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Wehrhaft - nach innen und außen

Außenansicht

Die EU ist einer Debatte voller Halbwahrheiten ausgesetzt. Sie muss offensiver reagieren. Dr. Hans-Gert Pöttering in einer "Außenansicht" der Süddeutschen Zeitung.

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Der europäische Integrationsgedanke sieht sich einem unser Wertefundament infrage stellenden Narrativ gegenüber: ein nach innen gerichtetes sozial-nationalistisches Gegenmodell, das protektionistische und planwirtschaftliche Vorstellungen mit einer antieuropäischen, teils völkischen Weltsicht verbindet. Verfechter des Modells sind rechte wie linke populistische Bewegungen. Sie fordern eine Abschottung von der Außenwelt, gepaart mit unverhohlener Bewunderung für ein autokratisch regiertes Russland. Hinzu kommt ein geschichtsvergessenes Bild der Vergangenheit. Auftrieb erhält diese Bewegung durch die Wahrnehmung, die EU reagiere auf innere und äußere Angriffe zu zögerlich. Gepaart wird all dies mit einer Kommunikationsstrategie, die sich auf Halb- und Unwahrheiten stützt.

Wie ist diesem rücksichtslosen Diskurs entgegenzutreten? Die EU muss Wehrhaftigkeit beweisen: Durch eine andere Kommunikationsstrategie und durch Maßnahmen zum Schutz der europäischen Bürger. Anstelle einer verschämten Haltung zur europäischen Einigung bedarf es eines kämpferischen, ehrlichen Bekenntnisses. So müssen wir demütig zugestehen, dass weder die EU noch ihre Mitgliedstaaten über eine Zauberformel verfügen, um aktuelle Probleme sofort zu lösen: Sowohl die Migrationsfrage, die Instabilität der Nachbarschaft als auch die Bekämpfung des Terrorismus bedürfen langfristiger Strategien. Anders als es die Redewendung eines "postfaktischen Zeitalters" suggeriert, glaube ich, dass es möglich ist, den Bürgern komplexe Sachverhalte zu vermitteln.

Dafür benötigen wir eine Strategie gegen Falschmeldungen und zur Unterstützung des Qualitätsjournalismus. Nach außen müssen wir mehr für die Bekämpfung von Desinformationen aufbringen, die Expansion russischer Propagandasender innerhalb der EU mit einem besseren Zugang zu europäischen Informationsquellen kontern und Verbindungen zwischen Populisten und vorgeblichen Experten zum Kreml offenlegen. Eine neue Kommunikationsstrategie wird jedoch nicht genügen: Der geschürten Logik der Angst gilt es zukunftsorientiertes Anpacken und Maßnahmen entgegenzusetzen, die den Bürgern das Gefühl zurückgeben, die EU stehe für Sicherheit und Schutz. Die zweite Säule für eine wehrhafte EU sollte daher die Stärkung innerer und äußerer Sicherheit sein.

Dies heißt, die Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit mit der Schaffung einer europäischen Sicherheitsunion zu verbessern: Dazu gehören die Verabschiedung von Vorschlägen zur Terrorismusbekämpfung und mehr Datenaustausch der Geheimdienste. Auch sollte die EU eine Stelle für den Austausch von Geheimdienstinformationen schaffen. Der neu eingerichtete Europäische Grenz- und Küstenschutz muss angemessen ausgestattet werden. Jene Länder stehen vor allem in der Verantwortung, die sich bei der Beteiligung am Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge zurückgehalten haben.

Ein Andauern der Friedensepoche in der Europäischen Union wird es nicht zum Nulltarif geben

Ein zentraler Baustein für eine wehrhafte EU ist, die Zusammenarbeit bei der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stärken: Die Umsetzung der beim letzten Europäischen Ratsgipfel verabschiedeten Maßnahmen - mehr Mittel für Verteidigungsforschung, freiwillige Abstimmung nationaler Verteidigungsplanungen, verbesserte Zusammenarbeit zwischen EU und Nato - kann die EU handlungsfähiger machen. Angesichts der Bedrohungslage und der Unwägbarkeiten der US-Außenpolitik werden diese Schritte jedoch langfristig nicht ausreichen. Ziel muss die Schaffung einer echten Europäischen Verteidigungsunion sein: Dazu gehört, ein EU-Hauptquartier zur Planung und Durchführung aller Militärmissionen zu schaffen sowie ein Europäisches Sanitätskommando und die Entwicklung gemeinsamer strategischer Transportfähigkeiten. Eine Europäische Armee ist noch kein realistisches Szenario. Befähigte Länder könnten aber permanente multinationale europäische Einheiten bilden.

Seit Beginn der europäischen Einigung hat es keinen bewaffneten Konflikt innerhalb der EU gegeben. In anderen Ländern Europas sah das anders aus: Ein Beispiel dafür sind die Balkankriege. Russlands Krieg in der Ukraine erinnert uns daran, dass Europa auch heute nicht vor Konflikten gefeit ist. Ein Andauern der Friedensepoche in der EU wird es nicht zum Nulltarif geben: Die EU-Staaten werden um eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben nicht umhinkommen. Es ist die Aufgabe von Politik, die Bevölkerung darauf vorzubereiten, dass mit einer instabilen europäischen Nachbarschaft der Preis für unsere Sicherheit steigen wird. Selbst eine geschlossen auftretende EU wird der Sicherheitsherausforderungen nicht Herr werden, wenn sie sich - wie von den Populisten gefordert - abschottet. Vielmehr muss die Zusammenarbeit mit der Nato durch einen Austausch auch sensibler Informationen ausgebaut werden. Auch muss die EU mehr mit der Afrikanischen Union zusammenarbeiten, um eine Destabilisierung insbesondere in der Sahelzone zu verhindern.

Europa muss seine Werte auch verteidigen, indem es Transformationsprozesse in unserer Nachbarschaft unterstützt. Dafür muss es über ihre bisherigen Angebote - etwa an die Maghreb-Staaten - hinausgehen. Andernfalls werden diese Länder wenig Anreize haben, nicht nur die Kosten ihrer Modernisierung zu schultern, sondern auch ein zuverlässiger Partner in der Sicherheits- und Migrationspolitik zu sein. Dazu gehört die Ausweitung legaler Wege der Migration, aber auch eine weitergehende Öffnung der EU-Märkte. Die EU muss alles ihr Mögliche unternehmen, um reformwillige Gesellschaften etwa in Tunesien oder der Ukraine zu unterstützen. Eine erfolgreiche Entwicklung dieser Länder wäre ein mächtiges Narrativ gegen den sozial-nationalistischen Diskurs und das von Autokraten vertretene Denken in Einflusssphären, in dem Ländern in europäischer Nachbarschaft nur die Rolle von Schachfiguren zugestanden wird. Eine wehrhafte EU muss auch in ihrem Inneren und in ihrem Selbstverständnis gefestigt sein.

Bereitschaft zur Solidarität wird sich nur verfestigen, wenn alle Staaten ihre Verpflichtungen einhalten, sei es in der Asyl- oder der Verteidigungspolitik. Zum wehrhaften Europa gehört der Stolz auf Werte wie Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und Toleranz. Dies ist Fundament für einen europäischen Patriotismus, der sich als Ergänzung zur Liebe des Vaterlands, der Region und der Heimat versteht. Unsere Werte sind auch Basis für die Zusammenarbeit mit Partnern und Freunden - wie den USA - und natürlich auch Russland. Eine wehrhafte EU ist eine wirksame Antwort gegen ihre Gegner von innen wie von außen.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Berlin Deutschland