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Veranstaltungsberichte

„Die besten Zeiten sind jetzt“

von Jana Biesterfeldt
Der Botschafter der Republik Estland, S.E. Dr. Mart Laanemäe, stellte als erster Diplomat in diesem Jahr sein Bild von Europa vor und diskutierte anschließend über Estlands Platz in der EU.

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Seit 2015 gibt es die Veranstaltungsreihe „Europabilder“ der Konrad-Adenauer-Stiftung, die sich als Europa-Stiftung versteht. Die Europabilder sollen einen „Beitrag zur Rückbesinnung auf Europas Stärken leisten und die Bedeutung unserer gemeinsamen Werte wieder stärker in den Fokus rücken“, so Rita Schorpp, Koordinatorin für Stiftungsübergreifendes Projektmanagement und Besucherdienst der Konrad-Adenauer-Stiftung, in ihrer Begrüßungsrede. In der Reihe stellen Botschafter als professionelle Beobachter politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen „ihr“ EUropa vor.

Estland, das kleinste Land des Baltikums, ist seit 2004 Mitglied der EU und der NATO und gilt als digitaler Vorreiter in Europa. Die Esten sind „stolz auf ihr modernes Land und auf ihre Traditionen“, sagte Schorpp. Botschafter Dr. Mart Laanemäe stellte zunächst fest, dass „jede Beschreibung eines Bildes immer anders“ ausfalle und im Auge des Betrachters liege. Dementsprechend entstünden auch verschiedene Vorstellungen davon, wie Europa funktioniere, jeder habe davon eine andere Auffassung. Er lobte die Reihe als Möglichkeit, Europa aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Sein Blick auf Europa sei durch die Frage bestimmt, wie man „mehr Europa“ als Bild darstellen könne, also so, dass „alles, was gut ist in Europa, sich vermehrt“. Was schlecht ist, sei dagegen „nicht europäisch“. Für die Zukunft sehe er das Bild eines immer „besseren und freundlicheren“ Europas.

In der anschließenden Diskussion mit dem Journalisten Malte Zeeck stand der Botschafter Rede und Antwort über sein Land. Zeeck bezeichnete Estland als das „Vorbildland der EU“, welches viel Lob in Europa ernte und fragte: „Warum gelingt Ihnen fast alles so gut?“ „Man muss schneller sein“ als andere Länder, befand Laanemäe. Estland sei ein nordisches Land. Gerade deshalb müsse es sich entwickeln „um zu überleben“ und mit dem Fortschritt mitzuhalten, analysierte er den Aufstieg seines Landes. Besonders auf die fortgeschrittene Digitalisierung seien die Esten stolz. In Estland habe man die Notwendigkeit erkannt „Prioritäten zu setzen“ und Geld sinnvoll auszugeben. „Die besten Zeiten sind jetzt“, davon ist Laanemäe überzeugt.

Zu den Nachbarländern im Baltikum und Skandinavien unterhalte Estland enge freundschaftliche Beziehungen. Aber jeder baltische Staat würde sich von seinen Nachbarn unterscheiden. „In Nordeuropa möchte jedes Land anders sein und sein eigenes Profil haben.“

Am 1.Juli 2017 übernimmt Estland ein halbes Jahr früher als vorgesehen die EU-Ratspräsidentschaft, da Großbritannien nach der Volksabstimmung für den Brexit diese Aufgabe nicht mehr übernehmen konnte. Das erforderte eine schnelle Umstellung der estnischen Planung, die auch personelle Veränderungen nach sich zog. Dies sei, so der Diplomat, vermutlich der Grund dafür, dass er nun zum zweiten Mal Estland als Botschafter in Deutschland vertritt - wie schon von 2008 bis 2012.

Fragen nach dem Verhältnis zu Russland und den Ängsten und Sorgen der Esten waren in der Diskussion zahlreich. Laanemäe sieht sein Land als „besonders gefährdet“ durch eine mögliche russische Aggression.

In der Zeit der Auseinandersetzung um die Rechte der russischsprachigen Minderheit habe es eine Art Vorgriff auf die Annexion der Krim gegeben: In Narwa, der estnischen Stadt an der Grenze zu Russland, deren Einwohner zu 80 Prozent russischsprachig sind, kam es 1993 zu einem Referendum. Initiiert wurde es von russischen Kräften, darunter auch Wladimir Putin, der damals noch in St. Petersburg lebte. Eine Mehrheit stimmte für die Unabhängigkeit von Estland. Da die Abstimmung aber von Estland nicht als rechtmäßig anerkannt wurde, blieb Narwa eine estnische Stadt. Aber das Referendum bleibt im Bewusstsein der Esten präsent.

Laanemäe konzediert, dass der heutige russische Präsident Wladimir Putin Estland sehr gut kenne, er spreche sogar ein wenig Estnisch. Russland habe 1993 versucht, die Situation des Umbruchs auszunutzen. Damals war Estland zudem noch nicht Mitglied der NATO. Klar bekennt der Botschafter sich zur Schlussakte von Helsinki, die unter anderem die Unverletzlichkeit der Grenzen festschreibt. „Die Grenze der Russischen Föderation mit seinen Nachbarn gehört in diesen Kontext.“

Estland erlebte weitere Versuche der Einflussnahme und der Destabilisierung, zum Beispiel die Cyberattacken von 2007. Angegriffen wurden vor allem Regierungsseiten, aber auch das Notrufsystem des Landes. Die estnische Regierung ist davon überzeugt, dass Russland auch dafür die Verantwortung trägt. Das sei alles sehr gefährlich, unterstreicht der Botschafter. Schließlich wolle Estland seinen Bürgern alles das bieten, was sie von ihrem Staat erwarten, insbesondere Sicherheit. Und mit Blick auf das Vertrauen der Bürger in ihren Staat setzt er fort: „Und dann kommt jemand und will das alles kaputtmachen, wenigstens zeitweise.“

Aber es ist ihm auch wichtig zu verdeutlichen, dass die russischsprachige Minderheit in Estland kein monolithischer Block ist. Viele Russischsprachige lernten oder lernen Estnisch und haben oder wollen einen estnischen Pass. Angesichts der besseren Lebensbedingungen in Estland kämen zudem jährlich ungefähr 1000 Russen, um in Estland zu arbeiten und zu leben. Er schließt seine Ausführungen mit leiser Ironie: „Umgekehrt sind mir keine estnischen Staatsbürger bekannt, die nach Russland gehen.“

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