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Per Dekret zum Frieden

Dr. Marie-Christine Fuchs im Außenpolitischen Gespräch über Kolumbien und die unsichere Zukunft des Friedensvertrags

In knapp zwei Jahren feiert Kolumbien 200 Jahre Unabhängigkeit. Doch die Geschichte hat das Land mitgenommen, denn seit 1819 „ist das Land eigentlich ein Kriegsland“, resümierte Dr. Marie-Christine Fuchs, Leiterin des Rechtsstaatsprogramms Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung. Umso mehr müsste man annehmen, dass sich die Menschen nach Frieden sehnen – und den ausgehandelten Friedensvertrag zwischen Regierung und FARC befürworten. Doch das Plebiszit zeigte: Das Land ist tief gespalten und die anhaltende Gewalt prägt die Kolumbianer bis heute. Der Friedensvertrag steht auf tönernen Füßen.

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„Der Friedensvertrag ist in Kolumbien gar nicht unumstritten“

Über ein halbes Jahrhundert lang prägte der gewaltsame Konflikt zwischen FARC-Guerilla und kolumbianischer Regierung das Land. Verschiedene Friedensversuche waren immer wieder gescheitert. Zuletzt hatte der Amtsvorgänger des derzeitigen Präsidenten in den 2000er Jahren versucht, einen militärischen Sieg zu erzwingen: Álvaro Uribe fuhr die Militär- und Polizeipräsenz massiv hoch, sodass man auch „heute keine zwei Kilometer fahren kann, ohne dass ein Panzer an der Straße steht“, berichtete Fuchs. Es sei immer noch tief im Bewusstsein der Bevölkerung verankert, dass „die FARC militärisch bekämpft werden muss“. Unter Präsident Juan Manuel Santos kam es jedoch spätestens seit 2012 zu einem politischen Kurswechsel: Er veranlasste streng geheime Friedensgespräche in der kubanischen Hauptstadt Havanna. Doch die fehlende Transparenz der Verhandlungen verursachte bei den Kolumbianern Unverständnis, so Fuchs. Am Ende stand ein etwa 300 Seiten umfassender Friedensvertrag, der strittige Punkte wie eine Landreform, politische Teilhabe der entwaffneten Guerilla, einen endgültigen Waffenstillstand, eine neue Drogenpolitik und – vielleicht der umstrittenste Punkt – ein System der Übergangsjustiz beinhaltet.

Schwerste Verbrechen werden bestraft – der Rest fällt unter eine Amnestie

Eine Sonderjustiz zur Bewältigung des politischen Konflikts sei keine neue Idee in der Rechtsgeschichte, so Fuchs. So habe es auch in Deutschland eine Sondergerichtsbarkeit gegeben: die Nürnberger Prozesse und die Mauerschützen-Prozesse. Und in Kolumbien „kommt es nicht zur Aussöhnung, wenn alle FARC-Kämpfer im Gefängnis sitzen.“ So sehe der Friedensvertrag jetzt vor, nur bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderen schweren Verbrechen Straftaten abzuurteilen. Hinzu komme Drogenkriminalität, die zur Finanzierung des politischen Kampfes diente. Täter, die der Justiz gegenüber vollständig kooperativ seien, haben nur eine maximale Strafe von fünf bis sieben Jahren zu erwarten, egal, was ihnen zur Last gelegt wird. Weniger schwere Straftaten fallen unter eine Amnestie. Zur Aussöhnung und Aufarbeitung werden zudem eine Wahrheitskommission gegründet und eine Einheit zur Suche nach verschwundenen Menschen eingerichtet, es wird eine Entschädigung der Opfer sowie Wiedergutmachung geben.

Die Menschen vom Friedensvertrag überzeugen

Für Präsident Santos drängt die Zeit jetzt, berichtete Fuchs. Ab Mitte 2017 wird in Kolumbien Wahlkampf herrschen, 2018 wählt das Land einen neuen Präsidenten und Santos darf nicht noch einmal antreten – bis dahin müsse der Friedensvertrag in Gesetze umgesetzt sein. Deswegen regiere Santos jetzt mit einer Art Notstandsgesetzgebung und durch Dekrete. Das Parlament dürfe Gesetze nur noch absegnen und keine Änderungen mehr daran vornehmen. Ziel sei es, alle nötigen Gesetze bis zum ersten Quartal 2017 zu verabschieden. Ein zweites Plebiszit solle es nicht mehr geben, dafür gebe es keine Zeit mehr, so Fuchs. Und auch das Ergebnis der ersten Abstimmung, in der sich eine Mehrheit der Kolumbianer gegen den vorgelegten Friedensvertrag entschieden hatte, sei kein Hindernis dafür, dass der Friedensvertrag jetzt vom Parlament umgesetzt werde. Dazu habe Santos erst kürzlich die Rückendeckung vom kolumbianischen Verfassungsgericht erhalten: Das befand, dass in einer repräsentativen Demokratie auch eine Abstimmung durch das Parlament ein Volksentscheid sei – und dieser war Voraussetzung für den Friedensvertrag.

Jetzt komme es jedenfalls darauf an, dass „Santos die Menschen von seinem Frieden überzeugt“, warnt Fuchs. Denn der unterzeichnete Vertrag habe keinen verfassungsrechtlichen Rang: „Santos‘ Nachfolger könnte alles wieder rückgängig machen.“

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Christian Schleicher

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Stellvertretender Leiter Politische Bildungsforen und Leiter Politische Bildungsforen Süd

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