Asset-Herausgeber

von Marc Calmbach

Zum Institutionenvertrauen junger Menschen in Deutschland und Europa

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Das multimediale Projekt Generation What? ist eine länderübergreifende Studie über die junge Generation in Europa (www.generationwhat.de). Neben Deutschland haben sich zwölf weitere Länder daran beteiligt. Die Studie wurde von Rundfunkanstalten aus den beteiligten Ländern entwickelt und geleitet, in Deutschland vom Bayerischen Rundfunk, vom Südwestfunk und vom Zweiten Deutschen Fernsehen. International wurde sie von der Europäischen Rundfunkunion koordiniert. Das SINUS-Institut war für die Auswertung der deutschen Daten zuständig. Zwischen April 2016 und April 2017 haben allein in Deutschland circa 165.200 junge Menschen an der Studie teilgenommen, europaweit waren es nahezu eine Million. Damit ist Generation What? eine der größten Jugendstudien überhaupt. Über einen interaktiven Onlinefragebogen hat das junge Europa zu einem breiten Themenspektrum Auskunft gegeben: Neben Zielen im Leben, Wünschen, Hoffnungen und Ängsten ging es auch um die Frage, inwieweit junge Leute der Justiz, der Politik, den Medien und religiösen Institutionen in ihrem Land vertrauen. Insbesondere die deutschen Ergebnisse zum Vertrauen in Institutionen werden in diesem Artikel zusammengefasst. Um hier ein verallgemeinerbares Bild zeichnen zu können, wurde aus allen Teilnehmenden eine repräsentative Quotenstichprobe nach den Merkmalen Alter, Geschlecht, Bildung und Region gezogen (41.055 Fälle). Grundgesamtheit ist die deutschsprachige Wohnbevölkerung im Alter von 18 bis 34 Jahren.

Skepsis gegenüber religiösen Institutionen

Weitgehend unabhängig von Geschlecht, Alter und Bildung hat knapp die Hälfte der 18bis 34-Jährigen überhaupt kein Vertrauen in religiöse Institutionen, weitere 34 Prozent vertrauen ihnen eher nicht. So gut wie niemand (2 Prozent) vertraut religiösen Institutionen voll und ganz, und auch nur 15 Prozent tun dies zum Teil („vertraue eher“). Das Vertrauen von gläubigen Menschen in religiöse Institutionen ist erwartungsgemäß größer: Von allen, die angeben, sie könnten ohne ihren Gottesglauben nicht glücklich sein (das sind 20 Prozent), sagen nur 12 Prozent, dass sie überhaupt kein Vertrauen in religiöse Institutionen haben (Gesamt: 47 Prozent). Allerdings haben weitere 34 Prozent eher kein Vertrauen, womit selbst unter den Gläubigen fast die Hälfte misstrauisch gegenüber religiösen Institutionen ist (Gesamt: 81 Prozent).

Im europäischen Vergleich ist das Misstrauen in religiöse Institutionen in Deutschland aber noch am geringsten. Insgesamt sagen 58 Prozent aller europaweit Befragten, dass sie überhaupt kein Vertrauen in religiöse Institutionen haben, weitere 28 Prozent haben eher kein Vertrauen. Nur in den Niederlanden kommen die religiösen Institutionen vergleichbar „gut“ weg. Besonders groß ist das Misstrauen der jungen Generation gegenüber den religiösen Institutionen hingegen in Griechenland, der Schweiz und Spanien.

Kein klares Bild von der Justiz

Etwa jeweils ein Zehntel der jungen Menschen in Deutschland vertraut der Justiz überhaupt nicht beziehungsweise vertraut ihr voll und ganz. Es zeigt sich dabei, dass die Männer etwas häufiger als Frauen die extremen Positionen einnehmen. Die höher Gebildeten sprechen der Justiz dabei etwas häufiger (14 Prozent) ihr vollstes Vertrauen aus als Menschen mittlerer (12 Prozent) und vor allem niedriger Bildung (10 Prozent).

Die mittleren Antwortkategorien sind bei dieser Frage deutlich stärker besetzt. 46 Prozent vertrauen der Justiz in Deutschland „eher“, 30 Prozent vertrauen ihr „eher nicht“. Die wenigsten Befragten hatten oder haben im Alltag Kontakt zur Justiz, entsprechend wenig profiliert sind die Einstellungen der jungen Generation zu dieser Institution.

In der Summe haben in Deutschland folglich 58 Prozent zumindest eher Vertrauen in die Justiz. Im europäischen Vergleich ist das ein auffällig hoher Wert. Insgesamt werden europaweit nur 40 Prozent Vertrauen in die Justiz gemessen. In Griechenland äußert sich die junge Generation am kritischsten. Hier ist es nur ein Viertel, das der Justiz ihr Vertrauen ausspricht. Besser als die Deutschen bewerten lediglich die Schweizer ihre Justiz (62 Prozent).

Knapp zwei Drittel vertrauen der Polizei

Dass man der Polizei völlig vertraut (17 Prozent) oder völlig misstraut (7 Prozent) ist ebenfalls untypisch für die junge Generation in Deutschland. Die Hälfte vertraut der Polizei im Großen und Ganzen, ein Viertel hat hingegen durchaus auch Vorbehalte. Die demografischen Unterschiede fallen hier eher moderat aus: Die Männer, die Jüngeren und die hoch Gebildeten zeigen ein etwas größeres Vertrauen in die Polizei.

Interessant ist, dass das Vertrauen in die Polizei seit den Terrorattacken in Frankreich (Nizza) und Deutschland (Würzburg, Ansbach) im Juli 2016 in der jungen Bevölkerung nicht gelitten hat. Im Gegenteil. Es ist seitdem sogar leicht gestiegen – und zwar in allen demografischen Segmenten in etwa gleichermaßen. Das lässt die Interpretation zu, dass die junge Bevölkerung der Polizei ein gutes Zeugnis im Umgang mit extremen Situationen ausstellt.

Insgesamt schenkt circa die Hälfte der jungen Generation in Europa der Polizei völliges oder vorsichtiges Vertrauen. Die deutsche Polizei liegt in Sachen Vertrauenswürdigkeit bei den 18bis 34-Jährigen mit 67 Prozent auf Platz zwei. Mit 70 Prozent ist das Vertrauen für die niederländischen Nationale Politie unter ihren jungen Staatsangehörigen am größten. In dem von der Staatsschuldenkrise gebeutelten Griechenland traut hingegen nur ein Viertel der Polizei. Annähernd niedrig ist das Vertrauen sonst nur noch in Italien (40 Prozent) und Frankreich (41 Prozent).

Nur ein Prozent vertraut der Politik uneingeschränkt

Die Politik hat einen sehr schweren Stand unter den jungen Leuten. Nur 2 Prozent vertrauen ihr völlig, 32 Prozent tun dies immerhin mehr oder weniger. Dem stehen aber 66 Prozent gegenüber, die kein Vertrauen in die Politik haben (23 Prozent haben „überhaupt keines“ und 43 Prozent haben „eher keines“). Das Vertrauen in die Politik ist keine Frage des Geschlechts, wohl aber des Alters und vor allem der Bildung. Die jüngste befragte Alterskohorte (18 bis 19 Jahre) vertraut der Politik stärker (38 Prozent) als die älteste Gruppe (30 bis 34 Jahre: 30 Prozent). Vermutlich sind ältere Befragte – stärker beeinflusst vom medialen Diskurs – skeptischer in ihrem Blick auf Politik beziehungsweise haben altersbedingt bereits mehr negative Eindrücke und Enttäuschungen gesammelt. Besonders drastisch ist der Unterschied zwischen den Bildungsgruppen: Je niedriger die Bildung, desto weniger Vertrauen besteht in die Politik. Während nur 26 Prozent der niedrig Gebildeten der Politik vertrauen, sind es bei den hoch Gebildeten 40 Prozent. Offensichtlich fühlen sich die bildungsfernen Schichten deutlich stärker von der Politik im Stich gelassen. Obgleich die Bildungsunterschiede in den meisten anderen europäischen Ländern weniger gravierend ausfallen, kommt die Politik hier insgesamt noch schlechter weg: Nur 1 Prozent vertraut ihr völlig und lediglich 16 Prozent tun dies mehr oder weniger. Dem stehen aber 82 Prozent gegenüber, die kein Vertrauen in die Politik haben (45 Prozent haben „überhaupt keines“ und 38 Prozent haben „eher keines“). In Deutschland haben „nur“ 23 Prozent überhaupt kein Vertrauen in die Politik. Das ist im Europavergleich der niedrigste Wert. Am stärksten unterscheiden sich die jungen Deutschen hier von den Griechen (67 Prozent), den Franzosen (62 Prozent) und den Italienern (60 Prozent).

Um mehr über die 23 Prozent in der jungen Generation zu erfahren, die der Politik völlig misstrauen, wurden ihre Einstellungen zu Politik und Gesellschaft genauer analysiert. Von allen, die der Politik „überhaupt nicht“ vertrauen,

- beklagen 65 Prozent, dass ihnen die Gesellschaft nicht die Möglichkeit gibt, zu zeigen, was wirklich in ihnen steckt (Gesamt: 45 Prozent),

- sind 14 Prozent der Ansicht, dass es nicht in ihrer Macht liegt, was in ihrem Leben passiert (Gesamt: 7 Prozent),

- finden 27 Prozent, dass Deutschland aus der EU austreten sollte (Gesamt: 9 Prozent),

- finden 71 Prozent, dass es in Deutschland zu viele Leistungserschleicher gibt (Gesamt: 58 Prozent),

- würden sich 66 Prozent in naher Zukunft bei einem großen Aufstand gegen die Mächtigen beteiligen (Gesamt: 36 Prozent).

Es zeigt sich also, dass diese Gruppe deutlich fatalistischer ist als der Durchschnitt, gleichzeitig aber auch eine wesentlich größere Protestbereitschaft äußert. Es handelt sich offenbar um eine frustrierte Gruppe, die sich generell benachteiligt fühlt. Diese jungen Menschen befürworten auch überdurchschnittlich häufig einen EU-Austritt Deutschlands. Misstrauen in die Politik hängt aber nicht damit zusammen, ob man arbeitslos ist oder nicht.

Wenig Vertrauen in die Medien

Lediglich ein Bruchteil von 4 Prozent vertraut den Medien völlig, und nur 32 Prozent tun dies mehr oder weniger. Dem stehen 22 Prozent gegenüber, die überhaupt kein Vertrauen in die Medien aufbringen, und 39 Prozent, die ihnen zumindest skeptisch gegenüberstehen. Vor dem Hintergrund, dass die Glaubwürdigkeit der Medien essenziell für einen demokratischen Staat ist, sind diese niedrigen Vertrauenswerte alarmierend.

Dass man Medien kaum vertraut, kann viele Gründe haben (denen im Rahmen der Studie aber nicht näher nachgegangen werden konnte): Es ist nicht auszuschließen, dass man Medien als korrumpierbar einstuft beziehungsweise deren Unabhängigkeit anzweifelt. Auch ist denkbar, dass man bewusste Fehlinformation und Manipulation („Lügenpresse“) für möglich hält. Ebenfalls könnte die Vermutung oder die Wahrnehmung journalistischer Fehlleistungen eine Rolle spielen.

Das Vertrauen in die Medien hängt weniger vom Alter und vom Geschlecht ab als von der Bildung: Während nur 29 Prozent der niedrig und 36 Prozent der mittel Gebildeten den Medien mehr oder weniger vertrauen, sind es bei den hoch Gebildeten immerhin 40 Prozent. Dieser Unterschied ist plausibel, wenn man die Ergebnisse zahlreicher Studien bedenkt, die aufzeigen, dass die jungen Erwachsenen mit hoher Bildung seriösere, weniger unterhaltungsorientierte Medien konsumieren und bei der Quellenwahl kompetenter sind. Es fällt ihnen leichter, Medien kritisch zu betrachten, beispielsweise zu erkennen, ob journalistische Beiträge von kommerziellen oder politischen Interessen geleitet sind. Ein weiterer Grund könnte sein, dass viele höher Gebildete selbst in der Medienbranche arbeiten beziehungsweise über den Freundes- und Bekanntenkreis einen besseren Einblick in die Medienwelt haben.

In Deutschland genießen die Medien kein hohes Vertrauen in der jungen Generation, allerdings stellen junge Deutsche der eigenen Medienlandschaft noch ein wesentlich besseres Zeugnis aus als die Altersgenossen in den anderen Ländern. Während in Deutschland „nur“ 22 Prozent überhaupt kein Vertrauen in die Medien haben, sind es in Griechenland 71 Prozent, in Italien 48 Prozent und in Frankreich 46 Prozent. Ähnlich niedrige Misstrauenswerte wie in Deutschland zeigen sich sonst nur noch in den Niederlanden (31 Prozent) und Belgien (30 Prozent).

Fazit: Die junge Generation ist politikskeptisch, kirchenabgewandt und medienkritisch. Auch wenn die deutschen Institutionen im Vergleich mit anderen europäischen Ländern noch gut wegkommen, zeigen die Befunde der Studie Generation What?, dass sich die junge Generation in Deutschland mit wichtigen Institutionen im Land nur unzureichend identifiziert. Misstrauen, Skepsis und Verdrossenheit sind weit verbreitet, insbesondere unter Menschen mit niedriger Bildung – einer Bevölkerungsgruppe, die mit ihrer oft fatalistischen Einstellung Anlass zur Sorge gibt. Mehr gesellschaftlich-politische Bildung tut deshalb not, die zuallererst bei den Jüngeren ansetzen muss. Denn diese Gruppe – auch das ist ein Ergebnis der Studie – hat insgesamt noch mehr Institutionenvertrauen als die vielfach desillusionierten älteren Kohorten.

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Marc Calmbach, geboren 1974 in Ostfildern, Direktor Sozialforschung, SINUS-Institut.

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