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Veranstaltungsberichte

Wer zieht in den Élysée-Palast ein? Die französische Präsidentschaftswahl 2017

von Daniel Braun, Katharina Wall
Eisenacher Gespräch

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Anlässlich der französischen Präsidentschaftswahlen am 23. April lud das Politische Bildungsforum Thüringen am 14.03 zum Eisenacher Gespräch mit dem französischen Politikwissenschaftler Prof. Dr. Henri Ménudier.

Daniel Braun, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Politischen Bildungsforums Thüringen, begrüßte die Gäste und betonte die Relevanz des Themas sowohl für Europa als auch die französisch-deutschen Beziehungen.

Hohe Bedeutung der anstehenden Wahl

Prof. Dr. Ménudier griff den Punkt der deutsch-französischen Beziehungen auf und begann seinen Vortrag mit einer Retrospektive: die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl war der Grundstein für die deutsch-französische Zusammenarbeit und die Europäische Union. Als „Wirbelsäule der Außenpolitik“ der beiden Länder sei diese bisherige Kooperation durch eine mögliche Präsidentin Marine Le Pen in großer Gefahr. Nicht nur die Wahlen in Frankreich scheinen die Karten neu zu mischen, auch die anstehenden Wahlen in den Niederlanden, einigen deutschen Bundesländern und die Bundestagswahl in Deutschland im September werden die Zukunft Europas maßgeblich mit beeinflussen.

Die anstehende Wahl ist nach Ménudier aus zwei Gründen besonders wichtig. Zum einen hat der französische Präsident gemäß der Verfassung sehr weitreichende Kompetenzen, zum anderen ist er direkt vom Volk gewählt und sein Amt hat somit eine starke Legitimität inne.

Die Geschichte der Französischen Republik

Um die heutigen Ereignisse besser einordnen zu können ging Ménudier im Folgenden auf die Geschichte der Französischen Republik ein.

Die von 1870 bis 1940 existierende Dritte Republik endete aufgrund der Niederlage der französischen Armee vor der Wehrmacht, nachdem sechs Zehntel Frankreichs unter deutsche Besatzung kamen. Die im Juli 1940 gegründete Vierte Republik hatte wie ihre Vorgängerin zur Besonderheit, dass die Macht allein in den Händen des Parlaments lag. In den zwölf Jahren ihrer Existenz bildeten sich 25 Regierungen, was die große Instabilität des Systems unterstreicht. Der 1954 beginnende Unabhängigkeitskrieg in Algerien war unter den gegebenen Umständen nicht zu bewältigen und Charles de Gaulle erklärte sich im Mai 1958 bereit, die Macht in der Republik zu übernehmen, allerdings nur unter der Bedingung, einer weitreichenden Ausweitung der präsidialen Befugnisse. Mittels eines Verfassungsgesetzes wurden ihm Vollmachten in Exekutive und Legislative übertragen und er hatte außerdem zur Aufgabe, innerhalb der kommenden sechs Monate die neue Verfassung der Fünften Republik auszuarbeiten. Von nun an war der Präsident das Zentrum der Macht, was sich in seinen Kompetenzen klar äußerte: Neben der Auflösung der Nationalversammlung konnte der Präsident außerdem die Außenpolitik kontrollieren, Referenden organisieren und sich so über den Kopf des Parlaments an die Bürger wenden.

Nach de Gaulle waren die Präsidenten Georges Pompidou und Valéry Giscard d’Estaing Angehörige des bürgerlichen Lagers, was erst 1981 von Mitterand durchbrochen wurde. Er hielt vierzehn Jahre das Amt des französischen Präsidenten inne und unter ihm gab es zwei „cohabitations“: die stärkste Fraktion im Parlament gehörte dem entgegengesetzten politischen Lager an.

Als vielleicht mit heute vergleichbare Wahl bezeichnete Ménudier den zweiten Wahlgang 2002 zwischen Jacques Chirac und Jean-Marie Le Pen. Chirac wurde am Ende mit 82,5% der Stimmen wiedergewählt, weil sich die demokratischen Parteien zusammentaten. Denkbar wäre dies heute bei einem zweiten Wahlgang, den auch Marine Le Pen erreicht.

Die diesjährigen Wahlen: ungewiss und heikel

Der Wahlkampf beginnt dieses Jahr offiziell am 10. April, wobei jeder Kandidat zwei Wochen Zeit hat, sich im Fernsehen und Radio zu präsentieren. Sollte kein Kandidat am 23. April die absolute Mehrheit der Stimmen für sich erzielen können, gibt es einen zweiten Wahlgang, wobei die Wahrscheinlichkeit für einen solchen dieses Jahr sehr hoch ist.

Laut dem L’Express lag Marine Le Pen am 08. März mit 26% der prognostizierten Stimmen an erster Stelle. Sie ist die Tochter des Gründers der Partei „Front National“, Rechtsanwältin und Europaabgeordnete und vertritt eine stark ausländerfeindliche und antisemitische Politik. Des Weiteren ist die Partei bekannt für ihre Ablehnung der EU, protektionistische Vorstöße und ein vollständiges Schließen der Grenzen. Emmanuel Macron liegt mit 25,5% an zweiter Stelle der Wahlprognosen. Als hoher Beamter im Finanzministerium, Wirtschaftsberater bei François Hollande und späterer Wirtschaftsminister unter demselben hat er schließlich seine eigene Bewegung, „En Marche!“ („Unterwegs“) gegründet. François Fillon ist derzeit auf Platz drei der Umfragen und kann laut den Prognosen mit 19% der Stimmen rechnen. Als mehrfacher Minister und auch Premierminister kann er politische Erfahrung nachweisen, ist jedoch zurzeit aufgrund undurchsichtiger Beschäftigungen von Angehörigen etwas in Verruf geraten und hat ein Ermittlungsverfahren gegen seine Person zu erdulden. Auf Platz vier und fünf der Prognosen liegen außerdem noch Benoît Hamon und Jean-Luc Mélenchon, wobei beide dem linken Lager angehören.

Aufgrund der akuten Krise der Demokratie und dem großen Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Politikern ist diese Wahl laut Ménudier besonders heikel. Frankreich steht vor diversen sozialen und ökonomischen Problemen, die Wirtschaftsleistung ist nicht wesentlich angestiegen und die Arbeitslosigkeit liegt bei rund zehn Prozent. Diese innenpolitischen Probleme erschweren wiederum auch die deutsch-französischen Beziehungen, da ein Gleichgewicht wie in früheren Jahren auf verschiedenen Ebenen nicht mehr gegeben ist. Ménudier beendete seinen Vortrag mit der Vermutung, dass der Ausgang dieser Wahl sehr ungewiss sei und Überraschungen zu erwarten sind.

Fragen und Anmerkungen der Gäste

Am Ende des Abends stellten die Gäste dem Referenten Fragen oder machten Anmerkungen zu einzelnen Punkten, wobei insbesondere das französische Selbstverständnis als Nation in Europa und der Welt, das Deutsch-Französische Verhältnis und Fragen der Einwanderung im Mittelpunkt standen.

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