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Internet und Demokratie

Vier Orientierungspunkte für demokratisches Handeln im digitalen Zeitalter

Das Internet ist weder per se demokratisch noch per se anti-demokratisch. Es läutet weder den Untergang des Abendlandes ein, noch führt es uns in ein Zeitalter der Erleuchtung. Es ist nicht der Sieg des Projektes Aufklärung ist, sondern eine neue Herausforderung für die Aufklärung. Weil es ein ebenso faszinierendes wie ambivalentes Medium ist, muss man die Grenzen des Internets kennen, um seine Möglichkeiten sinnvoll nutzen können.

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Neue Dimensionen hat das Internet durch seine örtliche und zeitliche Ungebundenheit, seine Schnelligkeit und seine scheinbar unbegrenzte Speicherfähigkeit eröffnet. Seine Entwicklung verläuft in atemberaubender Dynamik und zugleich immer größer werdender Unübersichtlichkeit.

Für die freiheitliche Demokratie eröffnet das Internet Chancen, weil es dem Einzelnen fast unbegrenzte Möglichkeiten der Informations- und Meinungsfreiheit bietet. Zugleich eröffnet es in ebenso unbegrenzten Umfang die Möglichkeit zum Missbrauch dieser Freiheit.

Deshalb bedarf die verantwortungsvolle Nutzung des Internets in und für die Demokratie eines Wertekorridors. Die freiheitliche Demokratie stellt mit ihrem Bekenntnis zum Schutz der Menschenwürde, der Anerkennung der Mehrheitsregel bei Gewährleistung des Minderheitenschutzes und der Absage an das Faustrecht des Stärkeren durch das staatliche Gewaltmonopol dieses Wertefundament bereit.

Wer dieses demokratische Wertefundament auch im Internet-Zeitalter durchsetzen und sichern will, sollte dabei vier Orientierungspunkte beachten:

1) In der Demokratie darf es keine Bevorzugung oder gar Ausschließlichkeit der digitalen Welt geben.

Die Verankerung des Internets in der Bevölkerung muss realistisch eingeschätzt werden. Es ist weder Volkssport, noch dominiert es für die Mehrheit der Bürger den Alltag:

Nach aktuellen Erhebungen der ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 spielt das Internet für ein Drittel der deutschsprachigen Bevölkerung über 14 Jahre keine wichtige Rolle: Davon haben 17 Prozent – also elf Millionen Menschen - keinen Netzzugang – sei es weil die technischen Netzanschluss fehlen, die notwendigen Zugangsgeräte nicht gekauft werden oder aus eigenem Antrieb auf die Nutzung verzichtet wird. Weitere 13 Millionen Menschen (18 Prozent) nutzen ihren Internetzugang nicht häufig, sondern sind nur einmal wöchentlich oder noch seltener im Netz.

Von denen die sich unabhängig von der Häufigkeit überhaupt im Internet bewegen - also den sog. Onlinern – zählt der soeben erschienene D21-Digital-Index 2016 über zwei Drittel zu den „digital weniger Erreichten“ und nur ein Drittel zu den „digital Erreichten“:

26 Prozent gelten als „außenstehende Skeptiker“, 39 Prozent als „häusliche Gelegenheitsnutzer“ und 4 Prozent als “vorsichtige Pragmatiker“. Dem stehen 17 Prozent „reflektierte Profis“, 8 Prozent „passionierte Onliner“ und 6 Prozent „smarte Mobilisten“ gegenüber.

Es kann also weniger als Viertel der deutschsprachigen Bevölkerung über 14 Jahre als internet-affin bezeichnet werden.

Solche in vielen Studien erhobenen Daten weisen auf eine dreifache digitale Spaltung hin:

Erstens gibt es sowohl Bürger, die sich im digitalen Alltag bewegen, als auch solche, deren Alltag von Internet-Distanz geprägt ist.

Zweitens ist auch bei Onlinern zwischen digital souveränen Globalnutzer und selektiv aktiven Randnutzern zu unterscheiden: Die meisten Internetnutzer beschränken ihre Onlinetätigkeit auf wenige Felder, insbesondere zu etwa 80 Prozent auf E-Mails und Suchmaschinen. Nur knapp die Hälfte der Onliner verfolgt im Netz aktuelle Nachrichten oder nutzt Online-Nachschlagewerke wie Wikipedia. Die ganzen Bandbreite der Möglichkeiten im Internet bleibt dem Nutzungsverhalten einer kleinen Minderheit vorbehalten: Nur 9 Prozent der Onliner nehmen z. B. an politischen Internet-Foren oder Blogs teil.

Drittens – und das wird zu oft übersehen - gibt es einen großen Unterschied zwischen denjenigen, denen als „Bildschirmarbeiter“ auch am Arbeitsplatz ein ständiger Netzzugang zur Verfügung steht, und denjenigen, die darauf nur in ihrer Freizeit Zugriff haben. Dort, wo ein Internetzugang zum Arbeitsplatz gehört, ist die tägliche Internetnutzung praktisch vorgegeben. Wer seinen Alltag in der „Bürowelt“ verbringt, hat es in der Internetwelt leichter als jemand, der im Handwerk, dem produzierenden Gewerbe oder dem Dienstleistungssektor arbeitet.

Anders ausgedrückt: Das Internet wird von einer Minderheit der Zeitreichen dominiert, die diesem Medium ihre volle Aufmerksamkeit widmen wollen und können. Im Unterschied zum Konsummedium Fernsehen ist das Internet nämlich ein Aktivitätsmedium: Wenn man nichts tut, dann tut sich auch nichts. Deshalb wird das Internet von denjenigen geprägt, die die finanzielle oder zeitliche Disposition für solche Aktivitäten haben. Auch weil die so Privilegierten das Internet stark dominieren, darf es bei der – wie es im Grundgesetz genannt wird - „politischen Willensbildung des Volkes“ keine Bevorzugung oder gar Ausschließlichkeit der digitalen Welt geben. Sonst wäre der allgemeine, freie und gleiche Zugang zur demokratischen Willensbildung nicht gewährleistet.

2) Auch im Internet muss der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung gelten.

Das Internet ist vor allem ein Individualmedium, dessen Gebrauch oder Missbrauch vom Verhalten des Einzelnen abhängt. Jedermann kann dort seine Meinung für andere sichtbar äußern und lesen, was er möchte. In diesem Sinn ist das Internet ein Freiheitsmedium.

Zugleich ist der Internetnutzer im Netz auf sich allein gestellt: praktisch alles, was er dort tut, obliegt ohne äußeren Einfluss völlig seinen eigenen Entscheidungen. Umso wichtiger ist es, dass der Einzelne gerade im Netz den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung begreift.

Die Anonymität im Internet steht dazu in einem direkten Spannungsverhältnis. „Anonym“ bezeichnet dabei nicht nur das Verbergen der eigenen Identität, sondern die Vereinzelung in der virtuellen Welt ohne die soziale Kontrolle durch Mitmenschen, die wir aus der realen Welt kennen.

Nirgends entstehen so viele Gerüchte und nirgends werden sie so schnell verbreitet wie im Internet. Dies ist auch einem oberflächlichen Spieltrieb geschuldet, der in der Weitergabe einer im Netz gefundenen Nachricht einen von deren Inhalt oder Seriosität unabhängigen Selbstzweck sieht. Wer zur Verbreitung beiträgt, sieht sich im Internet selten verantwortlich für den Inhalt und die Folgen der Weitergabe. Was aber viele verbreiten, wird schnell von allen geglaubt.

Der unpersönlichen Anonymität steht im Internet eine hohe Bereitschaft zur persönlichen Selbstentblößung gegenüber. Insbesondere Soziale Netzwerke, die oft nur Kommunikationsforen für Belanglosigkeiten sind, erwarten diese Selbstentblößung als Eintrittskarte in ihre Gemeinschaften.

Anders als die reale analoge Welt, die die Gnade des Vergessens und Vergebens kennt, ist die digitale Welt im Blick auf das Verhalten des Einzelnen unerbittlich kompromisslos: Das Internet vergisst nichts, dokumentiert alles und die Folgen des eigenen Tuns verblassen nicht einfach durch Zeitablauf. Gerade das Internet bestraft also die Entkoppelung von Freiheit und Verantwortung.

Der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung muss im Cyperspace auch im Blick auf den wirtschaftlichen Bereich neu fokussiert werden: Als offener Marktplatz erleichtert es das Internet jedem selbst zum Anbieter zu werden und bietet neue Möglichkeiten für die Emanzipation des Konsumenten zum Produzenten. Das stärkt die Stellung des Wirtschaftsbürgers im Markt und fördert das wechselseitige Verständnis für die Dynamik von Angebot und Nachfrage als einem Grundelement der Sozialen Marktwirtschaft. So werden im Internet auch neue Möglichkeiten zur Schaffung von privatem Eigentum eröffnet, das eine der sicheren Grundlagen für die Freiheit und Unabhängigkeit der Bürger bildet.

Zugleich untergräbt das Internet mit seinen unbegrenzten und kaum kontrollierbaren Kopiermöglichkeiten insbesondere den Schutz des geistigen Eigentums und ist damit auch eine Herausforderung für die Akzeptanz privaten Eigentums generell. Der Diebstahl geistigen Eigentums kann nicht mit der Berufung auf die Freiheit im Netz entschuldigt werden, sondern ist ebenso wie der Diebstahl konventioneller Güter Ausdruck der Macht des Stärkeren über den Schwächeren und muss deshalb Online ebenso wie Offline wirksam verhindert werden.

Für die demokratische Ordnung ist es insgesamt unverzichtbar, das die Freiheit des eigenen Tuns mit der Verantwortung für die Folgen des eigenen Handelns verknüpft bleibt – auch Online.

3) Ohne Innovationskraft kann Demokratie den Stresstest der Internet-Dynamik nicht bestehen.

Weil Kern der Demokratie der Schutz der Freiheit für jeden Einzelnen ist, muss sie dort neue Antworten finden, wo es mit dem Internet neue Herausforderungen gibt.

Das Internet bietet eine schier unüberschaubare Fülle von Fakten, Informationen und Meinungen. Der Versuch damit umzugehen, bringt Internetnutzer leicht in Abhängigkeit von Suchmaschinen und deren Kriterien, die Informationsfülle zu selektieren und zu sortieren. Die technologischen Strukturen des Internets von den Algorithmen der Suchmaschinen bis zur Browser-Programmierung gestalten dabei die Nutzung der Internets nicht ergebnisoffen, sondern halten dem Nutzer basierend auf seinem bisherigen Nutzerverhalten einen Spiegel der Selbstbestätigung vor. Das Neue hat es im Netz schwer, zum etablierten Nutzer durchzudringen, wenn der sich nicht ausdrücklich darum bemüht.

Zugleich fördert die unbegrenzte Fülle an Informationen im Netz Oberflächlichkeit und Zerstreutheit. Im Geflecht immer neu komplex miteinander verbundener Informationen ist das Wichtige vom Unwichtigen, das Seriöse vom Unseriösen nicht mehr zu unterscheiden. Das Internet stellt dafür kein Hilfsmittel zur Verfügung, weil es einfach das Häufige zum Wichtigen erklärt. Subjektive Meinungen, Vermutungen, Spekulationen oder Hoffnungen erscheinen im Netz oft als scheinbar objektive Information und werden gerne damit verwechselt.

Grenzenlose Information ist freilich nicht einfach mit Wissen gleichzusetzen. Wissen entsteht aus der Fähigkeit mit einer großen Informationsfülle umzugehen und sie einzuordnen. Nur fundierte Allgemeinbildung ermöglicht den sinnvollen Umgang mit der Fülle spezieller Informationen im Internet. Ohne diese Offline-Qualifikation verliert sich der Einzelne in der Online-Welt.

Der Schutz der Freiheit der Bürger vor den Abhängigkeiten im Netz durch Unwissen, verlangt vom demokratischen Staat, in der Bildungspolitik Allgemeinbildung und Übersichtswissen wieder Vorrang vor monothematischer Spezialisierung zu geben – d.h. die Fähigkeit zur Einordnung zu fördern.

Als Massenmedium ist das Internet zugleich auch mögliches Manipulationsmedium, weil die Zuverlässigkeit von Informationen dort nicht so schnell überprüft werden kann, wie sie verbreitet werden. Transparent und seriös ist etwas nicht schon allein deswegen, weil es im Netz steht.

Oft herrscht eine naive Netzgläubigkeit vor: schon die Verfügbarkeit von Daten im Internet garantiere deren Seriosität.

Der leichte Informationszugang und die enorme Informationsfülle verstellen zu oft den kritischen Blick auf den tatsächlichen Informationsgehalt. So werden Angaben von Wikipedia meist völlig unreflektiert übernommen, staatliche Informationen schon wegen ihrer Verfügbarkeit im Netz für vollständig gehalten und bei kommerzielle Angeboten das Kleingedruckte im Internet besonders selten gelesen. Bei – per se wünschenswerten – Veröffentlichungen im Internet ist aber die gleiche Quellenkritik notwendig wie in der Offline-Welt.

Der demokratische Staat muss die Kritikfähigkeit seiner Bürger fördern, u. a. deshalb sind Politische Bildung und die Vermittlung von Medienkompetenz so wichtig.

Die enormen Speicherkapazitäten des Internets eröffnen bisher ungekannte Möglichkeiten der Sammlung und Auswertung von Daten. Diese Entgrenzung der Erinnerung führt auch zu neuen Herausforderungen für den Datenschutz. Es ist ein mit den Grundsätzen der freiheitlichen Demokratie als gravierender Eingriff in den Persönlichkeitsschutz nicht vereinbar, wenn Bürger nicht mehr wissen oder wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Diese Möglichkeiten sind mit dem Internet verbunden, weil dort nicht nur gespeichert bleibt, was man über sich selbst eingestellt hat, sondern auch was Dritte über jemanden verbreiten.

Außerdem ist für den Einzelnen nicht nachvollziehbar, welche seiner Verhaltensweisen im Internet von wem wie lange zu welchem Zweck gespeichert und wie genutzt werden. Diese Gefahren für die vom Bundesverfassungsgericht so genannte „informationelle Selbstbestimmung“ drohen weniger von den staatlichen Institutionen, denn in einer freiheitlichen Demokratie unterliegen sie der ständigen parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle. Dies gilt bisher nicht für die Onlinewirtschaft, deren Geschäftsmodell das Sammeln möglichst vieler und individualisierter Daten ist. Der bisher vorwiegend als Schutz von individuellen Daten vor staatlichem Zugriff verstandene Datenschutz steht hier gerade in der freiheitlichen Demokratie vor einer neuen Herausforderung.

Das gilt umso mehr als das Internet entgegen mancher Erwartung ein Spielfeld für Wirtschaftskonzentrationen, Kartelle und Monopole geworden ist, die für den Verbraucher kaum transparent sind. Hier ergeben sich auch neue Herausforderungen für das Wettbewerbsrecht, denn die Soziale Marktwirtschaft will die Freiheit des Wirtschaftsbürgers durch die transparente Vielfalt voneinander unabhängiger Angebote sicherstellen.

Allgemeinbildung, Kritikfähigkeit und Datenschutz – besonders in diesen Feldern ist die Innovationskraft der freiheitlichen Demokratie im Blick auf das Internet gefragt.

4) Zur Technikfaszination muss Demokratiekompetenz kommen.

Das Internet ist nicht zu politischen Zwecken erfunden, erprobt und entwickelt worden und wird auch nur von einer kleinen Minderheit dazu genutzt. Der Cyberspace ist für seine Bewohner um ein Vielfaches mehr der Markt- und Spielplatz als er ein Politikforum ist. Der Anteil politischer Webseiten liegt im deutschsprachigen Netz unter einem Prozent. Die Zugriffsraten auf das politische Angebot sind zudem deutlich unterdurchschnittlich.

Die freiheitliche Demokratie zählt zwar auf das politische Engagement der Bürger für ihre Gesellschaft, räumt ihnen aber ausdrücklich auch das Recht ein, unpolitisch zu sein. Davon wird nicht nur außerhalb sondern auch innerhalb des Netzes reichlich Gebrauch gemacht. Insofern ist das Internet ein der freiheitlichen Demokratie angemessenes Medium, das das Recht zum Unpolitischen ebenso ermöglicht, wie es den Bürgern das Recht zur Mitwirkung und Gestaltung eröffnet. Der Zwang zur Politisierung ist eine Eigenart von Diktaturen und Ideologien, der auch im Internet kein Raum gegeben werden sollte.

In der Demokratie findet Politik im Internet nur in einer kleinen Nische statt. Das Politikinteresse allgemein wird auch durch das Internet nicht gesteigert, sondern es bietet sich dort eine neue, durchaus faszinierende Spielwiese für die schon außerhalb des Internets politisch Interessierten und Aktiven. Die Bedeutung von politischen Themen im Netz wird genau von dieser G ruppe aber überschätzt. Sie tut gut daran, sich immer wieder bewusst zu machen, dass unter der überschaubaren Gruppe von Bürgern, die das Internet intensiv nutzen, politisch Interessierte wiederum eine Minderheit sind.

Zugleich eröffnet das Internet für den demokratischen Staat neue Chancen der Bürgernähe. Neben der leichteren Verfügbarkeit von Informationen bestehen sie insbesondere in der direkten zweigleisigen Bürgeransprache: Einerseits können Bürger unmittelbar und ohne hierarchische oder mediale Zwischenschritte informiert werden, andererseits können sie ihrerseits unmittelbar mit ihren Vertretern Kontakt aufnehmen. Das Internet eignet sich allerdings nicht für Abstimmungen in Sachfragen oder gar Wahlen, weil es außerordentlich manipulationsanfällig und nicht repräsentativ ist.

Das Internet ist im politischen Wettbewerb ein wirkmächtiges Mobilisierungs- und Kampagnenmedium mit der Tendenz, kurze aber heftige politische Strohfeuer auszulösen, die besonders leicht im Angriff auf politische Konkurrenten einzusetzen sind. Dafür war im jüngsten amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf das Twitter-Trommelfeuer von Donald Trump fast prototypisch. Allerdings entfaltete es seine eigentliche Wirkung nur durch die Verstärkung in konventionellen Medien.

Eine besondere Herausforderung für die demokratische Willensbildung ist der Geschwindigkeitsrausch im Internet. Der schnelle Internetklick als gültige Netzwährung gebärdet sich dabei als demokratisches Votum und ist doch tatsächlich nur Ausdruck von Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit. Im Netz wird oft die auf Argumentationskraft angelegte Beteiligungschance ausgehebelt. Die Reifezeit für vernünftige Entscheidungen, deren Voraussetzung das sorgfältige Abwägen von Pro und Contra ist, muss gegen die Faszination der sich ständig beschleunigenden Netzgeschwindigkeit verteidigt werden.

Freiheitliche Demokratie ist im Blick auf Gemeinwohlorientierung und friedliche Konfliktregelung auch darauf angewiesen, dass unterschiedliche Gruppen in der Gesellschaft in überschaubarem Rahmen offen miteinander kommunizieren. Aber das Internet bietet keinen einheitlichen Kommunikationsraum für alle, sondern fragmentiert sich aufgrund seiner Größe in viele Teilöffentlichkeiten. Es besteht aus unzähligen Netznischen, die es jedem ermöglichen, einen eigenen Schutzraum der Selbstbestätigung aufzubauen. Sie bergen die Gefahr einer Echogesellschaft der Gleichgesinnten, die sich Neuem und Anderem verschließt.

Diese Abschottung im Kreis Gleichgesinnter birgt die Gefahr einer Radikalisierung des unhinterfragten Tunnelblicks und widerspricht der Grundidee freiheitlicher Demokratie, die von der Akzeptanz von Verschiedenartigkeit und Vielfalt lebt und diese zugleich auf das Gemeinwohl zu bezieht. In einem Netz von einander abgeschotteter und auf eigene Interessen fixierter Teilöffentlichkeiten ist es schwerer, die Notwendigkeit des gemeinsamen Ganzen zu vermitteln.

In seiner internationalen Dimension erleichtert das Internet die Verbreitung der Idee der freiheitlichen Demokratie, indem es die Chance zur Überwindung diktatorischer Regime überall verbreitet und den Menschen durch solche Beispiele Mut auch in scheinbar aussichtslosen Situationen macht. Das Gefühl der Isolation und Aussichtslosigkeit, auf das Diktaturen ihre Unterdrückung aufbauen, kann durch das Internet überwunden werden. Es kann gegenüber Diktaturen die Einhaltung der Menschenrechte fördern, weil es Verstöße schneller aus dem Verborgenen in die schützende Öffentlichkeit holt und Bürgerrechtlern ein globales Forum bietet.

Durch seinen globalen Charakter und seine schwer kontrollierbare Zugänglichkeit durchbricht das Internet das Kommunikationsmonopol totalitärer Staaten. Dass Diktatoren dies als elementare Bedrohung empfinden, zeigen sie immer wieder durch verschiedenste Versuche der Internetzensur. Sie werden allerdings immer häufiger dadurch ersetzt, dass totalitäre Staaten und Bewegungen das Internet nach innen und außen für sich selbst nutzen. Manipulation und Desinformation auch im Netz gehören längst zu ihrem professionell eingesetzten Instrumentarium. Viren- und Hackerangriffe haben immer häufiger nicht nur kriminelle, sondern auch politische Motive. Das hat zuletzt der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf gezeigt. Demokratische Gesellschaften müssen sich damit nicht nur durch die Verbesserung ihrer technologischen Sicherheitsmaßnahmen auseinandersetzen, sondern auch eine wesentlich intensivere Diskussion darüber führen, dass auch virtuelle Gewalt in welcher Form auch immer nicht zu rechtfertigen ist und bekämpft werden muss.

Das Internet bietet als Freiheitsmedium neue demokratische Chancen und bestätigt zugleich, dass Demokratie wehrhaft sein muss. Dazu gehört die Grundeinsicht freiheitlicher Gesellschaften, dass mit den Rechten der Bürger auch Pflichten einhergehen müssen. Das gilt sowohl für das Freiheitsrecht des Einzelnen, das mit der Pflicht zur Achtung der Freiheit des Anderen untrennbar verbunden ist, als auch für die Gesellschaft insgesamt.

Als Benjamin Franklin im Sommer 1787 in Philadelphia als Mitglied des amerikanischen Verfassungskonvents nach Abschluss der Beratungen von einem Passanten gefragt wurde: „What have you given us?“ antwortete er mit Hinweis auf die Verantwortung jedes Einzelnen: „A Republic, if you can keep it.“ Bezogen auf das Internet könnte man heute hinzufügen: „Democracy – if you can use it.“

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Sankt Augustin Deutschland