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Auslandsinformationen

Schatten der Vergangenheit?

von Marie-Christine Fuchs

Lateinamerikas Kampf gegen die Korruption

Meldungen über Korruptionsfälle in Lateinamerika sind an der Tagesordnung. Zuletzt sorgte der Bestechungsskandal um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht weltweit für beträchtliches Aufsehen. Trotz oder gerade wegen dieser Hiobsbotschaften verzeichnet Lateinamerika seit diesem Jahr eine deutliche Zunahme der Antikorruptionsmaßnahmen. Will der Kontinent Korruption effektiv bekämpfen, liegt vor ihm noch ein langer Weg. Jedoch scheint eine Trendwende erstmals möglich.

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Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff

In letzter Zeit häufen sich die Schlagzeilen um Korruption in Lateinamerika. Waren schon die Namen Petrobras und Panama-Papers in aller Munde, so kam der Stein spätestens am 21. Dezember 2016 so richtig ins Rollen: An jenem Tag wurde bekannt, dass die brasilianische Baufirma Odebrecht zwischen 2005 und 2014 öffentliche Aufträge durch die Zahlung von Bestechungsgeldern in Millionenhöhe an hohe Staatsbeamte auf dem gesamten lateinamerikanischen Kontinent erkauft habe. Immer weiter zogen sich die Kreise der Vorwürfe und Ermittlungen gegen führende lateinamerikanische Politiker wegen Verwicklung in den Odebrecht-Skandal oder in ähnliche Korruptionsfälle. Zuletzt traf es Brasiliens populären früheren Staatschef Luiz Inacio „Lula“ Da Silva, der im Juli wegen Korruption und Geldwäsche zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Der zuständige Richter sah es als erwiesen an, dass Lula als Dank für die Bevorteilung des Baugiganten OAS ein Luxus-Apartment erhalten habe. Lula kann allerdings noch Berufung einlegen und bleibt vorerst auf freiem Fuß. Am 13. Juli wurden Perus Ex-Präsident Ollanta Humala und seine Frau Nadine Heredia in Untersuchungshaft genommen. Dem Paar wird vorgeworfen, die beiden Wahlkämpfe Humalas 2006 und 2011 mit illegalen Geldern, unter anderem von Odebrecht, aber auch aus der venezolanischen Staatskasse, bestritten zu haben. Seit Anfang des Jahres schon besteht der Verdacht, dass der zurückliegende Wahlkampf des kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos, der erst 2016 für die Friedensverhandlungen mit den FARC-Rebellen den Friedensnobelpreis erhalten hatte, mit Bestechungsgeldern in Millionenhöhe finanziert wurde.

Lateinamerika scheint im Sumpf der Korruption zu versinken. Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man bedenkt, dass auf dem Kontinent bis heute die Grenzen zum Kavaliersdelikt in der Wahrnehmung von Justiz und Gesellschaft häufig verschwimmen. So sagte beispielsweise der ehemalige kolumbianische Präsident Julio César Turbay während seiner Amtszeit, dass Korruption nur auf das richtige Maß reduziert werden müsse. Er suggeriert damit, dass Politik zwingend mit Korruption einhergehe.

Die weltweite Reaktion auf die genannten Skandale zeigt jedoch, dass die Bemühungen im Kampf gegen Korruption, wie sie internationale Organisationen wie etwa die Vereinten Nationen (VN), die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit ihrem Anti-Korruptionsprogramm für Lateinamerika oder Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International seit Jahren betreiben, auch von der lateinamerikanischen Politik nicht länger ignoriert werden können. Angefacht durch medialen Druck und ein zunehmendes Unwohlsein in der Bevölkerung, sind in vielen lateinamerikanischen Ländern seit diesem Jahr intensive Bemühungen im Kampf gegen Korruption zu verzeichnen: Es werden Regierungsprogramme kreiert, Strafgesetze verschärft und Antikorruptionsbehörden ins Leben gerufen. Korruption ist längst zum Politikum geworden und wird z. B. in Kolumbien und Mexiko das mitentscheidende Thema im für 2018 anstehenden Präsidentschaftswahlkampf sein. Es scheint, als sei Lateinamerika nun endlich aus dem Dornröschenschlaf erwacht.

Was genau bedeutet Korruption?

Korruption ist die Perversion von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Sie steht in direktem Widerspruch zu Werten wie Chancengleichheit und Gewaltenteilung. Doch was ist Korruption genau? Gemäß der Antikorruptionsorganisation Transparency International ist der Begriff Korruption so undurchsichtig wie die Strukturen, in denen Korruption gedeiht. Sie definiert Korruption daher allgemein als den „Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil“. Demnach können Täter sowohl staatliche Akteure in Politik und Justiz als auch private in der Wirtschaft und anderen Teilen der Gesellschaft sein. Das entscheidende Kriterium ist hierbei der Machtmissbrauch.

Wesentlich konkreter wird Korruption in der kriminologischen Forschung definiert. Es handelt sich um den „Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats zugunsten eines Anderen, auf dessen Veranlassung oder in Eigeninitiative, zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten, mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit (Täter in amtlicher oder politischer Funktion) oder für ein Unternehmen (betreffend Täter als Funktionsträger in der Wirtschaft)“. Korruptionsdelikte können demnach sowohl aktiv als auch passiv begangen werden. So wird nach dem deutschen Strafgesetzbuch Vorteilsgewährung und -annahme (§§ 331 und 333 StGB) sowie Bestechung und Bestechlichkeit (§§ 332 und 334 StGB) gleichermaßen unter Strafe gestellt. Vorteilsnehmer sowie -geber können Beamte, Staatsangestellte oder anderweitig staatlich Beauftragte sein, die Staatsgewalt missbrauchen. Es kann sich aber auch um Politiker oder Funktionsträger in der Wirtschaft handeln.

Der Vorteil muss nicht unbedingt dem Täter selbst zu Gute kommen. Der Tatbestand ist ebenfalls erfüllt, wenn dieser einen Dritten bedenkt. Nach der hier verwendeten Definition ist darüber nicht nur das Verhalten desjenigen erfasst, der privaten Nutzen aus dem Machtmissbrauch zieht, sondern auch das Verhalten eines unabhängigen Dritten, der bewusst vom korrupten Handeln anderer profitiert. Nichts anderes gilt in Lateinamerika, wo generell ein sehr weiter Korruptionsbegriff verwendet wird. Fraglich ist weiter, ob Steuerhinterziehung unter den Begriff der Korruption im engeren Sinne fällt. Nach der Definition von Transparency International wäre dies nicht der Fall, weil kein Fall von Machtmissbrauch vorliegt. Dennoch weisen Steuer- und Korruptionsdelikte eine Reihe von Parallelen auf und gehen in vielen Fällen miteinander einher.

Schwerer als die enormen finanziellen Verluste wiegt der immaterielle Schaden durch Korruption.

Charakteristisch für Korruptionsdelikte ist, dass diese „opferlose“ Delikte sind, die sich regelmäßig im Verhältnis zwischen zwei Tätern, den „Korrumpierten“ und den „Korrumpierenden“, abspielen. Diese beiden Parteien sind grundsätzlich nicht an der Aufklärung der begangenen Straftaten interessiert. Das eigentliche Opfer, häufig der Fiskus und damit letztlich der Steuerzahler, steht regelmäßig außerhalb dieser Beziehung und hat daher keine Kenntnis von dem Vorgehen der Täter. Das erschwert die Aufklärung von Korruptionsdelikten erheblich.

Schaden durch Korruption

Der weltweit durch Korruption angerichtete materielle Schaden ist enorm. Er wird als größtes Hindernis für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung angesehen. Jedes Jahr werden ca. eine Billion US-Dollar an Bestechungsgeldern gezahlt, während den Staaten geschätzte 2,6 Billionen US-Dollar durch Korruption abhandenkommen. Dies entspricht mehr als 3,5 Prozent des globalen BIP. In einem ähnlichen Verhältnis stehen die Verluste für den lateinamerikanischen Kontinent: Laut Global Financial Integrity gehen ca. 143 Milliarden US-Dollar jährlich durch Korruption verloren. Dadurch fehlen den Regierungen immense Einnahmen, die sinnvoll für Bildung, Gesundheitswesen und Sozialleistungen einzusetzen wären. Gleichzeitig führt die durch Korruption geförderte Aushebelung von Marktmechanismen und die Ausschaltung eines fairen Leistungswettbewerbs zu überteuerten oder qualitativ minderwertigen Produkten und Dienstleistungen.

Vielleicht sogar noch schwerwiegender ist der immaterielle Schaden, der durch Korruption verursacht wird. Das Bekanntwerden einer großen Zahl von Korruptionsskandalen lässt den Bürger pauschalisierend vermuten, dass Politik und Wirtschaft durch korrupte Machenschaften verbandelt sind. Er verliert das Vertrauen in staatliche Institutionen und in die Politik. Der Staat wird schnell zum Feindbild und ohne den Rückhalt in der Bürgerschaft schnell instabil. Grundwerte des demokratischen und sozialen Rechtsstaats sowie Menschenrechte werden verletzt, Entwicklungen und Innovationen blockiert, Schattenwirtschaft gefördert und der Verfall politischer Moral begünstigt. Ebenso ruft Korruption Enttäuschung und mangelnde Leistungsbereitschaft derjenigen hervor, die keinen Vorteil für sich beanspruchen können. Sie begünstigt Ungleichheit in Bezug auf die Verteilung von Macht und Wohlstand und führt letztlich zur Stärkung von Populisten, die in der Wählergunst von dem Vertrauensverlust der etablierten Parteien profitieren.

Nationaler und regionaler Regelungsrahmen

Wegen der gravierenden, durch Korruption hervorgerufenen Schäden sah man auf internationaler Ebene schon vor mehr als einem Jahrzehnt Handlungsbedarf. So verabschiedeten die VN im Dezember 2005 die Konvention gegen Korruption (UN-Convention against Corruption, UNCAC). Das Abkommen ist der erste weltweit völkerrechtlich bindende Vertrag, der von 181 Staaten ratifiziert wurde (Stand: Dezember 2016), darunter alle lateinamerikanischen Staaten. Es verpflichtet die Vertragsparteien zur Bestrafung verschiedener Formen der Korruption gegenüber Amtsträgern und zur internationalen Zusammenarbeit. Es enthält Implementierungspflichten für die Vertragsstaaten unter anderem in den Bereichen Korruptionsverhütung (siehe Kapitel II UNCAC, das eine Auflistung der von den VN normierten vorbeugenden Maßnahmen enthält), Kriminalisierung und Strafverfolgung. Die Umsetzung der Vertragspflichten durch die einzelnen Mitgliedstaaten wird im Rahmen eines im Jahre 2009 geschaffenen Überprüfungsmechanismus (Peer Review Mechanism) evaluiert.

Internationale und regionale Abkommen zur Korruptionsbekämpfung waren bisher nur bedingt erfolgreich.

Auf regionaler Ebene verabschiedeten die Mitglieder der OAS sogar bereits im Jahre 1996 die Interamerikanische Konvention gegen Korruption (Convención Interamericana contra la Corrupción). Mit Ausnahme Kubas haben alle Mitgliedstaaten der OAS das Abkommen unterzeichnet. Seit 2002 existiert ein Überprüfungsmechanismus zu ihrer Durchführung (Mecanismo de Seguimiento de la Implementación de la Convención Interamericana contra la Corrupción, MESICIC). Dennoch fehlt es hinsichtlich beider Konventionen an einem Gericht, das die Mitgliedstaaten für die Verletzung der jeweiligen Konvention verurteilen könnte.

Ausmaß der Korruption in Lateinamerika

Nicht zuletzt wegen dieser oftmals fehlenden Justizialisierung internationaler und regionaler Abkommen zur Korruptionsbekämpfung konnte deren Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten bisher noch nicht vollständig zur Problemlösung beitragen. Das zeigt der aktuelle Korruptionsindex von Transparency International, der das Ausmaß von Korruption in Lateinamerika anschaulich darstellt. Durch diesen werden die Länder nach dem Grad bewertet, in dem dort Korruption bei Amtsträgern und Politikern durch die Zivilbevölkerung wahrgenommen wird. Der durchschnittliche Wert der lateinamerikanischen Länder lag 2016 bei 44 von 100 zu erreichenden Punkten, wobei ein Wert unter 50 Punkten besagt, dass die Regierung in Sachen Korruptionsbekämpfung schlichtweg versagt hat. Uruguay, Chile und Costa Rica befinden sich als Einzige im oberen Drittel des Rankings.

Die Tatsache, dass Venezuela zu den 15 korruptesten Ländern der Welt gehört und seit dem letzten Jahr weitere acht Plätze nach unten auf Rang 166 gerutscht ist, verwundert bei der derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Lage des Landes nicht. Die Inflation ist auf dem Höchststand, Menschen leiden Hunger und müssen hohe Bestechungsgelder zahlen, um überhaupt Grundnahrungsmittel sowie die nötigsten Arzneimittel zu erhalten. Zudem haben die Ermittlungen im Odebrecht-Skandal gezeigt, dass Schmiergeldzahlungen des Baugiganten auch nach Venezuela flossen. Informanten haben in diesem Zusammenhang eine Zahlung von drei Millionen US-Dollar zur illegalen Finanzierung des Wahlkampfs von Nicolas Maduro von 2012 bis 2013 erwähnt.

In Korruptionsrankings belegen lateinamerikanische Länder regelmäßig Plätze im mittleren und hinteren Bereich.

Während Venezuela den schlechtesten Platz Lateinamerikas einnimmt, ist Mexiko das Land, welches 2016 den stärksten Abstieg innerhalb des Kontinents aufwies, indem es von Platz 95 auf Platz 123 abrutschte. Als Sinnbild für den rapiden Fall Mexikos auf der Korruptionsskala und die Verstrickung von Politik und organisierter Kriminalität gilt das mutmaßliche Handeln des Gouverneurs des Teilstaates Veracruz, Javier Duarte, dessen Regierung laut dem mexikanischen Rechnungshof mindestens 1,7 Milliarden US-Dollar unterschlagen haben soll. Dies wurde von der nationalen Regierung jahrelang geduldet.

Auch Kolumbien sah sich in Sachen Korruptionsbekämpfung im letzten Jahr mit einigen Rückschlägen konfrontiert und sank im Ranking von Platz 83 auf Platz 90. Seit einigen Monaten ist das Thema Odebrecht, in dessen Skandal auch kolumbianische Spitzenpolitiker verwickelt zu sein scheinen, in den Medien omnipräsent und wird zum Damoklesschwert im Präsidentschaftswahlkampf 2018 werden. Dem ehemaligen Wahlkampfleiter des Präsidenten Santos wird vorgeworfen, Bestechungsgelder in Höhe von einer Million US-Dollar für die Wiederwahl Santos’ im Jahre 2014 erhalten zu haben.

Bereits der Petrobras-Skandal rückte Brasilien medial in ein negatives Licht; nun dient das Land mit dem Odebrecht-Skandal gar als Bühne des größten Korruptionsskandals in der Geschichte Lateinamerikas. Seit Mai 2017 steht zudem der amtierende brasilianische Staatspräsident Michel Temer im Kreuzfeuer der Ermittlungen. Er soll dafür verantwortlich sein, dass Schweigegelder an den ehemaligen Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha gezahlt wurden, weshalb das Oberste Bundesgericht Brasiliens gegen ihn ermittelt. Anfang August entschied jedoch das brasilianische Parlament, dass gegen Temer vorerst nicht weiter wegen Korruption ermittelt werden soll, obwohl die Beweise gegen ihn eindeutig zu sein schienen. Obwohl das Land auf dem Index ein paar Plätze verlor – von Platz 76 auf Platz 79 –, ist die Aufdeckung und rigide Verfolgung dieser Korruptionsfälle durch die staatlichen Ermittlungsbehörden jedoch als Teilerfolg zu werten.

Der lateinamerikanische „Aufsteiger des Jahres“ in Sachen Korruptionsbekämpfung ist Argentinien. Das Land konnte sich trotz der Verwicklung in den Odebrecht-Skandal und der Korruptionsvorwürfe rund um die ehemalige Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner wegen eines strengen, neuen Antikorruptionsprogramms um zwölf Plätze von Rang 107 auf Rang 95 verbessern und findet sich nunmehr im mittleren Bereich des Index wieder.

Abb. 1: Lateinamerikanische Staaten im globalen Korruptionsranking 2016

Instances of corruption in Latin America have proliferated in the global headlines of late. While Petrobras and the Panama Papers were the talk of the town already, things really heated up from 21 December 2016 onwards. That was the day when it became public knowledge that the Brazilian construction company Odebrecht had acquired public contracts by paying bribes worth millions to high-ranking public officials throughout the Latin American continent between 2005 and 2014. The allegations and investigations against leading Latin American politicians pertaining to their involvement in the Odebrecht scandal or similar corruption cases spread ever wider. Most recently, the spotlight fell on former head of state Luiz Inacio “Lula” Da Silva, who was sentenced to nine years and six months in jail for corruption and money laundering in July. The presiding judge deemed it to have been proved that Lula had received a luxury apartment in return for giving preferential treatment to the construction giant OAS. Lula can, however, appeal and remains out of prison for now. On 13 July, Peru’s former president Ollanta Humala and his wife Nadine Heredia were remanded in custody. The couple is accused of having used illegal moneys, some from Odebrecht but also some from the Venezuelan state coffers, to fund Humala’s 2006 and 2011 election campaigns. Since the beginning of this year there are reasons to suspect that the recent election campaign of Colombia’s president Juan Manuel Santos, who received the Nobel Peace Prize for the peace negotiations with the FARC rebels as recently as 2016, has been funded with bribes running into the millions.

Latin America appears to be sinking into a morass of corruption. This impression is reinforced when you consider that the limits of what are trivial offences in the eyes of the judiciary and society are often still fluid. Former Colombian president Julio César Turbay for instance said during his term in office that corruption merely needed to be reduced to the ‘right proportions’. With this statement he suggested that politics involve corruption as a matter of course.

However, the worldwide reaction to the above-mentioned scandals illustrates that Latin American politicians can no longer ignore the efforts made in the fight against corruption for years by international organisations such as the United Nations (UN), the Organization of American States (OAS) and the Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) with its Latin America Anti-Corruption Programme or non-governmental organisations such as Transparency International. In response to media pressure and increasing unease among the population, intensive efforts to combat corruption have been in evidence this year in many Latin American countries. Government programs are being set up, penal laws are being tightened and public anti-corruption bodies are being established. Corruption has become a political issue and will figure as a key topic in the 2018 presidential election campaign in Colombia and Mexico, for instance. It appears that Latin America has finally woken up from its deep slumber.

What Exactly Does Corruption Entail?

Corruption is the perversion of the rule of law and human rights. It stands in direct opposition to values such as equal opportunities and the separation of powers. But what exactly is corruption? According to the anti-corruption organisation Transparency International, the term corruption is as opaque as the structures in which it flourishes. The organisation therefore defines corruption generally as the “abuse of entrusted power for private gain”. Consequently, perpetrators can be state actors in politics and the judiciary as well as private individuals in business and other parts of society. The crucial criterion is the abuse of power.

In criminological research, corruption is defined in much more concrete terms. It is the “abuse of a public office, a position in the economic sector or a political mandate in favour of a third party, upon their instigation or one’s own initiative to obtain an advantage for oneself or a third party, with the occurrence or in the expectation of the occurrence of damage to or a disadvantage for the general public (in official or political functions) or for an enterprise (if the offender holds a pertinent position in the economic sector).” Corruption offences can therefore be active or passive in nature. According to the German Penal Code (Strafgesetzbuch, StGB), both granting and accepting a bribe (sections 331 and 333 StGB) and giving bribes and taking bribes (sections 332 and 334 StGB) constitute a criminal offence. The persons granting or accepting the benefit can be public servants, public sector employees or other person entrusted with special public service functions who abuse state power. But they can also be politicians or business functionaries.

The benefit need not necessarily accrue to the perpetrator him- or herself. The action also constitutes an offence if it benefits a third person. According to the definition used here, the provisions cover not only the actions of persons obtaining personal gain from the abuse of power but also the conduct of independent third parties who knowingly benefit from the corrupt practices of others. The provisions in Latin America are no different, and corruption is generally defined very broadly. It is not clear whether tax evasion is covered by the term of corruption in the narrow sense. According to the definition used by Transparency International, this would not be the case as there is no abuse of power involved. That said, tax and corruption offences have a number of similarities and frequently go hand in hand.

One characteristic of corruption crime is that it is a “victimless” crime, which is regularly conducted in a relationship between two perpetrators, the “corrupter” and the “corrupted”. As a matter of principle, these two parties are not interested in the criminal activities coming to light. The actual victims, frequently the public purse and therefore ultimately the taxpayers, are generally not party to the relationship and have therefore no knowledge of the perpetrators’ activities. That makes corruption a very difficult crime to solve.

The Damaging Effects of Corruption

The material damage done by corruption worldwide is enormous. It is considered the greatest obstacle to economic and social development. Every year, approximately one trillion U.S. dollars are paid in bribes, while states lose an estimated 2.6 trillion U.S. dollars through corruption. That corresponds to more than 3.5 per cent of global GDP. The losses on the Latin American continent are in a similar ratio. According to the organisation Global Financial Integrity, some 143 billion U.S. dollars are lost each year due to corruption. This means that governments lose out on extensive revenues that could be put to good use for education, healthcare and social services. At the same time, the circumvention of market mechanisms and disruption of fair competition result in overpriced or low-quality products and services.

The enormous financial losses from corruption are outweighed by the immaterial losses.

What is potentially even more serious is the immaterial damage that corruption inflicts. When large numbers of corruption scandals become public, citizens will assume that politics and business are in cahoots to engage in corrupt practices. They will lose confidence in government institutions and in politics. The state is soon seen as the enemy and rapidly becomes unstable as it no longer has the citizens’ backing. The repercussions include the violation of basic values of the democratic and social rule of law as well as human rights, the blocking of development and innovation, encouragement of the black economy and increasing degradation of political morality. In addition, corruption produces disappointment and a lack of commitment among those who cannot obtain any benefit for themselves. It fosters inequality with respect to the distribution of power and prosperity and ultimately results in bolstering populists, who benefit from the fact that the electorate is losing faith in the established parties.

National and Regional Regulatory Framework

Because of the serious damage caused by corruption, the need for action was already recognised at an international level over a decade ago. The UN consequently adopted the UN Convention against Corruption (UNCAC) in December 2005. This agreement is the first contract under international law that is globally binding; it has been signed by 181 states (as at December 2016), including all Latin American states. It obligates the contracting parties to punish various forms of corruption involving officials and to engage in international cooperation. It includes implementation obligations for the contracting states in areas including corruption prevention (see Chapter II UNCAC, which contains a list of the preventive measures specified by the UN), criminalisation and criminal prosecution. The implementation of the contractual obligations by the individual member states is evaluated by means of a so-called Peer Review Mechanism created in 2009.

At the regional level, the members of the OAS adopted the Inter-American Convention Against Corruption even earlier, namely in 1996. With the exception of Cuba, all OAS member states have signed the agreement. Since 2002, the Mechanism for Follow-Up on the Implementation of the Inter-American Convention against Corruption (MESICIC) has been in place. But both conventions lack a court of law where action could be taken against the member states for any violations of the respective convention.

The Prevalence of Corruption in Latin America

Not least because of the lack of legal enforcement measures for international and regional anti-corruption agreements, their ratification by member states has so far not made the envisaged contribution to solving the problem. This can be seen from the current corruption index of Transparency International, which provides an informative picture of corruption in Latin America. The index rates countries by the degree to which the civilian population is aware of corruption among public officials and politicians. In 2016, the average figure for the Latin American countries was 44 out of a maximum 100 points, with figures below 50 indicating that the government had in fact failed in the fight against corruption. Uruguay, Chile and Costa Rica are the only countries in the upper third percentile of the ranking.

Considering Venezuela’s current political, social and economic situation, it comes as no surprise that it is one of the world’s 15 most corrupt countries and has dropped a further eight places to 166 since last year. Inflation is at an all-time high, people are suffering from a lack of food and need to pay high bribes to obtain basic food at all as well as the most essential medicines. In addition, the investigations in the Odebrecht scandal have shown that the construction giant sent slush funds to Venezuela as well. Whistle-blowers have mentioned a payment of three million U.S. dollars for the illegal funding of Nicolas Maduro’s election campaign from 2012 to 2013 in this context.

While Venezuela ranks bottom within Latin America, Mexico has seen the strongest deterioration in 2016 within the continent, dropping from 95th to 123rd place. One illustration of Mexico’s rapid drop in the corruption index and the entanglement of politics and organised crime in the country is the alleged conduct of the governor of the federal state of Veracruz, Javier Duarte, whose government has been accused by Mexico’s Office of the Comptroller General of having embezzled at least 1.7 billion U.S. dollars. The national government had looked the other way for years.

Latin American countries regularly occupy places in the middle and lower percentiles of corruption rankings.

Colombia has also experienced a number of setbacks in recent years, as far as corruption is concerned, dropping from 83rd to 90th place. The Odebrecht scandal, in which some senior Colombian politicians appear to be involved as well, has been in the headlines for months and is set to act as a sword of Damocles in the 2018 presidential election campaign. President Santos’ former election campaign manager is accused of having received bribes totalling a million U.S. dollars for Santos’ re-election in 2014.

The Petrobras scandal had already produced negative media reporting on Brazil; in connection with the Odebrecht scandal, the country has now turned into the stage of the largest corruption scandal in Latin American history. And since May 2017, Brazil’s current president Michel Temer himself has been in the crossfire of the investigations. He is being held responsible for allowing hush money to be paid to the former president of the Chamber of Deputies, Eduardo Cunha, and is under investigation by Brazil’s Federal Supreme Court on that account. However, at the beginning of August, the Brazilian parliament decided that no further action should be taken against Terner for the time being although there appeared to be clear proof against him. While the country dropped a few places in the index – from 76th to 79th – the uncovering and rigorous prosecution of these corruption cases by the investigating authorities can be counted as a partial success.

The Latin American “most improved” country of the year in terms of the fight against corruption is Argentina. Despite being embroiled in the Odebrecht scandal and corruption allegations relating to the entourage of former President Cristina Fernández de Kirchner, the country was able to rise twelve places, from 107th to 95th, owing to a strict new anti-corruption program and now figures in the mid-section of the index.

Fig. 1: Latin American States in Global Ranking of Corruption 2016

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Source: Own illustration based on Transparency International 2017: Corruption Perceptions Index (CPI) 2016, n. 21.

The ranking further shows that three countries have been able to maintain consistent values for years. Ranked 21st, a place that it has been able to maintain since the last Transparency International Index 2015, Uruguay is in the vanguard of the fight against corruption in South America. Chile follows in 24th place and Costa Rica in 41st. The positive values of these three countries may well have to do with their higher GDP and per capita income compared to other Latin American states. However, there is still no unanimity in discussions on theory and practice as t svg" alt="/documents/252038/253252/7_media_object_file_116523.svg/a1018257-5906-5c0b-fc01-552878b155a0">

Quelle: Eigene Darstellung nach Transparency International 2017: Corruption Perceptions Index (CPI) 2016, N. 21.

Das Ranking zeigt zudem, dass drei Länder seit Jahren beständige Werte haben. Uruguay ist mit dem 21. Platz, den es seit Veröffentlichung des letzten Transparency International Index 2015 halten konnte, der Vorreiter in Südamerika in Sachen Korruptionsbekämpfung. Chile folgt auf Platz 24 und Costa Rica auf Platz 41. Die positiven Werte dieser drei Länder stehen dabei möglicherweise in Verbindung mit ihrem höheren BIP und ihrem höheren Pro-Kopf-Einkommen im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Staaten. Allerdings wird in Theorie und Praxis kontrovers diskutiert, ob der Reichtum eines Landes allein Rückschlüsse auf den Grad staatlicher Korruption zulässt. Bestes Beispiel hierbei ist Argentinien. Das Land weist mit einem Durchschnittseinkommen in Höhe von ca. 14.000 US-Dollar ein höheres auf als Costa Rica und Chile, liegt aber an 95. Stelle des Korruptionsindexes. Daraus lässt sich schließen, dass es eher auf die Verteilung des Reichtums ankommt, die gerade in Uruguay relativ gleichmäßig ist. In diesem Zusammenhang betont beispielsweise der Ökonom Hans Peter Grüner, dass der soziale Zusammenhang gefährdet sei und die Korruptionsanfälligkeit steigt, wenn sich die Einkommensverteilung zu stark auseinander entwickelt. Eine große Schere zwischen Arm und Reich charakterisiert bis heute viele Länder Lateinamerikas.

Ursachensuche für die hohen Korruptionsraten in Lateinamerika

Die Ursachen und Faktoren, die Korruption in Lateinamerika begünstigen, sind vielfältig. Eine Erklärung ist, dass diese durch die enormen finanziellen Aufstiegsmöglichkeiten, die hohe staatliche und insbesondere politische Ämter in Lateinamerika bieten, gefördert wird. Denn während eine politische Laufbahn in Westeuropa und in den USA – gerade im Vergleich zur Tätigkeit in der Wirtschaft – finanziell oft nicht sehr lukrativ erscheint, bedeutet eine ranghohe politische Position in Lateinamerika nicht nur Zugang zu Macht, sondern auch zu Geld. Dies ist historisch bedingt, da seit der Kolonialisierung der Staat in Lateinamerika häufig als Ausgangspunkt für Reichtum wahrgenommen wird. Lateinamerikanische Länder generieren traditionell wenig Einnahmen aus der produzierenden Industrie. Vielmehr besteht ihre Haupteinnahmequelle in der Förderung von Bodenschätzen. So befindet sich beispielsweise die Hälfte der weltweit wichtigsten Exportländer von mineralischen Rohstoffen in Lateinamerika, und etwa ein Drittel des globalen Bergbaus findet in dieser Region statt. Da der Staat oftmals für die Verteilung von Grund und Boden zuständig war und ist, machte die Bevölkerung schnell die Erfahrung, dass vor allem gute Beziehungen zum Staat, nicht so sehr der Einsatz von körperlicher oder intellektueller Arbeit, Voraussetzung für Wohlstand sind.

Ebenso versuchen die politischen Eliten ihre einmal erworbenen Privilegien generationsübergreifend zu bewahren. Vetternwirtschaft und familiäre Seilschaften sind keine Seltenheit. Politische Posten werden teilweise innerhalb einer Familie weitergegeben. Die politischen Parteien erscheinen in diesem Zusammenhang eher als bloße Vehikel, die den persönlichen Interessen ihrer Anführer dienen. Diese Einstellungspolitik im öffentlichen Sektor führt dazu, dass Loyalität entscheidend ist, nicht Leistung bzw. objektive Faktoren wie Ausbildung und berufliche Erfahrung. Eine Neustrukturierung des Staatsapparates wird dadurch fast unmöglich.

Schließlich sorgt die schleppend funktionierende Bürokratie auf dem gesamten Kontinent dafür, dass die Bürger durch Korruption versuchen, behördliches Handeln zu beschleunigen. Im Doing-Business-Index der Weltbank, der bürokratische Hemmnisse durch nationale Behörden bei der Aufnahme von Geschäftstätigkeiten untersucht, befinden sich fast alle lateinamerikanischen Länder auf den unteren Rängen. Argentinien beispielsweise belegt Rang 116, Brasilien Rang 123 und Venezuela gar Rang 187. Mexiko ist mit Rang 47 als einziges lateinamerikanisches Land unter den Top 50 zu finden. Korruption ist demnach in der Gesellschaft weitgehend als legitime Lösung derartiger staatlicher Defizite anerkannt.

Die moralische Rechtfertigung von Korruption geht vereinzelt sogar so weit, dass politische Parteien Korruption als notwendig erachten, um beispielsweise die eigenen Wahlkampagnen aus Geldquellen von Privatpersonen finanzieren zu können. Diese Bereitschaft seitens der Wirtschaft wird später oft mit Regierungsaufträgen belohnt. Zwar ist die staatliche Parteienfinanzierung mittlerweile in vielen lateinamerikanischen Ländern entsprechend normiert. So sieht beispielsweise Artikel 109 der kolumbianischen Verfassung eine Begrenzung der staatlichen Parteienfinanzierung vor. Problematisch ist jedoch oftmals die unzureichende Transparenz, Regulierung und Deckelung der privaten Parteienfinanzierung. Einen möglichen Lösungsansatz fand dabei Chile, wo im April 2016 durch das Gesetz 20900 ein weitgehendes Verbot von Parteispenden durch juristische Personen umgesetzt wurde.

Korruption wird darüber hinaus durch den Mangel effektiver Strafverfolgung von Korruptionsdelikten und letztlich durch überbordende Straflosigkeitszahlen in vielen Ländern Lateinamerikas gefördert. Häufig fehlt es nämlich an finanziellen Mitteln und staatlicher Bereitschaft zur Bekämpfung von Korruption. In Mexiko werden laut globalem Straflosigkeitsindex nur sieben von 100 Straftaten angezeigt und mehr als 99 Prozent der in Mexiko begangenen Delikte nicht mit einer Strafe behangen. Solange die Justizbehörden keine objektiven, politisch unabhängigen und effektiven Ermittlungen gewährleisten, stellen Bestechung und Begünstigung ein lukratives Geschäftsmodell dar.

Deutliche Zunahme der Antikorruptionsmaßnahmen in Lateinamerika – der Beginn einer Trendwende?

Die jüngsten Korruptionsskandale, die das eklatante Ausmaß des Problems auf dem lateinamerikanischen Kontinent in aller Deutlichkeit zu Tage gefördert haben, gepaart mit gesteigertem Druck seitens der Zivilbevölkerung scheinen nun jedoch viele Regierungen sowie die Justiz auf dem Kontinent wachgerüttelt zu haben. In letzter Zeit ist in vielen Ländern ein regelrechter „Antikorruptionsaktivismus“ zu beobachten. Vorsichtig optimistisch stimmt dabei, dass die Antikorruptionsbemühungen gerade in jenen Staaten zunehmen, welche im Korruptionsindex von Transparency International im mittleren bzw. hinteren Bereich rangieren.

Schon seit einigen Jahren nimmt ein kleines zentralamerikanisches Land zum Thema Korruptionsbekämpfung eine Vorreiterrolle ein: Seit ihrer Gründung im Jahre 2006 besteht in Guatemala die CICIG (Comisión Internacional contra la Corrupción e Impunidad en Guatemala), eine Internationale Kommission gegen Straflosigkeit, die unter der Schirmherrschaft der VN tätig ist. Die CICIG untersucht als unabhängiges Gremium in Zusammenarbeit mit der nationalen Staatsanwaltschaft die im Land begangenen Korruptionsdelikte. Sie hilft dabei, das Justizsystem zu stärken und die Bekämpfung der Kriminalität voranzubringen, und trägt so dazu bei, der flagranten Straflosigkeit im Land Herr zu werden. Als Organ der internationalen Zusammenarbeit hat die CICIG keine staatlichen Strafverfolgungskompetenzen und kann Entscheidungen der Staatsanwaltschaft nicht direkt beeinflussen. Jedoch begleitet und berät sie Richter und Staatsanwälte in der Ausübung ihrer Arbeit. Mit Hilfe der Kommission gelang im April 2015 die Aufdeckung eines hochrangigen Korruptionsnetzes im Bereich Zoll und Steuern, in das unter anderem der ehemalige Staatspräsident Otto Pérez Molina sowie die Vizepräsidentin verwickelt waren. Nach Bekanntgabe der Ermittlungen kam es unter anderem über soziale Netzwerke wie Facebook zu organisierten Großdemonstrationen der Mittelklasse. Aufgrund des öffentlichen Drucks trat der Präsident im September 2015 zurück und wird nun strafrechtlich verfolgt.

Auch in Honduras kam es im Januar 2016 zur Unterzeichnung eines Abkommens zur Einrichtung einer internationalen Mission zur Korruptionsbekämpfung, dort unter Schirmherrschaft der OAS. Die Mission ist zunächst für einen Zeitraum von vier Jahren vorgesehen. Seit April sind internationale Experten, ausgewählt von der OAS, vor Ort. Die Einrichtung ist Folge von Protesten gegen Korruption im Jahre 2015 und das Ergebnis eines auf Bitten der Regierung durch die OAS moderierten Dialogs mit der Zivilgesellschaft. Außenstehende internationale Juristen sollen Korruptionsfälle und Justizreformen begleiten, die Arbeit der Justiz beaufsichtigen und beraten.

Einige der besonders korrupten Staaten Lateinamerikas haben ihre Antikorruptionsbemühungen zuletzt merklich verstärkt.

Anlässlich massiven Drucks seitens der Zivilbevölkerung bemüht sich auch die Regierung Mexikos seit einiger Zeit, mit verschiedenen Reformen der Korruption Herr zu werden. Beispielsweise wurde im Frühjahr 2015 eine Verfassungsreform zur Einführung eines umfassenden Maßnahmenbündels gegen Korruption durchgeführt, das unter anderem zur Schaffung des sogenannten Nationalen Anti-Korruptionssystems (Sistema Nacional Anticorrupción, SNA) führte. Das SNA sieht die Gründung und den Ausbau verschiedener nationaler Organe vor, welche die Kooperation der staatlichen Einrichtungen auf nationaler und regionaler Ebene in Sachen Korruption verbessern und einen besseren Informationsaustausch der Behörden untereinander ermöglichen sollen. Eine weitere Neuerung ist die stärkere Einbeziehung der Bürger durch die Gründung eines Bürgerausschusses (Comité de Participación Ciudadana del SNA). Voraussetzung für die Wahl der Mitglieder der Kommission war, dass diese keinerlei politische Ämter ausüben und über kein Parteibuch verfügen. Zu diesen Neuerungen kam es vor allem durch die Bürgerinitiative #Ley 3de3. Allerdings wurde eine der wichtigsten Forderungen der Initiative, wonach alle Beamten ihr Vermögen und ihre Einnahmen offenlegen müssen, aus Datenschutzgründen nicht durch den Senat angenommen. Es bleibt abzuwarten, ob die unter Verwendung erheblicher öffentlicher Gelder geschaffenen neuen Institutionen tatsächlich in der Lage sind, das Phänomen Korruption im Ansatz zu bekämpfen, oder ob lediglich ein neues „Verwaltungsmonster“ geschaffen wurde.

Um die Bestrebungen Kolumbiens hinsichtlich eines OECD-Beitritts zu bestärken, ratifizierte die kolumbianische Regierung schon 2013 die Anti-Korruptions-Konvention der OECD und trat der Initiative Open Government Partnership bei. Dieser Beitritt ist mit konkreten Verpflichtungen der Regierung zur Förderung der Transparenz, der Stärkung der Bürgerbeteiligung, der Bekämpfung der Korruption und der Nutzung neuer Technologien zur Stärkung der Regierungsführung innerhalb eines sogenannten Länderaktionsplans verbunden. Weiter wurde das staatliche Sekretariat für Transparenz (Secretaría de Transparencia) geschaffen. Diesem können Bürger Korruptionsfälle melden und dort Einkommen von Ministern und Abgeordneten einsehen.

In Brasilien sorgte das im Rahmen der Ermittlungen im Odebrecht-Skandal angewandte Instrument der „belohnten Denunzierung“, delação premiada, für den ermittlungstechnischen Durchbruch. Wie der im Land durch die Odebrecht-Verfolgung populär gewordene Strafrichter Sérgio Moro betonte, können wegen des Charakters des „opferlosen“ Delikts nur die Verbrecher selbst zur Aufklärung von Korruption beitragen und entsprechende Informationen liefern. Diese Kronzeugenregelung ließ Beteiligte des korrupten Systems mit Aussicht auf Strafmilderungen aussagen. Brasilien ist es mit einer reformierten, unabhängig arbeitenden Staatsanwaltschaft und Justiz gelungen, Dutzende von führenden Politikern und Geschäftsleuten anzuklagen und teilweise bereits zu langjährigen Gefängnisstrafen zu verurteilen. Dies stellt für Lateinamerika ein präzedenzloses Vorgehen gegen Korrupte in der obersten Elite dar.

Bei der Korruptionsbekämpfung geraten neben staatlichen Akteuren zunehmend auch Unternehmen und deren Vertreter ins Visier.

Im Rahmen der Aufdeckung und strafrechtlichen Verfolgung dieses auch Lava Jato (Autowaschanlage) genannten Falls wurde eine Sonderstaatsanwaltschaft eingerichtet sowie ein Team von elf Richtern am Obersten Strafgericht zusammengestellt, das ausschließlich an diesem Fall arbeitet und insbesondere gegen die in Korruptionsskandale verwickelten Vertreter aus der Privatwirtschaft ermittelt. Das Oberste Bundesgericht ist hingegen zuständig für die Ermittlungen gegen hochrangige korrupte Politiker. Der brasilianische Richter am Obersten Bundesgericht Teori Zavascki hatte dabei eine besonders sensible Position inne, da er die Untersuchungen gegen ca. 200 auf Bundesebene tätige, hochrangige Politiker leitete, die alle in den Lava Jato-Fall verwickelt zu sein scheinen. Kurz vor Veröffentlichung der Ermittlungsakten kam der Richter bei einem Flugzeugabsturz zu Tode. Umso bemerkenswerter ist es, dass sein designierter Nachfolger Edson Fachin Mitte April 2017 eine Liste von 76 in den Odebrecht-Skandal verwickelten Spitzenpolitikern veröffentlichte und somit den Weg zu offiziellen Ermittlungen gegen diese frei machte.

Auch die in Argentinien 2015 neugewählte Regierung hat sich ein schärferes Vorgehen gegen korrupte Machenschaften auf die Fahnen geschrieben und ist deshalb nicht umsonst laut Korruptionsindex lateinamerikanischer Aufsteiger des Jahres in Sachen Korruptionsbekämpfung. Die Regierung des neuen Präsidenten Mauricio Macri erließ ein Gesetz zur Förderung von Transparenz in der öffentlichen Verwaltung und zur Verbesserung des Zugangs zu Informationen und führte auch eine Kronzeugenregelung ein. Eine effektivere strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsfällen durch die argentinische Justiz trug ebenfalls zu Verbesserungen bei. Schließlich hat das neu geschaffene argentinische Antikorruptionsbüro ein Gesetz zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen bei Korruptionsdelikten mit Bezug zur öffentlichen Verwaltung entwickelt. Die Strafzahlungen für Unternehmen können dabei 20 Prozent des jährlichen Bruttoumsatzes des Unternehmens betragen und wirken dadurch in hohem Maße abschreckend. So schaffte es Macri zumindest in Ansätzen, das unter seiner Amtsvorgängerin Cristina Fernández de Kirchner verlorengegangene Vertrauen in die Staatlichkeit wiederherzustellen.

Der Blick auf Uruguay, Chile und Costa Rica zeigt, dass das Problem Korruption langfristig und nachhaltig nur durch gefestigte staatliche Institutionen und eine funktionierende Gewaltenteilung gelöst werden kann, über die diese drei Staaten verfügen. Darüber hinaus bedarf es einer von politischen Einflüssen unabhängigen, effektiven Strafjustiz. In Chil e wurde Korruption darüber hinaus bereits seit 1994 als ernsthaftes Problem erkannt und entsprechend bekämpft: Bereits vor mehr als 20 Jahren wurde eine nationale Ethikkommission (Comisión Nacional de Ética Pública) gegründet, die verschiedene Gesetze zur Eindämmung von Korruption erlassen hat. Beispielsweise wurden transparente Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge eingeführt.

Abschließende Bewertung und Ausblick

Weder die Ratifizierung von internationalen Konventionen noch die Verabschiedung nationaler Gesetze oder die Schaffung von Kommissionen oder anderer Institutionen zur Korruptionsbekämpfung sind Selbstläufer. Sie sind vielmehr abhängig von dem Willen der Regierungen sowie der wirtschaftlichen Eliten, rechtsstaatlich agieren zu wollen. Es werden Rufe nach einem personellen Austausch in den politischen Führungspositionen der lateinamerikanischen Staaten laut. Denn nur ein solcher könne verkrustete Strukturen aufbrechen und der Vetternwirtschaft ein Ende setzen. Zumindest ein Komplettaustausch scheint jedoch unrealistisch, denn – sprichwörtlich gesagt – wer sägt schon gerne an seinem eigenen Ast? Zudem hat die Aufdeckung der Korruptionsfälle eine extreme Politikverdrossenheit ausgelöst, die ebenfalls dazu beiträgt, dass sich die politische Klasse quasi nicht erneuert. Die Bürger lehnen es ab, sich selbst politisch zu engagieren. Es gilt also, die Motivation rechtsstaatlichen Handelns in den bestehenden Führungseliten möglichst zu erhöhen. Daher sind die Einrichtung von Kontrollmechanismen und die Verringerung subjektiver Sicherheit von Personen, die Korruption erwägen, durch Justizreformen und Gesetzesänderungen von enormer Bedeutung.

Das Mobilisierungspotenzial der sozialen Medien könnte auch für den Kampf gegen die Korruption genutzt werden.

Angesichts der medialen Präsenz des Themas Korruption über alle Grenzen hinweg steht Lateinamerika gegenwärtig vor der historischen Chance, Korruption endlich effektiv zu bekämpfen. Ein Schlüssel zum Erfolg könnte dabei die Möglichkeit sein, über soziale Netzwerke große Menschenmengen mit vergleichsweise geringem Aufwand gegen korrupte Staatsdiener zu mobilisieren, wie sich 2015 in Guatemala zeigte. Insgesamt gab es nie zuvor auf dem lateinamerikanischen Kontinent so viele Protestaktionen auf der Straße und in sozialen Netzwerken. Laut Transparency International wird dieser Druck der sozialen Medien die lateinamerikanischen Regierungen in den nächsten Jahren zu mehr Transparenz zwingen, wenn diese den sozialen Frieden in ihrer Gesellschaft gewährleisten wollen.

Des Weiteren sind tiefgreifende institutionelle Veränderungen wünschenswert. Das Leistungsprinzip muss bei der Auswahl im öffentlichen Sektor erneut deutlich aufgewertet werden. Dies muss für alle drei Staatsgewalten gelten, sodass auch bei der Ernennung von Richtern und Staatsanwälten ein transparentes Verfahren unabdingbar ist. „Politische“ Besetzungen von Richterwahlausschüssen müssen vermieden werden. Um die Einhaltung des Leistungsprinzips effektiv zu überwachen, wäre eine Möglichkeit, wie beispielsweise in Deutschland, sogenannte Konkurrentenklagen einzuführen: Ist ein Mitbewerber der Meinung, dass er für die ausgeschriebene Stelle besser geeignet ist, kann er – notfalls im einstweiligen Rechtsschutz – gerichtlich gegen die Einstellung des Konkurrenten vorgehen. Diese Art der „sozialen Kontrolle“ behördlicher Auswahlentscheidungen hat sich in Deutschland als äußerst effektiv erwiesen. Ferner müssen alle Beamten und Richter ein angemessenes Gehalt erhalten, um den Anreiz zur Entgegennahme von Geldzahlungen auf illegalem Wege zu verringern. Gerichte müssen zur Rechenschaftslegung und Transparenz gezwungen werden. Die Verfahrensdauer an den Gerichten muss reduziert werden. Die Vergabe öffentlicher Aufträge muss über ein transparentes System öffentlicher Ausschreibungen erfolgen.

Darüber hinaus müssen die Wahlsysteme des Kontinents sowie die Regeln zur privaten Parteienfinanzierung nicht nur in Zeiten des Wahlkampfes einer kritischen Revision unterzogen werden. Nationale und internationale Wahlbeobachtung sowie die Reduzierung der Einflussmöglichkeiten auf Wähler vermindern die Möglichkeit von Wahlmanipulation. Überhaupt sollte der Wahlkampffinanzierung durch Obergrenzen für Wahlkampfausgaben und Reformen der Wahlsysteme Grenzen gesetzt werden. Das gleiche gilt allgemein für die Parteienfinanzierung. Private Parteienfinanzierung sollte begrenzt und stärker auf staatliche Parteienfinanzierung gesetzt werden. Des Weiteren sollten Parteien strengeren Offenlegungs- und Rechenschaftspflichten unterliegen.

Die Abkehr von korrupten Machenschaften hin zu rechtsstaatlichen Strukturen und Transparenz scheint möglich: In Lateinamerikas Gesellschaften zeigt sich ganzheitlich ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass Korruption für Armut verantwortlich und daran schuld ist, wenn öffentliche Verkehrsmittel nicht funktionieren, Krankenhäuser in schlechtem Zustand sind und Geld für die staatlichen Schulen fehlt. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines umfassenden sozialen Wandels auf dem Kontinent, weg von einer institutionellen und strukturellen Kultur der Korruption hin zu einer Legalitätskultur, scheint sich herausgebildet zu haben. Es muss künftigen Entscheidungsträgern vermittelt werden, dass der Staat weder ihr Feind noch Selbstzweck ist, sondern dass ein gesundes Allgemeinwesen zum Wohlstand aller beiträgt. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn im Gegenzug Gesetze beachtet und Steuern gezahlt werden.

Die Mehrheit der Bürger ist sich der Notwendigkeit eines umfassenden Wandels hin zu einer Legalitätskultur inzwischen bewusst.

Damit der Bürger Vertrauen in den Staat gewinnen kann, muss letzterer ihm das Gefühl vermitteln, dass sich die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben auch lohnt. Dies kann nur durch eine umfassende Stärkung des Sozialstaats sowie der wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte, etwa durch Garantie eines Existenzminimums, die Gewährleistung einer ausreichenden medizinischen Versorgung oder erschwinglichen Zugang zu Bildung, erreicht werden. Darüber hinaus bedarf es eines gesunden Wirtschaftswachstums unter anderem durch ausländische Investitionen zur Stärkung des in Lateinamerika in vielen Ländern quasi inexistenten sekundären und tertiären Industriezweigs sowie eines technologischen Wachstums. Nur so kann die Abhängigkeit der lateinamerikanischen Industrie von Bodenschätzen und damit von unbeständigen Faktoren wie dem Öl- und Goldpreis einerseits und der Abhängigkeit von der Gewogenheit des die Bodenschätze verteilenden Staatsapparats andererseits minimiert werden.

Vor Lateinamerika liegt ein langer Weg. Mit der seit Langem überfälligen Thematisierung von Korruption durch Politik und Zivilbevölkerung in den letzten Monaten scheint Lateinamerika jedoch die historische Chance zu ergreifen, das Phänomen endlich umfassend und nachhaltig zu bekämpfen.

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Dr. Marie-Christine Fuchs ist Leiterin des Rechtsstaatsprogramms Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Bogotá, Kolumbien.

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