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Nachruf „Kompass für eine bessere Welt“

von Rita Anna Tüpper

Zum Tode von Klaus Gotto (* 22. April 1943 in Trier, 25. Januar 2017 in Bonn)

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Er liebte Flusstäler, guten Wein, klassische Musik und ehrliche Gespräche, der gebürtige Moselaner Klaus Gotto. Kaum etwas störte ihn so sehr wie Lobreden auf ihn selbst, gleich aus welchem Mund. Bei den Feierlichkeiten zu seinem 60. und 70. Geburtstag gelang es ihm, sämtliche Elogen zu unterbinden. Das war nicht simpel, denn zahlreiche Gäste aus Wissenschaft und Politik, die ihn und seine Leistungen schätzten, hätten dies zu gern kundgetan. Für seine Exequien hatte er ausdrücklich verfügt, dass der Zelebrant nicht über seinen Lebensweg sprechen und auf eine Würdigung seiner Person verzichten solle. In einer Zeit, die auf egozentrische Imagepflege besonderen Wert legt, setzte er damit ein Zeichen, das nachdenklich macht.

„Wir können lernen, uns nicht im Pragmatismus des Alltags zu verlieren, sondern immer wieder den Kompass für eine bessere Welt in die Hand zu nehmen“ – so Gottos Bilanz aus sechzig Jahren Bundesrepublik im Juli 2009 in der Politischen Meinung. Die jüngste deutsche Geschichte war für ihn der Beweis, dass sich das Engagement für die „Kunst des Möglichen“ lohnt – ohne jenen idealistischen Überschwang, der dem pro movierten Historiker stets suspekt blieb.

Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter hatte er 1969 bei der Kommission für Zeitgeschichte seine berufliche Karriere begonnen, bevor er 1975/76 in die Funktion des Gründungsdirektors und Leiters des Archivs für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung eintrat. Von hier aus wurde er im deutschen Schicksalsjahr 1989 zum Leiter der Gruppe Gesellschaftliche und Politische Analysen ins Bundeskanzleramt berufen und folgte Wolfgang Bergsdorf 1993 als Leiter der Abteilung Inland im Presse und Informationsamt der Bundesregierung bis zum Regierungswechsel 1998.

Steffen Seibert würdigte in seinem Nachruf nicht zuletzt Gottos Engagement für die deutschen Museumsprojekte der 1990erJahre (Deutsches Historisches Museum, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland), die Stärkung der kulturellen Substanz in den neuen Bundesländern und seine intensive Beratung des Bundeskanzlers in deutschland- und gesellschaftspolitischen Strategiefragen. Nach 1998 war er zunächst für dimap, das Institut für Markt und Politikforschung, tätig und gründete dann zusammen mit Michael Mertes und Herbert Müller das Politikberatungsunternehmen dimap consult, das sich mit demoskopisch fundierten Analysen sowie mit politischen Reformvorschlägen und Strategieempfehlungen schnell einen exzellenten Ruf erwarb.

Als Redaktionsmitglied war er seit 1998 für die Politische Meinung viel mehr als eine ehrenamtlich mitwirkende und unterstützende Kraft, er war zugleich Seismograph und Supervisor, der leiseste Erschütterungen der politischen Landschaft vorausahnte und die Zeitschrift lange Jahre mit scharfsichtigen Prognosen und glasklaren Ratschlägen begleitete. Bei Redaktionskonferenzen unter dem Chefredakteur Bergsdorf waren seine Impulse, Mahnungen und Kenntnisse (auch der Konrad-Adenauer-Stiftung) mit entscheidend.

Michael Thielen hat Klaus Gotto treffend in einem Atemzug einen „großen Meister an den Werkbänken der christdemokratischen Idee“ und „einen wunderbaren Freund“ genannt, „erfahren, klug, nachdenklich“, auch „treu, diskret und allürenfrei“ – ja, er war auch ein Meister der Freundschaft, ein Mensch der Tat, der konkreten Idee ohne Floskeln. In seiner Loyalität und Zuneigung konnten seine Freunde Wurzeln schlagen, denn er sprach niemals mit doppelter Zunge – was manchmal auch bedeutete, weniger und immer leise zu reden. Seine Wertschätzung und sein Vertrauen mieden die große Geste, sondern zeigten sich, indem er seinem Gegenüber auch das Unangenehmste, was er erkannt zu haben meinte, nicht verschwieg – und immer, wirklich immer traf es zu. Sein scharfer Blick für das Faktische durchbohrte alle Eitelkeiten – begleitet von ironischnachsichtigem Schmunzeln –, und doch blieb er genau dann, wenn es schwierig wurde. Vielen hat Klaus Gotto nicht nur als Mitstreiter, sondern auch menschlich in kritischen Situationen Halt gegeben. Er wollte wirken und wusste, dass er oftmals die Hebel dazu in der Hand hielt; aber diese Wirkmacht war auf die Sache, auf ein Ziel gerichtet und zuletzt auf einen tieferen Wert und Glauben, hinter denen das Ego zurücktrat. Fassaden hielten ihm nicht stand. Auch das zeigt seine Verweigerung von Lobeshymnen: eine tiefe Skepsis gegenüber der Dynamik des gesprochenen Wortes, das etwas zu fassen oder vorzugeben sucht, was sich wesentlich nur im realen Handeln vollziehen und zeigen kann. Überheblichkeit war ihm völlig fremd, denn sein Selbstbewusstsein beruhte auf einem größeren Vertrauen: „Du bist mein Gott. Meine Zeit steht in Deinen Händen“ (Psalm 31,15 f.) – so die Überschrift über der Todesanzeige der Familie.

Sein Tod nach langer schwerer Krankheit schmerzt nicht nur, weil er so sehr fehlt, sondern auch, weil ihm noch so vieles zurückzugeben wäre. Da tröstet es, zu wissen, dass seine Frau Hilde die Kraft gefunden hat, ihn bis zum Ende zu pflegen und an seiner Seite zu sein. In ihr und in seinen vier Kindern und fünf Enkelkindern wird vieles weiter leben von dem, was den Mann, Vater und Großvater ausgemacht hat. Die Erinnerung an ihn bleibt allen, die mit ihm im Austausch standen, wirklich ein „Kompass für eine bessere Welt“.

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Rita Anna Tüpper, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, 1999 bis 2016 Redakteurin der Politischen Meinung.

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