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Vorläufige Zäsur der rechtsstaatlichen Krise in Rumänien

von Andrei Avram, Dr. Martin Sieg

Konfliktlinien bleiben bestehen

Am 9. Februar trat der rumänische Justizminister Florin Iordache (PSD) zurück, nachdem die Regierung bereits am Sonntag zuvor eine umstrittene Notverordnung zur Änderung des Strafgesetzbuches zurückgezogen hatte, die zu Straffreiheit einer Vielzahl von gegenwärtigen und ehemaligen Amts- und Mandatsträgern geführt hätte.

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Der Erlass dieser Notverordnung hatte die größten Straßenproteste in der postkommunistischen Geschichte des Landes ausgelöst – mit bis zu 600.000 Demonstranten in Bukarest und anderen Städten. Mit dem Einlenken der Regierung haben die Proteste gegen eine Aushöhlung der Korruptionsbekämpfung zumindest vorläufig Erfolg. Die zugrundeliegenden Konfliktlinien in der rumänischen Politik, insbesondere zwischen Präsident und Regierungskoalition bleiben aber weiter bestehen.

Iordache, der zunächst kommissarisch von der beigeordneten Ministerin für europäische Angelegenheiten, Ana Birchall, ersetzt werden soll, war für die von der PSD dominierte Regierung unter Premierminister Sorin Grindeanu nicht mehr haltbar gewesen. Sein Rückzug erfolgte nur einen Tag nachdem ein Misstrauensantrag gegen das Kabinett im Parlament gescheitert war, der von den oppositionellen Parteien PNL und USR in der Woche zuvor eingebracht worden war. Die Europäische Kommission und die Botschaften mehrerer westlicher Staaten in Bukarest, einschließlich der deutschen, hatten vorher ebenfalls ihre Besorgnis über das Vorgehen der PSD zum Ausdruck gebracht.

Der Rückzug der Notverordnung und der Rücktritt Iordaches stellen aber wohl nur eine vorläufige Zäsur in der politischen und rechtsstaatlichen Krise in Rumänien dar – nicht zuletzt deswegen, weil mittlerweile das Vertrauen eines beträchtlichen Anteils der Bevölkerung, insbesondere der städtischen Mittelschicht, in die Regierung nachhaltig erschüttert worden ist. Bemerkenswert an der Protestbewegung ist vor allem die Tatsache, dass die Menschen nicht für Partikularinteressen auf die Straße gingen, sondern um die wichtigsten Errungenschaften des Landes nach dem EU-Beitritt zu verteidigen: die Rechtsstaatlichkeit und entschiedene Bekämpfung der Korruption unter Federführung der Nationalen Antikorruptionsbehörde (DNA), die inzwischen auch in anderen Ländern der Region als vorbildliches Modell betrachtet wird. In Rumänien gibt es – besonders nach der Amtsübernahme von Präsident Klaus Johannis Ende 2014 – im Antikorruptionskampf keine Tabus mehr, was von der hohen Anzahl an verurteilten oder angeklagten Ministern, Parlamentariern oder Bürgermeistern belegt wird. Die Protestierenden wandten sich dabei just gegen die Aushöhlung der Möglichkeit, öffentliche Amts- und Mandatsträger für Amtsmissbrauch und Interessenkonflikte zur Verantwortung zu ziehen.

Die politische Federführung der Stimmen der Straße hat eindeutig Johannis übernommen. Er kündigte bereits am 23. Januar ein Referendum über die Fortsetzung der Bekämpfung der Korruption und über die Gewährleistung der Integrität von öffentlichen Amtsträgern an. Trotz des Rückziehers der Regierungskoalition bekräftigte er am 7. Februar in einer Rede vor beiden Kammern des Parlaments, dass er an der Volksabstimmung festhalten würde. Er mahnte dabei auch die Regierungskoalition, im Dienst der Bürger zu regieren und nicht in Form von Nacht-und-Nebel-Aktionen, die nur den Eigeninteressen bestimmter Politiker dienen würden. Rumänien brauche ein Kabinett, das transparent arbeite und berechenbar regiere. Die Strategie der PSD, sich mit den Notverordnungen statt mit dem eigenen Regierungsprogramm zu beschäftigen, bezeichnete er als „Kamikaze“-artig. Johannis lobte explizit die Protestbewegung und verwies darauf, dass die Demokratie täglich verteidigt werden müsse. Bei dem von ihm angekündigten Referendum gehe es darum, festzuhalten, „was für eine Nation wir sein wollen“.

Die PSD hatte auf die Haltung des Präsidenten zunächst mit einer aggressiven Rhetorik reagiert. Der Parteivorsitzende Liviu Dragnea, zugleich die dominierende Gestalt der Regierungskoalition, hatte dabei sogar die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens gegen das Staatsoberhaupt in Aussicht gestellt. Zugleich ist aber auch unklar, ob und inwieweit Differenzen innerhalb der PSD Dragnea zum Einlenken in der Frage der Notverordnung veranlasst haben, nachdem er den Protesten gegenüber zuerst eine unnachgiebige Haltung eingenommen hatte. Nach außen hin haben sich nur einzelne Politiker der PSD gegenüber ihrem Vorsitzenden distanziert.

Das durch den Präsidenten anberaumte Referendum dient nun dem Zweck, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und zugleich den Druck auf die Regierungskoalition hinsichtlich der Korruptionsbekämpfung aufrechtzuerhalten. Obwohl es sich lediglich um eine konsultative Volksabstimmung handelt, dürfte ein klares Ergebnis ein starkes Signal in Richtung der PSD senden, dass gewisse „rote Linien“ von keiner Regierung mehr ohne politische Kosten überschritten werden können. Dennoch liegt das Beteiligungsquorum nach jetziger Rechtslage bei 30 Prozent – eine beachtliche Hürde, zumal bei den Parlamentswahlen am 11. Dezember weniger als 40 Prozent der Wahlberechtigten ihr Stimmrecht ausgeübt haben.

Trotz der öffentlichen Sichtbarkeit und Wirkung der Protestbewegung – die immer noch, mit deutlich reduzierter Teilnehmerzahl, vor dem Regierungsgebäude ausharrt – ist die rumänische Gesellschaft allerdings stark polarisiert. Aus Sicht der Wählerschaft der PSD dürften z.T. bereits in Kraft getretene Wahlversprechen, wie die Erhöhung des Mindestlohns oder die Abschaffung eines breiten Spektrums an Steuern, schwerer wiegen, vor allem angesichts der noch immer weit verbreiteten Armut. Trotz der Proteste dürfte die PSD in der eigenen Wählerschaft daher nach wie vor über einen starken Rückhalt verfügen.

Zugleich bleibt die Korruptionsbekämpfung eine Bedrohung vieler politischer Existenzen und Karrieren. Das gilt nicht nur, aber besonders auch für die Regierungskoalition, bis hin zu Dragnea, der bereits einmal zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde und gegen den weitere Verfahren anhängig sind. Daher muss damit gerechnet werden, dass es zu erneuten Anläufen zu einer Verwässerung der Korruptionsbekämpfung kommt, etwa im Rahmen eines ordentlichen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens oder durch Versuche, die Antikorruptionsbehörden personell oder strukturell zu schwächen. Dies könnte nicht nur neue Proteste auslösen. Angesichts der klaren Positionierung des Staatsoberhauptes wäre damit zugleich ein neuer Verfassungskonflikt zwischen Präsident und Regierungskoalition angelegt.

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2. Februar 2017
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