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Einzeltitel

Die Rolle des Staates in der Sozialen Marktwirtschaft

von Prof. Dr. Otto Schlecht

Persönliche Freiheit und staatliche Verantwortung im Spannungsverhältnis

Persönliche Freiheit ist ein Gut von unschätzbarem Wert, denn sie schafft erst die Voraussetzung dafür, dass jeder sein Leben in eigener Verantwortung und nach seinen eigenen Wünschen und Zielen gestalten kann.

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Persönliche Freiheit ist ein Gut von unschätzbarem Wert, denn sie schafft erst die Voraussetzung dafür, dass jeder sein Leben in eigener Verantwortung und nach seinen eigenen Wünschen und Zielen gestalten kann.
Doch aufgrund theoretischer Überlegungen und aus der historischen Erfahrung wissen wir, dass unbeschränkt gewährte Freiheit Probleme und Gefahren mit sich bringt. Wenn Freiheit als "rechtsfreier Raum" verstanden wird, droht im selben Augenblick die Abschaffung der Freiheit. Denn in einer solchen Gesellschaft wird das Recht des Stärkeren Platz greifen, und die Stärkeren werden es nutzen, um ihre Interessen durchzusetzen und den Schwächeren ihren Willen aufzuzwängen - notfalls auch mit Gewalt. Das unbeschränkt gewährte Freiheitsrecht führt für einen Teil der Gesellschaft zur Beschneidung der Freiheit.

Das bringt uns zu dem Schluss, dass Freiheit nicht grenzenlos gewährt werden kann, sondern der Beschränkung bedarf. Dem Staat kommt die Verantwortung zu, allgemeinverbindliche Regeln aufzustellen: Die Freiheit jedes Einzelnen muss beschränkt werden, um für alle das gleiche Maß an Freiheit zu garantieren. Ludwig Erhard hat so formuliert: "Freiheit darf nicht zu einem Götzendienst werden, ohne Verantwortung, ohne Bindung, ohne Wurzeln. Die Verbindung zwischen Freiheit und Verantwortung bedarf vielmehr der Ordnung."

Es ist unmittelbar einsichtig, dass das Verhältnis von Freiheit und staatlicher Bindung von Spannungen geprägt ist. Denn es gilt: Ein Mehr an Bindung bedeutet immer zugleich auch ein Weniger an Freiheit. Wir benötigen daher eine Antwort auf die Frage, wie weit der Staat die Freiheit des Einzelnen beschränken darf, um das reibungslose und friedliche Zusammenleben der Bürger zu sichern. Diese Frage hat Unterfragen.

Hohe Arbeitslosigkeit, alternde Gesellschaft, Europäisierung und Globalisierung der Wirtschaft, Informationsgesellschaft - all das hat Zukunftsängste bei vielen Bürgern ausgelöst und in der Politik zur Suche nach dem "Dritten Weg" geführt. Das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft, zwischen gesetzlich verordneter Solidarität und eigenverantwortlicher Subsidiarität steht erneut auf dem Prüfstand. Hat der Markt versagt oder mischt sich der Staat zu viel ein? Ist der Staat überhaupt noch handlungsfähig? Was kann noch national und was muss europäisch geregelt werden? Ist die Globalisierung eine Falle, in der sozialstaatliche Errungenschaften verschwinden? Oder kann auch eine entfesselte Weltwirtschaft sozialverträglich gestaltet werden?

Ich will im Folgenden versuchen, Antworten zu geben, und ich werde darlegen, wie sich die Spannung zwischen Freiheit und staatlicher Bindung im Konzept einer richtig verstandenen Sozialen Marktwirtschaft auflöst.

I.Freiheit und Wettbewerb als Grundlagen der marktwirtschaftlichen Ordnung

Dazu müssen wir uns vergegenwärtigen, dass das Prinzip der Freiheit eine wichtige Grundlage der marktwirtschaftlichen Ordnung darstellt. Unmittelbar einsichtig wird dies am Beispiel der Vertragsfreiheit. Vertragsfreiheit bedeutet: Jeder kann Verträge abschließen mit wem er will und über was er will - soweit er nicht die Rechte seiner Mitmenschen verletzt oder gegen die guten Sitten verstößt.
Freiheit konkretisiert sich auch in der Berufs- und Gewerbefreiheit: Niemand kann gezwungen oder daran gehindert werden, einen bestimmten Beruf zu erlernen oder ein Geschäft zu führen. Oder etwas allgemeiner ausgedrückt bedeutet die Berufs- und Gewerbefreiheit: Jeder hat das Recht, über seine Arbeitskraft frei zu verfügen.
Das Prinzip der Freiheit findet sich nicht zuletzt im Prinzip des Wettbewerbs als elementarer Bestandteil der marktwirtschaftlichen Ordnung. Dabei liegt ein realistisches Menschenbild zugrunde: Im Wettbewerbsprozess handelt der Mensch nicht primär altruistisch, sondern sein Handeln wird vom Eigennutz bestimmt. Der Mensch wird immer zuerst das eigene Wohl und das seiner Familie und Gruppe in sein Kalkül einbeziehen. Das eigennützige Handeln führt dazu, dass die knappen Ressourcen über den wettbewerblichen Preismechanismus in ihre jeweils produktivste Verwendung gelenkt werden. Ökonomisch gesprochen bedeutet das: Eigennützig motiviertes Handeln führt sowohl zu einzelwirtschaftlicher als auch zu gesamtwirtschaftlicher Effizienz.
Allerdings fragt der Markt bei der Verteilung des Produktionsergebnisses nicht nach sozialer Gerechtigkeit. Und allein gelassen neigt er zur Vermachtung. Die marktwirtschaftliche Ordnung sieht sich daher oft dem Vorwurf mangelnder Moral ausgesetzt.

II.Fehlentwicklungen in der reinen Marktwirtschaft und inder Zentralverwaltungswirtschaft

Die Erfahrungen aus der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert haben die Berechtigung dieses Vorwurfs bestätigt. Sie haben gezeigt, dass eine sich selbst überlassene Marktwirtschaft zu gravierenden sozialen Missständen führt. Das Prinzip einer Laissez-faire-Wirtschaft führte zur Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht und damit zu Ausbeutung und Unterdrückung. Wenn breite Bevölkerungsschichten verarmen und Schwache in einer Gesellschaft nicht zurechtkommen, dann ist das auf eine mangelnde staatliche Verantwortung zurückzuführen. Die Politik hat der Freiheit damals zu große Spielräume eröffnet, und sie hat es hingenommen, dass daraus nur ein kleiner Teil der Bevölkerung auf Kosten der anderen Vorteile zog.
Angesichts von Armut und Elend wurden statt der Marktwirtschaft sozialistische Systeme in Betracht gezogen. Der Sozialismus hat sich in der Realität jedoch als Utopie herausgestellt. Die Idee einer klassenlosen Gesellschaft hat in der Praxis schließlich zum Leviathan Staat und zur Entmündigung des Individuums geführt, sie hat die persönliche Entscheidungsfreiheit vernichtet und die Antriebskräfte des einzelwirtschaftlichen Handelns im Keim erstickt. Sozialismus sollte heißen "Herrschaft des Proletariats". Tatsächlich aber ergab sich die Allherrschaft einer Partei - und damit Totalitarismus statt Freiheit. Die Zentralverwaltungswirtschaft setzte zwangsläufig die Prinzipien, die in der Marktwirtschaft mit der Freiheit verbunden sind, nämlich den Wettbewerb und den Preismechanismus, außer Kraft. Kollektiveigentum gebar kollektive Verantwortungslosigkeit. Ineffizientes Wirtschaften und eine zurückbleibende wirtschaftliche Entwicklung als Folgen konnten nicht überraschen und führten bekanntermaßen auch zum Zusammenbruch des Systems.

III.Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg" zwischen Sozialismus und ungebändigtem Kapitalismus

Die Erfahrungen mit den beiden extremen Wirtschaftssystemen blieben in der Wissenschaft nicht unreflektiert. In den 30er und 40er Jahren unseres Jahrhunderts suchten die späteren geistigen Väter der Sozialen Marktwirtschaft nach einem "Dritten Weg" zwischen Sozialismus und ungebändigtem Kapitalismus; Wilhelm Röpke hat vor mehr als 50 Jahren diesen Begriff verwendet. Als es nach dem Krieg darum ging, in Deutschland eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu etablieren, skizzierte Ludwig Erhard auf Grund seiner intensiven gesellschaftspolitischen und ökonomischen Überlegungen im Jahr 1948, welchen Ansprüchen die neue Ordnung genügen müsse: "Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer vergangenen Ära, auch nicht das 'freie Spiel der Kräfte', sondern die sozial verpflichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Individuum wieder zur Geltung kommen lässt, die den Wert der Persönlichkeit obenan stellt und der Leistung dann auch den verdienten Ertrag zugute kommen lässt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung." Nach Erhards Verständnis sollte eine Wirtschaftsordnung geschaffen werden, die "das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs und der sittlichen Verantwortung jedes einzelnen dem Ganzen gegenüber verbindet." Alfred Müller-Armack prägte für Erhards Konzept den bis heute geläufigen Namen: Soziale Marktwirtschaft. Der Begriff "Dritter Weg" ist mit Vorsicht zu verwenden. Manche - auch heutigen Sucher nach dem Dritten Weg - verstehen darunter eine Mischung aus Markt- und Plan- bzw. Interventionswirtschaft. Ihnen sei gesagt: Das ist ein Irr- oder Holzweg: Eine revitalisierte Soziale Marktwirtschaft ist der allein Erfolg versprechende Weg zwischen ungebändigtem Kapitalismus und sozialistischer Planwirtschaft, zwischen Marktwirtschaft pur und Subventions- und Versorgungsstaat.

IV.Die Aufgaben des Staates - richtig verstanden

Den Vätern der Sozialen Marktwirtschaft war klar, dass eine menschenwürdige Ordnung nicht von allein entstehen würde, sondern der bewussten Gestaltung durch einen starken und aktiven Staat bedürfe. Im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft hat der Staat daher die Aufgabe, für Wirtschaft und Gesellschaft einen rechtlichen und organisatorischen Rahmen zu setzen, in dem Freiheit, Wettbewerb und sozialer Ausgleich miteinander in Einklang gebracht werden. Wesentlich ist, dass wir die geforderte "aktive" und "starke" Rolle für den Staat richtig interpretieren: Nicht ständige Regulierungen und punktuelle Eingriffe in den Wirtschaftsprozess, nicht keynesianische Feinsteuerung mit stop and go kennzeichnen den starken Staat, sondern genau das Gegenteil ist richtig: In der Sozialen Marktwirtschaft beweist der Staat seine Stärke, indem er sich immer auf die Gestaltung und die Durchsetzung der Rahmenordnung mit entsprechenden Regeln und Institutionen beschränkt, die ergänzenden Politiken behutsam einsetzt und marktkonform gestaltet und so für Bürger und Unternehmen verlässliche Rahmenbedingungen für individuelle Aktivitäten schafft.
Das lässt sich mit einem Bild aus dem Sport verdeutlichen: Beim Fußballspiel setzt der Staat die Regeln und stellt den Schiedsrichter; er kann auch das Stadion, den Trainer und den Arzt gegen Bezahlung zur Verfügung stellen. Aber er darf nicht selbst mitspielen, Tore halten oder schießen.

Walter Eucken hat in seinen wissenschaftlichen Arbeiten die Prinzipien einer Wettbewerbsordnung benannt und damit deutlich gemacht, welche Rahmenbedingungen von staatlicher Seite zu setzen sind. Ich möchte nur drei Bereiche herausgreifen:
  • Erstens gehört zu einer funktionstüchtigen Wettbewerbsordnung die Garantie des Privateigentums. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Privateigentum den verantwortungsvollen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen sichert; im Gegensatz dazu hat Kollektiveigentum die kollektive Verantwortungslosigkeit zur Folge. Zudem müssen konkrete Haftungsregeln aufgestellt werden, damit die Verursacher von Schäden zur Verantwortung gezogen werden können.
  • Zweitens ist es Volkswirtschaften nur mit konvertiblem Geld möglich, am weltwirtschaftlichen Handel teilzunehmen und die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung zu nutzen. Zudem muss der Geldwert stabil sein, um Produzenten und Konsumenten eine sichere Kalkulations- und Planungsgrundlage zu geben. Außerdem ist es wichtig, dass die geldpolitischen Entscheidungen nicht dem politischen Willen unterliegen. Der Staat tut daher gut daran, die Geldpolitik einer autonom handelnden Zentralbank zu übertragen.
  • Und drittens sind freie Preisbildung auf wettbewerblichen und offenen Märkten unabdingbar, um den Preismechanismus als effizientes Steuerungsinstrument wirksam werden zu lassen. Dem Staat kommt somit die Aufgabe zu, durch eine aktive Wettbewerbspolitik Beschränkungen des Wettbewerbs zu verhindern oder aufzuheben. Flankierend zur allgemeinen Rahmenordnung ist eine marktkonforme Wachstums- und Strukturpolitik ordnungspolitisch legitim.


V.Sozialer Ausgleich ist integraler,aber subsidiärer Bestandteil derSozialen Marktwirtschaft

Eine nach diesen Prinzipien gestaltete Wettbewerbsordnung ermöglicht es den meisten Bürgern, ihr Einkommen auf dem Markt selbst zu verdienen. In der Sozialen Marktwirtschaft soll aber auch denjenigen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden, die nicht am Wettbewerb teilnehmen und sich ihre Existenz nicht aus eigener Kraft sichern können. Die marktwirtschaftliche Ordnung muss daher um einen sozialen Ausgleich erweitert werden.
An diesem Punkt wird das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft häufig missverstanden. Das Adjektiv "sozial" wird dahingehend falsch interpretiert, dass die Marktwirtschaft um so sozialer sei, je mehr soziale Leistungen gewährt würden und je größer die Umverteilung sei. Dabei wird übersehen, dass der soziale Ausgleich zwar ein integraler, aber subsidiärer Bestandteil der Sozialen Marktwirtschaft ist. Die Ausgestaltung der sozialpolitischen Instrumente muss dem Subsidiaritätsprinzip genügen. Das heißt, Selbstverantwortung und die Verpflichtung zur Eigenvorsorge müssen für den Einzelnen spürbar sein. Sozialpolitische Maßnahmen sind als Hilfe zur Selbsthilfe zu verstehen.

Genau genommen haben wir also immer zwei Aspekte im Blick, wenn wir von der Sozialen Marktwirtschaft sprechen. Wir betrachten das indiviuelle Handeln und den Rahmen der diesem Handeln gesetzt werden muss.

VI.Die staatliche Rahmenordnung führt Ethik und Effizienz zusammen

Erst die Aufstellung einer Rahmenordnung macht die harmonische Zusammenfügung von persönlicher Freiheit und staatlich auferlegten Regeln möglich. Ich habe diese Synthese immer als die "List der Idee" der Sozialen Marktwirtschaft bezeichnet: Die Koordinierung der individuellen und dezentralen Präferenzen der Bürger durch den Marktmechanismus ist zwar unverzichtbar, wenn effizientes Wirtschaften erreicht und ein freiheitliches Zusammenleben ermöglicht werden soll. Aber dies muss durch die staatliche Rahmenordnung begrenzt und kanalisiert werden, damit einzelwirtschaftliches Handeln nicht in Widerspruch gerät zu sozialen Zwecken und zur Freiheit der anderen.
Damit wird zugleich deutlich, dass Ethik und Effizienz keine sich ausschließenden Gegensätze sind, sondern zwei Seiten der Medaille "Soziale Marktwirtschaft". Während die wirtschaftlichen Aktivitäten unter Wettbewerbsbedingungen ablaufen, wird die Rahmenordnung unter ethischen Gesichtspunkten aufgebaut. Durch die staatliche Gestaltung des Ordnungsrahmens wird der reinen Marktwirtschaft die Sozialethik erst eingeimpft, sodass sie zur Sozialen Marktwirtschaft wird. Der Theologe und Wirtschaftsethiker Karl Homann sagt treffend: Ort der Moral ist die staatliche Rahmenordnung.

VII."Soziale Gerechtigkeit" - was heißt das?

Das aktuelle Erscheinungsbild der Sozialen Marktwirtschaft hat sich in der Vergangenheit von seinem Ideal entfernt. Der Staat greift in zu viele Lebensbereiche der Bürger regulierend ein und behindert damit Dynamik und Flexibilität im Wirtschaftsablauf. Das Verhältnis zwischen persönlicher Freiheit und staatlicher Verantwortung ist aus der Balance geraten und muss neu austariert werden.
Bisherige Reformversuche haben eine politische Debatte ausgelöst über soziale Gerechtigkeit. Dieses schillernde Wortpaar hat zu beliebiger Interpretation verführt. Deutschland stecke in einer Gerechtigkeitsfalle oder in einer Gerechtigkeitsschieflage - meinen vor allem linke Politiker. Ob Reformen zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft und zur Wiedergewinnung von Wachstums- und Beschäftigungsdynamik sozial gerecht oder unsozial sind, muss vor allem an ihren Wirkungen gemessen werden. Wenn wir den Begriff "soziale Gerechtigkeit" schon verwenden, dann muss er zeitgemäßer und problemadäquater definiert werden. Ich will versuchen, den Anwälten der sozialen Gerechtigkeit dies in zehn Punkten zu verdeutlichen.
  1. Sozial ist, was mehr Beschäftigung schafft. Unsozial ist es, wenn die Marktwirtschaft sozialpolitisch überfordert wird. Je mehr umverteilt wird, desto weniger lohnt sich Leistung.
  2. Sozial ist, den Sozialstaat dadurch zu erhalten, dass er von Wildwuchs befreit wird. "Es ist eine Illusion zu meinen, mit allen Annehmlichkeiten und allen Wohltaten könnte es weitergehen wie bisher" (Helmut Schmidt).
  3. Unsozial ist, wenn der Staat den Bürgern soviel abnimmt, dass sich zusätzliche Anstrengung nicht mehr lohnt; und wenn er soziale Leistungen in einer Höhe gewährt, die die Aufnahme von Arbeit uninteressant macht.
  4. Arbeitsplätze werden von Unternehmen, nicht durch den Staat - der seine Personalkosten selbst sanieren muss - oder durch Interessenverbände geschaffen. Marktwirtschaft braucht wagemutige Unternehmer, die Leistungen erbringen und Gewinne erwirtschaften; Gewinne sind Voraussetzung für Investitionen und neue Arbeitsplätze.
  5. . Zu einer Sozialen Marktwirtschaft gehört gewiss auch, dass die Ungleichverteilung von Einkommen und Besitz nicht allzu groß wird und vor allem nicht auf Privilegien, Monopolstellungen und Steuerschlupflöchern beruht. Es gilt aber auch, dass zu weitgehende materielle Gleichmacherei am Ende allen schadet, auch den weniger Begüterten. Deshalb ist an Einkommens- und Vermögensspreizungen unter Effizienz- und Gerechtigkeitskriterien solange nichts auszusetzen, als diese zwar zu irgendjemandes Vorteil ausfallen und Leistungsanreize bieten, ohne aber zugleich für jemand anderen einen Nachteil zu bedeuten.
  6. Die Meinung, dass unserer Gesellschaft die Arbeit ausgehe, ist eine Schimäre. Der Arbeitsmarkt besteht nicht aus einem Volumen, das auf die Zahl der Köpfe verteilt werden muss. Er ist ein dynamischer Prozess. Auch auf diesem Markt gilt Erhards Maxime: "Unsere Aufgabe ist es, das Sozialprodukt nicht zu dividieren, sondern zu multiplizieren".
  7. Soziale Gerechtigkeit heißt heute vor allem, auf fairen und nachhaltigen Interessenausgleich zwischen den Generationen zu achten - bei der sozialen Sicherung ebenso wie bei der Schuldenfinanzierung öffentlicher Ausgaben. Es gibt nicht ungerechteres als einen hochverschuldeten Staat, der nicht mehr handlungsfähig ist und seine jährliche Kreditaufnahme voll verwenden muss zur Bedienung der Zinsen für Altschulden.
  8. Die Kosten für den immobileren Faktor Arbeit müssen in Einklang dazu stehen, dass die mobilen Faktoren Kapital und Technologie im Land bleiben oder wieder verstärkt ins Land kommen. Dies müssen die Tarifvertragsparteien beachten, damit mehr Arbeitsplätze entstehen können.
  9. Sozial gerecht ist unter den neuen Bedingungen vor allem Chancengerechtigkeit und die Befähigung zur Wahrnehmung von Chancen. Neue Sozialpolitik ist deshalb mehr denn je Investition in human capital. Wissen und Bildung gewinnen rapide an Bedeutung. Der wirtschaftliche Erfolg eines Landes und jedes Einzelnen hängt je nachdem davon ab, wie konsequent ein Lauf auf Schule, Hochschule, Fortbildung, Forschung und Erneuerung setzt.
  10. Alles in allem gilt, was der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten zur "sozialen Gerechtigkeit" postuliert hat: "Es ist ein grundlegender Denkfehler, wenn die Politik glaubt, unter Berufung auf soziale Ziele die zu erwartenden Marktreaktionen ignorieren zu können; dann stellen sich oft Ergebnisse ein, die diesen Zielen diametral entgegengesetzt sind. Die Politik kann die aus Sachzwängen und menschlichen Verhaltensweisen resultierenden Gesetze des Marktes ebensowenig außer Kraft setzen wie das Gesetz der Schwerkraft."


VIII.Reformnotwendigkeiten

Was bedeuten diese Prinzipien, Zusammenhänge und Einsichten grundsätzlich und für konkrete Reformbereiche? Ich kann nur kurz die Wichtigsten skizzieren.

A. Grundsätzliche Konsequenzen für die Ordnungspolitik

Globalisierung und informationstechnologische Revolution haben dazu geführt, dass die große Mehrheit aller Staaten mit ihren Volkswirtschaften vernetzt, d.h. an einer weltweiten Verbundwirtschaft beteiligt ist. Die Welt der Wirtschaft wird immer kleiner. Damit sind nicht nur Handel mit Gütern und Dienstleistungen sowie der Kapitalverkehr, sondern auch die Arbeitsplätze dem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt. Der Wettbewerb wird vor allem deshalb intensiver, weil Transport- und Informationskosten klein geworden sind, der Weltmarkt transparenter wird, d.h. Marktunvollkommenheiten durch Informationsvorsprünge verschwinden. Realkapital und Humankapital verlieren schneller an Wert und müssen erneuert werden. Gleichzeitig werden die Grenzen der nationalen Politik immer enger gezogen. Dies hat Konsequenzen für die Ordnungspolitik im Sinne einer Revitalisierung der Sozialen Marktwirtschaft.

Die neuen Weltmarktbedingungen erfordern erst recht den schlanken, aber zugleich starken Staat, der nicht kurzfristig interveniert und umverteilt, sondern sich an einer langfristigen, nachhaltigen Konzeption orientiert und dabei an europäischen und weltweiten Rahmenbedingungen aktiv mitwirkt.

Die Rolle des Staates muss sich dabei konzentrieren auf Regeln und Institutionen, welche die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft sowie die Befähigung der Arbeitnehmer und der Bürger allgemein zum Mithalten stärken. Sozialstaatliche Institutionen haben auch künftig die Aufgabe, den beschleunigten wirtschaftlichen Wandel und technischen Fortschritt für den Einzelnen erträglicher und politisch akzeptabel zu machen. Ein konstitutives Merkmal des Sozialstaates ist, dass er im Gegensatz zur Almosen gewährenden Marktgesellschaft den Bürgern Rechtsanspruch auf soziale Leistungen bei Eintritt bestimmter Bedingungen und Vorleistungen einräumt. Umso wichtiger ist dann aber, dass der Sozialstaat sich den neuen Bedingungen und Herausforderungen anpasst und zugleich sozial zielgenauer wird.

Am schwierigsten dabei ist, dass der Prozess der Globalisierung und der Informationsgesellschaft - jedenfalls auf Zeit - zur größeren Einkommensspreizung führt. D.h.: Mobile und qualifizierte Erwerbspersonen erhalten große Chancen, schwächere geraten unter Wettbewerbsdruck. Die staatliche Aufgabe in einer Sozialen Marktwirtschaft ist dabei heikel und schwierig: Das größere Auseinanderziehen der Einkommen im Interesse des wirtschaftlichen Fortschritts und des allgemeinen Wohlstandes zu akzeptieren, aber gleichzeitig die Anstrengungen dafür zu verstärken, dass möglichst viele das schnellere Tempo mithalten können und die soziale Sicherung finanzierbar bleibt und sich nicht selbst den wirtschaftlichen Boden entzieht.

Soziale Marktwirtschaft ist die Ordnung einer offenen Gesellschaft. Ihre Anpassung an neue Bedingungen ist deshalb systemimmanent. Wir erkennen zwar manche langfristigen Megatrends, auf die sich die Ordnungspolitik rechtzeitig einstellen muss: freier europäischer Binnenmarkt mit gemeinsamer Währung, Erweiterung der EU nach Osten, Zunahme der Dienstleistungssektoren, vor allem jene mit hohem Anteil an Informationstechnologie, instabilere Erwerbsbiographien, demographische Entwicklung mit der Folge, dass sich das Verhältnis zwischen Aktiven und Rentnern gravierend verändert, in zehn bis zwanzig Jahren Studenten und Lehrlinge knapp werden, damit Humankapital wichtiger und zugleich Realkapital mobiler wird.

Aber die Zukunft lässt sich nicht en détail voraussehen und programmieren. Deshalb muss das Wirtschaftssystem in seinen Regeln und Institutionen die Flexibilität, Innovations- und Anpassungsfähigkeit stärken, damit künftige, heute noch nicht erkennbare Entwicklungen offensiv bewältigt werden können.
Wir brauchen weder den Marktradikalen auf den Leim zu gehen, die den Sozialstaat in der Globalisierungsfalle verschwinden lassen wollen, noch den sozialen Besitzstandswahrern zu folgen, die alles beim alten lassen wollen. Soziale Marktwirtschaft im Verständnis von Ludwig Erhard, aber angepaßt an die Welt von morgen, lautet die ordnungs- und gesellschaftspolitische Devise.

B. Nationale Reformerfordernisse

  1. Die Politik muss Mut und Bereitschaft zu einer Steuerreform aufbringen, die ihren Namen verdient. Bundesfinanzminister Eichel hat mit seinem Entwurf zwar mehr geleistet, als viele von der neuen Bundesregierung erwartet hatten. Aber eine spezifische Unternehmenssteuer wäre ein ordnungspolitischer Sündenfall. Der steuerrechtliche Dschungel würde noch größer und der Umgehung würden Tür und Tor geöffnet. Die Einteilung in gute und schlechte Einkommen, in gute Unternehmen und schlechte Unternehmer wäre fatal. Gewinne würden aus Steuergründen einbehalten, statt der besten wirtschaftlichen Verwendung zugeführt zu werden. Sie können auch für Rationalisierungsinvestitionen und bloße Finanzanlagen verwendet werden. Kurz und gut: Die beste ordnungspolitische Orientierung ist nach wie vor: Steuern über den gesamten Tarifvertrag kräftig zu senken, dabei den Einkommenspitzensteuersatz dem Körperschaftsteuersatz anzunähern und auf Optionsmodelle für Personenunternehmen zu verzichten, Ausnahmen und Vergünstigungen mutig abzubauen und netto alle zu entlasten.
  2. Bei der Reform der sozialen Sicherung muss Ludwig Erhards Leitmotiv, "der Selbsthilfe und Eigenverantwortung soweit wie möglich Vorrang einzuräumen" wieder Anwendung finden. Bei der Altersvorsorge muss wieder zu den Wurzeln zurückgekehrt werden. Ludwig Erhard hatte einst seinen Frieden mit der dynamischen, umlagefinanzierten Rente gemacht, weil er sie als Teil eines Drei-Säulen-Konzepts verstanden wissen wollte: gesetzliche Rente als dominante, aber nur partielle Absicherung, ergänzt um betriebliche Altersvorsorge und kapitalgedeckte private Vorsorge. Die künftige demographische Entwicklung macht eine solche Orientierung nötiger denn je. Sie muss sich schon bald und nicht erst in 15 Jahren in der Rentenformel niederschlagen.

    Die Krankenversicherungsreform der rot-grünen Koalition läuft mit ihrer Ausgabenbudjetierung auf bürokratische Mangelbewirtschaftung hinaus - eine weiterer ordnungspolitischer Sündenfall - oder die Budgetdeckel werden dem Druck nicht standhalten und weitere Beitragserhöhungen erzwingen. Sie wird entweder schon im Bundesrat, sonst in wenigen Jahren scheitern. Eine Pflicht zur Mindestabsicherung ist nötig, muss aber genügend Freiraum für Eigenverantwortung belassen und Anreize zu kostenbewußtem Verhalten schaffen. Anders sind stabile gesetzliche Beiträge bei weiterem medizinisch-technischem Fortschritt und längerer Lebenserwartung nicht zu halten.
  3. Entlastung bei den zu hohen staatlichen Abgaben (Steuern und Sozialversicherungsbeiträge) und Reduzierung der staatlichen Verschuldung geht nach Adam Riese nur, wenn auf der Ausgabenseite der Sozialversicherungshaushalte und der Staatshaushalte gespart wird. Eichels Programm ist deshalb ein richtiger, aber nur ein erster Schritt. Der Staat muss seine Ausgaben auf die Kernkompetenzen in einer richtig verstandenen Sozialen Marktwirtschaft konzentrieren und so Freiraum schaffen für neues Wachstums- und Beschäftigungsdynamik in der Wirtschaft. D.h. Sparen bei konsumtiven, administrativen und strukturkonservierenden Ausgaben; Prioritäten setzen für Human- und Sachkapital.

    Unser Staat ist heute gleichzeitig zu groß und zu schwach. Er reguliert zu viel und verteilt übermäßig um. Er ist andererseits nicht mehr fähig genug, einen konsistenten und zukunftsfähigen Ordnungsrahmen für Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten. In Wahrheit gerät so das Gemeinwohl unter die Räder.
  4. Die Tarifvertragspartner tragen eine Hauptverantwortung für den Beschäftigungsstand. Bei hoher Arbeitslosigkeit muss die reale Lohnsteigerung unterhalb der Produktivitätssteigerung bleiben. Der Flächentarifvertrag braucht nicht über Bord geworfen zu werden, muss aber mit Öffnungsklauseln mehr Freiraum lassen für betriebsbezogene und beschäftigungsfördernde Lösungen.


C. Europäische und internationale Aufgaben


Der "Kapitalismus" hat über den planwirtschaftlichen Sozialismus auch deshalb gesiegt, weil er - entgegen den Prophezeiungen von Karl Marx und seinen Epigonen - nicht ungezügelt blieb, sondern gezähmt und an die soziale Leine gelegt worden ist. Aber auch im europäische n und globalen Wettbewerb muss den grundlegenden Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft Geltung verschafft werden. Die Gesamtheit der europäischen Verträge belegt, dass die EU auf den Prinzipien einer Sozialen Marktwirtschaft beruht. Der vertraglich festgeschriebene Grundsatz einer offenen und wettbewerblich gestalteten Marktwirtschaft, die Regeln und Institutionen der EWU, das Programm des freien Binnenmarktes, die Wettbewerbs- und Beihilfevorschriften umreißen eine Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft. Auch die nationalen Orientierungen halten sich in diesem Rahmen. In Großbritannien spricht man vom Blairschen "Thatcherismus mit menschlichem Antlitz", in Frankreich vom "rheinischen Kapitalismus", in den Niederlanden vom sozialwirtschaftlichen Konsensmodell. Und die mittelosteuropäischen Beitrittsländer schwören auf eine Soziale Marktwirtschaft ihrer Prägung. Freilich wird auch in der EU manches fehlinterpretiert, franst an den Rändern aus und bedarf der richtigen Adjustierung.

Vor allem ist es ein Irrtum zu glauben, die soziale Dimension der EU hieße weitreichende Harmonisierung in der Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.
  1. Bei den Steuern sind eine "ex-ante Harmonisierung" der indirekten Steuern und der Besteuerung von Kapitalerträgen sowie Regeln gegen echtes Steuerdumping nötig. Aber Steuer- und Sozialsysteme bleiben in nationaler Verantwortung. Die nationalen Regierungen und Parlamente müssen entscheiden, welche Höhe und Struktur der Einkommen- und Körperschaftsteuern sie sich im europäischen und weltweiten Standortwettbewerb leisten können.
  2. Wenn der Bundeskanzler erklärt, der Kampf gegen Arbeitslosigkeit sei eine europäische Frage, kann man dem nur zustimmen; die EU muss auch eine soziale Dimension einschließen. Die Verantwortung für die Beschäftigungspolitik auf einen "Europäischen Beschäftigungspakt" abzuwälzen ist falsch. Beschäftigungspolitik bleibt primär in nationaler Verantwortung. Mindeststandards, gemeinsame Leitlinien, ein Monitoring der nationalen Durchsetzung, eine Informationsbörse für das gegenseitige Lernen, eine beschäftigungspolitisch wirksame Verwendung von Strukturfonds - das alles ist sinnvoll, darf aber von der nationalen Aufgabe nicht ablenken.
  3. Die Asienkrise hat gezeigt, dass auch die internationalen Finanzmärkte eine Ordnung brauchen. International vereinbarte Regel für eine Kooperation der nationalen Aufsichtsbehörden und ein Frühwarnsystem des Internationalen Währungsfonds sind nötig und machbar. Aber überzogene Regulierungen und Währungszielzonen sind nicht nur ordnungspolitisch falsch, sondern auch illusionär.
  4. Zu fragen bleibt: Hebelt die weltweite "Merger-mania" die Soziale Marktwirtschaft aus? Der Wettbewerb ist grenzenlos geworden, die Medien melden fast jede Woche eine Megafusion. Ich sagte einleitend: Die Soziale Marktwirtschaft ist im Kern eine Wettbewerbsordnung, in der unabhängige Wettbewerbsbehörden über Kartelle, Missbrauch von Marktmacht und Fusionen wachen und sie bei Wettbewerbsbeschränkung verbieten können. "Die Kanonen des Bundeskartellamtes schießen nur bis Aachen" (Wolfgang Kartte), und die der EU-Kommission reichen nicht bis Detroit.


Das deutsche Kartellgesetz als "ordnungspolitisches Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft" und die europäischen Kartellvorschriften traten 1958 in Kraft, das Kartellgesetz wurde 1973 und die wettbewerbspolitische Kompetenz der EU-Kommission 1989 um die Fusionskontrolle ergänzt. Hinzu kam eine Kooperation der deutschen und europäischen Wettbewerbsbehörden mit der amerikanischen. Auch die europäische Wettbewerbspolitik muss den neuen Bedingungen angepasst werden. Die EU-Kommission hat dazu ein Weißbuch vorgelegt. Es weist prinzipiell richtige Orientierungen auf. Über Details darf gestritten werden. Auf längere Sicht brauchen wir zwar kein "Weltkartellamt", aber für den grenzenlosen Wettbewerb eine Ergänzung der WTO um sanktionsbewehrte Regeln zur Kartell- und Fusionskontrolle. Auch die Wettbewerbskontrolle muss den relevanten Märkten folgen.
Alles in allem ist die Furcht nicht berechtigt, dass die Globalisierung zur Herrschaft des internationalen "Turbokapitalismus" führt und der politischen Gestaltung - national, europäisch oder international koordiniert - die Handlungsfähigkeit raubt. Auch in den nächsten Jahrzehnten werden nicht die Bill Gates, Schrempps oder Breuers die Herrscher der Welt sein, sondern die Parlamente, die Regierungschefs und die Zentralbanken werden die Wirtschaftsordnung bestimmen. Freilich nur dann, wenn sie offensiv an die Bedingungen angepasst wird. Die politische Aufgabe ist dabei, die Regeln der Staaten und der EU entsprechend fortzuentwickeln sowie mit internationalen Verträgen weltweit geltende Regeln und Institutionen zu vereinbaren.

So weit - so gut! Doch können wir von den politisch Agierenden eine solche Neuorientierung erhoffen? Das Scheitern in Seattle, wo die neue WTO-Runde eingeläutet werden sollte, hat mal wieder gezeigt, dass die USA ihrer weltweiten Verantwortung nicht gerecht werden, weil sie vorrangig ihre nationalen Interessen wahrnehmen. Die EU ist noch nicht einig genug, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln und international zu vertreten. Die USA und die EU müssen sich aber zusammenraufen für das Konzept einer ökonomisch effizienten und zugleich sozial verträglichen Weltmarktwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung. Und bei uns zuhause? Zu Anfang des Jahres urteilte die Ludwig-Erhard-Stiftung in ihrem "Ordnungspolitischen Bericht 1999": "Die christlich-liberale Koalition hatte die richtige Orientierung, ging aber zu langsam und zu halbherzig voran und blieb auf halber Wegstrecke stecken. Die rot-grüne Koalition marschierte in den ersten fünf Monaten stürmisch, aber teilweise noch orientierungslos in die falsche Richtung. Für ihre 'neuen Wege zu mehr Beschäftigung' benötigt sie einen ordnungspolitischen Kompass mit verläßlichen neuen Marschzahlen."

Der grüne Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger hat vor drei Monaten seinen beachtenswerten Artikel in der "Zeit" mit "Weniger Staat ist mehr" getitelt und mit folgender Aufforderung abgeschlossen: "Die Regierung muss aber jetzt demonstrieren, dass sie ein ordnungspolitisches Leitbild hat, an dem sie ihre Politik verlässlich ausrichtet. Sonst droht in der öffentlichen Wahrnehmung der Rückfall in die Zeit der ersten vier Regierungsmonate: chaotisch, handwerklich schlecht und ohne Konzept - kurz: nicht regierungsfähig."

Seither sind erste Anzeichen für Reformen zugunsten einer Revitalisierung der Sozialen Marktwirtschaft erkennbar. Ich hoffe, dass sie sich verstärken. Wie auch immer: Nach meiner Überzeugung wird sich durchsetzen, dass die Soziale Marktwirtschaft auch das Zukunftsmodell in Deutschland und Europa und Ludwig Erhard Sieger im gesellschafts- und ordnungspolitischen Wettkampf bleibt.

Lassen Sie mich mit Erhard schließen. Er hat das richtige Verhältnis zwischen persönlicher Freiheit und staatlicher Verantwortung aus der Sicht des Bürgers einst treffend so ausgedrückt: "Ich will mich aus eigener Kraft bewähren; ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein. Sorge Du, Staat, dafür, dass ich dazu in der Lage bin."

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