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Otto Nuschke beim Parteitag der CDU in Weimar - 21. bis 25. September 1954. Otto Nuschke beim Parteitag der CDU in Weimar - 21. bis 25. September 1954. © Bundesarchiv, Bild 183-26500-0003 / Wlocka / CC-BY-SA 3.0

Otto Nuschke

Stellvertretender Ministerpräsident der DDR, Vorsitzender der DDR-CDU Dr. h. c. 23. Februar 1883 Frohburg/Sachsen 27. Dezember 1957 Hennigsdorf/Berlin
von Oliver Salten
Nur wenige Personen aus der Geschichte der CDU dürften so umstritten sein wie Otto Nuschke. Ein aufrechter Demokrat in der Weimarer Republik, aktiv im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und Mitbegründer der CDU, war er dennoch nicht in der Lage, dem Druck der Kommunisten in der SBZ/DDR etwas entgegenzusetzen. So wurde er zur machtlosen Gallionsfigur einer Blockpartei.

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Jugend

Gustav Otto Nuschke wurde am 23. Februar 1883 als drittes von acht Kindern des Druckereibesitzers Gustav Otto Nuschke und seiner Frau Martha Elisabeth Nuschke, geb. Voigt, im sächsischen Frohburg geboren. Nachdem er 1897 die Volksschule abgeschlossen hatte, eiferte er seinem Vater nach und ging in Leipzig in die Buchdruckerlehre. In dieser Zeit wurde Nuschke vor allem von zwei Einflüssen geprägt, die eine nachhaltige Wirkung auf sein weiteres Leben haben sollten. Zum einen handelte es sich dabei um einen von der pietistischen Herrnhuter Brüdergemeine geformten Protestantismus, zum anderen um linksliberale Ideen, insbesondere die national-sozialen Vorstellungen Friedrich Naumanns, durch die bereits früh sein politisches Interesse erweckt wurde.

 

Journalist

Nach Abschluss seiner Lehre 1901 arbeitete er zunächst im väterlichen Betrieb mit, entschloss sich aber bald, seiner journalistischen Neigung zu folgen und trat 1902 ein Volontariat bei der linksliberalen „Hessischen Landeszeitung“ in Marburg an. In dieser Zeit besuchte er nicht nur als Gasthörer Vorlesungen an der dortigen Universität, er trat im gleichen Jahr auch Friedrich Naumanns Nationalsozialem Verein bei und folgte seinem politischen Ziehvater 1903 in die Freisinnige Vereinigung (FV), einer liberalen Partei im Deutschen Kaiserreich.

Sein journalistisches Talent brachte ihm 1904 bereits mit 21 Jahren den Posten des Chefredakteurs der „Hessischen Landeszeitung“ ein und auch politisch begann ein rasanter Aufstieg, wobei ihm auch seine rhetorischen Fähigkeiten halfen. Schon 1909 kandidierte er in Siegen erstmals für den Reichstag und fuhr, auch wenn er nicht gewählt wurde, ein achtbares Ergebnis für die FV ein. 1910 wurde Nuschke vom Chefredakteur des „Berliner Tagesblatts“, Theodor Wolff, einem Neffen des Verlegers Rudolf Mosse, als Parlamentsredakteur nach Berlin berufen. Hier erlebte er den Ausbruch des 1. Weltkrieges mit. Im April 1915 wurde er in den Landsturm berufen, aber bereits im Juni wieder entlassen. Im November desselben Jahres setzte Mosse ihn als Chefredakteur der linksliberalen „Berliner Volkszeitung“ ein.

 

Demokrat

Im Zuge der Revolution vom November 1918 stellte sich Nuschke rasch an die Seite der jungen Republik. Er wirkte an der Ausarbeitung des Gründungsaufrufes der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) mit und hatte bis 1930 verschiedene Funktionen im Parteivorstand inne, wo Nuschke dem pazifistisch geprägten linken Flügel der DDP um Ludwig Quidde und Walther Schücking nahestand. 1919 wurde er in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Beim Kapp-Putsch 1920 blieb Nuschke mit einigen anderen Abgeordneten der Nationalversammlung in Berlin und war maßgeblich an der Organisation des Widerstands gegen die Putschisten beteiligt. Nach dem Zusammenbruch des Putsches war Nuschke kurzzeitig als Reichswehrminister im Gespräch, mit dieser Position konnte sich die DDP aber nicht gegen ihre Koalitionspartner SPD und Zentrum durchsetzen.

Nuschke misslang bei den Wahlen im Juni 1920 der Einzug in den Reichstag, dafür gelang ihm jedoch im Februar 1921 die Erringung eines Mandates für den Preußischen Landtag, dem er bis 1933 angehören sollte. In diesen Jahren beschäftigte ihn vor allem der Kampf um die Erhaltung der Weimarer Republik gegen ihre Gegner. Insbesondere die Mordanschläge auf den früheren Finanzminister Matthias Erzberger 1921 und Außenminister Walther Rathenau 1922 waren für Nuschke Anlass „den entschlossenen Gebrauch aller staatlichen Machtmittel“ gegen die Extremisten zu fordern. Vor dem Hintergrund einer größeren außenpolitischen und wirtschaftlichen Beweglichkeit der jungen Republik sprach er sich bereits 1920 grundsätzlich für eine Verständigung mit Sowjetrussland aus, dessen Anerkennung er schon am 13. März 1922 in einer Rede vor dem Preußischen Landtag forderte.

Innerhalb der DDP scheute er sich nicht, in verschiedenen Fragen auch gegen die Mehrheitsmeinung seiner Fraktion zu votieren. Umso bemerkenswerter ist es, dass er im Juli 1930 den Wandel der DDP zur Deutschen Staatspartei (DStP) mitvollzog, obwohl der größte Teil des linken Flügels dies verweigerte. Anfang 1931 wurde er Reichsgeschäftsführer der neuen Partei und Redaktionsleiter ihres Wochenblatts „Deutscher Aufstieg“.

Privat ging Otto Nuschke ebenfalls durch schwere Zeiten. 1926 starb seine Frau Gertrud, die er 1908 geheiratet hatte. Zwar heiratete er bereits 1927 erneut, die Ehe wurde aber 1933 wieder geschieden. Zudem kam sein 1909 geborener Sohn Otto Alfred unter unklaren Umständen ums Leben. Erst 1948, nachdem auch seine dritte Ehe gescheitert war, fand er sein spätes privates Glück mit der erst 21jährigen Wirtschafterin Vera Günther, die 1949 den gemeinsamen Sohn Heinz zur Welt brachte. Mitte der 1920er Jahre konnte er in Nieder Neuendorf bei Berlin ein Grundstück erwerben, auf dem er einen Bauernhof errichtete, wo er seinem landwirtschaftlichen Hobby frönen konnte. Nach seiner ersten Frau wurde das Gut „Gertrudenhof“ genannt.

 

Verfolgt

Die „Machtergreifung“ Adolf Hitlers bedeutete auch für Otto Nuschke eine Zäsur. Zunächst bemühte er sich nach Kräften darum, die Selbstaufgabe der Demokraten zu verhindern, indem er sich im Vorstand der DStP klar gegen die Annahme des Ermächtigungsgesetzes im Deutschen Reichstag aussprach, jedoch vergebens. Bereits am 24. Mai 1933 kam er kurzzeitig in Haft. Bald darauf erhielt er ein Berufsverbot und wurde aus dem Landtag ausgeschlossen. Er zog sich auf den Getrudenhof zurück, hielt aber Verbindung mit alten politischen Freunden. Jüdischen Bekannten, die verfolgt werden, gewährte er, trotz hohem persönlichen Risiko, Unterkunft und Nahrung. 1943 bekam er über den früheren sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Julius Leber Kontakt zur Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises. Im Falle eines erfolgreichen Anschlages auf Hitler wäre Nuschke zum Leiter des Berliner Funkhauses und des Ullstein-Verlages bestimmt gewesen. Nach der Verhaftung Lebers Anfang Juli 1944 musste Nuschke jedoch bis Kriegsende in Berlin untertauchen.

 

Neuorientierung

Sehr bald nach dem Ende des 2. Weltkrieges nahm Nuschke seine politische Tätigkeit wieder auf. Nachdem die sowjetische Besatzungsmacht bereits am 10. Juni 1945 die Bildung von Parteien erlaubt hatte, beteiligte er sich zunächst an den Vorbereitungen zur Wiedergründung einer liberalen Partei, stieß dann aber rasch zum Gründerkreis der CDU in Berlin und unterzeichnete den Gründungsaufruf vom 26. Juni 1945. Am 12. Juli wurde er zum Geschäftsführer des parteieigenen Union Verlages bestellt, der auch das Zentralorgan „Neue Zeit“ herausbrachte.

Nuschke blieb innerhalb der Leitung der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zunächst im Hintergrund. Erst nachdem die Sowjets Jakob Kaiser Ende 1947 wegen dessen politischer Haltung zur „Volkskongressbewegung“ abgesetzt hatten, wurde Nuschke im September 1948 auf dem Parteitag in Erfurt zum Vorsitzenden gewählt. Nuschke fühlte sich zum einen in der Verantwortung dafür, die Existenz der Partei zu sichern, zum anderen erhoffte er sich, durch ein konzilianteres Auftreten bei den Sowjets die eigenen Positionen und Vorstellungen besser durchsetzen zu können. Hierzu zählte insbesondere die Erwartung, dass es zu freien Wahlen käme und dass hierbei die bürgerlichen Parteien einen Sieg davontragen würden. Im Rahmen der Gründung der DDR wurde Nuschke zu einem von drei stellvertretenden Ministerpräsidenten berufen und ihm die Zuständigkeit für Kirchenfragen übergeben. Seine politischen Möglichkeiten und Handlungsräume blieben jedoch begrenzt. Dem immer stärkeren Gleichschaltungsdruck durch die Sowjets und die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), der sich unter anderem in diversen innerparteilichen „Säuberungen“ innerhalb der CDU in der SBZ/DDR ausdrückte, konnte er letztlich wenig entgegensetzen. So stimmte er schließlich 1950 auch der Einheitslistenwahl zu, wodurch die CDU ihre Eigenständigkeit immer weiter einbüßte.

 

Scheitern

Nuschke bemühte sich zwar immer wieder darum, einzelnen Personen und den Kirchen bei ihren Schwierigkeiten mit staatlichen Stellen zu helfen, setzte sich auch für mehr Rechtsstaatlichkeit, Kriegsgefangene und die Angeklagten in den Waldheimer Prozessen ein, letztlich konnte er den Unrechtscharakter des Regimes aber auch nur abmildern.

 

Waldheimer Prozesse
Im Frühjahr 1950 wurden im Zuchthaus Waldheim in Sachsen fast 3.500 Personen, die in sowjetischen Speziallagern inhaftiert gewesen waren, angeklagt. Kriegs- bzw. NS-Verbrecher, aber auch viele Unschuldige, wurden in Schnellverfahren, die keinerlei rechtsstaatlichen Ansprüchen genügten, von sogenannten „Volksrichtern“ zu langjährigen Haftstrafen und in einigen Fällen auch zum Tode verurteilt.

 

 

1952 erkannte die CDU der DDR, in der Generalsekretär Gerald Götting mittlerweile faktisch das Sagen hatte, endgültig den Führungsanspruch der SED an. Nach der Verhaftung von Außenminister und CDU-Mitglied Georg Dertinger im Januar 1953 und dem Scheitern des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953, in dessen Verlauf Nuschke kurzzeitig nach West-Berlin verschleppt worden war, musste er sich schließlich mit den realen Gegebenheiten arrangieren. Zwar bemühte er sich noch immer in Einzelfällen darum, Härten abzumildern und Hilfe zu leisten, real war Nuschke jedoch entmachtet. Am 27. Dezember 1957 starb er auf dem Gertrudenhof. Für die CDU der DDR blieb er jedoch bis 1989 als „Lehrer und Vater der Partei“ eine Identifikationsfigur und hatte als solche große Bedeutung.

 

Lebenslauf

  • 1897 Abschluss der Volksschule
  • 1897-1901 Buchdruckerlehre in Leipzig
  • 1902 Volontariat bei der "Hessischen Landeszeitung" in Marburg
  • 1902 Mitglied des Nationalsozialen Vereins Friedrich Naumanns
  • 1903 Mitglied der Freisinnigen Vereinigung (FV)
  • 1904-1908 Chefredakteur der "Hessischen Landeszeitung"
  • 1908-1910 Generalsekretär der FV bzw. Fortschrittlichen Volkspartei (FVP)in Hessen-Nassau und Waldeck
  • 1910-1915 Parlamentsredakteur des "Berliner Tageblatts"
  • 1915 Einberufung zum Landsturm
  • 1915-1930 Chefredakteur der "Berliner Volkszeitung"
  • 1918 Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), dort Inhaber diverser Vorstandsämter
  • 1919-1920 Mitglied der Deutschen Nationalversammlung
  • 1921-1933 Mitglied des Preußischen Landtages für die DDP bzw. Deutsche Staatspartei (DStP)
  • 1931-1933 Reichsgeschäftsführer der DStP
  • 1933-1945 Berufsverbot, Rückzug auf sein Gut in Hennigsdorf bei Berlin
  • 1943 Kontakte zum Kreisauer Kreis
  • 1945 Mitbegründer und Vorstandsmitglied der CDU in Berlin, Verlagsleiter des Zentralorgans "Neue Zeit"
  • 1946 Mitglied der Landtage von Brandenburg (bis 1952) und Sachsen-Anhalt (bis 1948)
  • 1947 Mitglied des Präsidiums des 1. Volkskongresses
  • 1948-1949 einer von drei Vorsitzenden des Präsidiums des Deutschen Volksrates
  • 1948-1957 Vorsitzender der CDU der SBZ/DDR
  • 1949-1957 Mitglied der Volkskammer
  • 1949-1957 Stellvertretender Ministerpräsident der DDR

 

Literatur

  • Gerhard Fischer: Otto Nuschke. Ein Lebensbild, Berlin (Ost) 1983.
  • Andreas Schalück: Eine Agentur der Kirchen im Staatsapparat? Otto Nuschke und die Hauptabteilung „Verbindung zu den Kirchen“ 1949-1953 (Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin), Berlin 1999.
  • Alwin Schaper: Otto Nuschke und seine Zeit. Politik aus dem Geschichtserlebnis des 20. Jahrhunderts (Hefte aus Burgscheidungen 92), o.O. 1963.
  • Günter Wirth: Otto Nuschke (Reihe Christ in der Welt 1), Berlin (Ost) 1965.

 

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