Asset-Herausgeber

"Die Ungeduld ist keine politische Gabe"

von Hermann Wentker

Über die Deutschland- und Ostpolitik Bernhard Vogels

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Christopher Beckmann: Klares Ziel und langer Atem. Bernhard Vogel – Brückenbauer zwischen Ost und West. Mit einem Gespräch zwischen Bernhard Vogel und Michael Rutz, Herder Verlag, Freiburg/ Basel/Wien 2017, 336 Seiten, 24,00 Euro.

Bernhard Vogel ist bekannt als langjähriger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen sowie als Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Als Deutschland- und Ostpolitiker hingegen ist er nicht in Erinnerung, lagen seine Arbeitsfelder als Kultusminister und als Ministerpräsident im „Land der Rüben und Reben“ doch auf ganz anderen Gebieten. Gleichwohl galten, wie die Untersuchung von Christopher Beckmann zeigt, der DDR, der Deutschlandpolitik und der Aussöhnung mit Polen ein großes Maß seiner Aufmerksamkeit und ein erstaunliches Engagement.

Schon als Bundestagsabgeordneter (1965 bis 1967) und als Kultusminister von Rheinland-Pfalz (1967 bis 1972) äußerte sich Vogel öffentlich zur Deutschlandpolitik, die damals heftig in Bewegung war. Einerseits ging es um eine Öffnung der Bundesrepublik zu den Staaten Ostmitteleuropas, andererseits um die Frage der Anerkennung der DDR. Während Vogel Ersteres bejahte, lehnte er Letzteres ab: Die DDR war für den studierten Soziologen und Politologen, der nicht nur von Dolf Sternberger, sondern auch von Carl Joachim Friedrich beeinflusst war, eine totalitäre Diktatur, mit der die freiheitliche Bundesrepublik keinen Umgang pflegen sollte. Die Bundesrepublik sorgte für Vogel als starker Rechts- und Sozialstaat für Vertrauen bei den Ostdeutschen: Genau wie Konrad Adenauer und Kurt Schumacher war er Anhänger der Magnettheorie. Der Entfremdung zwischen Ost-und Westdeutschen wollte er entgegenarbeiten, und im globalen Ost-West-Konflikt trat er für Entspannung ein.

Vor diesem Hintergrund war er von der Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition zwar nicht begeistert, stand den Ostverträgen allerdings nicht völlig ablehnend gegenüber. Denn auch Vogel erkannte, dass sich die Rahmenbedingungen für die Deutschlandpolitik seit den 1960er-Jahren grundlegend verändert hatten: Da weder die USA noch die Sowjetunion ein Interesse an einer Änderung des Status quo in Deutschland hatten, galt es, sich dieser Situation anzupassen. Anders als die Regierung Brandt-Scheel, die eine Politik der „aktiven Anpassung“ (Werner Link) an die globale Détente verfolgte, sah Vogel pragmatisch, dass man an einer staatlichen Anerkennung der DDR nicht länger vorbeikam. Die Chancen der Ostpolitik, die in einer intensivierten Kontaktpflege zu den Ostdeutschen bestanden, wollte er nutzen, indem er zu vermehrten Reisen in die DDR aufforderte. Gleichzeitig wollte er deren Risiko – einer Vertiefung der deutschen Teilung – durch Aufrechterhaltung eines gesamtdeutschen Bewusstseins entgegenarbeiten; außerdem mussten alle Wege zu einer Wiedervereinigung offengehalten werden. Daher war das auf eine Normenkontrollklage des Freistaats Bayern – und nicht, wie es irrtümlich heißt, der CSU – zustande gekommene Verfassungsgerichtsurteil von 1973 ganz in seinem Sinne.

Zähe Rückzugsgefechte gegen den Vatikan

Da Vogel an diesen Grundsätzen bis zur Wiedervereinigung unbeirrt festhielt, geriet er als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) in Gegensatz zur Ostpolitik des Vatikans. Denn auch die Kurie unter Papst Paul VI. erachtete ein Entgegenkommen gegenüber der DDR für erforderlich. Da die Bistumsgrenzen nicht mit der innerdeutschen Grenze übereinstimmten, wollte die DDR die Bistümer entsprechend den politischen Grenzen neu zuschneiden. 1973 kam der Vatikan dem entgegen, indem er statt der vier ostdeutschen bischöflichen Kommissare vier direkt dem Vatikan unterstellte Apostolische Administratoren ernannte, die de jure noch zu den Mutterdiözesen gehörten. Das war aus Sicht der DDR, die unter anderem die Schaffung einer nationalen Bischofskonferenz forderte, aber nur ein erster Schritt. Für den ZdK-Präsidenten waren die Apostolischen Administratoren jedoch die äußerste Konzession, die er akzeptieren konnte. Gemeinsam mit dem deutschen Episkopat arbeitete er weiteren Zugeständnissen entgegen, konnte allerdings die 1976 erfolgte Aufwertung der Berliner Ordinarienkonferenz zur „Berliner Bischofskonferenz“ nicht verhindern.

Insgesamt handelte es sich um zähe Rückzugsgefechte, oftmals in Gestalt von geheimen Interventionen Vogels, von denen, wie Beckmann schreibt, wenig bekannt ist. Ob Vogels Privatarchiv dazu mehr enthält, entzieht sich unserer Kenntnis, da der Autor darauf offensichtlich keinen Zugriff hatte. Insgesamt konnten Vogel und das ZdK die Kurie zwar nicht von ihren Plänen einer kirchlichen Neuordnung in der DDR abbringen, aber sie trugen „in erheblichem, vielleicht sogar entscheidendem Maße dazu bei, den Vollzug dieses Schrittes hinauszuzögern“. Mit der Wahl des deutschfreundlichen Karol Wojtyła zum neuen Papst wurden 1978 die Neuordnungspläne ad acta gelegt.

Seit den 1960er-Jahren war Vogel auch auf Aussöhnung mit Polen bedacht, auch wenn er ursprünglich noch Hoffnung auf eine Revision der deutschen Ostgrenze hegte. Als Paul VI. 1972 mit der Ernennung von vier polnischen Administratoren in Breslau, Oppeln, Allenstein und Landsberg vier neue Diözesen einrichtete, brachte Vogel zwar Verständnis für diesen aus pastoralen Gründen für notwendig gehaltenen Schritt auf, kritisierte aber, dass der Vatikan vorher die Bundesrepublik nicht konsultiert hatte. Gleichzeitig betrachtete er es als Ministerpräsident als seine Aufgabe, Brücken nach Polen zu bauen. Sein Polen-Engagement beruhte letztlich auf drei Säulen: der Kulturpolitik, dem Maximilian-Kolbe-Werk, zu dessen Präsident er 1984 gewählt wurde, und engen Beziehungen zur Solidarność. Zahlreiche Reisen in das östliche Nachbarland in den 1980er-Jahren dokumentierten Vogels nachhaltigen Einsatz auf diesem Gebiet.

Stasi-Berichte „von erschütternder Banalität“

Als sich in den 1980er-Jahren die deutsche Teilung zu verfestigen schien, blieb Vogel seinen Grundsätzen treu, die er lediglich leicht modifizierte: So verschob er den Fokus von der Forderung nach Wiedervereinigung auf das Selbstbestimmungsrecht für die Ostdeutschen, und er betonte angesichts des Verfalls der „Nationalstaatlichkeit“ stärker die Kulturnation. Das Ziel der staatlichen Einheit relativierte er damit indes nicht und wandte sich gegen „die Apostel der Selbstaufgabe der deutschen Einheit“ wie etwa Günter Gaus und Oskar Lafontaine.

Dass er selbst zum Zusammenhalt der Nation beitragen wollte, belegen seine Privatreisen in die DDR. Elfmal besuchte er zwischen 1977 und 1988 die unterschiedlichsten ostdeutschen Regionen, um Präsenz zu zeigen und diesen Teil Deutschlands besser kennenzulernen. Dabei absolvierte er nicht nur ein touristisches Programm und traf ausgewählte Personen, etwa aus dem kirchlichen Bereich, sondern versuchte, soweit das angesichts der Überwachung durch die Stasi möglich war, mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. Die enge Kontrolle von allen Schritten Vogels durch das Ministerium für Staatssicherheit, der in dessen Berichten als „Sperling“, „Pfälzer“ oder „Feder 1“ firmierte, war aus Sicht des Regimes vor allem notwendig, um Auftritte von „Demonstrativtätern“ zu verhindern. Die Erkenntnisse der Stasi über Vogels Besuche waren Beckmann zufolge indes von „erschütternder Banalität“.

Begegnungen mit Honecker

Anders als andere Ministerpräsidenten scheute Vogel vor Besuchen bei Honecker zurück, um diesen nicht zu sehr aufzuwerten. Jedoch traf auch er dreimal mit dem Staatsratsvorsitzenden zusammen. Beim ersten Besuch in Ost-Berlin im Februar 1987 war er in offizieller Mission des Kanzleramts unterwegs, um die Wogen nach dem Wahlkampf zu glätten, in dem Kohl von politischen Gefangenen „in Gefängnissen und Konzentrationslagern“ in der DDR gesprochen hatte. Trotz aller Konzilianz wich Vogel kontroversen Themen nicht aus und beharrte bei den deutschlandpolitischen Streitthemen auf dem Standpunkt der Bundesregierung. Beim zweiten Treffen im September 1987 im Rahmen des Bundesrepublik-Besuchs von Honecker in Trier standen nach der Besichtigung des Karl-Marx-Hauses Wirtschaftsbeziehungen, Städtepartnerschaften und Petitionen in humanitären Angelegenheiten im Mittelpunkt des Gesprächs. Die innerdeutschen Probleme brachte Vogel in seiner Tischrede bei dem anschließenden Mittagessen zur Sprache. Im Rückblick bewertete er Honeckers Visite positiv, da sie Voraussetzung für den massiven Ausbau des Besucherverkehrs gewesen sei.

Vogel, der Ende 1988 als CDU-Vorsitzender von Rheinland-Pfalz abgewählt worden und als Ministerpräsident zurückgetreten war, wandte sich als Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung ab 1989 verstärkt Osteuropa zu. Die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung waren Voraussetzungen für seine zweite Karriere als Ministerpräsident von Thüringen. Vogel hielt sich allerdings angesichts des „Himmelfahrtskommandos“ die Rückkehr in die Stiftung offen, blieb aber bis 2003 in Erfurt.

Beckmann hat ein lesenswertes Buch geschrieben, das von umfangreicheren persönlichen Quellen, etwa aus den Papieren Vogels, sicher noch profitiert hätte. Überdies lässt sich erst vor dem Hintergrund einer noch zu schreibenden Biographie ermessen, welche Rolle die Ost- und Deutschlandpolitik für einen Ministerpräsidenten spielte, der vornehmlich mit anderen Dingen befasst war. Ein erster wichtiger Beitrag dazu liegt indes mit der Studie Beckmanns vor.

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Hermann Wentker, geboren 1959 in Bonn, Leiter der Forschungsabteilung Berlin des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin und außerplanmäßiger Professor an der Universität Potsdam.

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