Asset-Herausgeber

von Martina Stangel-Meseke

Über Vertrauen und den Zusammenhalt von Organisationen

Asset-Herausgeber

Vertrauen ist ein stark strapazierter Begriff. Die Verflochtenheit unserer Gesellschaft in komplexe Zusammenhänge sowie weltwirtschaftliche Krisen stellen Organisationen in immer schnellerer Abfolge vor große Gestaltungsund Veränderungsaufgaben. Es bedarf hierfür einer Verlässlichkeit der beteiligten Akteure, die hilft, mit dieser Komplexität umzugehen.

Allerdings verheißen die aktuellen Schlagzeilen zu Vertrauen in Organisationen nichts Gutes. „Das Vertrauen implodiert“, so das Fazit einer aktuellen Studie zur Entwicklung des Vertrauens der Menschen in öffentliche Organisationen weltweit, vorgestellt auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos 2017. Mehr als die Hälfte der in der Studie von Edelman Intelligence (2016) befragten 33.000 Personen aus 28 Ländern äußerten in Bezug auf Regierungen, Nichtregierungsinstitutionen, Unternehmen und Medien, dass das aktuelle System gescheitert sei, weil es unfair sei und wenig Hoffnung für die Zukunft böte.

Anlässlich seines 75. Geburtstages schildert Sir Stephen Hawking die Facetten des „gefährlichsten Zeitpunkts der Menschheitsgeschichte“. Mit Verständnis für die Sorgen im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen der Globalisierung, des sich beschleunigenden technologischen Wandels und der gewaltigen und beunruhigenden Umweltprobleme formuliert er: „Aus all dem ergibt sich für mich, dass wir dringend enger zusammenarbeiten müssen, als das je in der Menschheitsgeschichte nötig war“ (Zeitschrift für Internationale Politik und Gesellschaft, 6. Januar 2017).

Risikogesellschaft und Informationsreduktion

Bei der Betrachtung des Skizzierten stellt sich die Frage nach dem bindenden Glied, dem „Kitt“, der hilft, die Qualität und die Bedingungen sozialer Beziehungen (wieder)herzustellen. Was also benötigt eine Gesellschaft, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen als Risikogesellschaft aufgrund der technischen Innovationen und deren ökologischer Fragen, als Informationsgesellschaft, als fiktionalisiert durch Massenmedien und Onlinemedien, als individualisiert und als medialisiert mittels digitaler und hochvernetzter Kommunikationstechnologie charakterisiert wird? Unsere Gesellschaft benötigt Organisationen, die die gesteigerte Komplexität verarbeiten können. In diesem Kontext nimmt der Begriff Vertrauen eine zentrale, wenn nicht die zentrale „kittende“ Schlüsselposition ein.

Vertrauen zeichnet sich durch die freiwillig geschaffene Beziehungsqualität zu Personen oder zu Organisationen aus. Es besteht in der Bereitschaft einer Person, gegenüber einer anderen Person verletzlich zu werden und infolgedessen eine riskante Vorleistung einzugehen. Diese riskante Vorleistung kann unterschiedlich gestaltet sein: Eine Person vertraut einer anderen Informationen an, die ihr persönlich schaden könnten, sollte das Gegenüber diese gegen sie verwenden. Oder eine Person verlässt sich in ihren Entscheidungen und Handlungen auf Aussagen einer anderen Person, aus denen – sollten sie sich als nicht gültig herausstellen – persönliche Nachteile erwachsen. Als gemeinsames Verständnis hat sich in der Vertrauensforschung herauskristallisiert, dass Vertrauen mit einer positiven Erwartungshaltung gegenüber Personen, Gruppen und Organisationen zu tun hat, deren Verhalten durch den Vertrauenden nicht kontrolliert oder sanktioniert werden kann.

Die systemtheoretische Begründung für die Funktion des Vertrauens liegt darin, dass wir die Fülle an Informationen, die wir täglich konsumieren, nicht mehr vollständig verarbeiten können. Vertrauen dient dem Zweck, diese Komplexität und Informationsdichte zu reduzieren, es wird zum Äquivalent für Information. Vertrauen wirkt hinführend auf zukünftige Ergebnisse, wird beeinflusst durch die bisherigen Erfahrungen der vertrauengebenden Person und dient deren Handlungsfähigkeit. Somit ersetzt es fehlende Information und sichert trotz Ungewissheit und unüberschaubarer Komplexität die Handlungsfähigkeit der Menschen.

Die heutigen Organisationen, die sich in einem Feuerwerk stetig und dynamisch ändernder, kulturell geprägter Organisationsumwelten bewegen, benötigen gleichermaßen Zutrauen und Sich-verlassen-Können wie Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit im Inneren und Äußeren. Sie werden durch Vertrauen funktionsfähig gemacht und durch dieses erhalten. Wem wir vertrauen, hängt vor allem von den Wahrnehmungen und den Neigungen der sich vertrauenden Personen ab.

Wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit

Die Bereitschaft, einer Person Vertrauen entgegenzubringen, steigt bei der anderen Person, je mehr sie im Verhalten des Gegenübers seine Kompetenz, sein Wohlwollen und seine Integrität erlebt (Mayer, Roger C. / Davis, James H. / Schoorman, F. David: „An Integrative Model Of Organizational Trust“, in: The Academy of Management Review, Volume 20 1995 3, S. 709–734). Die Vertrauenswürdigkeit einer Person wird dadurch beeinflusst, wie sie das Können der anderen Person, ihre Kompetenz und Handlungsfähigkeit in ihrem Verantwortungsbereich wahrnimmt. Die Faktoren Wohlwollen und Integrität dagegen beziehen sich auf die charakterlichen Eigenschaften der Person. Sie beschreiben, ob eine Person ihre Fähigkeiten im besten Interesse der Person einsetzt, die ihr vertraut. Das Wohlwollen bezeichnet, inwieweit von einer Person angenommen wird, dass sie der vertrauenden Person gegenüber wohlgesonnen sowie unterstützend eingestellt ist und sich uneigennützig um deren Interessen sorgt. Die Integrität einer Person ist das Ausmaß, in dem von einer Person angenommen wird, dass sie die Wahrheit sagt, sich fair und konsistent zu ihren Aussagen und ihren Versprechen verhält sowie ethische Prinzipien verfolgt, die von der vertrauenden Person akzeptiert werden und mit deren Prinzipien übereinstimmen.

Je stärker eine Person die Kompetenz, das Wohlwollen und die Integrität einer anderen Person erlebt, desto eher ist sie bereit, in einer Situation so zu handeln, dass sie gegenüber dieser Person ein Risiko eingeht und zum Beispiel deren Ratschlägen folgt oder Handlungen im Vertrauen auf deren Aussagen durchführt. Die Konsequenzen, die aus dem Handeln resultieren, wirken sich wiederum auf die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit der Person aus. Nutzt eine Person in der Interaktion das Vertrauen ihres Gegenübers zu ihrem Vorteil, so wird sie künftig als weniger vertrauenswürdig angesehen, was sich negativ auf das weitere Verhalten auswirkt. Verhält sie sich dem Vertrauenden gegenüber nicht eigennützig, so hat das positive Auswirkungen auf ihre wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit und auf das Verhalten anderer ihr gegenüber. Die Wahrnehmung der Vertrauenswürdigkeit führt dazu, dass dieser Person noch mehr Vertrauen entgegengebracht wird. Darüber hinaus wird das Vertrauen gegenüber einer vertrauenswürdigen Person von der generellen Neigung, überhaupt Vertrauen schenken zu wollen, beeinflusst. Diese Neigung ist interindividuell unterschiedlich ausgeprägt und wird durch kulturelle Einflüsse verstärkt beziehungsweise gemindert.

Vertrauen in die eigenen Kräfte

In der heutigen Zeit unterliegen wir vielen Täuschungen und erleben, dass Versprechen des Managements von Organisationen, aber auch der Politik nicht immer eingehalten werden. Dennoch gibt es ein tief verwurzeltes Verlangen der Menschen nach Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Integrität. Bundespräsident Joachim Gauck betonte in seiner Abschiedsrede vom 18. Januar 2017 auf Schloss Bellevue, dass das Wichtigste, das Kindern und Kindeskindern mit auf den Weg gegeben werden solle, eine innere Haltung sei. Diese Haltung bezeichnet er als das Vertrauen zu uns selbst, das Vertrauen in die eigenen Kräfte: „Mögen die Ängste uns auch begleiten: Wir lassen uns das Vertrauen zu uns selbst und zu unserer Demokratie nicht nehmen.“

Die Forschung hat Aspekte zur Vertrauenswürdigkeit von Organisationen, wie Kompetenz, Konsistenz, Berechenbarkeit, Verlässlichkeit, Informationsweitergabe, Fairness und Respekt, bisher gut nachgewiesen. Vertrauen in Organisationen ist jedoch nicht per se vorhanden, sondern muss entwickelt werden, und zwar derart, dass eine Gemeinschaft entsteht, in der für alle Beteiligten in der Organisation verlässliche (Grund-)Werte gelebt werden und in der sich Menschen sicher fühlen und in der Lage sind, ein Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen zu entwickeln. Dazu muss ein Dialog des Sich-vertraut-Machens der Organisationsmitglieder untereinander initiiert werden.

Genau diese Verlässlichkeit herzustellen, stellt in sich verändernden Organisationen eine große Herausforderung dar, da in Veränderungsprozessen das Vertrauen leicht verwundbar ist. Veränderungen können von Mitarbeitenden als Verletzungen ihrer Erwartungen oder gar ihres Gerechtigkeitsempfindens wahrgenommen werden. Dies kann passieren, wenn strukturelle Veränderungen an Arbeitsplätzen erfolgen, die Mitarbeitenden diese als Belastung und Gefährdung in Bezug auf Arbeitsplatzsicherheit erleben und keine adäquaten Gegenleistungen der Organisation wahrgenommen werden. Selbst Vertrauensbeziehungen können eine Grundlage für betriebliche Veränderungen darstellen und die Veränderungsbereitschaft verhindern. Dies erfolgt, wenn in einzelnen Bereichen der Organisation starke Vertrauensbindungen existieren, die verhindern, dass die Mitarbeitenden sich an den betrieblichen Veränderungen beteiligen. Die Ursache hierfür ist, dass die Mitarbeitenden im Wandel den Erhalt ihrer Arbeitskultur und die damit verbundenen Qualitätsansprüche gefährdet sehen. Daher bedarf es der gemeinsamen Entwicklung einer Vertrauenskultur in der Organisation, die die Perspektiven der Mitarbeitenden in dem Veränderungsprozess aufgreift, verarbeitet und integriert. Die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und -reflexion der Organisation und die organisationale Achtsamkeit sind hierbei von Relevanz.

Vertrauenskultur in Organisationen

Charakteristisch für den Wandel von Organisationen ist die uneinheitliche Sicht auf Veränderungen: Die Perspektiven variieren je nach Bewertungs- und Erlebensstatus der Beteiligten infolge des Empfindens, Verlierer oder Gewinner zu sein, einbezogen, mitgestaltend oder ausgeliefert zu sein.

Veränderungsfähige Vertrauenskulturen bedürfen daher einer Bündelung der Perspektivenvielfalt der Beteiligten, indem mit systematisch angelegten Dialogverfahren Diskussionslinien und Veränderungsvorschläge in hierarchiegleichen Gruppen erarbeitet werden und die Umsetzung konkreter Gestaltungslösungen erfolgt. Alle Führungskräfte und die Organisationsleitungen müssen für die Faktoren der Vertrauenswürdigkeit sensibilisiert werden und Vertrauensbeziehungen im Dialog mit Mitarbeitenden reflektieren. Dafür ist eine systematische Kommunikation zu anstehenden Veränderungen auf der betrieblichen, der Abteilungs- und Bereichsebene sowie auf der Ebene der Mitarbeitenden erforderlich. Es bedarf ferner der Einführung eines Steuerungskreises, der die organisationsinterne Koordination, Evaluation und Kommunikation von Veränderungsprozessen begleitet.

Letztlich basiert der Erfolg der Organisationen und der unserer Gesellschaft auf unserer Fähigkeit, zu vertrauen und dabei klug und achtsam im stetigen Dialog zu handeln. Vertrauen ist und bleibt dabei die Voraussetzung effizienten wirtschaftlichen Handelns, optimaler Zusammenarbeit in Unternehmen und einer ethikbasierten Koexistenz in der Gesellschaft.

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Martina Stangel-Meseke, geboren 1963 in Bochum, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Dortmund, Mitglied der Sachverständigenkommission zur Erstellung des Ersten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung.

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