit angestoßene Integrationsprozess könnte in der ohnehin dynamischen Region weitere Wachstumspotenziale freisetzen. Ob sich auf diesem Weg auch ein regionales Bewusstsein oder gar eine gemeinsame regionalen Identität entwickeln werden, bleibt allerdings abzuwarten.

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Ende 2015 entstand in einer der dynamischsten Regionen der Erde – zumindest dem Namen nach – eine neue Wirtschaftsgemeinschaft: In Südostasien unternehmen Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam mit ihren insgesamt über 600 Millionen Einwohnern und der zusammengenommen siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt mit Gründung der ASEAN Economic Community(AEC) einen großen Schritt zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Güter, Dienstleistungen, Investitionen und Arbeit. Der regionale Integrationsprozess wird dadurch zwar noch nicht abgeschlossen, die AEC ermöglicht jedoch, der Realisierung unbestreitbarer Potenziale weiteren Zusammenwachsens neuen Anschub zu geben. Bis 2020 soll die Region eine Mittelschicht von 400 Millionen Menschen zählen und unter anderem durch Abschaffung sämtlicher Zölle und nicht-tarifärer Handelshemmnisse als ganzheitlicher Produktionsstandort und Absatzmarkt gleichermaßen noch attraktiver für Investitionen aus dem In- und Ausland werden.

Der ASEAN Way

Die Association of Southeast Asian Nations(ASEAN) blickt auf eine fast 50-jährige Geschichte zurück. Am 8. August 1967 gründeten Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Thailand die Organisation zur Beförderung der Entwicklung und Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht. Weiterer wichtiger Schwerpunkt war ein Beitrag zu Sicherheit und Stabilität in der Region, die nach Ansicht der Beteiligten vor allem von kommunistischen Kräften bedroht wurden. Wenngleich die Diskussionen anhalten, wie viel im Rahmen von ASEAN wirklich erreicht wurde und welchen Einfluss die Organisation tatsächlich auf die Entwicklungen in der Region nimmt, konnte die Vereinigung fortbestehen, unter sich grundlegend wandelnden Rahmenbedingungen – insbesondere nach und durch Aufnahme weiterer Mitglieder (Brunei 1984, Vietnam 1995, Laos und Myanmar 1997, Kambodscha 1999) – immer wieder neue Ansprüche artikulieren und sich als Akteur und Bezugsrahmen für regionale Belange unter anderem in den Bereichen Sicherheit und Wirtschaft profilieren:

Auf das Ende des Vietnamkriegs folgte 1976 das erste ASEAN-Treffen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs, auf dem der ASEAN Concord und der „Vertrag für Freundschaft und Zusammenarbeit“ verabschiedet wurden, dessen Anerkennung heute Voraussetzung zur Teilnahme am East Asia Summit (EAS) ist.

1994 fand das erste Treffen des ASEAN Regional Forum (ARF) statt, des seinerzeit ersten multilateralen Forums zur Sicherheitspolitik in Asien, inzwischen ergänzt durch ASEAN Defence Ministers Meeting (ADMM) und ASEAN Maritime Forum (AMF).

Vor dem Hintergrund der von Australien mit Unterstützung der USA initiierten Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) entstand als Ausdruck eigener Ideal- und Wertvorstellungen (ASEAN Way) die Idee eines „rein asiatischen“ Asian Economic Caucus, aus der unter anderem 1992 ein Vorschlag zur 2003 verwirklichten ASEAN-Freihandelszone erwuchs und die nach Ende der asiatischen Finanzkrise 1997 mit der Initiierung des ASEAN+3-Prozesses und der Chiang Mai Initiative (CMI) konkretere Formen annahm.

Zum Jahrtausendwechsel verkündeten die inzwischen zehn ASEAN-Mitglieder, mit der Initiative for ASEAN Integration (IAI) den extremen Entwicklungsunterschieden in der Region entgegenwirken und mit mehr und tieferer Integration voranschreiten zu wollen. Beim ASEAN-Gipfeltreffen 2003 wurden hierfür im Rahmen des ASEAN Concord II nicht nur ursprüngliche Beschlüsse bestärkt, sondern gleichzeitig die Gründung einer ASEAN Community angekündigt, die aus den drei Pfeilern ASEAN Economic Community (AEC), ASEAN Political-Security Community (APSC) und ASEAN Socio-Cultural Community (ASCC) bestehen soll. Die AEC, die schnell zum Fokus internationaler Aufmerksamkeit avancierte, soll hier näher betrachtet werden.

Die ASEAN Economic Community

Zum vierzigjährigen Jubiläum der Organisation wurde 2007 in Singapur zusammen mit der verfassungsartigen ASEAN Charter ein AEC Blueprint verabschiedet, der die Ziele der Wirtschaftsgemeinschaft definiert:

„The AEC will establish ASEAN as a single market and production base, which shall comprise five core elements: (i) free flow of goods; (ii) free flow of services; (iii) free flow of investment; (iv) freer flow of capital; and (v) free flow of skilled labour.“

Durch Entwicklung und Integration in den Bereichen Wettbewerbspolitik, Verbraucherschutz, Urheberrecht, Infrastruktur, Besteuerung und E-Commerce soll zudem die Wettbewerbsfähigkeit der Region gesteigert werden. Die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen und die gezielte Integration der wirtschaftlich schwächeren Mitgliedsstaaten Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam (CLMV) sollen zur Verringerung der Entwicklungsunterschiede beitragen. Zudem sollen eine größere Kohärenz der Außenwirtschaftsbeziehungen und eine stärkere Einbindung in globale Produktionsketten genutzt werden, um die Mitgliedsstaaten weiter in die Weltwirtschaft zu integrieren.

Die Gründung des AEC ist als ein Schritt des Integrationsprozesses und nicht als dessen Abschluss zu betrachten.

Der offizielle Beginn der AEC ist nun erfolgt. Die Einschätzungen über den aktuellen Stand und weitere Aussichten bei der Verwirklichung der hochgesteckten Ziele variieren stark – zum einen innerhalb der Region im Gegensatz zu außerhalb, zum anderen sowohl zwischen wie auch innerhalb der einzelnen Mitgliedsstaaten. Das vollständige Erreichen aller Vorgaben erwarten jedoch selbst die größten Befürworter nicht. Ohnehin erscheint es angebrachter, den Beginn der AEC als einen weiteren Schritt im Integrationsprozess und nicht als dessen Abschluss zu betrachten. Die etablierte Praxis der ASEAN unterscheidet sich vom Modell der EU, dem entgegen vermeintlicher Annahmen nur wenig tatsächlich entliehen wurde. Unter Berufung auf Grundsätze von Souveränität und Nichteinmischung hatte wirtschaftliche Integration in Südostasien immer nur dort ihren Platz, wo ihr allseitiger Nutzen unbestritten blieb. Dadurch folgte stets mehr graduelle Veränderung unter Berücksichtigung individueller Umstände anstelle augenblicklicher Implementierung eindeutig definierter, für alle gleichermaßen verbindlicher Regelsätze und strikter Vorgaben für deren Einhaltung. Doch selbst unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe können manchem Zweifel am unmittelbaren Erfolg der AEC bleiben.

In Thailand etwa verdeutlicht sich zunehmend die dringende Notwendigkeit für Strukturreformen, um durch eine Steigerung der unzureichenden Wettbewerbsfähigkeit große Wirtschafts- und Bevölkerungsteile auf die bevorstehende Intensivierung des regionalen Wettbewerbs vorzubereiten. Noch gravierender trifft dies auf ein Land wie Kambodscha zu, das einerseits bemüht bleibt, als Produktions- und Investitionsstandort attraktiver zu werden, dafür auch besonders die eigenen Arbeitskräfte besser qualifizieren muss, und gleichzeitig vor der Herausforderung steht, die Abwanderung dieses Humankapitals in weiter entwickelte Nachbarstaaten zu begrenzen. In Indonesien böte eine umfassendere Erkenntnis der Vorteile regionaler Integration und offener Wirtschaftspolitik die Chance, in Ergänzung und ebenso unter Voraussetzung weitreichender Reformvorhaben die zuletzt schwächelnde Wachstumsentwicklung wieder anzustoßen. Diese drei Fallbeispiele, Thailand, Kambodscha und Indonesien, sollen im Folgenden ausführlicher thematisiert werden.

Thailand

Der seit mehreren Jahren immer wieder blutig eskalierende politische Konflikt und die damit verbundene politische Instabilität haben wichtige Wirtschaftsthemen in Thailand in den letzten Jahren zunehmend von der politischen Agenda verdrängt. Auch die öffentliche Wahrnehmung und die mediale Berichterstattung haben sich sehr stark auf den politischen Konflikt konzentriert, sodass auch hier andere wichtige Themen wie beispielsweise das Inkrafttreten der ASEAN Economic Community und die damit verbundenen Konsequenzen bisher nicht die angemessene öffentliche Aufmerksamkeit bekommen haben.

Mit dem Militärputsch am 22. Mai 2014 haben sich die Beziehungen zwischen Thailand und der EU sowie den USA verschlechtert. Der Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und einer nicht demokratisch legitimierten thailändischen Regierung sowie eine damit verbundene deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sind unwahrscheinlich. Darüber hinaus hat auch das Wirtschaftswachstum in den letzten beiden Jahren insbesondere durch die politischen Unruhen stark gelitten. Nach einem Wirtschaftswachstum von weniger als einem Prozent im Jahr 2014 gibt es Befürchtungen, dass Thailand im Jahr 2015 nicht einmal die von der Bank of Thailand bereits mehrfach nach unten korrigierte Prognose von drei Prozent erreichen kann. Grund hierfür ist unter anderem, dass seit Beginn des Jahres 2015 die Exporte Thailands in bisher fünf aufeinanderfolgenden Monaten kontinuierlich zurückgegangen sind.

Dies macht deutlich, dass für die thailändische Wirtschaft dringend neue Wachstumsimpulse erforderlich sind und neue Märkte erschlossen werden müssen, um möglichst bald wieder auf einen soliden Wachstumspfad zurückzukehren. Das Inkrafttreten der AEC ist insbesondere in der aktuellen Situation eine wichtige Gelegenheit, um die lahmende Wirtschaft Thailands anzukurbeln.

In Thailand, in seiner Geschichte nie kolonialisiert und daher oft von äußeren Einflüssen abgeschottet, werden immer mehr auch die Nachbarländer in den Fokus der Wahrnehmung gerückt. Einer in den letzten Jahrzehnten entstandenen kaufkräftigen Mittelschicht ist es in den letzten Jahren verstärkt möglich geworden, sich andere ASEAN-Länder durch touristische Reisen zu erschließen und somit kennenzulernen. Ebenso hat sich Thailand in den letzten Jahren von einem Nehmerland hin zu einem Geberland von Entwicklungshilfe gewandelt. Es werden verstärkt entwicklungspolitische Programme in ärmeren ASEAN-Ländern umgesetzt, was in der Bevölkerung auch die Aufmerksamkeit und das Interesse für die Lebensbedingungen und die Zusammenarbeit mit diesen Ländern erhöht.

Waren-und Dienstleistungsfreiheit

Aufgrund des im Jahr 2013 in Thailand eingeführten Mindestlohns sind in einigen Branchen die Löhne gestiegen. Dies hat dazu beigetragen, dass arbeitsintensive Produktion in ärmeren und weniger entwickelten ASEAN-Ländern inzwischen zum Teil deutlich günstiger ist. Speziell die Landwirtschaft kämpft derzeit mit vergleichsweise hohen Kosten und niedriger Produktivität: Während beispielsweise in Vietnam 862,4 Kilogramm Reis pro rai produziert werden, sind es in Thailand lediglich 448 Kilogramm. Aufgrund solcher großen Unterschiede ist zu erwarten, dass insbesondere schlecht ausgebildete und in der Landwirtschaft tätige Menschen in Thailand durch das Inkrafttreten der AEC und dem damit verschärften Wettbewerb mit massiven Problemen konfrontiert werden. Zwar gibt es für verschiedene landwirtschaftliche Produkte zunächst noch Ausnahmeregelungen, aber mittel- und langfristig wird die AEC nicht um die Abschaffung solcher Ausnahmen herumkommen.

Dieses Beispiel zeigt, dass Thailand entweder, um die Chancen der AEC zu nutzen, tiefe Strukturreformen und insbesondere eine Reform des Bildungssystems durchführen muss. Andernfalls kann das Inkrafttreten der AEC zum Zusammenbruch unproduktiver Wirtschaftssektoren und zu steigender Arbeitslosigkeit führen, falls die thailändische Wirtschaft nicht eine höhere Stufe in der Wertschöpfungskette erreicht und somit durch Produktivitätsfortschritte höhere Produktionskosten kompensieren kann.

Andererseits gibt es natürlich viele Branchen, die von einer Öffnung der Märkte und wirtschaftlichen Integration massiv profitieren. Durch die weitere Entwicklung und Förderung von hoch entwickelten Industrie- und Dienstleistungsbranchen könnte Thailand den endgültigen Schritt von einem Schwellen- hin zu einem Industrieland schaffen. Bereits jetzt ist Thailand beispielsweise aufgrund vergleichsweise niedriger Kosten und hoher medizinischer Standards weltweit eines der beliebtesten Länder für Medizintourismus. Es wird daher erwartet, dass insbesondere die Gesundheitsindustrie von der AEC und dem dadurch prognostizierten Wirtschaftswachstum in der Region sowie der Personenfreizügigkeit profitiert. Der Boom der privaten Krankenhäuser hat allerdings bereits jetzt zu einem Ärztemangel bei den öffentlichen Krankenhäusern geführt, die niedrigere Gehälter bezahlen. Da die thailändische Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten darüber hinaus stark altern wird, muss dringend die Ausbildung von Ärzten und Pflegepersonal in Thailand verbessert und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse vereinfacht werden. Wie dieses Beispiel zeigt, bietet die AEC für Thailand zwar sehr viele Chancen. Jedoch müssen zunächst dringend politische Entscheidungen getroffen werden, um die Risiken zu minimieren und notwendige Anpassungsprozesse und Reformen zu vollziehen.

Investitionsfreiheit

Thailand hat in den letzten Jahrzehnten in beeindruckender Weise den Wandel von einem Agrarstaat hin zu einem sogenannten Upper-Middle Income Country geschafft und wichtige Bereiche wie beispielsweise die Wirtschaftsleistung und den Zugang zum Sozialsystem deutlich verbessert. Während im Jahr 1960 noch 82,5 Prozent der Erwerbstätigen im Agrarsektor tätig waren, waren es im Jahr 2000 mit 40 Prozent nicht einmal mehr halb so viele. Obwohl die Automobilproduktion im Jahresvergleich um 23,5 Prozent eingebrochen ist, produzierte Thailand mit 1,88 Millionen Einheiten im Jahr 2014 mehr Automobile als Frankreich. Dennoch sind in den letzten Jahren Investitionen in Zukunftstechnologien nicht immer im gewünschten Maße nach Thailand geflossen. Im Jahr 2015 und voraussichtlich auch in den folgenden beiden Jahren wird Thailand im ASEAN-Raum Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum sein.

Daher werden dringend neue Investitionen, insbesondere in Zukunftstechnologien und Wachstumsbranchen, in Thailand benötigt. Dies macht deutlich, wie wichtig die AEC und die damit verbunden Verbesserungen für Investitionen, Handel und Arbeitnehmerfreizügigkeit für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Thailands sind. Die thailändische Wirtschaft kann durch Investitionen in anderen ASEAN-Ländern ihre Produktionsnetzwerke ausbauen und somit die eigene Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Diese Entwicklung wird durch den mit der AEC einhergehenden freien Kapitalverkehr deutlich vereinfacht. Je länger die mit den politischen Unruhen im Jahr 2014 begonnene Wachstumsschwäche anhält, desto mehr rückt die Notwendigkeit f ür neue Investitionen und eine Modernisierung der Wirtschaft in die öffentliche Wahrnehmung.

Arbeitnehmerfreizügigkeit

In Thailand gibt es laut offiziellen Statistiken nahezu keine Arbeitslosigkeit. Im Jahr 2013 lag die offizielle Arbeitslosenquote wie in den beiden Jahren davor auch bei lediglich 0,7 Prozent. Die Freizügigkeit für qualifizierte Arbeitskräfte im Rahmen der AEC kann hier insbesondere den bisher wachstumshemmenden Mangel von Fachkräften lindern. Allerdings wird geschätzt, dass sich derzeit bis zu drei Millionen Arbeitsmigranten aus den Nachbarländern Myanmar, Laos und Kambodscha in Thailand aufhalten, wobei viele keinen offiziellen Status und keine gültigen Aufenthaltspapiere haben. Mit dem Inkrafttreten der AEC wird die Arbeitsmigration für Fachkräfte weitgehend legalisiert. Dies wird das Angebot und den Wettbewerb auf dem thailändischen Arbeitsmarkt erhöhen und dürfte zu einer Annäherung der Arbeitslosenquote Thailands an die der anderen ASEAN-Länder führen.

Insbesondere der Bildungsbereich bedarf dringender Reformen, die aufgrund der politischen Instabilität in den letzten Jahren nie konsequent umgesetzt werden konnten. In verschiedenen internationalen Rankings haben sowohl das thailändische Schulsystem als auch das Universitätssystem vergleichsweise schlecht abgeschnitten. Daher sind dringende Reformen notwendig, um thailändische Schul- und Universitätsabsolventen fit für den ASEAN-Arbeitsmarkt zu machen, auf dem eine sehr hohe Konkurrenz herrschen wird. Ebenso ist es für den Bildungsstandort Thailand wichtig, gute Universitäten zu haben, um Studierende aus anderen ASEAN-Staaten anzuwerben. Sollten gute Studierende und Wissenschaftler aus Thailand in andere ASEAN-Länder abwandern und im Gegenzug nicht ausreichend Studierende und Wissenschaftler nach Thailand kommen, würde dies die thailändischen Universitäten vor große Probleme stellen, die in Zukunft ohnehin zusätzlich unter dem demografischen Wandel leiden werden.

In Thailand herrscht eine spürbare Skepsis im Hinblick auf die Frage, ob das Land für die AEC gut vorbereitet ist.
Je näher der Starttermin für die AEC rückte, desto mehr wurden in der thailändischen Öffentlichkeit auch die möglichen Nachteile und Risiken wahrgenommen. In einer im Januar 2015 von der Tageszeitung Bangkok Post durchgeführten Online-Umfrage haben lediglich 5,2 Prozent der Teilnehmer angegeben, dass die Thais für die AEC gut vorbereitet sind. 94,8 Prozent waren hingegen der Meinung, die Thais seien nicht annähernd bereit. Es handelt sich hierbei jedoch lediglich um eine nicht-repräsentative Umfrage mit knapp 2000 Teilnehmern. Allerdings zeigt das Ergebnis eine in Thailand immer mehr spürbare Skepsis gegenüber der AEC, je näher das Startdatum kam und je konkreter die damit verbundenen Änderungen wurden. So sagte bereits der thailändische Finanzminister Sommai Phasee im Dezember 2014 bei einer Veranstaltung in Bangkok, Thailand sei noch nicht auf die AEC vorbereitet und es müssten noch viele Regelungen geändert und angepasst werden. Bei der gleichen Veranstaltung sagte Yu Jienyoenyongpong, Vorsitzender der Land Transportation Federation of Thailand, die Bereitschaft Thailands, Ende des Jahres mit der AEC zu starten, hänge von der Vorbereitung der kleinen und mittleren Unternehmen ab. Diese kleinen und mittleren Unternehmen, die 90 Prozent der Unternehmen in Thailand ausmachen, seien allerdings noch nicht auf die AEC vorbereitet, da es ihnen hierzu an Wissen und finanziellen Ressourcen mangele.

Zwischenfazit: Thailand

Die aktuelle Wachstumsschwäche Thailands kann nur durch einen Strukturwandel und weitere wirtschaftliche Integration überwunden werden. Dies ist ebenfalls die Voraussetzung für ein Aufrücken Thailands vom Schwellenland in die Gruppe der Industrieländer. Die AEC bietet für das im regionalen Vergleich wirtschaftlich bereits sehr weit entwickelte Thailand einerseits sehr gute Chancen, zu einer Effizienzsteigerung und einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sowie der Angebotssituation auf dem Arbeitsmarkt beizutragen. Andererseits bringt das Inkrafttreten der AEC Branchen, die bereits jetzt schon nicht wettbewerbsfähig sind, sowie zahlreiche schlecht ausgebildete Arbeitskräfte weiter in Bedrängnis. Der beschleunigte Strukturwandel, der für die weitere Entwicklung Thailands dringend notwendig ist, würde kurz- und mittelfristig weitere Probleme mit sich bringen. Insbesondere würden die Arbeitslosigkeit bzw. die Unterbeschäftigung bei schlecht ausgebildeten Personen weiter steigen und durch den verschärften Wettbewerb unproduktive Unternehmen und Branchen wegbrechen oder auf staatliche Transferzahlungen angewiesen sein. Dies könnte zunächst die sozialen Spannungen und möglicherweise auch die damit verbundenen politischen Spannungen in Thailand weiter verschärfen. Jedoch können nur durch politische Stabilität und einen gesellschaftlichen Konsens über notwendige Reformen und die Verbesserung des Bildungssystems die mit der AEC einhergehenden Herausforderungen konkret in Chancen für Thailand umgewandelt werden.

Sind die wirtschaftlichen Herausforderungen und Anpassungsprozesse allerdings einmal überwunden, bieten sich riesige Potenziale für die thailändische Wirtschaft. So haben beispielsweise China in den vergangenen Monaten intensiv die Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Thailand, auch durch hochrangige politische Besuche, betrieben. Dementgegen wurde in einem Essay der Bundeszentrale für politische Bildung die ASEAN, deren kumuliertes Bruttoinlandsprodukt mit über 2,3 Billionen US-Dollar jährlich gar die Wirtschaftskraft Indiens überschreitet, wegen mangelnder Aufmerksamkeit als „der übersehene Riese“ bezeichnet. Der russische Handelsminister Denis Manturov sagte am Rande eines offiziellen Besuchs des russischen Premierministers Dmitry Medvedev im April 2015: „Our friends from the Western part of the world are ignoring Thailand“. Es ist jedoch zu hoffen und davon auszugehen, dass auch in Deutschland und Europa künftig die wirtschaftlichen Potenziale des ASEAN-Raums stärker wahrgenommen werden.

Kambodscha

Kambodscha zählt zu den wirtschaftlich schwächeren CLMV-Ländern. Daher werden dem Land längere Übergangszeiten für die Implementierung von Beschlüssen der ASEAN-Staaten eingeräumt. Den Hoffnungen auf wirtschaftlichen Aufschwung, die mit dem AEC Blueprint für Kambodscha assoziiert werden, stehen hierbei durchaus ernstzunehmende Befürchtungen kambodschanischer Kleinbauern, kleiner und mittelständischer Unternehmer sowie der aufstrebenden jungen Generation gegenüber, mit dem Integrationsprozess einhergehenden Konkurrenzdruck nicht standhalten zu können. Daraus entwickelt sich in weiten Teilen der kambodschanischen Bevölkerung eine ambivalente Wahrnehmung der AEC, die zwischen Zuversicht und Skepsis schwankt. Speziell in den Bereichen der Waren- und Dienstleistungsfreiheit, Investitionsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit, allesamt zentrale Bestandteile des Integrationsprozesses, tritt diese unterschiedliche Einschätzung der Kambodschaner gegenüber der AEC deutlich zu Tage.

' ' Waren-und Dienstleistungsfreiheit ' '

Beispielhaft für die Hoffnungen, die viele Kambodschaner mit dem AEC Blueprint verknüpfen, spricht Sok Siphana, Leiter des Cambodia Development Research Institute, von einer „golden opportunity“, die die Vertiefung der ASEAN-Gemeinschaft für Kambodscha darstelle. Diese Art von Zuversicht wird von drei sich abzeichnenden Entwicklungen getragen.

Im Rahmen der AEC schaffte Kambodscha bis Ende 2015 alle Einfuhrabgaben ab. Allerdings wird den CLMV-Staaten bei sogenannten sensiblen Produkten, deren Zölle die CLMV-Staaten erst im Zeitraum von 2015 bis 2018 beseitigen müssen, Aufschub gewährt. Mit dieser Sonderregelung zerstreuen Befürworter der AEC die Sorge um eine voreilige Öffnung des Arbeits- und Gütermarktes Kambodschas, da der Landwirtschaftssektor größtenteils somit noch bis 2018 vor der Konkurrenz anderer ASEAN-Staaten geschützt sei. Zwar müssten die Abgaben auch in diesem Sektor schrittweise weiter abgebaut werden, doch nur durch eine in der gesamten AEC-Zone eingeleiteten Zollreform könnten Handelskontrollen durch vertieften Informationsaustausch zwischen den ASEAN-Staaten verbessert, grenzüberschreitender Handel vereinfacht und letztlich Kambodschas Handelsbilanz langfristig auf eine neue Grundlage gestellt werden.

Kambodschas Exportindustrie ist nur auf wenige Sektoren und Gütergruppen beschränkt. Insgesamt tragen Textilien und Schuhe zu 82 Prozent des Gesamtexportes bei. Aufgrund der geringen Diversifizierung reagiert Kambodschas Wirtschaft sehr stark auf schwankende globale Nachfrage und äußere Einflüsse. Die Weltbank prognostiziert für die nächsten zwei Jahre dennoch einen Anstieg des Bruttoinlandproduktes um 6,9 Prozent. Die vertiefte Integration regionaler und globaler Lieferketten, ein deutlich vergrößerter Gütermarkt und Herstellungsdiversifizierung, die von der AEC in Kambodscha erwartet wird, verbreiten zusätzliche Zuversicht.

Gleichzeitig sind Kambodschas Exporte nach ASEAN noch ausbaufähig. Das Land ist derzeit noch stark abhängig von der Nachfrage nach Textilprodukten aus den USA, Kanada, Europa und Hong Kong. So machte im Jahr 2013 der Export solcher Produkte in Mitgliedsstaaten der ASEAN offiziell gerade einmal acht Prozent des Gesamtexportwertes aus. Die mit der Implementierung des AEC Blueprint einhergehende Senkung der Handelsbarrieren zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten bietet Kambodscha daher nun die Möglichkeit, Exporte auch innerhalb der ASEAN Community zu steigern. Angesichts dieser langfristig positiven Auswirkung einer weiteren Handelsliberalisierung und der geografisch bedeutenden Lage betrachtet Hidetoshi Nishimura, Leiter des Economic Research Institute for ASEAN and East Asia, es gar als „unmöglich“ für Kambodscha, nicht vom wirtschaftlichen Aufschwung der Region zu profitieren.

Doch nicht alle Kambodschaner scheinen diese Zuversicht zu teilen. Tatsächlich waren sich bis vor zwei Jahren laut Statistiken der Asian Development Bank 55 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), die das traditionelle Rückgrat der kambodschanischen Wirtschaft repräsentieren, der vertieften Integrationsbemühungen der ASEAN, geschweige denn deren wirtschaftlichen Auswirkungen, nicht gänzlich bewusst. Um jedoch überhaupt wirtschaftliche Vorteile aus der AEC zu ziehen und das Geschäftsmodell entsprechend anzupassen, ist es für lokale und regionale Unternehmen unabdingbar, sich rasch auf den steigenden Wettbewerbsdruck, den die Einführung der AEC zwingend mit sich bringt, einzustellen.

Insbesondere der Agrarsektor, der mit 34 Prozent den zweitgrößten Teil des Bruttoinlandproduktes ausmacht und nahezu 51 Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt, müsste seitens der Regierung zumindest vorübergehend gefördert werden. Ohne solche Unterstützung droht den kambodschanischen Kleinbauern, denen es meist an Kapital für zeitgemäße Maschinen und ertragreiches Saatgut, aber auch an Know-How in Sachen effiziente Anbauweisen fehlt, ein langfristiges Wettbewerbsdefizit anderen ASEAN-Staaten gegenüber.

Auch im Hinblick auf den wichtigen sekundären Wirtschaftssektor müssen selbst Experten der Regierung, wie beispielsweise Vertreter des Ministeriums für Industrie, Bergbau und Energie, eingestehen, dass Kambodschas Produzenten weder mit dem Preis noch der Qualität der Produkte anderer ASEAN-Staaten konkurrieren können. Aufgrund einer unterentwickelten materiellen und personellen Infrastruktur wird die im Industriesektor beschäftigte Bevölkerung (rund 20 Prozent aller Erwerbstätigen) das wirtschaftliche Potenzial des Sektors nicht voll ausschöpfen können. Hohe Energiekosten, ein schlecht ausgebautes Verkehrsnetz und nur stark eingeschränkter Internetzugang, gerade in ländlichen Regionen, führen zu hohen Produktionskosten, die durch niedrigere Lohnkosten nur bedingt kompensiert werden können.

Anstatt klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) in ihrer Konkurrenzfähigkeit mit konkreten Maßnahmen jetzt gezielt zu stärken, um internationale Produktionsstandards zu erfüllen und somit mit Unternehmen anderer ASEAN-Staaten später mithalten zu können, werden überfällige Reformen, wie etwa eine vereinfachte und einheitliche Steuergesetzgebung oder eine bürokratische Erleichterung beim Erwerb für dringend benötigte Maschinen, aufgeschoben. Stattdessen werden Kambodschas Klein- und Mittelstandsunternehmer mit wagen Versprechungen auf „power connectivity“ und entstehende Produktionsnetzwerke infolge einer vertieften ASEAN-Gemeinschaft vertröstet. Ohne konkrete Reformen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, warnt Heng Heang, Vorsitzender des Verbandes Klein- und mittelständischer Unternehmen, sehen bereits jetzt viele lokale Unternehmer das AEC-Projekt sehr kritisch. Gerade die Kombination der Verdrängungsgefahr heimischer Industrien und des damit verbundenen Identitätsverlusts seien ernstzunehmende Bedenken vieler KMU.

Investitionsfreiheit

In den letzten Jahren hat sich Kambodscha zu einem attraktiven Investitionsstandort entwickelt. Besonders im Energie- und Bausektor sind Investitionen im großen Ausmaß getätigt worden. Dabei ist die Volksrepublik China mit einem akkumulierten Investitionsvolumen von 8,8 Milliarden US-Dollar 2015 größter Investor in Kambodscha. Das Investitionsvolumen der anderen ASEAN-Staaten, die vor allem in den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung, Tourismus und Bau investieren, ist aber in Zukunft noch steigerungsfähig. Laut dem Doing Business Report der Weltbank belegt Kambodscha 2015 nur Rang 135 und schneidet im Vergleich zu seinen Nachbaren in den meisten Kategorien schlechter ab.

Da durch den Blueprint die rechtlichen Rahmenbedingungen für Investoren innerhalb der ASEAN weiter harmonisiert und im Zuge des Integrationsprozesses von der Regierung bereits, teils recht erfolgreich, Reformen durchgesetzt wurden, ist von einer weiteren Steigerung der Direktinvestitionen auszugehen. Die Reformen umfassen Steuererleichterungen für ausländische Investoren, eine verbesserte legale Verfolgung von Steuersündern und ein „Ein-Schalter-System“, das es unter anderem ermöglichen soll, sich als Unternehmen unbürokratisch online zu registrieren. Die Bemühungen der Regierung um Transparenz und faire Wettbewerbsbedingungen werden von Investoren wohlwollend aufgenommen und tragen zu einer positiveren Wahrnehmung des AEC Blueprint bei.

Arbeitnehmerfreizügigkeit

Mit der Öffnung des Arbeitsmarktes werden Arbeitsplätze innerhalb Kambodschas nun auch ausländischen Arbeitskräften zugänglich. So sind in der Bekleidungsindustrie ca. 150.000 Stellen nicht besetzt. Besonders englischsprechendes Personal, aber auch technis che Experten werden gesucht. Da gleichzeitig wenige Arbeitskräfte aus dem Land emigrieren, erhofft man sich in Kambodscha, diese Lücke durch die AEC schließen zu können. Kambodschas einflussreiche Hotel- und Restaurant-Dachverbände begrüßen die Implementierung der AEC. Als eines der wirtschaftlichen Standbeine des Landes erhofft sich insbesondere die Tourismusbranche, durch die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte die Beschäftigungslücken schnell zu schließen.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit soll es ermöglichen, die in einigen Branchen bestehenden Beschäftigungslücken zu schließen.
Das Arbeitsministerium verweist darauf, dass sowohl der Anstieg an ausländischen Arbeitskräften als auch eigens gesammelte Arbeitserfahrung im Ausland den Transfer von Wissen und Erfahrung ermöglichen und so auch Kambodscha zu Gute kommen. Somit eröffnet die AEC die Möglichkeit, die Konkurrenzfähigkeit von in Kambodscha ausgebildeten Fachkräften und der Güterproduktion des Landes zu verbessern.

Dass die Erwartungen an die AEC in Kambodscha jedoch auch im Hinblick auf die festgeschriebene Arbeitnehmerfreizügigkeit in ausgewählten Bereichen für qualifizierte Arbeitskräfte zweigeteilt sind, offenbaren die Sorgen und Zukunftsängste, die der Integrationsprozess insbesondere bei der jungen, qualifizierten Generation hervorruft.

Zunächst ist zu bezweifeln, dass die Implementierung der AEC allein die erhoffte Arbeitsmigration nach Kambodscha anregen kann. Laut Chuop Narath, hochrangiges Mitglied des Arbeitsministeriums, stelle das Land zurzeit insbesondere aufgrund seines im Vergleich zu Nachbarländern wie Singapur und Malaysia relativ niedrigen Lohnniveaus nur im begrenzten Maße einen attraktiven Arbeitsstandort für qualifizierte Arbeitssuchende aus anderen ASEAN Staaten dar. Um eine Massenemigration der Bildungselite zu verhindern und um im Kampf um qualifizierte Arbeitskräfte zu bestehen, forderte Premierminister Hun Sen daher eine Lohnerhöhung im Privatsektor. Diese Forderung dürfte allerdings bei den Arbeitgebern nur auf verhaltene Zustimmung treffen. Die Aussicht auf langwierige Verhandlungsrunden mit Arbeitnehmervertretern oder gar kostspielige Streiks dürfte die Erwartungshaltung gegenüber der AEC auf Seiten vieler Unternehmer erheblich trüben. Diese Haltung dürfte sich noch zusätzlich verstärken, da in diesem Falle KMU durch Kambodschas Eintritt in die AEC gleich doppelt betroffen wären. So erschweren es die wohl notwendigen Lohnanpassungen, gleichzeitig auch Investitionen zu tätigen, um Produktionskosten zu senken oder die Güterqualität steigern zu können.

Obwohl sich die vom AEC propagierte Arbeitnehmerfreizügigkeit durchaus positiv auf den kambodschanischen Arbeitsmarkt auswirken kann, müssen gerade im Bereich des Aufbaus effizienter, dezentraler Berufsbildungssysteme noch erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um den hohen nationalen Bedarf an gut qualifizierten Facharbeitern zu decken. Großer Nachholbedarf besteht auch bei der Angleichung von Ausbildungsstandards in der höheren Bildung. Absolventen der kambodschanischen Universitäten haben derzeit größtenteils immer noch Probleme mit der Anerkennung ihrer Abschlüsse im Ausland. Niedrigere Ausbildungsstandards der Universitäten, weiterhin bestehende Korruption im Bildungssystem, in dem nicht immer Leistung, sondern oft Beziehungen belohnt werden, führen zu einem Wettbewerbsnachteil kambodschanischer Absolventen. Es scheint, als ob auch die junge Bildungselite des Landes die Furcht teilt, der besser ausgebildeten Konkurrenz auf dem regionalen Arbeitsmarkt nicht gewachsen zu sein.

Zwischenfazit: Kambodscha

Als Nachbar von Thailand und dem noch bevölkerungsreicheren Vietnam mit ihren insgesamt fast 200 Millionen Einwohnern und damit im Herzen ASEANs verschafft Kambodschas strategische Lage mit maritimem Zugang auch diesem Land grundsätzlich ein hohes Potenzial für wirtschaftliches Wachstum durch zunehmende wirtschaftliche Integration. Die Dividenden zunehmender Integration lassen sich auch schon jetzt am stabilen Wirtschaftswachstum bei gleichbleibend geringer Inflation in den letzten zehn Jahren festmachen. Es ist daher davon auszugehen, dass Kambodscha auch in Zukunft insbesondere seine wichtigsten Exporte (Tourismus, Agrarprodukte, Textilien) in die ASEAN-Staaten weiter steigern kann. Für ausländische Direktinvestitionen wird Kambodscha im Vergleich zu seinen Nachbarn zunehmend attraktiver, obwohl es weiterhin Defizite im Bereich der Rechtssicherheit für Unternehmen, des Investitionsschutzes und der Korruption gibt. Davon lassen sich aber insbesondere chinesische Investoren nicht abschrecken.

Das Land bleibt jedoch aufgrund der Exportabhängigkeit und der immer noch geringen Diversifizierung seiner Wirtschaftsstruktur verletzlich für externe Nachfrageschocks. Und die zunehmend spürbaren Auswirkungen des Klimawandels auf die Agrarwirtschaft in Kambodscha sind ein weiteres, monetär schwer einzuschätzendes Risiko. Die langsame Entwicklung materieller Infrastruktur (Ausbau des Stromnetzes, des Straßennetzes sowie der Bewässerungssysteme) und der schleppende Aufbau eines sich an regionalen Arbeitsmärkten orientierten Berufsbildungssystems sowie die im Vergleich mit den Nachbarn derzeit noch sehr hohen Energiekosten werden die Wettbewerbsfähigkeit des Landes noch einige Zeit schwächen. Die Integration des hohen Anteils junger Bevölkerungsgruppen in den Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren bleibt eine große Herausforderung für die Regierung. Sollte es für diese keine beruflichen Perspektiven geben, wird die Abwanderung gering qualifizierter Arbeitskräfte in die wirtschaftlich stärkeren Nachbarländer weiter zunehmen.

Die AEC wird in Kambodscha ihre Wirkung auf verschiedene Weise entfalten. Die positive oder negative Wahrnehmung des wirtschaftlichen Integrationsprozesses wird dann zunehmen, wenn die ersten Profiteure und Verlierer des Integrationsprozesses sichtbar werden. Die Medien, die Zivilgesellschaft und die Interessenverbände müssen ihre Rolle als watchdog und kritisch analytischer Begleiter und Beobachter des Integrationsprozesses besser wahrnehmen. Dann wächst auch das Bewusstsein, dass Entscheidungen der ASEAN-Staaten direkten Einfluss auf die Lebenssituation der Kambodschaner haben.

Indonesien

Indonesien ist nicht nur die mit Abstand größte Volkswirtschaft Südostasiens, sondern auch das größte Inselreich der Welt. Mit seinen 250 Millionen Einwohnern ist das Land zudem als einziges der Region in den G20 vertreten. Bis 2030 soll die indonesische, je nach Quelle der Schätzung, die siebt- oder fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt werden. Andererseits steht Indonesien aktuell vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen: Statt der bis 2018 von der Regierung angekündigten sieben Prozent Wachstum fiel dieses 2015 auf 4,7 Prozent zurück. Auch Aktienindex und Währungskurs waren zwischenzeitlich so schwach wie seit 1998 nicht mehr. Als Hauptgrund wurde neben externen Faktoren (Rohstoffpreise/Wirtschaftsentwicklung China, Zinspolitik USA) vor allem zu zögerndes Regierungshandeln erkannt. Die als „Arbeitskabinett“ angetretene Regierungsmannschaft erschien zunehmend handlungsunfähig. Am 12. August 2015, gerade einmal zehn Monate nach Amtsantritt, sah sich der Staats- und Regierungschef Joko Widodo zu einer ersten Kabinettsumbildung genötigt. Mit einer Reihe von teils vielversprechenden Reformpaketen ist Indonesien seither bemüht, den Trend zu wenden und neue Wachstumsimpulse zu generieren. Sofern Indonesien die entsprechenden Voraussetzungen schafft, könnte der Beginn der AEC hierzu einen wichtigen Beitrag leisten: Eine Studie der Singapore Management University identifiziert Indonesien in einer Simulation der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts bis 2030 sogar als möglicherweise größten absoluten Gewinner durch die Einführung der AEC.

Neben externen Faktoren ist vor allem das zögerliche Regierungshandeln schuld an der schwierigen wirtschaftlichen Situation.

Waren-und Dienstleistungsfreiheit

Trotz asiatischer Finanzkrise 1997/1998 konnte sich der intra-regionale Handel im ASEAN-Raum in der Zeit von 1993 bis 2003 von rund 400 Milliarden US-Dollar auf über 800 Milliarden US-Dollar nahezu verdoppeln und seitdem hat er sich auf fast zweieinhalb Billionen US-Dollar sogar nochmal beinahe verdreifacht. Auch für Indonesien im Besonderen gewinnen der Handel mit und speziell die Exporte in ASEAN-Staaten zunehmend an Bedeutung: 2012 betrug deren Anteil an den indonesischen Gesamtexporten über 20 Prozent und erfasste einen Gesamtwert von über 40 Milliarden US-Dollar; vor der Asienkrise 1996 waren es lediglich 7,5 Milliarden US-Dollar gewesen. Das Potenzial eines gemeinsamen Marktes in Südostasien mit ca. 2,5 Billionen US-Dollar Gesamtbruttoinlandsprodukt erscheint damit aber bei Weitem nicht ausgeschöpft.

Indonesische Unternehmer haben dieses Potenzial erkannt und sehen die AEC vor allem als Chance. Der CEO der indonesischen Lippo Group, James T. Riady, bezeichnete beim Treffen des Weltwirtschaftsforums im Januar 2015 die AEC euphorisch als „Beginn von etwas Fantastischem“. Der gemeinsame Markt werde vor allem dem tertiären Sektor nutzen. Eine Ansicht, die auch Suryo Bambang Sulisto, Vorsitzender der indonesischen Industrie- und Handelskammer (Kadin), teilt: „Der freie Handel im ASEAN-Raum ist keine Bedrohung, sondern eine große Gelegenheit.“ Auch der Vorsitzende der Vereinigung der indonesischen Jungunternehmer (HIPMI), Raja Sapta Oktohari, zeigte sich auf der diesjährigen HIPMI-Jahresversammlung optimistisch, dass die AEC riesige Vorteile für das Wachstum in Indonesien bedeuten werde.

Allerdings gilt ausgerechnet Indonesien bisher als Land mit den restriktivsten nicht-tarifären Handelshemmnissen in der Region, welche die Einfuhrkosten um etwa 30 Prozent erhöhen. Zudem gibt es in keinem anderen Hafen der Region ähnlich lange Wartezeiten bei der Zollabfertigung wie in Jakarta. Außerdem weisen eine Vielzahl indonesischer Unternehmen nur minimale Gewinnmargen auf, die sich im neuen Wettbewerbsumfeld letztlich als unzureichend herausstellen könnten, sodass die Unternehmen vom Markt verdrängt würden. Zu den derartig gefährdeten Anbietern zählen sicherlich auch einige der 139 (!) Staatsunternehmen, die bislang in besonderer Weise vom Wettbewerb verschont werden.

Investitionsfreiheit

Die enorme Bevölkerungszahl von einer Viertelmilliarde Menschen gilt als eine der größten Stärken Indonesiens. Insbesondere angesichts eines Durchschnittsalters von unter 30 Jahren und der Prognose, dass der Höhepunkt der sogenannten „demografischen Dividende“ im Zeitraum 2020 bis 2030 liegen wird, erscheint der indonesische Markt an sich bereits außerordentlich attraktiv. Umso mehr Anziehungskraft hat ein gesamt-südostasiatischer Freihandelsraum, der zudem durch bestehende bzw. bevorstehende Freihandelsabkommen mit Ländern wie China, Indien, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland noch zusätzliche Ausweitung erfährt. Ausländische Direktinvestitionen im ASEAN-Raum haben sich entsprechend seit dem Jahr 2000 auf fast 120 Milliarden US-Dollar versechsfacht, unter den Mitgliedsstaaten stieg die Investitionssumme im gleichen Zeitraum sogar noch stärker, von unter einer auf über 26 Milliarden US-Dollar. Alleine Singapur und Indonesien erhalten zusammen einen mehr als 80-prozentigen Anteil an diesen Summen. Die vor allem auch im regionalen Vergleich stabilen politischen Verhältnisse und die sich seit dem Ende der autoritären Suharto-Ära entwickelnde Demokratie in Indonesien erhöhen die Investitionsanreize. Im Zuge der AEC plant zudem eine Vielzahl von Unternehmen, ihre Produktionskapazitäten in Indonesien noch einmal signifikant zu erhöhen und die Rolle des Landes als Knotenpunkt eines regionalen Netzwerks zu verstärken. Die Weltbank geht insgesamt davon aus, dass sich die ausländischen Direktinvestitionen im ASEAN-Raum durch Einführung der AEC um bis zu 63 Prozent erhöhen werden. Japan als größter auswärtiger Investor in der Region beispielsweise hat schon 2013 seine Mittel um 120 Prozent (!) auf 23,6 Milliarden erhöht, während es etwa in China nur noch ca. neun Milliarden investierte. Auch deutsche Unternehmen planen nach eigenen Angaben ihr Engagement im ASEAN-Raum deutlich auszubauen.

Um seinen Anteil an diesen zukünftigen Investitionen zu sichern, muss Indonesien einige Rahmenbedingungen verbessern. Nicht nur potenzielle Investoren werden vor allem durch die allgegenwärtige Korruption, ineffiziente Bürokratie und desaströse Infrastruktur vor enorme Herausforderungen gestellt. Letztere, so Dr. Firdaus Alamsjah, Dekan einer privaten Business School in Jakarta, sei die schlechteste der Region und koste fast ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hatte Präsident Joko Widodo in einem viel beachteten Akt der Entschlossenheit Benzinsubventionen gestrichen, die zuvor fast ein Fünftel der Staatsausgaben ausmachten. Die dadurch frei gewordenen Ressourcen wollte und will die Regierung vorrangig für den Ausbau von Straßen, Häfen und Stromnetzen einsetzen und die jüngsten Wirtschaftsreformpakete verstärken noch einmal den besonderen Fokus öffentlicher Investitionen in diesem Bereich. Die gewaltige Herausforderung ist damit zumindest offenbar ganz oben auf der Agenda.

Arbeitnehmerfreizügigkeit

Allerdings stehen neben der physischen Infrastruktur auch das öffentliche Bildungssystem und die Ausbildung von Arbeitskräften vor großen Herausforderungen: In einer Rede am 14. August 2015 stellte der indonesische Staatspräsident Widodo persönlich fest, dass das Ausbildungsniveau weiterhin (zu) gering sei, bis Februar 2014 hätten über 75 Millionen und damit fast zwei Drittel der etwa 120 Millionen indonesischen Arbeiter höchstens einen Mittelschulabschluss. Gering oder nicht qualifizierte Arbeitskräfte werden auch in Indonesien sicherlich nicht zu den Gewinnern der AEC zählen.

Keine zwei Monate später, am 9. Oktober 2015, fand in Bogor, nahe der indonesischen Hauptstadt Jakarta, die sogenannte Manpower Conference statt. Dort bekräftigte der indonesische Arbeitsminister, M. Hanif Dhakiri, seine Überzeugung, dass die Arbeitskräfte seines Landes ausreichend vorbereit seien, um im regionalen Wettbewerb zu bestehen. Bemerkenswerterweise präsentierte er an gleicher Stelle ein Maßnahmenpaket zur Einführung neuer Qualifizierungs- und Zertifizierungsstandards in zwölf von der Regierung als prioritär eingestuften Wirtschaftsbereichen, um diese Wettbewerbsbereitschaft noch weiter auszubauen. Das Ministerium habe außerdem die landesweite Einrichtung von Ausbildungszentren veranlasst, um die indonesischen Arbeitskräfte noch besser auf den Wettbewerb mit ausländischen Konkurrenten vorzubereiten.

Zwischenfazit: Indonesien

Auch und besonders für Indonesi en liegen die potenziellen Vorteile einer vertieften regionalen Integration durch die erfolgreiche Einführung und Umsetzung der AEC auf der Hand und werden von vielen Seiten immer wieder bestätigt. Vor allem im ersten Jahr der Präsidentschaft Joko Widodos aber ließ ein wachsender Protektionismus im Land zunehmenden Gegenwind für die weitere Umsetzung der Wirtschaftsgemeinschaft erwarten. Aus der Kabinettsumbildung im August 2015 und der Vorstellung wirtschaftspolitischer Maßnahmenpakete, die absehbar auch echte strukturelle Reformen beinhalten müssen, lassen sich allerdings Anzeichen einer nötigen Kehrtwende ableiten. Sollte sich Indonesien jedoch tatsächlich in den Wirren kurzsichtiger Selbstbezogenheit verlieren, könnte das nicht nur die Entwicklung des Landes nachhaltig beeinträchtigen, sondern vielleicht sogar das regionale Integrationsprojekt aus der Bahn werfen.

Fazit

Ein erfolgreicher Integrationsprozess braucht geteilte Ambitionen und gemeinsame Richtlinien zur Erreichung vereinbarter Ziele. Mit der Formulierung der IAI, der ASEAN Charter und des AEC Blueprintwurde dies in Südostasien anscheinend erreicht. Ob unter allen Beteiligten und insbesondere in der Bevölkerung als weiteres Kriterium ein regionales Bewusstsein oder gar die Anfänge einer gemeinsamen regionalen Identität vorhanden sind, erscheint dagegen weniger eindeutig. Dennoch lassen die potenziellen wirtschaftlichen und politischen Vorteile die Wirtschaftsgemeinschaft und die Bildung der ASEAN Community mit ihren übrigen zwei Pfeilern rational sinnvoll und opportun erscheinen.

Ausschlaggebend für den Erfolg der AEC ist die Erkenntnis dieser Potenziale innerhalb der einzelnen Länder: Nicht nur in demokratischen Staaten ist das außenpolitische Verhalten ein Ergebnis interner Konflikte und Kompromisse der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Akteure. Ohne einflussreiche Fürsprecher und effektive Mehrheiten in den Mitgliedsstaaten, geschweige denn gegen organisierten und mächtigen Widerstand, kann regionale Integration nicht gelingen. Wenn sich aber diese entscheidenden Mehrheiten gewinnen lassen, verspricht ein weiteres wirtschaftliches Zusammenwachsen auch in Südostasien große Potenziale.

Denis Schrey war bis Februar 2016 Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kambodscha.

Michael Winzer ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Thailand.

Thomas Yoshimura war bis März 2016 kommissarischer Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für Indonesien und Ost-Timor.

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