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"Ich packe das und kandidiere!"

von Annette Widmann-Mauz

Ein Impuls aus Anlass von 100 Jahren Frauenwahlrecht

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Hundert Jahre Frauenwahlrecht ist für alle Frauen in Deutschland ein Grund zum Feiern. Was für uns heute selbstverständlich ist, wurde 1918 hart erkämpft. Die erste Vorsitzende der Frauen Union, Helene Weber, brachte es Jahrzehnte später am 2. Dezember 1949 im Deutschen Bundestag auf den Punkt: „Der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker.“ Aus ihrem Zitat spricht Lebenserfahrung und die gewachsene Erkenntnis, dass Demokratie nur gelingen kann, wenn Frauen und Männer gleichermaßen teilhaben. Weitsichtig und unnachgiebig erreichte sie zusammen mit anderen Frauen im Parlamentarischen Rat, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Artikel 3 unseres Grundgesetzes verankert wurde.

Damit war ein weiterer Grundstein für die politische Teilhabe von Frauen gelegt. Das aktive und passive Wahlrecht von Frauen und damit ihr gleichberechtigter Zugang zu politischer Teilhabe wurden verfassungsrechtlich gesichert. Gleichstellung in allen Lebensbereichen war ihr Ziel. Dieser Grundgedanke leitet die Arbeit der Frauen Union der CDU Deutschlands seit sieben Jahrzehnten. Gleichstellung ist unsere DNA.

Teilhabe ist kein Selbstläufer

Frauen nehmen heute ganz selbstverständlich Führungspositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ein. Ihre angemessene Teilhabe ist jedoch kein Selbstläufer. In Schlüsselpositionen von Wirtschaft und Gesellschaft und besonders in politischen Ämtern und Mandaten sind Frauen immer noch deutlich unterrepräsentiert. Der Anteil weiblicher Abgeordneter im Deutschen Bundestag stagniert seit etwa zwanzig Jahren um die 30 Prozent. Einen positiven Ausschlag nach oben gab es in der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (2013–2017) mit einem Frauenanteil von 36,5 Prozent. Hintergrund war der verfehlte Wiedereinzug der FDP in den Bundestag, da Frauen in ihrer Bundestagsfraktion regelmäßig unterrepräsentiert sind. Auch in den meisten Landtagen kommt der Frauenanteil kaum über 30 Prozent hinaus. In den kommunalen Räten ist das Bild oft noch erschreckender.

Die Frauen Union der CDU Deutschlands setzt 2018, im Jahr ihres 70. Bestehens, einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die nachhaltige Erhöhung des Anteils von Frauen in politischen Ämtern und Mandaten. Die aktuelle Diskussion über ein paritätisches Wahlrecht hat nach der Bundestagswahl 2017 an Dynamik gewonnen, nachdem der Frauenanteil im Deutschen Bundestag wieder auf nur 30,9 Prozent gesunken ist.

An fehlenden Rollenvorbildern kann es nicht liegen. Seit 2005 wird die Bundesrepublik Deutschland von Bundeskanzlerin Angela Merkel regiert. Ihre Wahl ist für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft von herausragender Bedeutung. Ursula von der Leyen als erste Verteidigungsministerin oder auch CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer zeigen, was Frauen können und dass es kein Amt gibt, das sie nicht ausfüllen könnten. Es ist mittlerweile keine Besonderheit mehr, dass Politikerinnen in ihrer Mandats- und Amtszeit Kinder bekommen. Als Claudia Nolte Anfang der 1990er-Jahre als Bundestagsabgeordnete Mutter wurde und sich der Vater um den Sohn kümmerte, erregte dies noch Aufsehen. Katherina Reiche wurde 2002 als schwangere ledige Mutter in das Kompetenzteam von Kanzlerkandidat Edmund Stoiber berufen und Kristina Schröder bekam in ihrer Amtszeit als Bundesfamilienministerin ein Kind. Kinder stehen also einer politischen Karriere nicht mehr entgegen. Solche Rollenvorbilder können bei Frauen das Selbstbewusstsein stärken und dazu motivieren, zu sagen: „Ich packe das und kandidiere!“

Widerstände gegen die Umsetzung des Quorums

In den Diskussionen um den Frauenanteil in Ämtern und Mandaten wird oft das Argument ins Feld geführt: „Wir würden ja gern Frauen nominieren, aber sie wollen doch gar nicht kandidieren. Wir haben keine Frau gefunden beziehungsweise nur Absagen erhalten.“ Diese Aussage trifft nicht den Kern des Problems. Männern fallen bei ihren personellen Überlegungen zuerst eher Männer ein als Frauen, denn ihre Anforderungsprofile orientieren sich an gleich gerichteten Kriterien, häufig am eigenen Werdegang und den eigenen Erfahrungen. Oft kennen sich diese Männer seit Jahren aus ihren Netzwerken und haben den Kontakt über Jahre gepflegt.

Bei der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten gibt es häufig kein freies Spiel der Kräfte. Da kann es für eine Frau schon sehr hilfreich sein, wenn der Anstoß eines männlichen Parteimitglieds oder Politikers kommt, um schließlich den Schritt in die Partei und in die Kandidatur für ein Amt zu wagen.

Im Parteialltag zeigt sich, dass die Umsetzung des Quorums in der CDU häufig auf Widerstände stößt – womit das Kernproblem angesprochen ist: das Nominierungsverfahren in der CDU.

Frauen in Parlamenten – internationale Beispiele

Die politischen Mitbewerber haben zum Teil paritätische Satzungsregelungen, nach denen die Kandidatenlisten aufgestellt werden. Diese Regelungen beziehen sich aber nicht auf die Nominierungen in den Wahlkreisen, in denen überproportional häufig männliche Kandidaten nominiert werden. Eine Partei wie die CDU, deren Abgeordnete weit überwiegend über Direktmandate in den Wahlkreisen in die Parlamente einziehen, hat damit im Ergebnis einen strukturellen Nachteil bei Frauen.

Wer auf internationaler Ebene den Frauenanteil in den Parlamenten betrachtet, wird Überraschendes feststellen. Nicht etwa ein skandinavisches Land wie Schweden liegt an der Spitze, sondern das ostafrikanische Ruanda. Die Statistik der Interparlamentarischen Union (IPU) beziffert den Frauenanteil im nationalen Parlament auf 61,3 Prozent. Nach dem Völkermord in Ruanda 1994 gab es dort eine umfassende Umstrukturierung der Politik. Die starke Frauenbewegung führte zu einer Frauenquote von 30 Prozent in der Verfassung. Tatsächlich liegt der Frauenanteil seit Jahren bei über 60 Prozent. Als Grund dafür nennt der Generalsekretär der IPU eine Veränderung der Mentalität: Es sei längst nichts Besonderes mehr, dass Frauen wichtige politische Ämter einnehmen.

Im Juli 2018 erreichte Mexiko die Parität von Frauen und Männern im Abgeordnetenhaus und im Senat. 1991 waren nur 21 Frauen im Abgeordnetenhaus und zwei Frauen im Senat. Nach der Wahl im Juli sind nun 246 Frauen und 254 Männer im Abgeordnetenhaus und 65 Frauen sowie 63 Männer im Senat. Dies ist der Einführung des Gesetzes zur Parität 2014 zu verdanken.

Ein drittes Land, das Aufmerksamkeit hervorruft, ist Frankreich. Seit der Verabschiedung eines Gesetzes zur Gleichstellung von Männern und Frauen in der Politik im Jahr 2000 und einer Verfassungsänderung 2008 hat Frankreich größere Fortschritte für den gleichberechtigten Zugang von Männern und Frauen zu Mandaten und Wahlämtern gemacht. Zugrunde liegt ein ausgeklügeltes Wahlrechtssystem. Bei Listenwahlen wie den Senats-, Kommunal- und Europawahlen müssen auf jeder Liste abwechselnd ein Kandidat und eine Kandidatin stehen. Die Nationalversammlung wird nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. Dort müssen die Parteien die gleiche Anzahl von Frauen und Männern in der Gesamtheit der Wahlkreise aufstellen, ansonsten sieht das Gesetz Abschläge bei der Erstattung der Wahlkampfkosten vor. Nach der Wahl 2017 liegt der Frauenanteil bei 39 Prozent, wobei die Parteien Frauen immer noch oft in den weniger aussichtsreichen Wahlkreisen aufstellen.

Antworten für die Partei und im Wahlrecht

Wenn politische Strukturen in den Parteien und im Wahlrecht also dazu führten, dass Frauen faktisch an eine gläserne Decke stoßen oder ausgeschlossen sind, dann sind neue Regeln nötig. Es kann nicht sein, dass der Deutsche Bundestag über seine Größe und die künftige Zahl von Sitzen verhandelt, aber über die Frage, wie dabei die paritätische Teilhabe von Frauen erreicht werden kann, schweigt. Im Zuge der für diese Wahlperiode vorgesehenen Wahlrechtsreform muss der Bundestag auch über geeignete Maßnahmen beraten, wie die vollständige Gleichberechtigung von Frauen in politischen Ämtern und Mandaten erreicht werden kann. Lösungen anderer Länder, wie etwa das Paritätsgesetz in Frankreich und die Durchsetzung mittels der Wahlkampfkostenerstattung, müssen nach Auffassung der Frauen Union in die Überlegungen einbezogen werden.

Auch in einem neuen Grundsatzprogramm der CDU Deutschlands muss das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen in der Gesellschaft verankert werden. Der Frauenanteil der CDU liegt in den meisten Parlamenten unter dem Durchschnitt. Nur 25 Prozent der CDU-Mitglieder sind Frauen; damit genügen wir nicht mehr den Ansprüchen einer Volkspartei, die alle Bevölkerungsgruppen angemessen repräsentieren will. Wenn wir künftig wieder Wahlergebnisse der Union von mehr als 40 Prozent der Wählerstimmen erreichen wollen, muss sich eine größere Repräsentanz von Frauen in der Mitgliedschaft widerspiegeln. Dabei geht es nicht um irgendeine Frage von Frauen, die gerne Karriere machen wollen, sondern hierin besteht eine Existenzfrage der Volkspartei.

Das im CDU-Statut niedergelegte Frauenquorum braucht mehr Verbindlichkeit und muss künftig Vorrang vor anderen Quoten haben: Listen der CDU sollten verbindlich zur Hälfte mit Frauen besetzt werden. Politische Teilhabe von Frauen und Männern ist Aufgabe der gesamten Partei, deshalb muss die CDU insgesamt Frauen gewinnen, zur Kandidatur motivieren, aufstellen und so eine offensive Personalentwicklung betreiben. Dies gilt gleichermaßen im Hinblick auf (Direkt-) Parlamentsmandate und Parteiämter.

Rita Süssmuth hat es einmal so formuliert: „Wer keine Frauenquote will, muss die Frauen wollen.“ Wir haben lange genug auf diesen Mentalitätswechsel gewartet. Für die Wettbewerbsfähigkeit der CDU in der deutschen Parteienlandschaft müssen jetzt Taten folgen.

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Annette Widmann-Mauz, geboren 1966 in Tübingen, seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages, Bundesvorsitzende der Frauen Union der CDU Deutschlands, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin – Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.

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