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Wie weiter mit den USA?

von Justin Lakamper

Teil 2: "Künstliche Intelligenz" als gemeinsame Herausforderung

Forscher sprechen bei „Künstlicher Intelligenz“ (KI) von einer Revolution und einem technologischen Paradigmenwechsel. Vielen, die nicht mit der Thematik befasst sind, ist das Ausmaß der Entwicklung jedoch noch nicht bewusst. Das berührt auch die transatlantische Zusammenarbeit.

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Wissenschaftler nutzen einen neu entwickelten Touch Screen. | © CommScope / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0 © CommScope / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0
Wissenschaftler nutzen einen neu entwickelten Touch Screen. | © CommScope / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0

Die Kombination aus immer höheren Rechenleistungen von speziell für KI entwickelten Prozessoren, großen Mengen von katalogisierten Daten und „Deep Learning“-Algorithmen hat es Programmierern ermöglicht, komplexe Software-Produkte zu entwickeln, die zahlreiche Industriefelder beeinflussen und den in diesem Bereich führenden Nationen schon sehr bald einen geopolitischen Vorteil verschaffen werden. Während Ingenieure, Unternehmer, Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger diese fortlaufenden Prozesse mühsam zu verarbeiten versuchen, bleiben Fragen offen: Wer wird im harten weltweiten Wettbewerb den Markt dominieren, wer wird die technischen und regulatorischen Standards der nächsten Jahrzehnte festlegen, und wie können Deutschland, Europa und die USA trotz ihrer derzeit angespannten Beziehungen in diesem Feld künftig kooperieren? Kann und muss die Auseinandersetzung über die ethischen Aspekte von KI im transatlantischen Verhältnis eine neue Wertediskussion einleiten?

KI und ihre wirtschaftliche Bedeutung

Um zu lernen, wie man am besten einen Fußball tritt, übt man den Bewegungsablauf immer wieder. Währenddessen nimmt das Gehirn unterbewusst ständig kleine Anpassungen vor, abhängig von zahlreichen Variablen, bis man den Ball erfolgreich in der gewünschten Art und Weise treten kann. Um ihre Spieltechnik zu perfektionieren, brauchen Fußballer oft viele Jahre. Mit einem einzigen Computer kann die KI hingegen Tausende von „Bällen“ pro Sekunde "treten", den Gesamtvorgang unterschiedlichster Abläufe also blitzschnell „modellieren“. Effizienter als der Mensch kann der Computer vielfältige Aufgaben beispielsweise in den Bereichen Bilderkennung, Navigation, autonomes Fahren, Übersetzung oder Betrugsschutz auf diese Weise erkennen, analysieren, anpassen und somit laufend „erlernen“. Schon heute finden diese Technologien Anwendung und haben so erheblichen Einfluss auf ein breites Spektrum an Entwicklungen von der Gesundheitsversorgung bis hin zur Fotografie.

Das Weltwirtschaftsforum geht davon aus, dass sich die globale Wirtschaftsleistung aufgrund von künstlicher Intelligenz bis 2030 um 14% oder derzeit 15,7 Billionen US-Dollar erhöhen wird. Dieser Betrag ist höher als das derzeitige Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Volksrepublik China und Indiens zusammen. Eine Studie von Price Waterhouse Coopers projiziert, dass die Hälfte dieses Anstiegs das Ergebnis einer gesteigerten Arbeitsproduktivität sein wird, während die andere Hälfte durch eine erhöhte Nachfrage nach höherwertigen Gütern generiert werden wird. Die Hauptprofiteure werden China, die Vereinigten Staaten und Europa sein, deren BIP um 7, 3,7 bzw. 2,5 Billionen US-Dollar steigen wird. Allein im ersten Halbjahr 2017 haben amerikanische KI-Unternehmen nach Angaben von Venture Scanner rund 10 Milliarden US-Dollar an Risikokapital eingeworben, mehr als alle anderen Staaten weltweit. Die hohen privatwirtschaftlichen Investitionen korrespondieren mit der seit 20 Jahren steigenden Bedeutung der Digitalbranche für das US-Wirtschaftswachstum. Im Jahr 1998 stammten nur drei der globalen Top-Ten-Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung aus der Digitalwirtschaft. Heute sind es bereits sieben von zehn, fünf aus den USA (Apple, Alphabet, Microsoft, Amazon, Facebook) und zwei aus China (Tencent, Alibaba). Davon sind inzwischen alle wichtigen Akteure im KI-Rennen.

Big Data und Privatsphäre

Das Hauptgeschäft der weltgrößten Tech-Firmen sind überwiegend Online-Plattformen, die Dienstleistungen kostenlos zur Verfügung stellen und im Gegenzug Nutzerdaten erhalten. Es ist diese Datenmenge, die sowohl die Währung der Tech-Industrie als auch der Treibstoff für KI ist. So werden Nutzerdaten nicht nur damit zu Geld gemacht, dass Unternehmen wie Google und Facebook zielgerichtete Werbung verkaufen können. Vielmehr ist "das Vorhandensein von Daten, die der Forschung frei zugänglich sind, eine Voraussetzung für die erfolgreiche KI-Entwicklung", so Darrell West und John Allen vom Brookings Institute. Nur mithilfe großer Datenmengen können KI-Modelle akkurat funktionieren. Daher haben diejenigen, die Zugang zu Big Data haben, einen klaren Wettbewerbsvorteil im Ringen um die globale Marktführerschaft.

Gleichzeitig stellt die Verwendung von Big Data bei der künstlichen Intelligenz erhebliche Risiken für die Privatsphäre dar. In diesem Bereich haben die USA noch keine KI-spezifischen Vorschriften erlassen, die über die bereits bestehenden Rahmenbedingungen für Datenschutz und Datensicherheit hinausgehen. Ein Grund dafür ist die Sorge, dass Regulierungen zum jetzigen Zeitpunkt Innovationen ersticken und die Industrie in andere Länder abwandern lassen könnte. Deutlich wurde diese Haltung an den Reaktionen des US-Kongresses auf die jüngsten Facebook-Skandale über den Missbrauch von Nutzerdaten. So drohte zwar einerseits der demokratische Senator Bill Nelson während der Anhörung mit CEO Mark Zuckerberg regulatorische Maßnahmen an, falls Facebook und anderen Firmen „die Angriffe auf die Privatsphäre der Nutzer in Zukunft nicht verhindern werden oder können“. Der republikanische Senator John Thune nutzte hingegen die Gelegenheit, den jungen Unternehmer für seine Firma zu loben, die „in vielerlei Hinsicht den amerikanischen Traum repräsentiert“. Thune stellte aber auch klar, dass es Zuckerbergs Verantwortung sei, „dass daraus nicht ein Albtraum wird“. Im Ergebnis sollen sich Facebook & Co. bis auf weiteres also selbst regulieren.

Während die USA von der Umsetzung neuer Vorschriften zum Datenschutz bisher Abstand genommen haben, hat die Europäische Union im Mai die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erlassen. Die DSGVO bietet eine umfassende Datenschutzerklärung, die versucht, Einzelpersonen mehr Verfügungsgewalt über ihre individuellen Daten zu geben. Da auch amerikanische Internetfirmen innerhalb der EU die DSGVO einhalten müssen, besteht die Möglichkeit, dass einige der europäischen Standards in die allgemeinen Richtlinien der US-Unternehmen übernommen werden und sich neue Standards so gewissermaßen auf Umwegen etablieren könnten. Levi Tillemann und Colin McCormick vom Think Tank New America teilen in ihrem Beitrag “Roadmapping a U.S.-German Agenda for Artificial Intelligence Policy” die Meinung, dass die Gesetze und der Gebrauch des Datenschutzes in den Vereinigten Staaten und in Deutschland unterschiedlich sind; eine etwas „feinkörnigere Kontrolle darüber, wann, wie und für welche Zwecke die persönlichen Daten geteilt werden“, könnte aus Sicht der Autoren jedoch „wertvoll sein“.

Die bereits zuvor genannte Studie von West und Allen hebt hingegen die Nachteile hervor, die die DSGVO für europäische KI-Unternehmen verursacht. Die Autoren argumentieren, dass Vorschriften notwendig sind, diese aber auf allgemeine Ziele und nicht auf bestimmte Algorithmen konzentriert sein sollten. Ein Nutzungsbereich von KI, der von Regulierung besonders negativ betroffen sein werde, sei das autonome Fahren. West und Allen konstatieren, dass, wenn die Regeln der DSGVO strikt durchgesetzt werden, der eingeschränkte Zugang zu hochauflösenden Karten mit geo-kodierten Daten "voll autonomes Fahren in Europa stagnieren lassen wird".

Wer sind die führenden Mächte?

Derzeit wird der Markt für KI hauptsächlich von den USA, China, Israel und Großbritannien dominiert, gefolgt von den kontinentaleuropäischen Staaten. Die fortgeschrittene Entwicklung in den vier Ländern an der Spitze basiert auf robusten regionalen „Hubs“ in San Francisco, London, Tel Aviv, New York/Boston und Beijing, wo jeweils eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschungsinstituten und der Privatwirtschaft besteht. Nach einem gemeinsamen Bericht von Roland Berger und Asgard VC existieren 3.465 KI-Firmen weltweit, davon 1.393 in den USA, 383 in China, 362 in Israel, 245 in Großbritannien, 131 in Kanada, 109 in Frankreich, 106 in Deutschland und 84 in Indien. Der Marktanteil der USA liegt somit bei 40 Prozent. Das McKinsey Global Institute schätzt jedoch, dass die USA bislang nur etwa 18 Prozent des Gesamtpotentials der digitalen Technologien ausgeschöpft hätten. Europa fällt mit 12 Prozent noch dahinter zurück. Für Deutschland geht McKinsey sogar davon aus, dass von den neuen Technologien derzeit nur 10 Prozent voll zur Anwendung kommen.

Derweil strebt China bereits seit einigen Jahren eine Vorreiterrolle an und stellt KI in den Mittelpunkt der nationalen wirtschaftspolitischen Agenda. Inzwischen wird angenommen, dass die Volksrepublik im Bereich der KI ihren Kompetenzrückstand im Vergleich zu den westlichen Staaten bis 2020 vollständig aufgeholt haben wird. Im vergangenen Dezember traf sich die Regierung mit Vertretern führender chinesischer Unternehmen, um ihre KI-Strategie weiterzuentwickeln. Gepaart mit Richtlinien zur KI-Entwicklung, die im Juni 2017 veröffentlicht wurden, sowie mit massiven Regierungsinvestitionen verfolgt Peking das Ziel, China bis 2030 an der KI-Weltspitze zu etablieren. Dazu wurden die Grundlagen für den Aufbau eines „Ökosystems“ zum Wissenstransfer zwischen den Universitäten, dem Privatsektor und dem Militär geschaffen. Dazu gehört auch das Ziel, mehr Ingenieure auszubilden, die in der Lage sind, Technologien und Ideen für KI-Design und -Forschung zu entwickeln. Die chinesische Regierung hat die Bedeutung des Themas insofern frühzeitig erkannt und bereits nationale Standards gesetzt, die, wenn sie exportiert würden, technologische Neuerungen in anderen Ländern beeinflussen könnten.

In den USA hat sich die Herangehensweise demgegenüber verändert. Noch 2016 veröffentlichte das Büro für Wissenschafts- und Technologiepolitik des Weißen Hauses drei Berichte, in denen höhere staatliche Investitionen in die Erforschung und Entwicklung von KI, eine bessere Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor sowie die Notwendigkeit, mögliche Verwerfungen in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt abzumildern, gefordert wurden. Gregory Allen und Elsa Kania mutmaßten daraufhin im Magazin Foreign Policy, dass diese Anforderungen als Blaupause für Chinas eigene Entwicklungspläne gedient hätten. Seit dem Amtswechsel im Weißen Haus hat sich die US-Regierung unter Präsident Donald Trump jedoch entschieden, bei der Entwicklung von KI vor allem auf den privaten Sektor zu setzen. Der Ansatz der jetzigen Administration soll es, wie Trumps leitender Technologieberater Michael Kratsios erklärt, „Wissenschaftlern und Technologen erlauben, ihre nächsten großen Erfindungen hier in den Vereinigten Staaten so weit wie möglich frei zu entwickeln".

Immerhin lud das Weiße Hauses im Mai zu einem Treffen mit Akademikern, Forschern und Industrievertretern ein, um aussichtsreiche KI-Strategien zu diskutieren. Dies tut auch der 2017 gegründete parteiübergreifende „Caucus on Artificial Intelligence“ im US-Kongress. Laut seinem Mission Statement strebt er danach, "politische Entscheidungsträger über die technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Fortschritten in der KI zu informieren und sicherzustellen, dass schnelle Innovationen in KI und verwandten Bereichen dem amerikanischen Volk so umfassend wie möglich zugutekommen". Das schließt den sicherheitspolitischen Bereich mit ein.

Nach der im letzten Dezember vom Weißen Haus veröffentlichten nationalen Sicherheitsstrategie soll KI für die Arbeit US-amerikanischer Nachrichtendienste verwendet werden. Dabei streben die zuständigen Ministerien und Behörden eine enge Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor an. Das stößt nicht unbedingt auf Gegenliebe. So verlangte die in London ansässige Firma DeepMind, die als führend in der KI-Forschung und -Entwicklung gilt, bei ihrer Übernahme durch Google laut Foreign Policy, dass keines ihrer Forschungsergebnisse für militärische Projekte verwendet werden dürfe.

Nachdem einzelne EU-Länder bereits Entwicklungsprogramme veröffentlicht hatten, kündigte die EU-Kommission in Brüssel im April ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der europäischen KI-Kapazitäten an. Dort werden hauptsächlich Finanzierungsquellen für die Forschung identifiziert. Der für den digitalen Binnenmarkt zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Andrus Ansip, bezifferte den Investitionsbedarf bis Ende 2020 mit „wenigstens 20 Milliarden Euro“, um „die EU an vorderster Front der KI-Entwicklung“ zu positionieren. Unter anderem soll das Innovationsprogramm „Horizon 2020“ um 1,5 Milliarden Euro aufgestockt werden. Weitere 500 Millionen Euro soll der Europäische Fonds für strategische Investitionen beitragen. Auch Deutschland ist ins Rennen gegangen und will „zum weltweit führenden Standort für KI werden“. Im Juli wurden dazu „Eckpunkte der Bundesregierung für eine Strategie Künstliche Intelligenz“ veröffentlicht.

Ansatzpunkte für mehr Kooperation

Zu den Zielen der Bundesregierung zählt, „eine europäische Antwort auf datenbasierte Geschäftsmodelle und neue Wege der datenbasierten Wertschöpfung (zu) finden, die unserer Wirtschafts-, Werte- und Sozialstruktur entspricht. In einem Papier der Bertelsmann Stiftung weitet Jeffrey Brown diesen Ansatz auf das transatlantische Verhältnis aus. „Angesichts des intensiven globalen Wettbewerbs haben die liberalen Demokratien in Europa und den Vereinigten Staaten ein klares Interesse daran sicherzustellen, dass“, so Brown, „die künstliche Intelligenz nach denselben Prinzipien aufgebaut und regiert wird, die nach dem Zweiten Weltkrieg Frieden und Wohlstand erzeugt haben.“ Statt die KI-„Ökosysteme“ geopolitischer Widersacher zu spiegeln, sollten sich die Vereinigten Staaten und Europa mit Verbündeten wie Japan für offene Standards einsetzen.

Ein wichtiger Teil dieser Auseinandersetzung müssen die sogenannten „voreingenommenen“ oder diskriminierenden Algorithmen sein. Was, wenn über einen Kreditantrag oder über die Bewerbung auf eine offene Stelle nicht mehr vom Personalsachbearbeiter oder vom Bankangestellten, sondern von einem Computer mit künstlicher Intelligenz entschieden wird? Die Hoffnung darauf, für diese Frage und viele anderen Risiken ab sofort gemeinsame transatlantische Lösungen zu finden, wäre völlig überzogen. Wer wolle außerdem verhindern, „dass zukunftsorientierte Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks eigenständig Strategien entwickeln, damit sie nicht zurückbleiben“. Stattdessen muss es zunächst darum gehen, für die komplexe Auseinandersetzung über künstliche Intelligenz bestehende Wissenslücken zwischen Politik und Technologie zu schließen. Für Jeffrey Brown sind die politischen Implikationen von KI bis jetzt „weitgehend eine Black Box“. Sein Vorschlag ist eine „transatlantische Arbeitsgruppe zur KI“. Diese könne auch beleuchten wo die Vereinigten Staaten und Europa bei bestimmten KI-Technologien einen komparativen Vorteil haben oder entwickeln.

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5. Juli 2018
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