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Der Papst nach Bagdad?

von Peter Lausmann
Rezension des Buches "In Gottes Namen? Zur kulturellen und politischen Debatte um Religion und Gewalt. Sankt Augustin, Konrad-Adenauer-Stiftung 2004. Hrsg von Birgit Lermen/Günther Rüther

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Noch ist es nicht bestätigt, doch deutet alles darauf hin, dass die tschetschenischen Geiselnehmer in Beslan Verstärkung durch arabische Freiwillige hatten. Der gemeinsame Nenner der Terroristen scheint nur mit dem fundamentalistischen Kampf gegen den „ungläubigen Westen“ erklärbar. Religion nicht nur als Motivation, sondern ebenso als Rechtfertigung für grausamen Massenmord? Immer häufiger wird die Verbindung von Glauben und Gewalt vorgeschoben – sei es am 11. September 2001, durch den Dschihad im Nahen Osten oder aktuell im Kaukasus. Eine genaue wörtliche Auslegung der Schriften oder schlichter Missbrauch? Was sind die kulturellen Hintergründe dieser Verbindung und wieso tritt sie gerade jetzt so hervor? Der Sammelband „In Gottes Namen? Zur kulturellen und politischen Debatte um Religion und Gewalt“ versucht in acht Beiträgen Antworten auf die Fragen zu geben, die das 21. Jahrhundert vor seine bisher größte Herausforderung stellen.

Mit dem 11. September endete die scheinbar friedliche Zeit seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und ugleich die Hoffnung, den Totalitarismus überwunden zu haben. Doch gilt es zu differenzieren, denn diese religiöse Form ist „in ihrer Dimension des Schreckens nicht mit dem Bolschewismus oder Nationalsozialismus gleichzusetzen“, wie die Herausgeber in ihrem Vorwort schreiben. Dazu fehle ein staatliches Gewaltmonopol, ein zentraler Führer sowie eine gemeinsame Ideologie. Zudem sei erwiesen, dass die überwiegende Mehrheit der Moslems den fundamentalistischen Kampf ablehne, was eine Differenzierung, zivile Prävention und vor allem den Dialog der Kulturen ermögliche und einfordere. Schließlich hätte der Terror genau dann sein Ziel erreicht, wenn Angst und Hysterie in einer Aufspaltung der Welt in eine islamische und jüdisch-christliche Seite ohne Verständigung erfolge.

Welche Rolle die Politik in diesem Spannungsfeld einnimmt, analysiert Norbert Lammert, Vizepräsident des Bundestages, im ersten Beitrag. So dienen ihm Religion und Politik zur „Domestizierung der Gewalt“: Die Religion durch Sinngebung und Werte, die Politik hingegen durch Strukturen und Institutionen. Doch sei diese Einschränkung offenbar nur partiell und zeitlich befristet, wie die immer wiederkehrenden Gräuel weltweit zeigten. Gerade jetzt finde sich Religion in einer Form wieder, die längst überwunden schien: „Als skrupellose Bemäntelung primitiver Aggression, als fadenscheiniger, gleichwohl von den Betroffenen in ihrem Fanatismus subjektiv wohl ernst genommener Vorwand für Mordlust“, stellt Lammert im Hinblick auf der exklusiven Wahrheitsanspruch jeder Religion fest. Damit werde eine Entwicklung in Frage gestellt, die die Verbindung von Politik und Religion in den vergangenen Jahren ausgezeichnet hat: Die Anerkennung des politischen Mehrheitsprinzips auf der Basis religiöser Werte, wie der Vorstellung des Menschen als Ebenbild Gottes, der Freiheit, den Menschenrechte und der Solidarität.

Mit überraschenden wie radikalen Ideen nähert sich hingegen Eugen Biser einer „Neugestaltung des Verhältnisses der Weltreligionen“. „Der Papst hätte nach Bagdad reisen müssen“, benennt der katholische Theologe eine versäumte Möglichkeit ein Zeichen der Versöhnung zu setzen. Denn Gemeinsamkeiten gebe es genug und schließlich lebe man in einer „Zeit der realisierten Utopien“ – aber leider auch des „strukturellen Atheismus“. Die Bewahrung des Gottesglaubens übersteige jedoch die Kraft einer einzelnen Religion, meint Biser, so dass es einer gemeinsamen „Vorwärtsstrategie“ bedürfe. So sieht er eine Möglichkeit in der Kombination der Errungenschaften jeder der drei abrahamitischen Religionen: Die Enge Bindung an Allah aus dem Islam, den eindeutigen Monotheismus des Judentums sowie die Überwindung des strafenden hin zum liebenden Gott durch die Lehre Jesu Christi. Praktisch eine religiöse Allianz, wie sie bereits ein weltliches Vorbild hat: Die umgesetzte Utopie vom Vereinten Europa.

Da sich Gewalttäter immer wieder auf den Wortlaut ihrer heiligen Schriften berufen, hat sich der Genfer Albert de Pury mit deren Auslegbarkeit befasst. So findet und zitiert er zahlreiche Stellen im alttestamentarischen Buche Josua sowie im Koran, die zu brutalster Gewalt aufrufen. Doch bedürfe es der historisch-kritischen Erfassung sowie einer Umdeutung, die die Anpassung der Texte an die heutige Zeit ermögliche. So seien diese Schriften teilweise zu Propagandazwecken und aus einer besonderen politischen Situation entstanden, die der heutigen in keiner Weise mehr entsprächen, stellt de Pury klar. Bis zum 19. Jahrhundert habe man dies bei der Exegese berücksichtigt, der dann entstandene Fundamentalismus bedeute in allen drei Religionen eine Abkehr von langer Tradition.

Pragmatisch versucht der Kassler Privatdozent und evangelische Landesbischof Martin Hein in seinem Beitrag die Erfahrungen aus der interkonfessionellen Ökumene auf einen Dialog der Religionen zu übertragen. Dafür fordert er aber zunächst eine Klärung des eigenen Standpunkts und der eigenen Ziele ein, wie er sie am Protestantismus exemplarisch vorlegt. Ziel: Am protestantischen Beispiel orientiert nicht eine prinzipielle Gleichförmigkeit anzustreben, sondern Individualität fördern, ohne dabei einer weiteren Segmentierung und Abschottung Vorschub zu leisten. Für Hein gehört dazu auch der islamische Religionsunterricht an den staatlichen Schulen, da man hier „mehr und Wahrhaftigeres über Christentum und Judentum erfahre als in den von Vereinen getragenen Religionsschulen.“

Wie aktuell „Religion und Gewalt in der Weltliteratur der Gegenwart“ behandelt werden, zeigt der Münsteraner Literaturwissenschaftler Hans-Rüdiger Schwab an fünf Beispielen verschiedener Gattungen. Darunter auch das expressive Gedicht von Allen Ginsberg, „Schlacht zwischen Jahwe und Allah“, das nach dem Jom-Kippur-Krieg 1974 entstand. Die Botschaft Ginsbergs: Der Kriegsgrund entfalle, „wenn der exklusive Gottesbegriff aufgegeben werde, Gott also in der Verschiedenheit aller Bekenntnisse derselbe sei“. Denn humanistischen Traditionen folgend, sei Mord im Namen der Religion ohnehin ein unauflöslicher Widerspruch, wie alle Texte belegen.

Der umfangreichste Beitrag ist zugleich der avantgardistischste: Mit Religion und Gewalt im Film setzt sich der Münchner Germanist Oliver Jahraus am Beispiel der berühmt-berüchtigten Streifen „Natural Born Killers“, „Pulp Fiction“ und „The Matrix“ auseinander. Zwar sei Religion im öffentlichen Diskurs kaum noch vorhanden, doch trete sie im Film immer wieder in enger Verbindung mit Gewalt auf und gipfele schließlich in der Darstellung von Jesus-Nachfolge-Figuren: „Religion hat überall dort ihre Zuständigkeit behalten, wo es um Transzendenz geht“, folgert Jahraus. Cineastisch dienten Religion und Gewalt im Verbund sogar dazu, Transzendenzerfahrungen zu visualisieren.

Abschließend befassen sich Dennis Halft und Andreas Jacobs mit einer der Grundfragen dieser Tage: Was verbindet den Islam mit der Gewalt? Dazu analysieren sie den so genannten „Schwert-Vers“ des Korans als auch die Scharia und kommen zu dem Schluss, dass sich die radikalen Fundamentalisten mit ihrer Gewalt rechtfertigenden Auslegung in beiden Fällen gegen alle Traditionslinien der islamischen Deutung richten. Ebenso sei die Politisierung des Islams ein modernes Phänomen, welches sich aus der Rückständigkeit der arabischen Welt in einer zunehmend säkularisierten und kolonialisierten Welt des 20. Jahrhunderts entwickelt habe. Zum Vorschein wäre der schwelende Brand jedoch erst mit der iranischen Revolution, dem transnationalen Kampf der Mujaheddin in Afghanistan und endgültig seit dem 11. September gekommen. Hier zeige sich die Anfälligkeit des an sich friedvollen Islam für „politischen und auch terroristischen Missbrauch“; hieraus erwachse auch die Notwendigkeit einer offenen religiösen Hermeneutik der Aussagen des Korans.

Mit seinen acht Beiträgen deckt „In Gottes Namen?“ von der Exegese der heiligen Schriften bis zur Analyse von Gewalt und Religion in den Produkten Hollywoods ein breites Spektrum ab. Autonom stehen die Beiträge nebeneinander und erschließen jeweils völlig unterschiedliche Themenfelder und Interpretationsansätze, wozu die kulturell wie religiös heterogenen Hintergründe der Autoren stark beitragen. In der Herangehensweise offenbaren sich so nicht nur Inhalte und Denkmuster, sondern auch Methoden der jeweiligen Wissenschaft. Dabei liegt die Stärke der Sammlung in der gleich gewichteten Behandlung der drei monotheistischen Religionen – entgegen dem Trend zur Dämonisierung des Islam. Hinzu kommt die offensive Bereitschaft der Autoren, nicht nur fachlich Anerkanntes zusammenzutragen, sondern teils provokante, teils visionäre Thesen aufzustellen, um diese dann an ausgewählten Beispielen zu belegen. Dabei werden nicht nur die meist pauschal als „zur Gewalt aufrufenden Stellen“ der heiligen Schriften präzis vorgestellt, sondern auch in den richtigen Deutungszusammenhang gerückt. Gemeinsam verdeutlichen die Beiträge eine zunehmende Verknüpfung von Religion und Gewalt anhand der aktuellen Kultur und nennen mögliche Gegenmaßnahmen. Gleichzeitig machen sie aber klar, dass es sich beim religiösen Fundamentalismus entgegen den Befürchtungen nicht um eine wortgenaue Auslegung der Schriften, sondern eine bewusst falsche Interpretation – entgegen aller Traditionen – zur Rechtfertigung des Terrors handelt.

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Prof. Dr. Michael Braun

Prof. Dr

Referent Literatur

michael.braun@kas.de +49 30 26996-2544
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17. August 2004
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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Sankt Augustin Deutschland