Asset-Herausgeber

Peter Hermes, Portrait. (Quelle: Marie-Lisa Noltenius/KAS-ACDP) Peter Hermes, Portrait. (Quelle: Marie-Lisa Noltenius/KAS-ACDP) © (Quelle: Marie-Lisa Noltenius/KAS-ACDP)

Peter Hermes

Jurist, Diplomat, Staatssekretär, Botschafter Dr. jur. 8. August 1922 Berlin 14. Oktober 2015 Bonn
von Ulrike Hospes
Die Biographie von Peter Hermes spiegelt die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts mit all ihrem Schrecken, ihrer Zerstörung, aber auch ihrem politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau wider.

Asset-Herausgeber

Überzeugter Christ und Diplomat

Peter Hermes ist zehn Jahre alt, als die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht ergreifen. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ist er gerade 17 Jahre alt geworden und steht kurz vor dem Abitur. Die Verhaftungen seines Vaters 1933 und 1944, familiäre Verluste im Krieg und die eigene Gefangenschaft in Russland bis Januar 1950 bestimmen das Leben des Heranwachsenden. Es ist eine Zeit der Verfolgung und des Widerstandes, schwerer Prüfungen und Bewährungen. Halt und Orientierung gibt ihm der christliche Glaube. Dieses große Gottvertrauen ist seine stärkste Stütze.

Erst im Alter von 27 Jahren kann Peter Hermes sein Leben selbst in die Hand nehmen. In den folgenden vier Jahrzehnten ist er zunächst ein kleines, aber wirksames und stets wachsendes Rad im Getriebe zur Wiederherstellung des guten Namens Deutschlands in der Welt. Im Auswärtigen Dienst prägt er die „Bonner Republik“ an entscheidenden Stellen mit. Rechtsstaat und Demokratie, außenpolitischer Wiederaufbau Deutschlands und europäische Integration, diplomatische Verhandlungen und Konferenzdiplomatie werden sein Lebensinhalt.

 

„Ein Botschafter kann in der Regel nur Kärrnerarbeit für die große Politik leisten, in der kleinen Politik aber doch manches bewegen. Er sollte jederzeit in der Lage sein, zusammen mit seinen Mitarbeitern eine Kommunikation mit den Verantwortlichen beider Länder herzustellen – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft, in den Gewerkschaften, den Medien, zwischen Universitäten und den vielfältigen Einrichtungen der Wissenschaft und Kunst. (…) Die Berichterstattung über die Außen- und Innenpolitik des Gastlandes bleibt neben der notwendigen diplomatischen Präsenz und Repräsentanz die Kernaufgabe jeder Botschaft“, stellt er in seinen Erinnerungen fest (Meine Zeitgeschichte, S. 293).

 

Erzogen zu Selbständigkeit und Verantwortung

Seine Eltern, Andreas und Anna Hermes – katholische Rheinländer, beide in Köln geboren – leben seit ihrer Heirat 1920 in Berlin. Zwischen 1921 und 1931 bekommen sie fünf Kinder. Als Zweitältester erblickt Peter Hermes am 8. August 1922 in der Königin-Luise-Straße 15 in Berlin-Dahlem das Licht der Welt. Er wächst in bürgerlichen Verhältnissen auf. Von der in Berlin herrschenden Armut und Massenarbeitslosigkeit bleibt er weitgehend verschont. Mit der Unbekümmertheit eines Kindes erlebt er dennoch Politik auf der Straße – von Flaggen über Wahlplakate bis hin zu Straßenschlachten zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten.

Aufgrund der Funktionen seines Vaters ist Peter Hermes nah am politischen Machtzentrum. Der Zentrumspolitiker ist Reichsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (1920–1922), Reichsminister der Finanzen (1922–1923), Mitglied des Preußischen Landtags (1924–1928), Mitglied des Reichstags (1928–1933). Am 18. März 1933 gibt Andreas Hermes sein Abgeordnetenmandat auf, um an der Eröffnung der parlamentarischen Session des Reichstages in der Potsdamer Garnisonskirche am 21. März 1933 nicht teilnehmen zu müssen. Es seien „Kapitulationsfeierlichkeiten“ gegenüber den Nationalsozialisten, wie er sagt.

Doch für tiefer gehende politische Gespräche ist Peter Hermes noch zu jung. Ihm bleibt vornehmlich die Abwesenheit seines Vaters in Erinnerung. Der Dienst am Gemeinwohl steht in jenen Jahren häufig vor den familiären Verpflichtungen.

Früh lernt Peter Hermes in seiner Familie die nationalsozialistische Verfolgung kennen. Die Verhaftung seines Vaters ist seine erste politische Erfahrung im Hitlerreich: „Ich beobachtete meinen Vater, wie er am frühen Morgen von zwei Kriminalbeamten in ein vor unserem Gartentor wartendes Auto geführt wurde. Es dauerte lange, bis meine Mutter mir, dem Zehnjährigen, und meinen Geschwistern erklären konnte, was geschehen war. Was wir schnell begriffen, war, daß von diesem Tage an, dem 21. März 1933, unser Leben eine ganz neue Wendung nahm. Ich erkannte, daß mein Vater politisch verfolgt wurde.“ (Meine Zeitgeschichte, S. 20).

Wirtschaftliche Not, Trennung der Geschwister, Hilflosigkeit, fehlende Vertraute, Strafprozesse – das Familienleben wandelt sich drastisch. Peter Hermes selbst verlässt im April 1933 Berlin und geht zu seiner Tante nach Osnabrück. Seine Geschwister folgen ihm, als die Eltern von 1936 bis 1939 nach Kolumbien auswandern, wo Andreas Hermes eine Aufgabe als Fachberater der Regierung gefunden hat.

Im Frühjahr 1937 ziehen die Geschwister zusammen mit ihrer Tante nach Bad Godesberg. Dort wird die Familie im Frühjahr 1939 wieder zusammengeführt. Kurz darauf macht Peter Hermes sein Abitur. Nun ist er es, der die Familie verlassen muss.

 

Reichsarbeitsdienst, Studium, Kriegsdienst

Am 1. April 1940 fährt Peter Hermes fast 1.500 km weit gen Ostpreußen, um den Reichsarbeitsdienst anzutreten. Seine Stimmung hinsichtlich der eigenen Zukunftsaussichten ist gedrückt. Die „derbe und primitive Männergesellschaft“ liegt ihm nicht. Nach fünf Monaten kann Hermes zunächst aufatmen: Von September 1940 bis März 1941 studiert er Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft in München, von April bis Juli 1941 in Wien. Geistige Arbeit, katholische Studentengemeinden, Ausflüge und Besichtigungen, Konzerte, Schauspiel, Oper – Hermes genießt bei allem Fleiß die ihm verbleibenden Monate vor der Einberufung zum Militär. Im September 1941 wird er Flaksoldat in Rendsburg in Holstein. „Ich dachte ständig zurück und verglich (…). Der Absturz aus den Höhen der Freiheit, des Geistes und der freundschaftlichen Gleichgestimmtheit in den Abgrund der Unterwürfigkeit, Stumpfheit und noch anonymen Kameradschaft war zu gewaltig, als daß er ohne eine gewisse seelische Erschütterung vonstatten gehen konnte.“ (Meine Zeitgeschichte, S. 66f.). Über Wien gelangt Hermes im Sommer 1942 nach Nordfrankreich, bevor er im Winter 1942/43 nach Russland verlegt wird. Er qualifiziert sich für die Reserve-Offizierslaufbahn. Ein Lehrgang in Frankreich (August bis September 1943) verschont ihn vor schweren Rückzugsgefechten, bei denen an anderen Orten der Ostfront, im Süden der Sowjetunion, seine beiden Brüder Otto († 26. August 1943, im Alter von 22 Jahren) und Bruno († 7. September 1943, im Alter von 19 Jahren) fallen.

 

In Verantwortung für den Widerstand

Im Jahr 1943 suchen Carl Goerdeler und Jakob Kaiser Andreas Hermes mehrmals in Bad Godesberg auf, um ihn für eine Beteiligung an einer Regierung nach Hitler zu gewinnen. Ende 1943 und Anfang 1944 lernt dieser durch die Vermittlung von Josef Wirmer, dem späteren Schwiegervater von Peter Hermes, einen größeren Kreis von „Mitverschwörern“ kennen. Am 22. Juli 1944, zwei Tage nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli, wird Andreas Hermes bei einem Besuch seiner Töchter Resi und Ria am Bodensee von der Gestapo verhaftet und zusammen mit zwei ehemaligen Reichsministern aus der Weimarer Republik, Otto Geßler und Anton Fehr, nach Berlin gebracht. Peter Hermes erhält von seiner Mutter die Nachricht über die Verhaftung. Überraschenderweise wird sein Gesuch, den Vater im Ravensbrücker KZ zu besuchen, rasch positiv beschieden. „Da stand ich nun in Luftwaffenuniform mit den Rangabzeichen eines Fähnrichs meinem der Beteiligung am 20. Juli 1944 bezichtigten Vater in der Polizeischule Drögen, dem Vernehmungslokal der Gestapo, gegenüber. Der Sohn eines angeblichen Hoch- und Landesverräters, Soldat im Kriegsdienst, sollte für das Land kämpfen, dessen Regierung sich anschickte, das Todesurteil für seinen Vater vorzubereiten. (…) Meinem Vater konnte ich bei dieser Gelegenheit meiner Anhänglichkeit und uneingeschränkten Zustimmung zu dem, was er getan und gewollt hatte, versichern. Ich schrieb ihm einige Wochen später (…): ‚Dein reines Gewissen und die feste Überzeugung, immer das Rechte getan zu haben, können gar nicht das Gefühl der Bangigkeit aufkommen lassen. Ich selbst werde mit der Hilfe Gottes und seiner Gnade den geraden Weg des Rechtes gehen und die Ehre Gottes über alles stellen.‘ Meiner Mutter schrieb ich: ‚Auf meine Mutter und meinen Vater bin ich nie so stolz gewesen wie im gegenwärtigen Zeitpunkt.‘ “ (Meine Zeitgeschichte, S. 100).

Am 11. Januar 1945 wird Andreas Hermes vom Volksgerichtshof unter Vorsitz seines Präsidenten Roland Freisler als Hoch- und Landesverräter zum Tode verurteilt. Urlaubsgesuche für einen Abschiedsbesuch werden Peter Hermes, seit August 1944 in Oberschlesien stationiert, abgelehnt. So schreibt er in einem Abschiedsbrief vom 16. Januar 1945: „Wenn auch der Ausgang der Verhandlung nicht unerwartet gekommen ist, so hatte ich doch bis zuletzt im Tiefsten meines Herzens diese Möglichkeit ausgeschlossen … Es gibt geschichtliche Situationen, in denen der Gerechte sterben muß. (…) Eines aber weißt Du auch, daß trotz der Schwere dieses harten Schicksalsschlages der Glaube an Gott und auch das Vertrauen zu unserem Volk bei mir nicht erschüttert ist.“ (Meine Zeitgeschichte, S. 105). Als er doch vier Tage Urlaub erhält, fährt er am 23. Januar nach Berlin. Am selben Tag werden zehn Männer des 20. Juli 1944 hingerichtet, darunter der Zellennachbar seines Vaters, Eugen Bolz. Das vermeintlich letzte Wiedersehen am 25. Januar erschüttert Peter Hermes sehr. „Bei allem Schmerz empfand ich Stolz auf meinen Vater und Bewunderung für seine klaglose aufrechte Haltung, seine Ergebenheit in Gottes Willen, ja fast die Gelassenheit und Souveränität.“ (Meine Zeitgeschichte, S. 106). Aufgrund der Wirren am Ende des Krieges kommt Andreas Hermes schließlich mit dem Leben davon. Zehn Jahre später, am 7. Oktober 1955, bewirkt Peter Hermes beim Landgericht Berlin den Aufhebungsbeschluss des Todesurteils. Die Verantwortung für das Gedenken an den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist längst zu einem Familienauftrag geworden: 1955 heiratet Peter Hermes Maria Wirmer, die Tochter von Josef Wirmer, der seit 1936 zum Widerstandskreis der christlichen Gewerkschafter um Jakob Kaiser gehörte, am 4. August 1944 verhaftet, am 8. September zum Tode verurteilt und am gleichen Tag hingerichtet wurde.

 

Kriegsgefangenschaft und Neubeginn

Die Geschichte von Vater und Sohn scheint seit der Verurteilung des Vaters auf verschiedenen Ebenen miteinander verwoben.

Die Rückkehr an die Front Ende Januar 1945 führt Peter Hermes mitten in den Abwehrkrieg gegen die vorrückende sowjetische Armee. Doch die Befehlsstränge nach Berlin funktionieren weiterhin. Die Kritik am Nationalsozialismus nicht immer verschweigend, gerät Hermes in die Fänge des Regimes. Dem Verhör folgt jedoch keine Verhaftung, die Gefangennahme durch die Sowjets am 19. März schreibt für ihn eine andere Geschichte. Eine fast fünfjährige Kriegsgefangenschaft folgt, „unverletzt und in vier Kriegsjahren unverwundet und von ernsteren Krankheiten verschont geblieben. Deo gratias!“ (Meine Zeitgeschichte, S. 122).

Fünf Jahre muss Hermes in russischen Lagern verbringen: „Arbeit bis zur Erschöpfung, Hunger bis zum Verhungern, Mißhandlungen, Quälereien, primitivste hygienische Verhältnisse, ganz mangelhafte ärztliche Versorgung, Lumpenkleidung, Läuse und Wanzen als ständige Begleiter, Verlust jeder Privatsphäre, Unmöglichkeit der geistigen Beschäftigung.“ (Meine Zeitgeschichte, S. 124). Die Gefangenschaft entwickelt sich zum Politikum: Mit der Gründung der CDU in der sowjetisch besetzten Zone, an der sein Vater maßgeblich beteiligt ist, entdecken die neuen Machtinhaber ihr Interesse an der Familie. Im Herbst 1945 wird Peter Hermes in Sippenhaft genommen, um den Vater gefügig zu machen, insbesondere der „Bodenreform“ in der SBZ zuzustimmen. Das Versprechen zur Freilassung ist geknüpft an dessen ständiges politisches Wohlverhalten gegenüber den sowjetischen Behörden und deutschen Kommunisten. Aus der Kriegsgefangenschaft wird eine politische. Sich nicht erpressen zu lassen, ist jedoch für Vater und Sohn selbstverständlich. Als das Interesse an Andreas Hermes nachlässt, wird Peter im Dezember 1949 freigelassen. Am 8. Januar nehmen ihn seine Eltern und die beiden Schwestern auf dem Hauptbahnhof Köln in Empfang – mit tiefen körperlichen und seelischen Wunden, jedoch nicht gebrochen. Bereits eine Woche nach der Heimkehr schreibt Peter Hermes sich für das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn ein. Am 21. Juli 1951 besteht er das Referendarexamen, am 23. Juli 1952 die mündliche Prüfung zur Promotion zum Thema „Die Südtiroler Autonomie, zugleich ein Beitrag zum Minderheitenrecht“, schließlich am 27. Januar 1955 das Assessorexamen.

 

San Francisco, Rom, Paris

Seine diplomatische Laufbahn beginnt Peter Hermes am 1. April 1955 im neunten Attachélehrgang des Auswärtigen Amtes. Der Aufnahmeprüfung für den höheren Auswärtigen Dienst am 4. Mai 1956 folgen erste Auslandseinsätze: in der Rechtsabteilung des Generalkonsulats in San Francisco (1956–1958), als erster Sekretär in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl (1958–1961) und als Leiter des Referats für Handelspolitik und Agrarpolitik und die Fischerei bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris (1961–1965).

In den USA entwickelt sich die von Konrad Adenauer forcierte Wiedergutmachung an den jüdischen Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen zu einem politischen Schwerpunkt. In Rom erlebt Hermes gleich zu Beginn den Wechsel von Papst Pius XII. zu Johannes XXIII. Ein Höhepunkt für den gläubigen Katholiken!

Auch die Stolperfallen und Gepflogenheiten des Protokolls lernt Hermes in diesen ersten zehn Jahren kennen. Er ist zuständig für viele Besucher deutscher Politiker, begleitet in Paris u. a. Heinrich Krone, Heinrich Lübke, Erich Ollenhauer, Kurt Georg Kiesinger, Eugen Gerstenmaier, Heinrich von Brentano, Theodor Heuss, in Rom Konrad Adenauer, Willy Brandt und Richard Stücklen.

In der OECD vertieft er sich in Entwicklungshilfe und Konjunkturpolitik der Mitgliedsländer. Fortlaufende Informationen und Konsultationen über handelspolitische Maßnahmen sowie permanente Bemühung um Ausgleich der Interessen bilden den Auftakt für weitergehende Verantwortungsbereiche. Bei unvergesslichen Momenten der Zeitgeschichte, z. B. der Versöhnungsmesse mit den beiden Staatsmännern Konrad Adenauer und Charles de Gaulle am 8. Juli 1962 in Reims, wird Hermes Augenzeuge.

 

Im Auswärtigen Amt – zurück in Bonn

Die Zeit im Ausland wird in den Jahren 1965 bis 1979 durch wechselnde Funktionen im Auswärtigen Amt in Bonn abgelöst. Es ist eine neue Zeit: Die Adenauer-Ära ist vorüber, Ludwig Erhard ist Bundeskanzler, mit Willy Brandt übernimmt 1969 erstmals ein Sozialdemokrat die Regierungsgeschäfte. Hermes entwickelt sich zum Experten für Außenwirtschaftsbeziehungen: zunächst stellvertretender Referatsleiter für Wirtschaftsbeziehungen zum Westen mit besonderer Zuständigkeit für die USA und Kanada (1965–1970), dann Botschafter und Beauftragter für Handelsvertragsverhandlungen (1970–1973), schließlich Leiter der Abteilung für Außenwirtschaftspolitik, Entwicklungspolitik und europäische wirtschaftliche Integration (1973–1975).

Seine bedeutsamsten politischen Arbeitsgebiete werden die Devisenausgleichsverhandlungen mit den USA und Großbritannien, die Vertragsverhandlungen über den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den europäischen sozialistischen Ländern, die Gestaltung der deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen in der Ära Breschnew. Unter seiner Ägide werden die langfristigen Wirtschaftsabkommen mit Ungarn, Bulgarien und der Sowjetunion abgeschlossen. Es geht schrittweise um mehr Liberalisierung im Warenaustausch und Verständigung in Kooperationsfragen.

Doch auch die Entwicklungshilfe, die Zusammenarbeit mit Afrika und Asien sowie den Wirtschaftsausschüssen der Vereinten Nationen, ferner die Intensivierung der europäischen Wirtschaftsbeziehungen in den Europäischen Gemeinschaften, die Lösung der Energiekrise im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt sowie die Nuklear- und Rüstungsexportpolitik sind Hermes‘ Aufgaben.

Als im Juli 1975 der Staatssekretär Hans-Georg Sachs tödlich verunglückt, wird Peter Hermes sein Nachfolger mit Zuständigkeit für Wirtschafts-, Rechts- und Kulturfragen. Hinter Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Staatssekretär Günther van Well rangiert er gleichsam an dritter Stelle im Auswärtigen Amt. Dieser Karrieresprung unter einer sozialliberalen Koalition stellt hinsichtlich seiner CDU-Mitgliedschaft sicherlich eine Besonderheit dar, nicht jedoch angesichts des familiären und persönlichen Hintergrunds sowie der erbrachten Leistungen. Als Parlamentarische Staatsminister begleiten Hermes zwischen 1975 und 1979 die SPD-Abgeordneten Hans-Jürgen Wischnewski und Klaus von Dohnanyi sowie die FDP-Abgeordneten Karl Moersch und Hildegard Hamm-Brücher.

Eine Reihe schwieriger Sonderaufträge nimmt Hermes in dieser Zeit wahr, so die Verhandlungen zur gemeinsamen europäischen Agrarpolitik, die Vertretung deutscher Interessen auf der sich mühsam hinschleppenden Internationalen Seerechtskonferenz und auf der UNO-Mammutkonferenz für Entwicklungsfragen in Manila.

 

Wieder im Ausland: USA

Am 13. November 1979 wird Peter Hermes von Außenminister Genscher aus seinem Amt als Staatssekretär verabschiedet. Nach fast fünfzehn Jahren „in der Zentrale“ geht er als Botschafter nach Washington (1979–1984). In diese Zeit fällt der Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau, insbesondere aber der NATO-Doppelbeschluss vom 12. Dezember 1979. Dieser sieht die Wiederherstellung des Gleichgewichts der nuklearen Abschreckung im Mittelstreckenbereich durch die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen, vorwiegend auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland, und gleichzeitig amerikanisch-sowjetische Verhandlungen über Abbau und Nichtstationierung beider Waffensysteme (sowjetische SS 20 gegen amerikanische Pershing II und Cruise Missiles) vor. Nicht zuletzt aufgrund ausbleibender Ergebnisse wachsen mit dem Beginn der Reagan-Administration im Januar 1981 die Verständigungsschwierigkeiten zwischen der westlichen Vormacht USA und ihren europäischen Verbündeten. Mit den nicht selten ausbleibenden Informationen an die Bündnispartner vor wichtigen und weitreichenden Entscheidungen ist die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Washington stärker gefordert.

 

Krönender Abschluss: Vatikan

Nach knapp fünf Jahren in den USA tritt Peter Hermes die letzte seiner diplomatischen Stationen an: Er wird Botschafter beim Heiligen Stuhl (1984–1987). Ein lange gehegter Wunsch geht in Erfüllung! Dennoch ist es zunächst eine Umstellung – aus dem politischen und militärischen Zentrum des Westens in das Zentrum der katholischen Weltkirche: „Diese Tätigkeit läßt sich mit keiner anderen im Auswärtigen Dienst vergleichen. Der Botschafter beim Heiligen Stuhl ist ein Botschafter sui generis, muß sich auf die Besonderheiten einer vom üblichen diplomatischen Dienst abweichenden Tätigkeit einstellen und, wenn er Erfolg haben will, daran auch Gefallen finden. Im Vordergrund stehen die Beziehungen zwischen Staat und katholischer Kirche in Deutschland (Reichskonkordat, Länderkonkordate, Staatskirchenverträge), das Verhältnis der christlichen Kirchen zueinander in Deutschland (die ökumenische Entwicklung), die Einwirkung der katholischen Kirche und Lehre auf Politik und Wirtschaft und die allgemeinen Lebensverhältnisse in vielen Ländern der Welt, in meiner römischen Zeit besonders in Lateinamerika und den kommunistisch beherrschten Ländern Ost- und Mitteleuropas.“ (Meine Zeitgeschichte, S. 296).

In seiner Zeit in Rom lernt Hermes den damaligen Kardinal Josef Ratzinger persönlich kennen. Anlässlich der Goldenen Hochzeit mit seiner Frau Maria empfängt dieser ihn 2005 als Papst Benedikt XVI. – zusammen mit den sechs Kindern, Schwiegerkindern und 23 Enkeln – zu einer Privataudienz im Castel Gandolfo.

Mit dem Abschiedsbesuch bei Papst Johannes Paul II. Ende August 1987 endet die diplomatische Laufbahn von Peter Hermes. Es folgt die Versetzung in den Ruhestand.

Lebenslauf

  • 1928-1932 Öffentliche katholische Volksschule in Steglitz
  • 1932-1933 Gymnasium am Lietzensee in Berlin-Charlottenburg
  • 1933-1937 Gymnasium Carolinum in Osnabrück
  • 1937-1939 Aloisiuskolleg in Bad Godesberg (Jesuitenschule), nach dessen Schließung durch die Nationalsozialisten
  • 1940 Abitur an der Städtischen Oberschule für Jungen in Bad Godesberg, Reichsarbeitsdienst, Studium der Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre in München und Wien
  • 1941-1945 Soldat
  • 1945-1950 sowjetische Kriegsgefangenschaft
  • 1950 Fortsetzung des Studiums in Bonn
  • 1950 Eintritt in die CDU
  • 1951 Referendarexamen
  • 1952 Promotion
  • 1955 Assessorexamen, Eintritt in den Diplomatischen Dienst
  • 1955-1958 Generalkonsulat in San Francisco
  • 1958 Generalkonsulat in Basel (Vertretung)
  • 1958-1961 1. Sekretär in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl
  • 1961-1965 Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris
  • 1965-1970 stv. Referatsleiter für Wirtschaftsbeziehungen zum Westen
  • 1970-1973 Beauftragter für Handelsvertragsverhandlungen im Range eines Botschafters
  • 1973-1975 Leiter der Abteilung für Außenwirtschaftspolitik, Entwicklungspolitik und europäische wirtschaftliche Integration
  • 1975-1979 Verbeamteter Staatssekretär im Auswärtigen Amt mit Zuständigkeit für Wirtschafts-, Rechts- und Kulturfragen
  • 1979-1984 Botschafter in den USA
  • 1984-1987 Botschafter beim Vatikan, anschließend Ruhestand

 

Auszeichnungen (u.a.)

  • Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
  • zahlreiche Auszeichnungen ausländischer Staaten, darunter das Großkreuz des Ordens des Infanten Dom Henrique, Großkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik, Ernennung zum Dr. h. c. der Universität Nebraska.

 

Veröffentlichungen

  • Die Südtiroler Autonomie (1952)
  • Die Christlich-Demokratische Union und die Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Jahre 1945 (1963)
  • Sozialismus oder Volkspartei. Andreas Hermes und die Gründung der CDU in Berlin 1945 (Die Politische Meinung, 25/1980)
  • Geisel in Kriegsgefangenschaft (Die Politische Meinung, 40/1995)
  • Rückblicke und Einsichten 1933-1950 (1996)
  • Zusammenführen und Maßhalten. Andreas Hermes (1878 bis 2003) zum 125. Geburtstag (Die Politische Meinung, 48/2003)
  • Meine Zeitgeschichte 1922-1987 (2007)

 

Asset-Herausgeber

Kontakt

Dr. Ulrike Hospes

Dr. Ulrike Hospes

Landesbeauftragte und Leiterin des Politischen Bildungsforums NRW /
Leiterin Büro Bundesstadt Bonn

ulrike.hospes@kas.de +49 (0) 2241 246 4257 +49 (0) 2241 246 5 4257
Einzeltitel
Wiki, Deutsche Fotothek der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), CC-BY-SA 3.0
27. August 2012
Jetzt lesen

Asset-Herausgeber