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Anschläge in Ouagadougou

von Thomas Schiller

Die Sicherheitslage in der Sahelregion verschärft sich weiter

Die jüngsten Anschläge in Ouagadougou zeigen, dass neben Mali auch die Nachbarländer, vor allem Burkina Faso und Niger, längst ins Fadenkreuz dschihadistischer Gruppen geraten sind. Terroristische Gruppen schlagen grenzübergreifend zu, die organisierte Kriminalität ist immer tiefer in der Gesellschaft verankert, bewaffnete Gruppen aller Couleur bilden einen weiteren Unruhefaktor, und ethnische Konflikte verschärfen sich. Seit längerem ist nicht allein der Norden Malis eine Krisenregion, sondern auch das Zentrum des Landes.

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Anschläge in Ouagadougou

Anschläge in Ouagadougou und Mali

Am Freitag 2. März 2018 kam es am Vormittag in der Hauptstadt von Burkina Faso, Ouagadougou, zu einer blutigen Terrorattacke auf die französische Botschaft und das Gebäude des burkinischen Generalstabs. Nach letzten Meldungen fielen den koordinierten Anschlägen mindestens sieben Angehörige der burkinischen Streitkräfte zum Opfer. Es gab zahlreiche Verwundete. Insgesamt neun Angreifer scheinen von den Sicherheitskräften erschossen worden zu sein, einer wurde offenbar festgenommen. Beunruhigend sind jüngste Meldungen von Sonntag 4. März 2018, nach denen drei Personen in den frühen Morgenstunden eine Straßensperre in Richtung des Präsidentensitzes zu durchbrechen versucht haben. Eine Person sei dabei erschossen worden. Dies zeigt, dass die Sicherheitslage weiterhin nicht stabil ist.

Das im Sahel und vor allem in Mali operierende Bündnis „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (Dschamaat Nusrat al-Islam wal-Muslimin) hat sich zu den Anschlägen bekannt. Wie von einigen Beobachtern bereits vermutet, kann die Attacke als Antwort auf eine vor kurzem durchgeführte französische Militäroperation in Mali gelten. Zudem zeigt das Terrorbündnis genau ein Jahr nach seiner Gründung eindrucksvoll seine Schlagkraft. Zum Zeitpunkt des Anschlags fand im Sitz des Generalstabs gerade ein Treffen im Rahmen der sog. G5 Gruppe statt, eine 2014 ins Leben gerufene sicherheits- und entwicklungspolitische Allianz der Sahelstaaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad. Die G5 werden von Frankreich und Deutschland unterstützt. Manche Beobachter vermuten, dass genau deshalb der Sitz des Generalstabs eines der Ziele der Attacke war. Dies würde bedeuten, dass die Terroristen überaus gut informiert waren.

Der Terroranschlag trifft Burkina Faso in einer kritischen Phase. Zu Beginn der Woche hat der mit Spannung erwartete Prozess gegen die Verantwortlichen für den gescheiterten Putschversuch vom September 2015 begonnen. In den ersten Stunden nach Beginn der Attacken vermuteten dementsprechend die meisten Burkiner einen erneuten Putschversuch von Teilen des Militärs bzw. Anhängern der Putschisten von 2015. Die schwarze Rauchsäule über dem Gebäude des Generalstabs und die anhaltenden Feuergefechte heizten die Gerüchteküche in den Seitenstraßen und den Cafés weiter an. Die Lage war mehrere Stunden unübersichtlich. Erst langsam wurde deutlich, dass es sich um einen Terroranschlag handelte. Die weiterhin kursierenden Gerüchte über einen Zusammenhang mit den Gerichtsprozessen zeigen jedoch, dass nicht allein der islamistische Terror das Problem der Region ist.

Auch im krisengeschüttelten Mali kam es in den vergangenen Tagen erneut zu schweren Anschlägen im Norden und im Zentrum des Landes. Die Attacken richteten sich gegen Blauhelme der VN-Mission MINUSMA sowie die malischen Streitkräfte. Auch bei diesen Anschlägen waren Tote zu beklagen. Leider sind derartige Ereignisse in Mali nahezu jede Woche zu verzeichnen: Anschläge gegen malische und ausländische Soldaten sind keine Seltenheit. Auch Zivilisten geraten immer mehr ins Fadenkreuz. So starben beispielsweise am 25. Januar über 20 Menschen in einem Bus bei der Explosion einer Mine im Grenzgebiet von Mali und Burkina Faso. Hinzu kommen sich verschärfende ethnische Konflikte.

Die jüngsten Ereignisse bestätigen die schlimmsten Befürchtungen zahlreicher Beobachter der Sahelregion: Nicht allein in Mali verschärft sich die Sicherheitslage, sondern auch in den Nachbarstaaten. Die Grenzgebiete von Mali, Niger und Burkina Faso gelten schon seit langem als Operationsraum dschihadistischer Gruppierungen und anderer, oftmals krimineller, bewaffneter Banden. Dabei ist häufig unklar, wer genau die Angreifer und was die dahinter liegenden Motive sind. Eindeutige Zuordnungen sind bei der Vielzahl bewaffneter Gruppen nur schwer möglich. Bedenklich ist zudem, dass immer mehr Provinzen im Zentrum Malis ins Chaos abgleiten, und dies trotz massiver Investitionen der internationalen Gemeinschaft in die malischen Sicherheitskräfte sowie einer starken internationalen Militärpräsenz im Rahmen der VN-Mission MINUSMA und der französischen, im ganzen Sahel operierenden Anti-Terror Operation „Barkhane“. Die gemeinsame Streitkraft der G5 Allianz der Sahelstaaten soll künftig in den Grenzregionen operieren, ist aber noch im Aufbau.

Sahelregion: fragile Staaten vor riesigen Herausforderungen

Die dramatische Sicherheitslage ist allerdings nur der sichtbarste Teil einer Vielzahl von immensen Problemen. Die Staaten der Sahelregion – Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad – stehen alle vor vergleichbaren Herausforderungen: schwache staatliche Strukturen, ein rapides Bevölkerungswachstum, Armut, fehlende Perspektiven für die immer weiter anschwellende Zahl junger Menschen, massive soziale Spannungen.

Die Bevölkerung der Region ist seit der Unabhängigkeit, also seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts immens gewachsen. Hatte beispielsweise Burkina Faso 1960 noch etwas weniger als fünf Millionen Einwohner, so hat das Land heute die 20 Millionen Grenze überschritten. Die Entwicklung in den anderen Staaten ist ähnlich. Die Prognosen gehen davon aus, dass sich die Bevölkerung der meisten Sahelstaaten bis 2050 noch einmal verdreifachen wird. In Niger beispielsweise von heute knapp 20 auf mindesten 60 Millionen Einwohner.

Dieses hohe Bevölkerungswachstum hat Auswirkungen auf alle Bereiche von Staat und Gesellschaft. Bereits existierende Konflikte, beispielsweise zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern, verschärfen sich; die eh nur rudimentären Bildungseinrichtungen sind von der hohen Zahl junger Menschen überfordert; der Aufbau von Basisinfrastrukturen, vor allem in den rasch wachsenden Städten, kann dem Wachstum der Einwohnerzahlen nicht ansatzweise folgen. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Dramatisch sind auch die Perspektivlosigkeit der meisten jungen Menschen sowie eine zunehmende Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Traditionelle Strukturen und Hierarchien stehen immer mehr unter Druck und werden von vielen in Frage gestellt und nicht mehr ohne weiteres akzeptiert. Charismatische Wortführer, wie beispielsweise in Mali der Radiomoderator und Aktivist Ras Bath, sind enorm populär und gewinnen an Einfluss. Demgegenüber verlieren althergebrachte, an traditionelle Chefs gebundene Steuerungsmöglichkeiten und Ausgleichsmechanismen, die bisher viele soziale Spannungen und Konflikte entschärfen oder zumindest begrenzen konnten, an Gewicht.

Hinzu kommt, dass in allen Ländern – in unterschiedlicher Stärke – die staatliche Autorität immer weiter erodiert oder zumindest geschwächt ist. Die Staaten der Region hatten seit ihrer Unabhängigkeit Probleme, ihre riesigen Territorien zu verwalten. Man muss sich vor Augen halten, dass auch die französische Kolonialverwaltung in weite Teile der Region nicht oder nur indirekt vorgedrungen war. Aber selbst die bisher existierende, fragile Autorität ist unter Druck bzw. vielfach zusammengebrochen. Es geht hierbei nicht allein um die Problematik fehlender „good governance“, also die von vielen Beobachtern beklagte, in Politik und Verwaltung weiterverbreitete Korruption und Ämterpatronage. Es geht vielmehr um „governance“ im eigentlichen Sinn. Der Staat und seine Verwaltung existieren in weiten Teilen vieler Regionen (fast) nicht mehr; es gibt keine Territorial- und Justizverwaltung, keine staatliche Gesundheitsversorgung. In vielen malischen Provinzen sind die lokalen Verwaltungschefs (Sous-Préfets) gar nicht vor Ort, die Schulen geschlossen. Kurz: Es geht nicht um schlecht gemanagte Strukturen, sondern darum, dass es – am dramatischsten zeigt sich dies in Mali – de facto überhaupt keine gibt.

Wenngleich es eine ganze Reihe von Erfolgen in der Stabilisierungs- und Entwicklungspolitik gibt, bleibt jedoch festzustellen: Die Sicherheitslage in Mali – und der gesamten Region! – hat sich nicht verbessert, ganz im Gegenteil. Terroristische Gruppen schlagen grenzüberschreitend zu, die organisierte Kriminalität ist immer tiefer in der Gesellschaft verankert, bewaffnete Gruppen aller Couleur bilden einen weiteren Unruhefaktor und ethnische Konflikte, wie beispielsweise vor einigen Tagen im nordmalischen Gao zwischen Arabern und Songhai, verschärfen sich. Seit längerem ist nicht allein der Norden Malis eine Krisenregion, sondern auch das Zentrum des Landes.

Wie die jüngsten Anschläge in Ouagadougou gezeigt haben, sind die Nachbarländer, vor allem Burkina Faso und Niger, ebenfalls zunehmend ins Fadenkreuz dschihadistischer Gruppen geraten. An dieser Stelle ist auch zu erwähnen, dass sich Niger und vor allem der Tschad zudem der Terrorgruppe Boko Haram gegenüber sehen, die in den Grenzregionen von Niger, Nigeria, Tschad und Kamerun operiert. Allein Mauretanien scheint es in der jüngsten Zeit gelungen zu sein, die Operationen von Terroristen auf seinem Gebiet zu unterbinden.

Die Sahelstaaten umfassend stärken

Ohne staatliche Strukturen wird kein Sieg gegen die dschihadistischen Gruppen nachhaltig sein. Die französischen Truppen der Operation Barkhane neutralisieren in ihrem Einsatzgebiet regelmäßig Dschihadisten. Militärisch gesehen ist diese Mission kein Misserfolg. Auch die Attacke in Ouagadougou konnte durch die burkinischen Sicherheitskräfte mit französischer Unterstützung beendet werden. Die Herausforderung ist jedoch ungleich größer. Denn jeder militärische Erfolg verpufft, wenn die Staaten hinter den Erwartungen ihrer Bürger immer weiter zurückhinken, wenn elementare Grundfunktionen des Staates kaum wirklich vorhanden sind und soziale Spannungen weiter zunehmen.

Das durch die fehlende staatliche Autorität entstandene Vakuum bleibt das zentrale Problem und jeder Versuch, dieses (ja durchaus allen Akteuren bekannte) Vakuum mit anderen Akteuren zu füllen hat bisher die Sicherheitslage nicht stabilisieren können. Traditionellen Führern fehlt in immer mehr von sozialen Ausdifferenzierungen und Spannungen gekennzeichneten Gesellschaften die umfassende Autorität; und mit der Einbindung bewaffneter Gruppen schafft man womöglich den nächsten Teufel selbst. Darüber hinaus haben die terroristischen Akteure Anlaufstellen sowohl in den traditionellen Führungsmilieus wie auch in den zahlreichen anderen bewaffneten Gruppen. Letztere sind zudem oftmals Teil der organisierten Kriminalität und haben allein schon deshalb ein geringes Interesse an einer Rückkehr zur Stabilität.

Viel wird deshalb davon abhängen, ob es gelingt, die Sahelstaaten umfassend zu stärken. Die Ausbildung und Unterstützung der Sicherheitskräfte (an der u.a. die Bundeswehr im Rahmen der EU Training Mission in Mali beteiligt ist) ist dabei nur ein, sicherlich überaus wichtiger Aspekt einer weitaus breiteren Stabilisierungspolitik. Diese wird Zeit und große Anstrengungen kosten. Von allen Seiten.

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