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Andreas Hermes / Foto um 1950 Andreas Hermes / Foto um 1950 © picture-alliance / akg-images

Andreas Hermes

Reichsminister, Verbandspräsident Dr. phil. 16. Juli 1878 Köln 4. Januar 1964 Krälingen/Eifel
von Markus Lingen

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Kindheit und Jugend

Andreas Hermes wird am 16. Juli 1878 in Köln als jüngstes von drei Kindern geboren. Sein bewegtes Leben umspannt fünf Epochen der deutscher Geschichte: das Wilhelminische Kaiserreich, die freiheitlich verfasste, aber strukturell instabile Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und das Hitler-Regime, das um seine Ostgebiete verkleinerte, doppelt viergeteilte Deutschland und Berlin sowie schließlich die Bundesrepublik Deutschland in der nach ihrem Gründungskanzler benannten „Ära Adenauer“.

Er stammt aus einfachen Verhältnissen eines katholischen Elternhauses, dessen christliche Prägung für ihn Bestand behält. Sein Vater, Andreas, kommt aus einer Seidenweberfamilie und ist bei der Eisenbahndirektion Köln tätig. Seine Mutter, Therese Hermes, geborene Schmitz, kommt aus einer Bauernfamilie aus Vettelhoven im Kreis Ahrweiler.

In sehr bescheidenen Verhältnissen wächst er in Mönchengladbach auf und verliert im Alter von acht Jahren seinen Vater. Trotz der daraus resultierenden wirtschaftlichen Beschränkungen kann er die Realschule, später die Oberrealschule, besuchen, wo er sich schnell zu einem sehr guten Schüler entwickelt. In dieser Zeit hat in Mönchengladbach, der „Volksverein für das katholische Deutschland“ einen starken Einfluss auf die dortigen Schulen. Der Volksverein ist eine 1890 gegründete Massenorganisation deutscher Katholiken, die sich die Verbreitung religiöser, kultureller, sozialer und politischer Bildung zur Aufgabe gemacht hat. So erhalten die von der Mutter im jungen Andreas verankerten christlichen Grundsätze durch die vom Volksverein ausgehenden Impulse in seiner Schulzeit eine weitere Vertiefung.

 

Ausbildung und Studium

1896 beginnt auf einem Gut bei Satzvey im Kreis Euskirchen eine landwirtschaftliche Ausbildung, die er seit 1898 mit dem Eintritt in die Landwirtschaftliche Akademie in Bonn in theoretischer Hinsicht erweitert und 1900 mit dem Diplom abschließt. Während seiner Studienzeit tritt er der katholischen Studentenverbindung K.St.V. Rheno-Borussia in Bonn im KV bei. Drei Jahre später, nach landwirtschaftlicher Lern- und Lehrtätigkeit, absolviert er, wiederum in Bonn, ein weiteres Examen als Tierzuchtinspektor. 1905 schließlich wird er in Jena mit einer nationalökonomischen Dissertation über ein Strukturproblem der französischen Landwirtschaft, Ergebnis eines längeren Studienaufenthalts im Nachbarland, zum Dr. phil. promoviert.

Nun beginnt der ungewöhnlich sprachenkundige Hermes in Berlin seine berufliche Laufbahn bei der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. 1911 Direktor am Internationalen Agrarinstitut in Rom, arbeitet er während des Ersten Weltkriegs zeitweise in Berlin im Kriegsausschuss für Ersatzfutter, zu dessen Beschaffung er 1917/18 in Bulgarien und Rumänien eingesetzt ist.

Nach dem Ersten Weltkrieg wird er 1919 als Abteilungsleiter in das neugeschaffene Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft berufen. Hermes ist Mitglied der katholischen Zentrumspartei.

Im Jahre 1920 heiratet er die sechzehn Jahre jüngere in Köln geborene Anna Schaller, die im katholischen Bürgertum Berlins aufgewachsen ist. Das Ehepaar Hermes bekommt fünf Kinder, darunter Peter Hermes.

 

Reichsminister und Abgeordneter

Am 27. März 1920 tritt Andreas Hermes, protegiert durch den Landwirtschaftsflügel der Zentrumspartei, als Minister an die Spitze des neu gegründeten „Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft“. Dieses Ministerium leitet er bis 1922, und zeitweise gleichzeitig von 1921 bis Anfang 1923 das Reichsministerium der Finanzen.

Von 1924–1928 gehört Hermes dem Preußischen Landtag an, seit 1928 dann dem Reichstag. Als Präsident der „Vereinigung der deutschen (seit 1931: christlichen) Bauernvereine“ und des „Reichsverbands der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften-Raiffeisen“ zählt der Zentrumsabgeordnete zu den führenden deutschen Agrarpolitikern.

In seinen zahlreichen Funktionen und Ämtern erweist Andreas Hermes sich als geschickter Taktierer, der die inneren Gegensätze seiner Organisationen – konfessionelle, organisationspolitische, parteipolitische, zwischen Kleinbauern und Großgrundbesitzern – allerdings nur überdecken, nicht aber ausräumen kann. Dies bedingt eine eher von taktischen Überlegungen und weniger von prinzipiellen Zielen geleitete Politik gegenüber den verschiedenen Regierungen in der Endphase der ersten Republik; infolgedessen ist Hermes auch in seinen Reihen nicht unumstritten.

 

Die Zeit des Nationalsozialismus

Wie andere prominente Persönlichkeiten des Zentrums, z.B. Konrad Adenauer, unterschätzt auch Hermes die Gefährlichkeit der braunen Massenbewegung. Noch im Dezember 1932 glaubt er, dass die Zeit „gegen Hitler“ arbeite. Und noch am 15. Februar 1933 geht er davon aus, mit seinen Verbänden auch der Regierung Hitler gegenüber die gleiche sachliche Linie einnehmen zu können wie gegenüber den anderen Regierungen vorher. Nur vier Wochen später erlebt er dann die Wirklichkeit des Dritten Reiches. Wie andere missliebige Repräsentanten der Weimarer Republik wird er in der ersten Verfolgungswelle am 21. März 1933 verhaftet und nach mehrmonatiger Untersuchungshaft 1934 wegen angeblicher Veruntreuung von Genossenschaftsgeldern zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.

Da er im nationalsozialistischen Deutschland keine Möglichkeit zu beruflicher Tätigkeit mehr findet, geht er 1936 als Wirtschaftsberater der kolumbianischen Regierung nach Bogota. Als er seine gesamte Familie 1939 nach Kolumbien holen will, bricht der Zweite Weltkrieg aus.

 

Kontakt zum Widerstand

So muss Andreas Hermes in der Heimat bleiben. 1943 verliert die Familie, inzwischen in Bad Godesberg, das frühere Haus in Berlin-Lichterfelde durch Bomben, die auch das Haus der Schwiegereltern zerstören. Fast gleichzeitig kommt die Nachricht, dass zwei Söhne im Russlandkrieg gefallen sind, während vom dritten Sohn kein Lebenszeichen vorliegt. In dieser Zeit bekommt Hermes Kontakt zu Widerstandskreisen. Über den sog. Kölner Kreis des Kettelerhauses um Bernhard Letterhaus, Nikolaus Groß, den Prälaten Otto Müller, Heinrich Körner und Jakob Kaiser lernt er Wilhelm Leuschner, Joseph Wirmer und Carl Goerdeler kennen, der ihn in einer seinen Ministerlisten als möglichen Landwirtschaftsminister notiert. Zwei Tage nach dem missglückten Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler wird Hermes verhaftet und nach Auffinden der Goerdeler-Papiere am 11. Januar 1945 vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler wegen Hoch- und Landesverrats zum Tode verurteilt.

In seinem als Abschiedsbrief verfassten Schreiben vom 12. Januar an seine Frau, einem Schlüsseldokument christlicher wie patriotischer Überzeugung, heißt es: „Für nichts anderes und nichts weniger habe ich mich stets eingesetzt, als dass unserem Volke die unveräußerliche Grundlage christlicher Ethik erhalten bleiben möge und dass die in Gott gegründeten Menschenrechte der Gerechtigkeit, Freiheit, Würde und Ehre wieder als ein unantastbares Gut Achtung und Schutz finden mögen. Dafür habe ich gearbeitet und dafür werde ich sterben.“

Den unermüdlichen Bemühungen seiner Ehefrau Anna sowie wahrscheinlich einiger Beamter in der Spitze des Reichsjustizministeriums, die seine Akten in ihnen Schubladen vergraben und damit den Vollzug des Urteils verhindern, hat Hermes sein Leben zu verdanken. Der Einmarsch der Roten Armee in Berlin beendet schließlich am 24. April 1945 die quälende Ungewissheit über sein Schicksal.

 

Wiederaufbau und Gründung der CDU

Nach der Befreiung beruft die Sowjetische Besatzungsmacht Hermes am 7. Mai an die Spitze der Ernährungsverwaltung in Berlin und zu einem der stellvertretenden Oberbürgermeister der Trümmerstadt. Gleichzeitig beginnt er mit dem politischen Wiederaufbau im Sinne seiner seit der Vorkriegszeit begonnenen und in den Monaten der Haft weiter ausformulierten Vorstellungen.

Bei den Beratungen zur Gründung der von ihm erstrebten überkonfessionellen christlichen Volkspartei gibt es heftige Diskussionen um Sachfragen, aber auch um den Namen der neuen Partei. Der Vorschlag von Hermes – „Demokratische Union Deutschlands“ – wird schließlich nur mit dem von Heinrich Krone, Hans Lukaschek und Paulus van Husen durchgesetzten Zusatz „christlich“ akzeptiert. Die Zufügung „Deutschlands“ signalisiert einen reichsweiten Führungsanspruch. Die 35 Unterzeichner des Berliner CDUD-Programms bekennen sich, zum Teil unter Übernahme von Formulierungen aus Briefen, die Hermes in der Haftanstalt in der Lehrter Straße niedergeschrieben hat, zur Demokratie und rechtsstaatlichen Verfassung. Sie fordern einen politisch-sozialen Neuaufbau auf christlicher Grundlage, allerdings, was die Umsetzung betriff, mit mehrdeutigen Kompromissformeln.

Im Gründungsaufruf ist die Rede von einem „Trümmerhaufen sittlicher und materieller Werte“ und von einem notwendigen „Weg der Wiedergeburt“. Bevor die sowjetische Militäradministration die CDUD genehmigt, muss sie sich zur Zusammenarbeit mit den drei anderen Parteien in einem „Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ verpflichten.

Wegen seiner eigenwilligen Vorstellungen beim Aufbau der Ernährungsverwaltung zu einem künftigen Zentralressort beruft die Besatzungsmacht Hermes bereits Ende Juli aus dem Magistrat ab. Daraufhin widmete er sich ganz dem Vorsitz der CDUD in Berlin und in der sowjetischen Zone. Im November gewinnt er die christlichen Demokraten des Rheinlands für ein „Reichstreffen“ aller Landesverbände der Union. Es findet vom 14. bis 16. Dezember 1945 in Bad Godesberg statt, allerdings ohne Vertreter aus der Ostzone, die, wie auch Andreas Hermes, keine Reiseerlaubnis erhalten haben. Die von ihm vorbereitete programmatische Rede, die seinen nationalen Führungsanspruch unterstreichen soll, wird von den Professoren Ulrich Noack und Hans Peters verlesen.

Da die sowjetischen Machthaber ihn als Vorsitzenden der CDUD absetzen und sein Versuch, von Bad Godesberg aus eine Führungsrolle in der Union der Westzonen zu übernehmen, an Konrad Adenauer scheitert, der Anfang 1946 seine parteipolitische Blitzkarriere beginnt, endet die parteipolitische Betätigung von Andreas Hermes.

 

Bundesrepublik Deutschland und letzte Lebensjahre

Seit dem Herbst 1946 engagiert sich Hermes, nachdem er eine monatelange Krankheit übersteht, beim Aufbau einer überzonalen Bauernorganisation und bei der Wiedergründung des Raiffeisenverbands. Als CDU-Abgeordneter im Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets in Frankfurt a.M. (1947–1949) leitet er dessen Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. In der Bundesrepublik Deutschland erreicht Hermes den Höhepunkt seiner agrarpolitischen Wirksamkeit: als erster Präsident des (späteren) Deutschen Bauernverbands (1946–1954) und des Deutschen Raiffeisenverbands (1947–1961). In der Konsequenz seiner politischen Arbeit trägt dieser christliche Demokrat der ersten Stunde entscheidend dazu bei, „unserem politischen Leben“, wie er sich das am 8. August 1945 in Berlin vorgenommen hatte, einen „neuen Inhalt“ zu geben. Hermes stirbt am 4. Januar 1964 in Krälingen in der Eifel.

Lebenslauf

  • 1905 Promotion
  • 1919-20 Ministerialdirektor im Reichswirtschaftsministerium
  • 1920–1922 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft
  • 1921–1923 auch der Finanzen
  • 1924–1928 MdL Preußen (Zentrum)
  • 1928–1933 Präsident verschiedener landwirtschaftlicher Organisationen
  • 1928–1933 Mitglied des Reichstages
  • 1936–1939 Wirtschaftsberater in Bogotá, nach dem 20.07.1944 zum Tode verurteilt
  • 1945 stellvertretender Oberbürgermeister von Berlin und Leiter des Ernährungsamtes, Mitgründer und (bis Dezember 1945) Vorsitzender der CDU
  • 1947–1949 Mitglied des Wirtschaftsrates der Bizone
  • 1947–1954 Mitgründer und Präsident des Deutschen Bauernverbandes und 1948–1961 des Deutschen Raiffeisenverbandes
  • 1954–1958 Präsident des Verbandes der Europäischen Landwirtschaft (CEA).

 

Literatur

  • Buchstab, Günter: Andreas Hermes, in: Die Gründung der Union, hg. von Günter Buchstab und Klaus Gotto. München 1981, S. 103ff.
  • Buchstab, Günter: Andreas Hermes (1878–1964), in: Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 6, Mainz, 1984, S. 102-114, 271.
  • Gradl, Johann Baptist: Anfang unter dem Sowjetstern. Die CDU 1945-1948 in der sowjetischen Besatzungszone Deutschland, Köln 1981.
  • Hermes, Andreas: „Mit unerschütterlichem Gottvertrauen und zähem Kämpfergeist”. Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin 2012.
  • Hermes, Anna: Und setzet ihr nicht das Leben ein. Andreas Hermes, Leben und Wirken. Stuttgart 1971.
  • Hermes, Peter: Sozialismus oder Volkspartei. Andreas Hermes und die Gründung der CDU in Berlin 1945, in: Die politische Meinung 193 (1980), S. 69 ff.
  • Morsey, Rudolf: Andreas Hermes. Ein christlicher Demokrat in der ersten und zweiten deutschen Demokratie (2003).

 

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Einzeltitel
Wiki, Deutsche Fotothek der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), CC-BY-SA 3.0
27. August 2012
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